Es kann ja sein, daß ich nach 16 Jahren ein verzerrtes Bild meines Heimatlandes habe, aber ich kann mich nicht erinnern, daß es dort so viele Leute gegeben hätte, die wegen eines Themas aus einem Grund einen Kandidaten gewählt hätten.
Es ist jetzt Anfang April, und der republikanische Präsidentschaftskandidat hat sich immer noch nicht endgültig herauskristallisiert. Wenn man den Nachrichten Glauben schenken darf, kann es sich trotz bestimmter zahlenmäßiger Realitäten (es ist etwa mittlerweile eher unwahrscheinlich, daß Newt Gingrich noch gewinnen wird – dennoch bleibt er stur im Rennen) noch bis Juni hinziehen.
Auf der demokratischen Seite wird Obama als Amtsinhaber zwangsläufig wieder antreten, und so ist die aufregende Entscheidung, die wir im November treffen werden, Obama gegen Romney oder wer immer schlußendlich (mit Betonung auf endlich) die republikanische Kandidatur gewinnen wird. Es gibt auch noch andere Parteien, die aber de facto keine Rolle spielen. Der Grund: die USA haben ein Zwei-Parteien-System, in dem sich Republikaner und Demokraten auf allen Ebenen die Klinke in die Hand geben.
Historisch gesehen hat sich das so herausgebildet, und da alle Wahlen nach «the winner takes all» («der Gewinner nimmt alles») entschieden werden, haben kleinere Parteien kaum eine Chance. Für mich, die in Deutschland mit einem anderen Wahlsystem aufgewachsen ist, ist das immer noch gewöhnungsbedürftig, denn automatisch wird ein zum Teil sehr großes Wählerkontingent dadurch in meinen Augen um ihre Stimme gebracht.
Alle die Parteien, die in Deutschland zwischenzeitlich ganz oben mitmischen, haben irgendwann klein angefangen. Baden-Württemberg hat seit nicht allzu langer Zeit einen grünen Ministerpräsidenten (man stelle sich das einmal vor!), und es gibt allerorten alle möglichen Koalitionen, von schwarz-gelb über rot-rot bis zur sogenannten «Jamaica-Koalition». In den USA ist niemand gezwungen, Koalitionen einzugehen und damit wirklich Kompromisse zu schließen. Man hat entweder die Mehrheit, oder nicht, und als Newt Gingrich noch Sprecher des Repräsentantenhauses war, hat er diese intrinsische Polarität noch kultiviert.
Obama sprach insbesondere zum Beginn seiner Amtszeit gerne von «Bi-Partisanship» (etwa im Sinne von: «partei-übergreifender Kompromiß»), aber im polarisierten Amerika des 21. Jahrhunderts ist davon wenig zu spüren. Denn auf der anderen Seite wollen alle gerne, daß Kompromisse geschlossen werden, aber nicht vom eigenen Senator oder Repräsentanten, insbesondere, wenn es um bestimmte Themen geht. Das wäre ja ein Zeichen von Schwäche.
Es kann ja sein, daß ich nach 16 Jahren ein verzerrtes Bild meines Heimatlandes habe, aber ich kann mich nicht erinnern, daß es dort so viele Leute gegeben hätte, die wegen eines Themas, aus einem Grund einen Kandidaten gewählt hätten. Vielleicht auch, weil in Deutschland Religion etc. keine so große Rolle spielt wie in den konservativen Gegenden von Ohio, wenn auch dort ebenfalls gerne auf dem Rücken von Minderheiten Politik gemacht wird. Jedenfalls kenne ich persönlich genügend «one-issue-voters», also «Ein-Thema-Wähler», die etwa Rick Santorum nur deswegen gewählt haben, weil er gegen Abtreibung wettert. Und diese Leute gibt es auf beiden Seiten des Schützengrabens. Für und gegen Abtreibung, für und gegen Schwulenehe etc.
Was mich wieder an den Punkt bringt, den ich in meinem allerersten Beitrag angesprochen habe: viele Leute, mich eingeschlossen, fühlen sich hier nicht wirklich politisch repräsentiert. Man wählt irgendwo das kleinere Übel. Da aber beide Seiten – in diesem Fall die Republikaner und Demokraten – je nach Meinungslage immer irgendwie gewinnen und folglich keinerlei Interesse daran haben, noch andere Parteien mitmischen zu lassen, wird sich das vermutlich zu meinen Lebzeiten nie ändern.
Also, Obama oder Romney? Obama oder Santorum? Für viele wie mich heißt das hier eher: Pest oder Cholera?