Aus Weggeworfenem lässt sich noch vieles machen. Kenner finden auf Bauteilbörsen und in Brockenstuben nebst Schnäppchen wahre Preziosen.
«Das ist doch Müll!» Das sagen wir oft, wenn wir etwas für absolut schlecht oder nutzlos halten. Aber gibt es denn irgendetwas auf dieser Welt, das nicht über kurz oder lang zu Müll wird?
(Bild: Facebook, Getulio Damato)
Manchmal entsteht aus Abfall sogar Werthaltiges. Der brasilianische Künstler Getulio Damato zum Beispiel stellt Skulpturen aus Shampoo-Deckeln, Handys und Schuhen aus Müllhalden her und sorgt damit für Aufsehen – so auch vor vier Jahren in Basel. Mit dem Erlös seiner Kunstwerke hält er sich und seine Kinder über Wasser. Auch gewerblich und industriell lässt sich aus Müll Geld machen, wie ein Gang durch die Recycling-Fachmesse zeigt, die diesen Herbst zum zweiten Mal in Basel stattfindet. Und der Staat schafft mit Abfallkontrolleuren neue Stellen.
Doch Müll ist mehr als ein Wirtschaftszweig. Es ist der Spiegel unserer Gesellschaft. Um das zu erkennen, bedarf es keiner Weltreise. Ein Besuch in der Bauteilbörse auf dem Dreispitzareal reicht. All die deponierten Parkettböden, die Küchen, Kachelöfen und Badezimmer zeigen uns, dass wir unsere Umgebung gern umgestalten und verändern. Früher musste eine Küche ein Leben lang halten, heute bestimmt die Mode, wie lang die Einbauschränke im Raum bleiben. Ganz zu schweigen von den Kühlschränken, deren Energieverbrauch ständig sinkt. Wer es sich leisten kann, bringt seine Küche auf den neusten Stand.
Migranten und Connaisseurs
Im Gegensatz zu Hausabfällen lässt sich eine Küche aber nicht einfach in den Bebbisack stopfen. Man kann Gerätschaften und Schränke zwar auf die Strasse stellen und «gratis» draufschreiben – doch das ist verboten. Korrekterweise muss Teil für Teil richtig entsorgt werden. Deshalb lässt man sie vom Fachmann ausbauen und hofft, dass er neue Verwendung für die einzelnen Bestandteile findet. Zum Beispiel eben in der Bauteilbörse.
Hier stehen Dutzende hochwertiger Küchen zu günstigen Preisen – Tendenz steigend. Menschen mit wenig Lohn, darunter viele Migranten, suchen sich hier passende sanitäre Installationen und Möbel aus. Aber auch Hausbesitzer, die günstige Wohnungen anbieten und kein Vermögen in die Renovation investieren wollen, zählen zu den Kunden.
Wenn es sich um alte Böden handelt, kann es auch mal ein Vertreter von Herzog & de Meuron in die Bauteilbörse verschlagen.
Umgekehrt landen auf der Bauteilbörse funktionstüchtige Küchen, Badezimmer und Waschmaschinen von Hausbesitzern, die in ihre Objekte investieren, um höhere Mieten verlangen zu können. Architekten schmökern herum – und wenn es sich um alte Böden handelt, kann es auch mal ein Vertreter von Herzog & de Meuron in die Bauteilbörse verschlagen.
Auch Nostalgie treibt die Menschen um. «Badewannen mit Füssen zum Beispiel verkaufen wir manchmal schon, bevor sie hier sind», sagt Bauteilbörse-Geschäftsführer Jürg Minder. Was gibt es Schöneres, als ein renoviertes Altstadthaus mit altem Eichenparkett im Salon und einer Füssli-Badewanne im Badezimmer? Oder die alten Türen – gedrechselte und fantasievoll gestaltete Kunstwerke, die einst in herrschaftliche Villen führten.
Der Liebhaber kommt hier auf seine Rechnung. Jürg Minder legt Wert auf das Wort «Wiederverwendung». Was sein Team tue, habe mit Recycling nichts zu tun. Sämtliche Verkaufsgegenstände werden in der hauseigenen Werkstatt hergerichtet, technische Geräte werden geprüft, basta. Der Gegenstand bleibt, was er war – nur aufgemotzt.
Ein ganz ordentliches Geschäft
Diese Renovationsarbeit unterscheidet die Bauteilbörse von einer Brockenstube, wo die Möbel meist unbearbeitet in den Verkauf gelangen. Ausserdem finden sich dort selten ganze Küchen, vielmehr werden hier seit jeher vor allem Tische, Stühle, Sofas, Sessel, Betten und Lampen angeboten. Das grosse Sortiment der Brockenstuben zeigt, dass auch hier mit Abfall ein ordentliches Geschäft möglich ist. Nicht alles, was als Abfall gedacht war, landet im Müll. «Wir helfen mit, die Abfallberge zu verkleinern», sagt Herve Dobler, Geschäftsführer der Brockenstuben-Kette Hiob.
In den Brockenstuben sieht man nicht nur, was der Mensch will, sondern auch, was er definitiv nicht mehr will. Gewisse Möbel aus neuerer Zeit nehmen Brockenstuben nur ungern an, weil sie – auch zu günstigsten Preisen – niemand mehr kaufen würde. Umso härter wird dafür der Kampf um Preziosen geführt.
In den Brockenstuben sieht man nicht nur, was der Mensch will, sondern auch, was er definitiv nicht mehr will.
Als die Bauteilbörse vor 16 Jahren eröffnet wurde, war sie noch eine Börse für Baumaterialien. Die Möbel und Lampen kamen erst später hinzu – und die Brockenstuben erhielten Konkurrenz. Erst recht Konkurrenz erhalten sie durch die verschiedenen digitalen Tauschplattformen wie Ebay oder Ricardo. «Im Internet läuft alles nur über den Preis», sagt Herve Dobler. Aber das Geschäft läuft. Auf den Auktionsplattformen findet sich praktisch alles, was das Herz begehrt – vom Reclam-Büchlein für den Gymnasiasten bis hin zum antiken Holztisch.
Die Chance für die herkömmlichen Brockenstuben gegenüber den virtuellen Anbietern von Gebrauchtgegenständen liegt darin, dass sie noch ein Einkaufserlebnis bieten.
Wer clever ist, spezialisiert sich. So gibt es etwa Bücher-Brockys und Kinderkleiderbörsen. Und im Unterschied zu den virtuellen Plattformen wird in den Brockenstuben von den Händlern auch eine Vorauswahl getroffen. Röhren-TV-Geräte beispielsweise haben zunehmend geringere Chancen, angenommen zu werden. «Es kommen bereits die ersten Flachbildschirme herein», sagt Dobler. Da wird man sogar im Brocki wählerisch. Im Internet spielt eine solche Vorauswahl keine entscheidende Rolle: Eine Einzelperson mit altem Fernseher im Kellerkann kann es durchaus riskieren, das Gerät ein paar Tage lang ins Netz zu stellen – und das Angebot dann einfach wieder zu löschen.
Das Einkaufserlebnis zählt
Dobler ist überzeugt, dass Brockenstuben-Betreiber sich noch besser auf ihre Vorzüge – eben zum Beispiel auf das Einkaufserlebnis – besinnen müssen, wenn sie überleben wollen. Er zweifle keine Sekunde daran, dass sie, die ja meist Non-Profit-Unternehmen sind, das schaffen. «Es gibt ja auch noch Einkaufsläden, obwohl man sich heute das Essen nach Hause liefern lassen kann – oder Kinos, obwohl es Fernsehen gibt.» Videokassetten dagegen gibt es heute kaum mehr in Brockis zu kaufen.
«Wir sind froh, dass uns die Leute ihre alte Ware bringen», sagt Dobler. Und natürlich sei diese nicht immer hochwertig. «Die Schnelllebigkeit unserer Zeit spiegelt sich auch in der Qualität der Möbel.» Eines will er jedoch nicht hören: Ramsch gibt es in den Brockenhäusern nicht zu kaufen. Und Müll schon gar nicht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13