Die letzte Bastion der Basisdemokratie: Ein Basler Eigenbräu

Zum 20. Geburtstag ihres «Permanenten Provisoriums» freuen sich die Mieter des Werkraums Warteck wieder auf bewegtere Zeiten.

Nach dem Auszug der Bierbrauer aus dem Warteck drohte das Areal zu verkommen – Die neuen Nutzer haben es wieder zu neuem Leben erweckt. (Bild: Daniel Spehr)

Zum 20. Geburtstag ihres «Permanenten Provisoriums» freuen sich die Mieter des Werkraums Warteck wieder auf bewegtere Zeiten.

Manchmal ist der Moment, wo Hopfen und Malz verloren scheint, nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Zumindest im Falle der ehemaligen Brauerei Warteck am Burgweg, die 1990 für immer die Türen schloss. Eigentlich herrschte damals in der Stadt Basel bereits Konsens darüber, dass das gesamte Areal einer neuen Nutzung zuzuführen sei und die charmanten, charakteristischen Gebäude wie das Sudhaus abgerissen werden müssten.

Dass es dennoch anders kam, ist den Nachwehen der bewegten 80er-Jahre zu verdanken, dem Zeitalter von AJZ und Städtgärtnerei, deren Protagonisten damals vorübergehend im legendären Schlotterbeck untergekommen waren – und hier erstmals Gelegenheit hatten, autonome Arbeits- und Lebensmodelle zu erproben.

Unter tatkräftiger Mithilfe von Architekt Roger Diener und Jakob Tschopp, dem bestens vernetzten Leiter der Uni-Bibliothek, gelang es den Aktivisten schliesslich, sowohl der Besitzerin Warteck Invest wie auch dem Kanton die zunächst als «Bieridee» belächelte Umnutzung des Areals als «soziokulturelle Werk- und Begegnungszone» schmackhaft zu machen. 1993 sprach sich das Basler Stimmvolk schliesslich in einem Grundsatzentscheid für den Erhalt des Brauereigebäudes aus: Das in unzähligen «Montagsplenen» basisdemokratisch erarbeitete Konzept der zukünftig als Verein und Stiftung organisierten Trägerschaft erhielt damit überraschend den Freipass zur Realisierung.

Das Konzept sah neben der Erhaltung gleichzeitig eine Umnutzung des Areals und dessen Umzonung zur Wohnzone vor. Es machte den Weg frei für mittlerweile so etablierte Projekte wie den Veranstaltungsort Sud den Quartiertreffpunkt Burg, das Restaurant Don Camillo oder den Kunstraum Kaskadenkondensator und die junge Kunstmesse Liste. Heute, zwei Jahrzehnte später, mag es angesichts der allgegenwärtigen, oft hitzig geführten Diskussion um Kulturlärm und Sinn und Unsinn von Zwischennutzug überraschen, dass der Ort und dessen Bewirtschaftung als «Permanentes Provisorium» eigentlich immer noch genau gleich funktionieren.

Wo man das Gras wachsen hört

Mehr noch: Auch ein beachtlicher Teil der Erstbezüger unter den 42 Mietparteien – von Handwerkern bis zu Bewegungstherapeuten – sind immer noch im Warteck daheim. Angesichts der Ausdauer und Beständigkeit von Nutzung wie Nutzern sprechen heute böse Zungen bereits vom «unglaublichen Sitzleder», das sich die einstige Schlotterbeck-Gruppe angeeignet habe, und davon, dass angesichts der nach wie vor basisdemokratischen Organisation und der tiefen Kosten die meisten wohl ihr Werk- und Wirkungsfeld erst auf der Bahre verlassen würden.

«Aber sicher», sagen die beiden alteingesessenen Warteck-Vorstandsmitglieder, Informatiker Maurits de Wijs und Künstler Martin Thüring, beim Ortstermin der TagesWoche unverblümt, «es gibt schlicht keinen Grund, hier wegzugehen.» Nach all den Jahren sei man mittlerweile schliesslich ein eingespieltes, erfahrenes Team – «und die Möglichkeit, bis heute alle Entscheide im Plenum nach dem Basisdemokratie-Prinzip zu treffen, entspricht nach wie vor unserer Philosophie.»

Dass der Betrieb heute in vergleichsweise ruhigen, geordneten Bahnen verlaufe, sei umso erfreulicher, wenn man sich an die Anfangszeit erinnere. Damals, als zu Beginn mehrere Jahre lang nicht nur eine Heizung, sondern auch diverse Fensterscheiben im Haus fehlten und Hunderte von Tauben die zugigen Durchgänge und Flure besetzten. «Wenn man sieht, wie lange es heute dauert, bis auch nur die einfachsten, kurz­lebigsten Zwischennutzungsprojekte bewilligt werden, wäre es mittlerweile wohl unvorstellbar, dass die Behörden oder gar die Basler Regierung solche Räume für noch nicht ausgearbeitete Projekte oder Menschen mit kleinem Budget freigeben und schauen, was dabei herauskommt», sinniert Thüring nostalgisch. Und: «Von der Investmentfirma, welche das gesamte Areal für einen symbolischen Franken einer jungen, alternativen Gruppe überschreibt, reden wir jetzt gar nicht erst!»

Das Sudhaus: Ein Dach über dem Kopf, aber zu Beginn keine Heizung.

Umso mehr sind die beiden Warteck-Veteranen überzeugt, dass gerade die anfangs zu überwindenden Hindernisse, der Do-it-yourself-Charakter des Projekts und das oft zähe Ringen der sehr verschiedenen Nutzer um den Konsens im Plenum auch das Erfolgsgeheimnis sei. «Wir mussten alles von null an selber aufbauen, vom handwerklichen Verlegen von Strom und Wasser bis zur Organisa­tionsstruktur», erinnert sich de Wijs. «Da wächst natürlich auch die Verbundenheit mit dem Ort.»

Gleichzeitig gebe es mit dem Warteck-pp-Fonds ja mittlerweile auch regelmässig Gelegenheit, einen Teil der Einnahmen aus Miete und Ertrag zurückzustiften und anderen innovativen sozialen oder kulturellen Projekten in Basel zukommen zu lassen.

Da scheint es fast ironisch, dass die einzige Zerreissprobe innerhalb des Warteck-Kollektivs in den letzten Jahren ausgerechnet vom selber implementierten externen Stiftungsrat ausgegangen war, als dieser die «basisdemokratische Tradition» des Hauses aus Effizienzgründen zu straffen versuchte. Wenig überraschend, dass dieses Projekt nicht von Erfolg gekrönt war.

Hopfen und Malz: Gewonnen

Das soll aber keinesfalls heissen, dass man neuen Nutzungskonzepten nicht offen gegenüberstehe, betont Thüring. Im Gegenteil: Zurzeit würden im ehemaligen Malzturm neun Etagen entstehen, mit deren künftigen Mietern explizit die Vielfalt im Haus wieder vergrössert werden soll. Jeder und jede, der die «Werkraum-Philosophie» des Hauses teile, sei eingeladen, sich bis Ende Juli bei der entsprechenden Arbeitsgruppe des Warteck zu bewerben. «Ich hätte Freude daran, wenn das Haus noch bunter, frecher, wilder wird als zuvor», betont auch de Wijs. Gelegenheit dazu bietet sich allerdings bereits diesen Samstag.

10 Jahre nach der letzten, legendären 24-Stunden-Nonstop-Party des Wartecks organisieren de Wijs und seine Mitstreiter zum 20. Geburtstag des Hauses wieder ein Jubiläumsfestival – von Konzerten und DJs über Tanz-Performances und Workshops bis zum Kinderprogramm werden über 50 Künstler die Besucher bis in die Morgenstunden unterhalten. Gratis: Damit bei der Feierei in der alten Brauerei auch noch genügend Geld für Hopfen und Malz bleibt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13

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