Das neue Frauengesicht in Locarno zwischen zwei Frauen. «Fidelio, L’Odyssée d’Alice» und «Love Island» – von Frauen inszenierte Frauenliebe.
Ariane Labed verkörpert gleich in zwei Filmen in Locarno die Frau, die ihre Sexualität und ihr Lebensglück nicht aus der Hand gibt. Labed ist 2010 schon in Venedig aufgefallen. Für Ihre Rolle in «Athina Rachel Tsangaris» erheilt sie damals einen Goldenen Löwen.
In Locarno macht sie in «Love Island» ein wenig dünnen Wind als werdende Mutter. In «Fidelio, L’Odyssée d’Alice» ist sie eine starke die Flagge im Wind der Liebe. Ariane Lebed steht zwischen zwei Frauen: Lucie Borleteau inszeniert sie bildgewaltig in «Fidelio, L’Odyssée d’Alice». Jasmina Zbanic macht aus ihr in «Love Island» eine «all inclusive»-Geliebte.
Labed erweist sich – nach Charlotte Gainsbourg – als die neue Spezialistin für die Suche der Frau am Scheideweg. Sie bewegt sich sowohl als Alice wie als Eliane in der Männerwelt mit einem neuen Selbstbewusstsein. Nicht mehr die Männer spielen die Hauptrolle auf der Suche nach der Liebe. Die Liebe selbst spielt die Hauptrolle, und auch das nicht mehr zwingend bei einem Mann. Es kann ja auch eine Frau sein. Oder beides.
Die Liebe in der stählernen Welt der Männer
In «Fidelio, L’Odyssée d’Alice» besteht die Welt für die junge Frau aus einem Containerschiff. Alice zieht in dieser Männerwelt durch die Meere. Sie ist Maschinistin. Und sie ist die einzige Frau unter Männern. Ihr Freund Felix lebt an Land, in Ihrer Wohnung, weil er da besser arbeiten kann.
Doch die langen Abwesenheiten stellen ihre Lieb auf eine harte Probe. Umgeben von Dieselmotoren in grossen Schiffsbäuchen lernt sie, ihre Gefühl zu verwirklichen, auch wenn sie auf Deck einigen Winden ausgesetzt sind.
Alice ist in Felix verliebt. Aber der Wind aus der Heimat ist nicht der einzige, der mit Alice spielt. Da sind auch eine andere Kräfte, die Alice treibt: das Begehren zum Beispiel. Auf dem Schiff ist nämlich auch Gaël, Alices erste grosse Liebe.
Mit ihm verbindet Alice die Begierde. Vielleicht will sie, so stellt sie es fest, auch nur ihre Liebe testen. Vielleicht will sie auch nur die Zeit für die Liebe nicht lang werden lassen. Vielleicht will sie nur wissen, ob die neue Liebe vor der alten Liebe besteht. Sie stellt sich die Frage, ob sie Felix genügend liebt, indem sie mit Gaël schläft.
Die Liebe auf der farbigen Allinclusive-Insel
In der Sommerkomödie «Love Island», die in Locarno auf der Piazza gezeigt wurde, ist die Welt für Eliane eine «All Inclusive»-Insel im Mittelmeer. Man tanzt und trinkt und sonnt sich. Elianes Kindsvater ist ein liebenswerte Tollpatsch, mit dem eine Frau nicht öffentlich prahlen kann, der aber wenigstens ein begeisterter Windelwechsler sein wird.
Erst sieht es allerdings aus, als müsste Eliane ihren Mann gegen die Inselschönheit verteidigen. Die Tauchlehrerin scheint nicht abgeneigt, um mit dem Gatten auf Tauchstation zu gehen. Doch dann findet «Love Island» Regisseurin Jasmila Spanic einen hübschen Twist: Die kürzeste Verbindung zweier Punkte ist bei ihr nicht eine Gerade. Es können ja auch Kurven sein – jene zweier Frauen.
Die ganze Welt in einem Film
Die Regisseurin Lucie Borleteau schaffte es in «Fidelio, L’Odyssée d’Alice» die Gefühlswelt einer jungen Frau anhand einer imposanten Metapher auszuloten: DasLeben ist ein Containerschiff. Im Bauch des Schiffes drohen Starkstromschläge, da ist immer wider mal einer der Zylinder unter Überdruck, da fällt auch mal die Energieversorgung ganz aus, mal hat ein Ventil Druckverlust, mal brennt der Generator.
Auf Deck aber weht nicht der Wind der «Titanic»-Romantik. «Fidelio» ist das fremde Land einer Frau. Alice treibt ein verlorenes Versteckspiel unter den Männern. Alice schläft mit dem Kapitän. Alice tanzt mit der Crew. Alice besteht Prüfungen, die sie alle als Liebesprüfungen versteht.
Als Alice wieder zu Felix fährt, weiss sie zumindest dies: Ihre Liebe zu ihm ist in nicht Gefahr. Felix will aber nicht damit leben, dass Alice einen Geliebten an Bord hat. Er bricht mit ihr. Jetzt ist seine Liebe in Gefahr. Alice kehrt zurück in das stählerne Monstrum, in dem sie sich um den Motor kümmert, mit seinen vielenn Zylindern.
Das ist die Liebe der Franzosen
Als Eliane erkennt Ariane Labed in «Love Island» die Tauchlehrerin rasch wieder: Es ist ihre ehemalige Geliebte. Was Goethe einst als «Wahlverwandschaft» angedacht hat, denkt Jasmila Zbanic auf der Ferieninsel mit ihren Frauen zu Ende: Jetzt macht die Komödie einen überraschenden Schwenk – all inclusive leider. Und leider auch inklusive jede Menge dünn gespielter Oberflächen-Pointen.
Ganz anders kann Ariane Labed ihr Können in «Fidelio, L’Odyssée d’Alice» ausloten: Bei der nächsten Fahrt auf hohe See stellt sich heraus, dass die «Fidelio» baufällig ist. Bereits auf der Hinfahrt ist ein Mann im Maschinenraum gestorben. Jetzt trifft es Gaël. Er verunfallt im Maschinenraum schwer. Alice sieht sich vor eine Entscheidung gestellt.
Mit Beethhovens «Fidelio» hat der Film nur den Titel gemein – vielleicht auch die Metapher der Gefangenheit. Aber nur selten die Musikalität, bis auf das alte Lied: «Das ist die Liebe der Matrosen!» Auf eine Frau angewendet, lautet es auch da: «Auf die Dauer, lieber Schatz, Ist mein Herz kein Ankerplatz. Es blüh’n an allen Küsten Rosen, Und für jede gibt es tausendfach Ersatz».
Ariane Labed. Das neue Gesicht im Film – zwischen zwei Frauen
So unterschiedlich Ariane Labed in beiden Filmen spielt, so unterschiedlich sind die beiden Frauen, die ihre Geschichten erzählen: Die Regisseurin Lucie Borleteau verlässt sich in «Fidelio, L’Odyssée d’Alice» mit ihrer Geschichte ganz auf die Ausstrahlung von Ariane Labed, die, im Gegensatz zu «Island of Love» hier auch wirklich einen Charakter zu erzählen hat:
Alice’s Geschichte als Maschinistin erfährt mit jede Einstellung eine neue Tiefe. Hier kann eine Regisseurin aus ihrem Set herausholen, was die Geschichte mehrfach erzählt: Männliche Kolbenfresser. Brennende Energie. Ventilrisse. Nur die Sex-Szenen sind jedes Mal gleich platt, uninspiriert und letztlich unnötig.
Jasmina Zbanic, die Regisseurin von «Love Island» kann ihrer Schauspielerin weit weniger Filmwelt bieten: Bei ihr möchte man das «all inclusive» gern bereuen. Obwohl man gerne mal in Kauf nimmt, dass die Welt aus lauter Nutzniessern besteht: Diese Geschichte ist so dünn serviert, wie die Drinks an einer «all inclusive»-Bar.
Als Nachfolgerin von Charlotte Gainsbourg in den Rollen der sinnlichen jungen Frau ist Ariane Labed aber eine vielversprechende Enddeckung: Weitaus aktiver als die Gainsbourg, ebenso zupackend und – fast so genussvoll. Selbstzweifel sind nicht ihr Ding. Das zeigt die nächste Generation junger Frauen: Grübeln sollen die anderen.
All-Inclusive-Komik: «Love Island»