Die Tücken des Trinkgeldgebens

Wer Trinkgeld gibt, bewegt sich auf heiklem Terrain – überall lauern ­Fallstricke und Fettnäpfe.

Dieser Tage füllen sich die Briefkästen wieder mit Glückwunschkärtchen – manchmal von Leuten, die wir gar nicht persönlich kennen. Auch der Zeitungsverträger wird uns wieder schöne Festtage und ein erfolg­reiches neues Jahr wünschen.

Eine schöne Geste – und, klar, auch eine stille Botschaft, die den Empfänger wohl ermuntern soll, den gewissenhaft geleis­teten Liefer­dienst zu nachtschlafender Stunde mit einer kleinen Zuwendung zu belohnen. Was man als zufriedener Zei­tungs­abonnent gerne tut. So wie man auch dem Coiffeur ein Trinkgeld gibt oder den Rechnungs­betrag im Restaurant auf­rundet – ­obwohl der Service eigentlich inbegriffen wäre und man nicht immer mit der bezo­ge­nen Leistung ganz zufrieden ist.

Doch wie steht es zum Beispiel mit dem freundlichen Kioskverkäufer, der einem seit Jahren Tag für Tag die Zigaretten in die Hand drückt, bevor man den Mund geöffnet hat? Der Putzfrau, die im Büro dafür sorgt, dass man morgens an einem sau­beren Schreibtisch sitzt? Oder den Angestellten des Tiefbauamts, die den Müll vor dem Haus wegräumen? Ihnen geben wir in der Regel nichts.

Der Schriftsteller Alain Claude Sulzer («Ein perfekter Kellner», 2004) hat mit den Tages­Woche-Kollegen Matieu Klee, Monika Zech und Peter Senn­hauser die ­Tücken des Trinkgeldgebens ausgelotet. Warum gibt man dem einen und der ­an­­deren nicht? Wann ist ein ausser­ordent­­licher Geldzustupf angesagt, wann nicht? Und wie viel ist wo angemessen?

Eine abschliessende Erklärung für das Trinkgeldgeben, diese sehr widersprüch­lich gehandhabte Kultur­tech­nik des Be­lohnens und Bestrafens, gibt es nicht. Sicher aber ist: Die daraus entstehenden Missverständnisse sind manchmal folgenschwer.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12

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