Ein bisschen Snob

Am internationalen Literaturfestival BuchBasel wird der Schweizer Buchpreis verliehen. Die TagesWoche fragt, was denn die Schweizer Literatur ausmacht und stellt die fünfBücher der Shortlist vor.

Am internationalen Literaturfestival BuchBasel wird der Schweizer Buchpreis verliehen. Die TagesWoche fragt, was denn die Schweizer Literatur ausmacht und stellt die fünfBücher der Shortlist vor.

Wer ein Buch liest, ist ein Snob. Wer sich etwa «Léon und Louise» des Oltners Alex Capus – 2011 erschienen – kauft und es liest, hat wohl nichts Gescheites zu tun. Er verpasst, während er sich vom Roman mitreissen lässt, Dutzende von Twitter-Meldungen, Facebook-Einträgen, aktuellen News im Internet. Er leistet sich den Luxus, in eine Geschichte vor 70 Jahren einzutauchen, die voller Spannung, Humor und Erotik ist. Spannender als eine «Mad Men»-Staffel, lustiger als ein Giacobbo-Klamauk, kitzelnder als ein «Playboy»-Titelblatt. Wer so ein Buch liest, foutiert sich für eine Weile – denn Lesen kostet Zeit – um die Hektik dieser Welt. Er ist wirklich ein Snob.

Ebenso jener, der sich erlaubt, mehr über das Leben, Gefühle, Mentalität von Einwanderern in die Schweiz zu erfahren, wenn er sich die Zeit nimmt, «Tauben fliegen auf» von Melinda Nadj Abonji zu lesen. Er verpasst dabei vielleicht den aktuellen Schlagabtausch zwischen SVP, Linken und sonstigen Experten. Aber er begegnet künftig all den Einwanderern aus dem Balkan mit einer anderen Einstellung. Nur weil er sich den Luxus geleistet hat, ein Buch zu lesen. Weil er sich herausgenommen hat, ein bisschen Snob zu sein.

Es ist paradox: Obwohl es immer mehr Möglichkeiten gibt, sich die Zeit mit dem wachsenden medialen Angebot totzuschlagen, wächst und wächst die Zahl der Neu­erscheinungen. Für den Laien, der sich nicht berufsmässig mit Literatur befasst, ist das Angebot schier unüberschaubar. Festivals wie Buch Basel von diesem Wochenende ermöglichen es, sich etwas Überblick zu verschaffen. Und Preisverleihungen wie jene für den Schweizer Buchpreis helfen doch hoffentlich, Spreu vom Weizen unterscheiden zu können. Obwohl es diesen Buchpreis gar nicht geben sollte, da es ja auch keine Schweizer Literatur gibt. Oder doch? Unsere Titelgeschichte verschafft da nicht nur Klarheit, sondern stellt auch die fünf nominierten Werke für den Buchpreis vor.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12

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