Alle reden vom Verlust der Heimat. Der Schriftsteller Alex Capus und der englische Philosoph Roger Scruton sehen das anders: Es sei Zeit für neue Heimatgefühle.
Es ist mehr als zehn Jahre her, seit die Basler Sozialdemokratin Anita Fetz in einem roten T-Shirt mit Schweizer Kreuz ans nationalrätliche Rednerpult gestanden ist und so für den UNO-Beitritt der Schweiz geworben hat. Zehn Jahre – und noch immer erinnern sich die Leute daran. Warum eigentlich?
In erster Linie wohl, weil eine Linke sich des heiligen Schweiz-Symbols bemächtigte, das die Rechte für sich beansprucht. «Schweizer Kreuz», «Weiss auf rotem Grund», «Alpenglühn», «Heimat» … mit all dem hatten und haben nicht nur Linke Mühe, sondern auch solche, die sich modern wähnen, die glauben, urban zu leben. Der Begriff Heimat stösst vielen säuerlich auf, man rümpft die Nase.
Und doch ist jede und jeder irgendwann mit der Frage konfrontiert, wo denn ihre beziehungsweise seine Heimat sei. Mit Sicherheit ist sie für die wenigsten dort, wo gemäss Pass der Heimatort ist. Ist das Land, in dessen Grenzen ich hineingeboren wurde, meine Heimat? Oder eher der Kanton? Vielleicht sogar nur ein Gefühl? Oder: Kann ich eine neue Heimat finden? Erwerben? Wenige Wochen, nachdem ich mich vor Jahren in einem Pariser Quartier als Korrespondent niedergelassen hatte, merkte ich, dass mich die Wirtin vom Bistro, der Nachbar, der Mann, bei dem ich täglich meine Zeitung kaufte – dass die mich zur Kenntnis nahmen, gemerkt hatten, dass ich hier wohnte. Beginnt so Heimat?
Heimat ist dort, wo … Ja, eben: Wo?
Wir haben keine Antwort gefunden und nachgefragt: bei einem Bauern, einem Computerspezialisten, einem Fernfahrer, einer Auslandkorrespondentin. Eine übereinstimmende Antwort gibt es nicht. Aber die Antworten regen zum Nachdenken an. Wir haben den Oltner Schriftsteller und früheren Präsidenten der dortigen SP, Alex Capus, gebeten, uns zu schreiben, wo er die Heimat wähne. Er sucht sie im Nahen – ähnlich wie der konservative britische Schrifsteller und Philosoph Roger Scruton, der diese Woche in Basel an einer Tagung zum Thema Heimat teilnahm. Trotz allen Bemühungen: Wir haben noch immer keine messerscharfe Definition von Heimat. Aber wir überlassen das Thema nicht irgendwelchen politischen Gruppierungen, denn es geht die ganze Gesellschaft etwas an.
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Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12