Grillieren am Rhein? Das wäre jungen Leuten in den Achtzigerjahren nicht im Traum eingefallen. Grillieren – das taten die Eltern, kaum zeigte sich der erste Sonnenstrahl. Es war der Inbegriff des Bünzlitums. Genauso wie das Wandern und Gärtnern. Oder das Heiraten und Kinderkriegen.
Die Fronten verliefen damals sonnenklar: dort die Bünzlis mit ihren bornierten Ansichten, hier die Avantgarde, die genau wusste, was das Leben lebenswert machte. Was taten wir Wohlstandsrevolteure nicht alles, um anders zu sein und die «Alten» zu provozieren. Und merkten dabei nicht, wie engstirnig unsere eigene kleine Parallelwelt war.
Geblieben ist die fast schon manische Angst, «normal» zu werden.
Gilt der Konformismus als zentrale Kompetenz des Bünzlitums, dann war wohl kaum eine Jugendrevolte so bieder wie jene der Achtziger: Ob Haare (auffällig-unkonventionell-grell), Jeans (mutwillig zerschlissen), Jacke (Leder, möglichst im Motorradfahrerstil), Schuhe (Doc Martens, Converse Chucks) – alles war normiert. Sogar die Partei, die man zu wählen hatte, war vorgegeben, nämlich: gar keine («No Future»).
Und heute? Natürlich leben die ergrauten Rebellen der Achtziger nicht mehr in Wohngemeinschaften und besetzten Häusern, und auch jobmässig zeigte der Weg stets nach oben. Geblieben ist aber der tiefe Anti-Spiesser-Reflex: die fast schon manische Angst, «normal» zu werden.
Heute schmunzle ich manchmal über die Leidenschaft, mit der manche Fourtysomethings sich über die «neue Biederkeit» der Jungen echauffieren: über deren Bünzli-Outfits (Bärte, Anzüge im Konfirmandenstil, Pullunder) oder die neue Lust, eine Familie zu gründen und sich ein gemütliches Nest zu bauen. Der Kolumnist und Psychoanalytiker Peter Schneider bringt es in unserer Titelgeschichte so auf den Punkt: «Die obsessive Beschäftigung mit der Frage, wer oder was denn nun bünzlig ist, ist selber ein Symptom des Bünzlitums.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.04.13