Warum das Land nicht untergeht

Die Schweiz hält sich gut in der Krise – dank qualifizierten Arbeitskräften und guter Ausbildung.

Ein Staat im Ruin? Hätten die Weiss­buch-Autoren vor bald 20 Jahren recht gehabt, dann wäre die Schweiz heute ein Armenhaus. Überreguliert, zu staatslastig, zu ausgabefreudig im Sozialbereich sei unser Land, warnten die neoliberalen Schwarz­maler um den inzwischen verstorbenen Manager und Ex-Diplomaten David de Pury und nannten in ihrer 77-seitigen Broschüre «Mut zum Aufbruch» (1995) gleich auch die Rezepte gegen den drohenden Niedergang: Priva­ti­sierung des Service public, Steuersenkungen und Abbau der Sozialleistungen.

Unser Land ist nicht untergegangen – obwohl sich das Volk beharrlich querstellte und in diversen Abstimmungen neo­liberale Vorhaben bachab schickte. Heute zählt die Schweiz zu den wettbewerbsfähigsten ­Ländern der Welt. Fast 84 Pro­zent der Ein­­wohner zwischen 15 und 64 Jahren sind berufstätig, die Arbeitslosenquote beträgt ­gegen vier Prozent. Kennzahlen, von denen andere Staaten nur träumen können.

Worin besteht das Geheimnis des Schweizer Erfolgsmodells? Gerd Löhrer hat in unserer Titelgeschichte die Ar­beitsmarkt­entwick­lung der letzten Jahre unter die Lupe genommen. Sein Fazit: Innova­tions­freude, Arbeitsfriede, hohe Qualität in der industriellen Produktion wie auch in den Dienstleistungen – all diese Faktoren sind wichtig. Entscheidend sind aber Ausbildungsqualität und -sicherheit. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern ist die Jugendarbeitslosigkeit hierzu­lande gering, bei den Lehrstellen herrscht in vielen Bereichen sogar ein Überangebot.

Die Schweiz habe sich erfolgreich gegen den Trend der «Überakademisierung» gewehrt und konsequent auf das duale Bildungssystem mit praktischer Berufsaus­bildung und dem Besuch einer Berufsschule gesetzt, sagt der Ökonom und Glücksforscher Bruno S. Frey im Interview: «Diese Vielfalt in der Aus­bildung müssen wir unbedingt be­wahren.» Eine Erkenntnis, die man in neoliberalen Weissbüchern selten liest.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13

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