Anna Aaron: «Ich steckte in einer veritablen Krise»

Zwei Jahre lag die Karriere der Basler Musikerin im Dornröschenschlaf. An der BScene gibt sie ihr Comeback. Für manche wird sie kaum wiederzuerkennen sein.

«Es war eine krasse Erfahrung, an den Punkt zu gelangen, wo dich deine Arbeit trägt» – Anna Aaron.

Nach hoffnungsvollen Jahren ist es ruhig geworden um Anna ­Aaron. Basels einzige Stimme, die sowohl von Jury wie Publikum den Pop-Preis verliehen bekam, drohte nach der Trennung von ihrem langjährigen Label gar vollends zu verstummen. Am BScene-Festival gibt die 33-Jährige nun ihr Comeback: Emanzipiert unter Tränen, mit elektronischen Einflüssen und einem Vertrag beim Basler ­Indie-Label Radicalis.

Anna Aaron, in den letzten zwei Jahren gab es zwar Gerede über dich, aber keine Konzerte von dir. Warum die Pause?

Es gab schon ein, zwei Zufallsgeschichten. Aber ja, ich machte weder eine Tour noch hatte ich ein Album draussen. Darum der Unterbruch.

In der Zeit hast du dich von deinem alten Label getrennt. Waren die zwei Jahre Bühnenpause nötig, um Luft zu holen, oder eher ein luftleeres Loch?

Es war schon eher ein Loch. Ich kann das nicht schönreden. Es war der Horror. Aber …

Vor dem Aber wüsste ich gerne: Warum war es der Horror?

Weil ich alles verloren hatte! In meiner Wahrnehmung brach alles zusammen – zumindest oberflächlich gesehen.

War deine Karriere so eng an das Label geknüpft?

Das Ende war eine sehr einschneidende Erfahrung. Ich war ja noch sehr jung, als ich bei Two Gentlemen unterschrieben hatte, kaum 20. Ich machte meine Anfänge, die ganzen Lehrjahre mit ihnen. Das war auch emotional eine sehr intensive Beziehung. Schon als es noch lief, wurde mir meine Abhängigkeit bewusst. Die gipfelte in der Vorstellung: Wenn ich nicht mehr bei ihnen bin, bin ich auch keine Musikerin mehr. 

«Ich habe ein dramatisches Narrativ, was Ereignisse in meinem Leben betrifft. Das bin ich.»

Von aussen betrachtet, könnte man es auch so interpretieren: Das Label verpflichtete eine talentierte junge, aber unerfahrene Musikerin. Man stellte ihr eine routinierte Band zur Seite und wollte die nächste Sophie Hunger formen. Das hat anscheinend nicht geklappt.

Ich hätte ja bei ihnen weitermachen können, so wie sie wollten, und alles wäre gut gewesen. Die Entscheidung zwischen Sicherheit und musikalischer Eigenständigkeit war sehr intensiv. Der Moment des entscheidenden Telefongesprächs, das war … Ich hatte zwar innerlich keinen Zweifel mehr an meinem Entscheid. Es gab keine Option nachzugeben. Das hätte sich wie ein Verrat an mir selbst angefühlt. Schliesslich arbeitete ich mit meinem Bruder Alain schon lange am neuen Album und sagte noch: «Das wird wie Dornröschen! Das liegt am Ende im Schloss und wir müssen es retten.» Dann fühlte es sich tatsächlich an, als wollten uns alle unsere Songs aus den Händen nehmen. Das konnten wir nicht zulassen. 

Da ging es künstlerisch um Leben und Tod?

Gut, ich habe ein dramatisches Narrativ, was Ereignisse in meinem Leben betrifft. Das bin ich. Doch lustigerweise hatte ich schon beim Schreiben der Demos das Gefühl: Die Songs haben enorme Sprengkraft. Ich konnte es nicht benennen, aber das Gefühl war immer da. Im Nachhinein stimmt es ja auch: Das Album hat meine Laufbahn gesprengt.

Anna Aaron gewann mit ihrem Debüt «Dogs In Spirit» 2011 den Basler Pop-Preis. 2014 legte die 33-Jährige, die bürgerlich Cécile Meyer heisst, das Album «Neuro» nach. Zwei Jahre danach folgte die Trennung von ihrem Label Two Gentlemen.

Wie heisst es denn?

«Pallas Dreams» – nach dem zweiten Namen der griechischen Göttin Athene.

Warum wollte es dein altes Label Two Gentlemen nicht herausbringen?
Das ist eine lange und komische Geschichte. Mir wurde es immer wichtiger, alleine zu arbeiten. Das begann schon bei der Produktion des Albums «Neuro» in London mit David Kosten. «Pallas Dreams» nahm ich dann alleine mit meinem Bruder Alain Meyer auf. Ich habe von ihm sehr viel gelernt, was das Produzieren angeht. Wir entwickelten eine gemeinsame Vision und darum kämpften wir auch hart dafür. Dabei wurde es immer schwieriger, dem Label unsere Idee zu vermitteln. Wir haben immer mehr aneinander vorbei geredet. Und als wir uns beim Abmischen der Songs nicht einig werden konnten, eskalierte es.

Sauer auf das alte Label?

Sie blieben bei allen Differenzen immer fair und liessen mich dann ja auch gehen. Selbst wenn ich die Produktion danach selber finanzieren musste. Immerhin waren die Aufnahmen schon abgeschlossen.

Die hatte noch das Label bezahlt?

So halb. Zum Glück musste ich nicht zurückzahlen, was sie schon investiert hatten. Sie spürten wohl, dass sie mich einfach ziehen lassen mussten. Ich musste meinen Weg gehen. Ich habe mich in der Zeit bei Two Gentlemen schon sehr verändert. Was von mir nun im Internet rumgeistert, ist weder Fisch noch Vogel.

https://tageswoche.ch/kultur/trouvaillen-unter-trueffeln-der-bscene/

Du hast angedeutet, an der BScene ein Elektro-Set spielen zu wollen.

Ja. Meine Entwicklung vom Folk meiner Anfänge zum Sound von jetzt kommt wohl daher, dass ich als Kind der Neunziger anfangs eine intuitive Abneigung gegen elektronische Musik hatte. Ich kannte nur kalten Kommerz-Techno ohne Seele.

Aber damals spielten doch Trip-Hop Bands wie Portishead mit äusserst Seelen wärmender Elektronik.

Ja, aber diese Bands lernte ich eher retrospektiv kennen. The Knife oder Animal Collectiv waren dann mein Schlüssel zur Elektronik. Durch sie verstand ich, dass elektronische Musik sehr psychedelisch und spirituell sein kann. Das ist eigentlich offensichtlich, aber ich musste es erst lernen. Ich kannte davor nur Scooter.

Wie interpretierst du deine jetzige Musik?

Das Grundkonzept von Alain und mir baut auf die Frequenzen: flimmernd strahlende Höhen, pretty, sparkling mit viel Delay und im Sechzehnteltakt, dagegen Bässe wie im Hip-Hop, tief, trocken, fett mit Bauch. Wir dachten viel in Frequenzspektren, dann in Songs.

Und welche Instrumentierung nutzt ihr?

Wir haben viel mit einem Prophet Synthesizer und einer Orgel aus den 70er-Jahren gearbeitet und dazu Beats programmiert. Aber wir haben auch echtes Schlagzeug und einen Tag lang Instrumente aufgenommen mit meinen ehemaligen Tourmusikern.

Aber auf der Bühne stehst du nun alleine?

Eigentlich sollte mein alter Tourschlagzeuger Fred Bürki mitspielen, aber er ist an der BScene nicht hier.

Ganz schön mutig, dein Comeback alleine zur besten Zeit auf der grössten Festival-Bühne zu geben.

Oder auch übermütig! Ich weiss auch nicht, welcher Wahnsinn mich geritten hat zuzusagen. Als die Anfrage kam, sagte ich noch, dass mein Drummer nicht kann, und dachte: Dann wollen sie mich eh nicht. Nun, es ist ja nicht mein erster Solo-Auftritt. 

Warum hast du nach der Trennung von Two Gentlemen nicht schon früher wieder gespielt? 

Ich musste schlicht einen Job suchen. Nun arbeite ich in einem Café. Aber ja, es brauchte schon auch Zeit, wieder auf eine Bühne zu stehen. Die Trennung warf mich in eine veritable Krise.

«Es war schon krass. Ich habe im Studio zum Teil heulend gearbeitet.»

Für viele Musiker ist eine Krise immerhin kreativ inspirierend.
Ich habe in der Zwischenzeit auch ein zweites Album und eine EP aufgenommen, die noch nicht veröffentlicht sind.

Hat die Krise Einfluss auf Inhalt und Songwriting gehabt?

Glücklicherweise hat die persönliche Krise meine Musik nicht tangiert. Songs schreiben war immer ein Flow, der unberührt blieb von allen äusseren Einflüssen. Was sich verändert hat, war, dass ich mich in der Krise klar dafür entschied: Ich bin Musikerin und werde es immer sein.

Stand das denn zur Diskussion?

Ich stellte mir schon existenzielle Fragen, besuchte die Website der Uni Basel und überlegte: Hmm, muss ich nun …? Die Gedanken geistern rum. Ich hätte auch aufgeben oder Musik nebenbei, als Hobby machen können. Aber gerade als es am schlechtesten ausgesehen hat, war ich mir am sichersten, dass ich Musikerin bin.

Was verunsicherte dich mehr: Der ausbleibende finanzielle Erfolg oder der fehlende Applaus?

Ich musste mir viele Gedanken machen über den äusseren Schein und die Erfahrung, an den Wert der eigenen Arbeit zu glauben, selbst wenn alles um dich herum wegbricht. Das ist mega intensiv und wichtig. Da definiert man den eigenen Erfolg neu. Wer bin ich, wenn ich nicht gehypt werde? Wenn ich nicht auf der Liste der zehn relevantesten aktuellen Musiker stehe? Das sind sehr fundamentale Themen. Bist du länger künstlerisch aktiv, wirst du früher oder später damit konfrontiert. Entweder gibst du dann auf, oder du entscheidest dich und stehst das durch.

Das hast du hoffentlich nicht alles alleine durchgestanden.

Doch (lacht) – und mit meinem Bruder.

Wieso nur so familiär? Ist da auch Scham über vermeintliches Unvermögen dabei?

Nein, es ist einfach sehr persönlich. Ich glaube auch, man muss das alleine durchmachen, damit es seinen Wert hat. Aber es war schon krass. Ich habe im Studio zum Teil heulend gearbeitet. Alain wusste kaum mehr, was machen. Das war wirklich nicht schön. Ich musste mich echt ins Studio schleppen. Aber mit der Musik kam auch der Wechsel. Es war eine krasse Erfahrung, an den Punkt zu gelangen, wo dich deine eigene Arbeit trägt.

War das der Wendepunkt?

Dann merkst du: Musik machen ist alles, was ich brauche. Diese Erkenntnis hat mich verändert. Ich weiss nun, ich habe die Lieder geschrieben, ich habe die Musik gemacht. Das wird mich immer tragen – nicht das Lob und die Anerkennung anderer Leute, sondern meine Arbeit. Seither habe ich eine andere Ruhe und nicht mehr das Gefühl, ich müsse anderen etwas beweisen.

«Früher waren die Songs dunkel und Teil einer Aggression. Heute sind sie eher freundlich und Freunde geworden.»

Nun wirst du bei Radicalis unterschreiben: Was hat sich im Umgang mit einem neuen Label aufgrund der Erfahrungen geändert?

Wir sind schon länger in Gesprächen. Ich brauchte Zeit, um mich auf eine neue Zusammenarbeit einzustellen. Aber Radicalis ist super.

Doch die Situation ist ähnlich: Two Gentlemen hatte mit Sophie Hunger damals den nationalen Star mit der grössten internationalen Perspektive und sammelte als angesagte Indielabel-Krake alles, was Potenzial hatte. So wie Radicalis heute mit dem Zugpferd Zeal & Ardor.

Ist es nicht einfach so, dass man als Musiker mit den Leuten arbeiten will, die am meisten Erfahrung, Beziehungen und Potenzial haben? Das wechselt bei den Labels genauso wie bei den Musikern. Diese Bewegungen gibt es einfach, ohne dass man das werten könnte.

Ist der Neuanfang bei Radicalis einfacher, da nun alles in Basel ist?
Ja.

Fühlst du dich hier in der Szene gut eingebettet?

Voll. Ich meine, dass ich alleine den Slot in der Reithalle bekommen habe, ist mega toll und schön. Damit habe ich nicht gerechnet. Das hat mich echt gefreut.

Was sagt das Bauchgefühl nach so langer Bühnenpause: eher nervös oder einfach nur hungrig?

Ich leide schon immer stark an Lampenfieber: die Angst vor der Energie, die bei einem Konzert freigesetzt wird. Das wird sich nie ändern und das ist auch echt schlimm. Aber das verfliegt zum Glück auf der Bühne, wenn es los geht.

Wann erscheint das neue Album?

Der Termin ist noch nicht fix. Erst kommt mal eine Single mit Video.

Also geht alles Schlag auf Schlag.

Ja, hoffentlich. 

Und an der BScene kann man darauf anstossen.

Genau.

Spielst du dort bereits neue Songs?

Bestimmt, aber auch ein paar alte – und dazu ein paar Covers.

Hast du keine Angst, dass die Krise bei den neuen Songs wieder hochkommt?

Die Lieder sind zum Glück unberührt von allem. Im Gegensatz zu früher, wo sie für mich dunkel und Teil einer Aggression waren, sind die Songs heute eher freundlich und Freunde geworden. Sie machen mich glücklich. 

Am Freitag, 2. März, spielt Anna Aaron an der BScene in der Reithalle der Kaserne Basel. Das gesamte Festivalprogramm unter: www.bscene.ch.

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