«Arrogant? Das ist doch nur die Wahrheit»

Der Basler Stararchitekt Jacques Herzog über Veränderung und Verdrängung in städtischen Räumen – und die Öffnung des Kasernenareals zum Rhein hin.

Jacques Herzog (Bild: Nils Fisch)

Der Basler Stararchitekt Jacques Herzog über Veränderung und Verdrängung in städtischen Räumen – und die Öffnung des Kasernenareals zum Rhein hin.

In Basel-Stadt entstehen so viele Neubauten wie schon lange nicht mehr – und viele sind in der Planung. Im Kleinbasel beispielsweise werden das Messezentrum, der Roche-Turm, der Claraturm und eine neue Wohnüberbauung auf dem Areal des alten Kinderspitals realisiert. Zudem sollen das Dreispitz­areal und die Klybeckinsel in nächster Zeit in Wohnquartiere verwandelt werden. Dass so viel gebaut wird, passt nicht allen. Ein Gespräch mit Architekt Jacques Herzog über die Entwicklung Basels.

Herr Herzog, in Basel wird derzeit so viel gebaut wie schon lange nicht mehr. Sie finden das als ­Architekt natürlich gut. Weshalb?

Das Bauen ist Ausdruck davon, dass sich Basel entwickelt, wächst und sich ­verändert. Wenn eine Stadt nicht mehr wächst, verliert sie an Einwohnern und stirbt oder wird allenfalls zum Museum – das hat uns die ­Geschichte gelehrt.

Es gibt aber viele Leute in dieser Stadt, die das nicht so dramatisch sehen wie Sie. Einige fühlen sich von den Plänen der Basler Regierung, immer mehr noblere Wohnungen zu bauen, verdrängt. Das haben zum Beispiel die Ausschreitungen am Voltaplatz gezeigt.

Eine wachsende Stadt verändert sich und es entsteht Neues, das manchmal auch Altes und Vertrautes verdrängt. Das ist unumgänglich, macht aber natürlich gewissen Menschen auch Mühe. Deshalb gibt es diesen Widerstand. Wenn dieser Widerstand sich aber mittels Gewalt äussert, kann er nicht toleriert werden. Das St. Johann hat sich mit den architektonisch hochstehenden Bauten des Novartis Campus und dem Voltaplatz für die meisten Menschen positiv entwickelt. Es gibt wenig Städte, wo so viel gute zeitgenössische Architektur gebaut wird wie hier. Es gibt aber in jeder Stadt immer auch Menschen, die keine Veränderung wollen.

Und das scheinen Sie als Architekt nicht nachvollziehen zu können.

Natürlich verstehe ich diese Angst. Die meisten Menschen möchten die Welt bewahren, wie sie ist. Aber nichts kann so bleiben, wie es ist. Die Zeit verändert alles, ob wir wollen oder nicht. Wir können das Bestehende nur behalten – und das ist ja das Paradoxe –, wenn wir uns ständig verändern.

Sie haben schon eine ziemlich ­arrogante Einstellung.

Arrogant? Das ist doch nur die Wahrheit. So funktioniert unsere Welt, das Verändern und Vergehen gehört zur menschlichen Natur – und auch zur ­Natur der Stadt. Wenn sich eine Stadt entwickelt und wächst, dann verdrängt sie Häuser, Orte für Menschen, die vorher da waren. Das heisst nicht, dass wir das gut finden, aber es ist eine Tatsache. Wichtig ist, dass dabei Qualität an Wohnraum und Arbeitsplätzen entsteht. Dazu können wir ­beitragen. Wir haben es uns zur ­Aufgabe zu machen, uns dafür einzusetzen, dass die Stadt sinnvoll wachsen kann. Es ist immer einfach, Anarchist zu sein. Als Architekt muss man diese Rolle definitiv hinter sich lassen. Wir können uns aber dafür einsetzen, dass unsere Stadt von hochwertiger Architektur und intelligentem Städtebau geprägt ist.

Ob Freiräume vorhanden sind oder nicht, spielt also keine Rolle?

Neben der Wachstumsentwicklung ist es natürlich entscheidend, dass immer wieder neue Freiräume entstehen und einer Zwischennutzung zugeführt ­werden, damit Stadtraum auf experimentelle Weise genutzt werden kann und weiterhin günstiger Wohnraum zur Verfügung steht. Dafür sind aber letztlich nicht wir Architekten zuständig. Aber wir wünschen uns klar eine lebendige Stadt mit diesem ganzen Spektrum an Nutzern.

Das ist jedoch schwierig – der Raum ist begrenzt.

Wir in Basel haben das Problem, dass die Verdrängung in ein anderes politisches Territorium geht. Gerade das Beispiel St. Johann zeigt: Das nächste Quartier liegt nicht mehr innerhalb der Grenzen, sondern bereits im französischen St-Louis. Dort gibt es verschiedene leerstehende Gebäude, auch Brachen und günstigeren Wohnraum. Es gibt also alternativen Stadtraum – nur befindet der sich nicht mehr im baselstädtischen Zentrum, sondern im Baselbiet, in Frankreich oder Deutschland. Basel ist auf dem Weg zu einer metropolitanen Stadt, und da gilt es, Grenzen zu überwinden. Gerade die sogenannte ­alternative Szene, welche im Verlauf der letzten Jahrzehnte wichtige kreative Impulse gab für ein zukünftiges urbanes Leben, kann bei diesem Prozess, das engräumige ­Denken zu überwinden, eine Pionierrolle übernehmen.

Etwa, weil die Politiker nicht ­in der Lage dazu sind?

Die Politiker betonen gerne die Unterschiede – zum Beispiel zwischen Basel-Stadt und Baselland. Die Menschen ­leben im Alltag diesen angeblichen Graben zwischen Stadt und Land aber nicht aus. Die Differenzen zwischen Baselland und Basel-Stadt bestehen nur auf politischer Ebene. Wir erlebten ja auch dieses Jahr wieder, wie diese bewusst von der Baselbieter FDP und SVP bewirtschaftet werden. Wichtigtuerische und an ihren Ämtern klebende Politiker tischen die immer gleichen Phrasen auf wie «Wir sind ein Landkanton» oder die «Arroganz der Stadt». Tatsache ist: Wir sind alles Städter, ob wir jetzt auf dieser oder jener Seite einer Grenze zu Hause sind.

Es ist kaum vorstellbar, dass die Grenzen eines Tages keine Rolle mehr spielen werden.

Es wird sich alles ändern. Es stellt sich nur die Frage, wann. Jemand, der nüchtern und objektiv denkt, hat ­dieses Theater um Subventionen und Abgrenzung längst satt. Eine Fusion der beiden Kantone würde vieles einfacher machen.

Themenwechsel: Die Basler ­Re­gierung möchte das Kasernen­areal nur seitlich zum Rhein hin öffnen. Eine Initiative verlangt eine grosszügigere Öffnung. Was wäre besser?

Es ist wichtig, eine Verbindung vom Kasernenareal zum Rhein zu schaffen. Eine seitliche Öffnung reicht nicht. Es muss im Hauptbau eine Verbindung entstehen. Die Initiative greift deshalb richtig. Die Bilder des Initiativkomitees, wie ein solcher Durchgang auf dem Kasernenareal aussehen könnte, sind aber hässlich und kontraproduktiv für die Sache. Das schreckt alle ab. So wird das Anliegen keine Chancen haben. Der Durchgang muss so geplant werden, dass er mit dem historischen Hauptbau der Kaserne im Einklang steht. Eine solche Verbindung würde auch die Intimität des Basel Tattoo nicht zerstören. Wichtig wäre es zudem, dass im Hauptbau der Kaserne eine öffentliche Nutzung hinkommt – beispielsweise ein Hotel.

Das Präsidialdepartement von Guy Morin spielt mit dem Gedanken, statt am Barfüsserplatz an ­einem anderen Ort ein neues ­Konzerthaus zu bauen. Finden Sie das sinnvoll?

Ja. Wenn man in Basel wirklich ein zeitgenössisches und den Bedürfnissen entsprechendes Konzerthaus ­haben möchte, muss dieses an einem anderen Ort entstehen. Das ist für die kulturelle Bedeutung Basels auch angemessen. Der Barfüsserplatz ist zu klein für ein neues Konzerthaus. Das hat das Projekt von Zaha Hadid gezeigt, das leider vor vier Jahren von den Stimmberechtigten abgelehnt wurde. Der Stadtcasino-Neubau wurde damals ja als zu gross empfunden.

Und wo wäre ein neues Konzerthaus am idealsten?

Es ist wichtig, dass ein solcher Neubau dazu beiträgt, die Stadt als metropoli­ta­ne Stadt weiterzudenken. Es muss also ein strategisch wichtiger Ort sein. Die Stadt entwickelt sich ­momentan im Osten, im Süden und im Norden. Beim Kly­beckhafen beispielsweise soll im Zusammenspiel mit ­Huningue und Weil ein neues Wohn- und Arbeitsquar­tier entstehen. Das ist eine unglaubliche Chance für Basel. Ich ­denke, dass deshalb ein neues Konzerthaus gut auf die Klybeckinsel passen würde.

Apropos Konzerthaus: Mit dem Bau der Elbphilharmonie in Hamburg läuft es gar nicht gut. Das Projekt kostet dreimal so viel wie angenommen und hinkt 25 Monate hinter dem ursprünglichen Zeitplan her. Derzeit ruhen die Arbeiten auf der Baustelle. Was haben Sie falsch gemacht?

Das ist ein riesiges Chaos, das zu ­schildern, würde den Rahmen dieses Gesprächs sprengen. Nur so viel: Die Architekten spielen bei solch grossen Projekten für die Kosten- und die ­Terminplanung nur eine unterge­ordnete Rolle.

Vielleicht möchten Sie ja zu diesem Thema mehr sagen: Gemäss «Onlinereports» plant Herzog & de Meuron auf dem Dreispitz-­Areal ein 40 Meter hohes Gebäude. In dieser sollen Ihre Arbeiten zu sehen sein und Wohnungen ­untergebracht werden. Weshalb ein solcher Neubau?

Wir brauchen Raum für die Betreuung und Lagerung unseres Archivs. Das Dreispitz-Areal ist ein neues Stück Stadt, das sich sowohl auf Basler als auch Baselbieter Boden ausdehnt und gemeinsam entwickelt wird. Es ist deshalb für das erwähnte metropo­litane Basel und zukünftige Generationen eine besondere Chance. Das ist auch der Grund, weshalb wir uns bei dieser Planung engagieren wollen.

Sie engagieren sich sehr für Basel. Möchten Sie eigentlich, dass die Stadt noch mehr die Architektur von Herzog & de Meuron trägt, als sie es ohnehin schon tut?

Wir engagieren uns nicht für Basel, weil wir mehr und mehr bauen möchten. Wir haben ja genug Projekte auswärts. Wir engagieren uns dann, wenn wir ein Potenzial erkennen, wie aus einem Ort – zum Beispiel dem Dreispitz – mehr werden kann als die landes­übliche ­Betonwüste.

  

Zur Person

1978 gründete Jacques Herzog gemeinsam mit Pierre de Meuron das Architekturbüro Herzog & de Meuron. Das Büro mit Sitz an der Rheinschanze im St. Johann beschäftigt heute rund 330 Mitarbeitende und zählt weltweit zu den renommiertesten. Herzog & de Meuron hat unter anderem die Tate Gallery of Modern Art in London, die Allianz Arena in München und für die Olympischen Spiele 2008 in Peking das «Vogelnest» gebaut. In Basel baut Herzog & de Meuron derzeit den Roche-Turm und das Messezentrum. Der 61-Jährige lebt in Basel, ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.  

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11

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