Die Psychotherapeutin Helen Heinemann räumt mit Vorurteilen über die Volkskrankheit Burnout auf.
Ausgebrannt, leer – immer mehr Menschen leiden an Burnout. (Bild: Michael Birkenmeier)
Burnout ist inzwischen zur Volkskrankheit geworden. Die Ursache scheint klar: wachsender Druck in der Arbeitswelt, Zeitnot, ständige Erreichbarkeit. Das greift zu kurz, sagt die Psychotherapeutin und Gründerin des Instituts für Burnout-Prävention Helen Heinemann. Der Fehler im System liegt tiefer.
Frau Heinemann, stimmt der Eindruck, dass vor allem beruflich erfolgreiche Männer und Frauen von Burnout betroffen sind?
Dieser Eindruck stimmt insofern, als Menschen, die sich sehr erschöpfen – und Burnout ist eine seelische Erschöpfung – bestimmte Charaktereigenschaften haben. Sie engagieren sich gerne, sind mit dem Herzen bei der Arbeit, sie möchten ihre Sache besonders gut machen, sie sind sehr pflichtbewusst, lassen andere nicht hängen. Mit diesen positiven Eigenschaften und den hohen Werten, die sie vertreten, werden solche Menschen fast zwangsläufig erfolgreich und machen Karriere. Dieselben Eigenschaften können aber eben auch ein Burnout befördern.
Ist es nicht so, dass diese erfolgreichen Menschen die Diagnose Burnout bekommen, während bei der Hausfrau oder dem Arbeitslosen mit den gleichen Symptomen eine Depression festgestellt wird?
Ein Burnout wird bislang immer bezogen auf den Beruf. Weil man es im Job zuerst bemerkt. Wenn eine Hausfrau und Mutter, die sich in ihrer Tätigkeit zu Hause hochgradig engagiert und dadurch völlig verausgabt, ist das gesellschaftlich nicht besonders relevant. Sie geht zum Arzt, macht vielleicht eine Kur, ihre Mutter oder die Schwiegermutter springt zu Hause ein; man versucht es irgendwie hinzukriegen. Wenn die Menschen am Arbeitsplatz ausfallen, ist das viel öffentlicher. Wenn eine Führungskraft mit einem Burnout krankgeschrieben wird, hat das sehr schnell grosse gesellschaftliche und materielle Folgen. Es ist unabsehbar, wie lange der Mitarbeiter ausfällt, die Kollegen müssen die Arbeit mit übernehmen. Dann erschöpfen die sich auch ihrerseits.
Sie sagen, die Ursache für die Erschöpfung des Managers ist nicht der Job und bei der Hausfrau und Mutter nicht die Hausarbeit. Was dann?
Es liegt nicht an der Arbeit an sich und auch nicht an der Menge der Arbeit. Sondern es liegt daran, dass die Menschen ihre Identität ganz stark mit dieser Arbeit verknüpfen. Im Sinne von: Ich leiste, also bin ich. Und wenn ich nicht mehr leiste, dann bin ich auch nichts. Das ist dieser fatale Umkehrschluss. Sie geraten dadurch in einen vertrackten Teufelskreis, der sie zwingt, immer mehr zu leisten, um ihre Identität zu stärken.
Dieser Leistungsanspruch steckt in den Burnout-Kandidaten selbst und wird nicht durch die äusseren Arbeitsbedingungen an sie gestellt?
Ja, ihre überdimensionierte Leistungsbereitschaft ist einer dauerhaften Suche nach Selbstvergewisserung geschuldet. Anerkennung und Wertschätzung braucht jeder Mensch, weil darüber die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausgedrückt wird. Auf Dauer reicht es nicht, dass ich mir selbst sage, das hab ich gut gemacht. Wir brauchen unseren Platz und unsere Bedeutung innerhalb der Gruppe, in der wir uns bewegen. Es geht darum, zu wissen, dass ich mich für diesen Platz nicht ständig anstrengen muss, sondern ihn auch ohne Leistung sicher habe.
Und dieser Platz ist durch unklare Rollen für Männer und Frauen unsicherer geworden?
Zweifellos hat die Verdichtung der Arbeitswelt zu erhöhtem Druck geführt. Es werden unglaubliche Leistungen abgefordert und das ist belastend.
Aber früher war eben der Platz des Mannes in der Familie klar. Er hat das Geld nach Hause gebracht und dann kriegte Papa auch das grösste Stück Fleisch. Jetzt ist es aber so, dass nicht nur der Mann verdient, sondern die Frau verdient auch, vielleicht sogar mehr als er. Seine berufliche Arbeit alleine genügt nicht mehr, um Anerkennung innerhalb der Familie zu bekommen. Er muss sich auch als guter Ehemann und Vater bewähren. Das sind nicht Ansprüche, die von aussen an ihn gestellt werden, sondern diese Ansprüche trägt er selber in sich: ein guter Papa zu sein, der die Windeln wechselt, der präsent ist, der an das Geburtstagsgeschenk denkt, der die Frau im Haushalt unterstützt, der selbst Verantwortung übernimmt für bestimmte Bereiche. Wenn er merkt, dass er diesen Ansprüchen im Berufsleben und in der Familie nicht gerecht werden kann, hat er schon mal grossen Stress. Und natürlich geht es den Frauen genauso.
Das kann einen leicht erschöpfen.
Der grosse umwälzende gesellschaftliche Wandel, den wir alle erleben, ist enorm anstrengend. Für die Frauen wie für die Männer. Und jeder versucht immer wieder neu, sich innerhalb dieser immensen Veränderungen zu definieren und seinen Platz zu finden. Das kostet viel psychische Energie.
Bislang klingen die Therapievorschläge bei Burnout immer ähnlich: weniger arbeiten, eine Auszeit nehmen, Entspannung einplanen. Warum ist das Ihrer Meinung nach der falsche Ansatz?
Wenn ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Burnout darin besteht, dass ich immer wieder um meine Zugehörigkeit kämpfe, ist die Auszeit genau die falsche Therapie. Denn dadurch entziehe ich mich ja gerade dieser Zugehörigkeit. In der Firma habe ich eine bestimmte Position, eine Bedeutung. Wenn ich die jetzt aufgebe, fehlt mir genau das, was ich am meisten brauche. Und für die Paarbeziehung ist das auch nicht eben förderlich, wenn der Mann sechs oder acht Wochen zu Hause rumhängt. Erst machen sich die Frauen Sorgen, und irgendwann reagieren sie gereizt.
Wenn eine der wesentlichen Ursachen für Burnout die Rollenunsicherheit in der Partnerschaft ist, wie können dann die Therapievorschläge aussehen?
In der Partnerschaft den Anspruch aufgeben, dass beide für alles zuständig sind und sich stattdessen auf bestimmte «Rollenspiele» einigen, zum Beispiel: Wir spielen «Vater, Mutter, Kind», ich bin die Mutter und bin zu Hause, und du bist der Vater und verdienst das Geld. Ich habe die Verantwortung für den Haushalt und die Kinderbetreuung und du für unser Einkommen. Diese Abmachung gilt dann für eine bestimmte Zeit. Wenn die Lebensumstände sich ändern oder einer von beiden feststellt: ich bin unglücklich in dieser Rolle, werden die Karten neu gemischt. Aber es wird nicht jeden Tag darum gefeilscht, wer was macht, weil das so viel Energie kostet. Meine Kinder wussten irgendwann, mit einem Nagel gehen sie zu Papa, mit einer Nadel zu Mama. Das ist jetzt nicht mehr so; jetzt ist klar, dass Nähen auch die Aufgabe meines Mannes ist.
Die Pädagogin und Psychotherapeutin Helen Heinemann leitet seit 2005 das von ihr gegründete Institut für Burnout-Prävention in Hamburg. In ihren Intensivseminaren zur Burnout-Prävention hat sie mittlerweile über 1000 Ratsuchende begleitet und jetzt ein Buch darüber geschrieben: «Warum Burnout nicht vom Job kommt» (Adeo Verlag).
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25.05.12