Christoph Schwegler geht off air: Der Kultmoderator präsentiert am Sonntag zum letzten Mal «seinen» Country Special. Im Interview blickt der Basler zurück auf 50 Jahre Radio. Er verrät, dass ihn Schawinski mal abwerben wollte, wie er Schweizer Musik in die BBC schleuste, und er spricht auch über seine Wehmut, nun – unfreiwillig – aufhören zu müssen.
Sein klarer Bariton, seine unverkennbare Stimme hat ihm den Übernamen «The Voice» verliehen. Seit 1966 hat Christoph Schwegler für Radio DRS Sendungen moderiert und Formate betreut: Er sorgte in den 1970ern dafür, dass Rock und Punk den Weg in den Schweizer Äther fanden. Zuletzt lud er jeweils zum «Country Special» – und wäre es nach ihm gegangen, hätte er die Sendung zusammen mit Geri Stocker weiterhin produziert. Die Programmleitung hat anders entschieden: Der «Country Special» wird ab 2017 von einem neuen Team geführt. Kommenden Sonntag endet damit ein Stück Schweizer Radiogeschichte. Ein Gespräch über Kunst und Kommerz am Radio, die Enttäuschung über die Hitparade und darüber, dass Musik durch Engagement hörenswert wird, nicht durch Können.
Nach 50 Jahren verstummt Ihre Stimme am Schweizer Radio, am kommenden Sonntag moderieren Sie zum letzten Mal auf SRF1. Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfänge?
Natürlich. Im August 1966 hatte die SRG einen Stand an der Fernseh- und Radioausstellung Fera in Zürich, eine Branchenmesse. Und lud junge Menschen dazu ein, ihre Stimme auf ihre Radiotauglichkeit zu testen. Ich ging hin, und zwei Wochen später erhielt ich den Anruf: Ich solle aufs Bruderholz kommen für eine richtige Sprechprobe. Ich hatte mich gut vorbereitet und seitenweise Material zum Vorlesen mitgenommen, doch nachdem ich die ersten zwei, drei Seiten ins Mikrofon gestottert hatte, hörte ich auf der Gegensprechanlage die Stimme von Helene Stehle. Sie war die erste Radiosprecherin der Schweiz, heute ist sie die älteste Baslerin, ich habe sie neulich im Altersheim zu ihrem 109. Geburtstag im Altersheim besucht. Sie entgegnete mir damals: Es reicht, Herr Schwegler! Ich dachte, nun habe ich es verhauen – aber dann kam sie strahlend aus dem Regieraum heraus und sagte mir: Herr Schwegler, ich würde es gerne mit Ihnen probieren.
So einfach erhielten Sie den Job? Sie waren damals ja gerade mal 20 …
Ich erhielt noch keinen Job, sondern eine mehrmonatige Einschulung für den Ansagedienst. Ich durfte also Sendungen ansagen. Aber während der Einschulung erhielt ich keinen Lohn, deshalb arbeitete ich daneben im Sekretariat der Abteilung für Hörspiele. Anfangs zu einem Stundenlohn von fünf Franken.
Wann änderte sich das?
1967 fragte mich Albert Werner, der Dienstchef der Abteilung Unterhaltung, ob ich eine Idee hätte für eine Musiksendung, einen Abend pro Woche. Ich dachte sofort an die Hitparaden-Shows der internationalen Sender wie Radio Luxembourg oder AFN Munich, einem US-Soldatensender in Deutschland. Die spielten Rock, Pop und die britische Hitparade. Dasselbe schlug ich für die SRG vor: eine Hitparaden-Sendung.
«Den Nuggi hat es mir dann im Mai 1968 rausgejagt: Meine Generation schlug sich in Paris die Köpfe ein – und ich spielte in der Hitparade die Bee Gees!»
Das Resultat war dann für Sie eher enttäuschend, oder?
Das kann man sagen. Ein grosses Missverständnis! Mir schwebte eine Sendung vor, die sich nach dem Geschmack orientieren würde, nicht nach den Verkaufszahlen. Als ich im Januar 1968 dann die erste Hitparade im Schweizer Radio zu moderieren hatte und aus dem Fernschreiber die ersten zehn Titel der Schweizer Charts ratterten, stand zuoberst ein Schlager! «Monja» von Roland W. Jesses, was für eine Schnulze! Ich hatte einfach nicht daran gedacht, dass die Menschen in den USA und in Grossbritannien bessere Musik kauften. Den Nuggi hat es mir dann im Mai 1968 rausgejagt: Meine Generation schlug sich in Paris die Köpfe ein, in Ohio wurden Studenten umgebracht – und ich spielte in der Hitparade «Massachusetts» von den Bee Gees! Nach einem Jahr hörte ich damit wieder auf und veranstaltete Konzerte: Ich buchte The Nice mit dem damals noch unbekannten Keith Emerson am Keyboard ins Theater Basel oder Black Sabbath ins Atlantis, war Mitgründer der Agentur Good News.
Und kehrten in den frühen 1970er-Jahren wieder zum Radio zurück. In der Sendung «Sounds», noch heute ein Flaggschiff im Schweizer Radio, konnten Sie neue, innovative Musik spielen.
Ja, «Sounds» hatte ich 1976 lanciert, als ich Dienstchef der Abteilung Unterhaltung in Basel war. Aber die Führungsposition behagte mir nicht. Personal zu führen war nicht mein Ding, vor allem nicht langjährige Angestellte. Bei der SRG galt eine hohe Arbeitsplatzsicherheit, was aus sozialer Sicht gut ist, aber den Betrieb stellenweise lähmte. Ich war im Job unglücklich, deshalb zog ich mit meiner Frau, die Engländerin war, und unserem Sohn 1978 nach Brighton. Dort richtete ich mir ein kleines Radiostudio ein, wo ich meine Beiträge produzierte.
Und sassen damit an der Quelle der aktuellsten Trends von Rock und Pop?
Genau. Jede Woche fuhr ich nach London und lernte die bekannten Radio-DJs der BBC kennen, John Peel oder Charlie Gillett. John Peel steckte ich die Aufnahmen der Zürcher Band Kleenex zu, der sie prompt in sein Programm aufnahm. Und Charlie Gillett spielte mir einmal die Demoaufnahme einer jungen unbekannten Band vor, die ihn begeisterte, weil er meine Meinung hören wollte. Es handelte sich um «Sultans of Swing», den späteren ersten Hit von Dire Straits. Ich selbst produzierte Sendungen über Punkrock, die Sex Pistols oder Wayne County, was für Schlagzeilen im «Blick» sorgte. Wysel Gyr, der «Ländlerpapst» bei der SRG, nannte mich dafür einen «Landesverräter am Plattenteller». Was natürlich ein grosses Kompliment war.
«Ländlerpapst Wysel Gyr nannte mich einen ‹Landesverräter am Plattenteller›.»
Fabelhafte Anekdoten. Warum kehrten Sie nach einem Jahr bereits wieder in die Schweiz zurück?
Weil unser Sohn eingeschult werden musste, und das sollte in der Schweiz geschehen. Deshalb war ich 1979 wieder in Basel.
1979 war ein Schicksalsjahr für die Schweizer Radiolandschaft: Roger Schawinski lancierte auf italienischem Boden Radio 24 als «Piratensender», weil Privatradios damals in der Schweiz noch keine Bewilligung erhielten. Hatten Sie kein Interesse, an diesem Projekt mitzumachen?
Die Möglichkeit war da, Schawinski kannte ich gut. Er war zuvor das jüngste Kadermitglied im Fernsehen der SRG, ich beim Radio. Bevor er Radio 24 lancierte, besuchte er mich einige Male in Basel, breitete eine Alpenkarte vor mir aus und erklärte seinen Plan. Er wollte mich für das Musikprogramm an Bord holen. Und er hatte Geld: Er wurde als Chefredaktor der von der Migros herausgegebenen Zeitung «Die Tat» abgesetzt und erhielt eine hohe Abfindung. Als ich ihn fragte, was er vorhabe, wenn die Behörden sein illegales Radioprojekt schliessen würden, sagte er mir: Dann machen wir es woanders wieder auf. Da musste ich passen. Er war alleinstehend und hatte Kapital, ich jedoch eine Familie. Und kein Geld.
Dennoch hat Schawinskis Piratensender auch Ihre Radiokarriere geprägt – als Folge erhielt die SRG die Konzession für einen dritten Sender.
Ja, eindeutig. Und dafür muss man ihm dankbar sein. Politisch wurde klar, dass sich die Schweiz für Privatradios öffnen musste, womit auch die SRG eine weitere Konzession erhielt. Ich war damals in der Konzeptgruppe für DRS3 dabei, und es war bald klar, dass wir damit einen Sender gestalten konnten, der mehr Risiken eingehen konnte als die Privatsender, die auf die Hörerquoten schauen mussten, um Werbebeiträge reinzukriegen. Ich war immer ein Verfechter des Service Public und der Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz.
DRS 3 erlegte sich selbst den Claim als «amtlich bewilligter Störsender» auf. Wie weit ging die Autonomie in der Programmgestaltung?
Es gab keine Grenzen, zumindest nicht in der Basler Redaktion, wo wir mit Martin Schäfer, Geri Stocker, François Mürner, Urs Musfeld, Christoph Alispach und anderen gute Leute mit demselben Credo hatten: Das Engagement hinter der Musik war uns wichtiger als die spielerische Qualität. Lieber spannend falsch als langweilig richtig.
Wie kam diese Haltung an?
Nicht immer gut, wir hatten grosse Diskussionen mit den Redaktionen in Bern und Zürich, wo mehr auf Qualität oder Massengeschmack geachtet wurde. Einerseits ist es ein Glück, dass aus dem oberen Kader der SRG nie jemand bei uns intervenierte – aber andererseits auch schade. Wer weiss, was möglich gewesen wäre, hätte Rockmusik mehr Wertschätzung von Oben erfahren.
«Die Überlegung, ein Programm primär für die Hörer anstatt für die Redaktoren zu gestalten, ist nicht komplett falsch.»
Eine einschneidende Änderung kam 1999: Andreas Schefer wurde DRS-3-Chef und installierte für das Musikprogramm einen Kurs, der sich an den Privatradios orientierte – am Massengeschmack.
Ja, aber er war nicht alleine. Im selben Jahr wurde Walter Rüegg, der vorher in der Privatwirtschaft tätig war, Radiodirektor. Und löste Andreas Blum ab, einen kulturinteressierten Journalisten. Das alte «3» starb damit ein bisschen. Die abrupten Änderungen damals, die in der Schweizer Musiklandschaft ja auf grosse Ablehnung stiessen, wurden streckenweise wieder rückgängig gemacht. Allerdings ist die Überlegung, ein Programm primär für die Hörer anstatt für die Redaktoren zu gestalten, nicht komplett falsch.
Der «Country Special», den Sie – mit Geri Stocker als Redaktor – seit 30 Jahren gestalten, hat eine treue Hörerschaft. Was reizt Sie an diesem Genre?
Zwei Gründe: Mich interessieren am Country die Geschichten, die in den Songs erzählt werden. Ein Countrysong ist wie ein kleines Roadmovie – sofern der Song gut ist, natürlich. Zumindest in den USA begeistert diese Musik über die Generationen- und Geschlechtergrenzen hinweg. Das gefällt mir, und ich habe eine Schwäche für den Klang der Dobro-Gitarre, die zwar aus dem Bluegrass stammt, im Country jedoch mehr und mehr Verwendung findet. Aber der eigentliche Grund war mein Sohn: Als er in den späten 1980er-Jahren sich für HipHop zu interessieren begann, verstand ich, dass da eine neue Musik aus dem Underground entsteht, zu der ich wenig Zugang hatte. Es kann ja nicht sein, dass wir alten Säcke nun den Jungen diese Musik präsentieren sollten, dafür brauchte es jüngere Leute. Deshalb wechselte ich zum Country, dort bin ich glaubwürdiger.
Warum hören Sie damit auf?
Wir hören nicht auf. Unsere Verträge als freie Mitarbeiter wurden nicht verlängert. Warum, das muss man unsere Vorgesetzten fragen. Im vergangenen Sommer erfuhren wir, dass ein neues Team ab 2017 die Sendung übernehmen wird. Ich nehme an, dass wir altershalber verabschiedet werden.
«Wie ich mich fühle? Wehmütig. Ich hätte gerne weitergemacht.»
Wie fühlen Sie sich dabei?
Ehrlich gesagt: Wehmütig. Ich hätte gerne weitergemacht. Aber vielleicht geht es auf einer anderen Frequenz weiter.
Nach 50 Jahren SRG doch noch zur Konkurrenz?
Mehr kann ich noch nicht sagen. Ich habe nicht vor, mit dem Radiomachen aufzuhören – ob es mir aber gelingt, weiss ich noch nicht.
Das Medium Radio hat sich in den fünf Jahrzehnten Ihrer Karriere stark gewandelt. Hören Sie privat noch Radio?
Im Auto übers iPhone, weil ich viel unterwegs bin. Internet-Countrysender aus Texas, solche Sachen.
Und Schweizer Radio?
Manchmal Nachrichten, und die Hintergrundsendungen im zweiten Programm. Und die Strassenzustandsmeldungen. Den Rest mag ich nicht mehr anhören.
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Der letzte «Country Special» von Schwegler/Stocker: Sonntag, 18.12., 20 Uhr.