«Das Bürgertum profitiert»

Der Stiftungsexperte Georg von Schnurbein über die Basler Spendenfreudigkeit und nötige Transparenz im Stiftungswesen.

Der Stiftungsexperte Georg von Schnurbein über die Basler Spendenfreudigkeit und nötige Transparenz im Stiftungswesen.

Herr von Schnurbein, das Stiftungswesen erlebt zurzeit einen Boom. Woran liegt das?

Für Stiftungen braucht es frei verfügbares Einkommen. Tatsächlich wird seit ein paar Jahren sehr viel vererbt. Diese Entwicklung hat damit zu tun, dass wir immer älter werden und dabei gesünder sind. Deshalb vererben heute nicht mehr die 60- an die 40-Jährigen, die das Geld in der Regel gut gebrauchen können. Heute vererben die 90-Jäh­rigen an die 60-Jährigen, die oft bereits wohlhabend sind und schon alles ­haben und sich deshalb fragen: Was mache ich jetzt mit dem vielen Geld? Überdies gibt es auch immer mehr ­kinderlose Paare, die sich im Alter die Frage stellen, was sie mit ihrem Ersparten anfangen sollen.

Warum gibt es gerade in Basel so viele Stiftungen?

Ein mögliche Erklärung liegt in der Geschichte Basels. Historisch betrachtet war Basel schon immer eine Stadt ohne viel Hinterland, eingeklemmt zwischen verschiedenen grossen Nachbarn. Insofern war Basel schon früh auf sich alleine gestellt. Auch nach dem Beitritt zur Eidgenossenschaft war für Basel immer klar, dass man nicht zum Kern gehört. Man würde kaum zur ­bestimmenden Macht im Land und ganz sicher nie dessen Hauptstadt sein – dafür kamen nur die Luzerner, die Berner oder die Zürcher in Frage. Deshalb entwickelte sich bei den Basler Bürgern früh die Erkenntnis, dass sie sich im Zweifelsfall selbst helfen mussten. Ein gutes Beispiel für dieses Bürgerengagement ist die 1460 gegründete Universität.

Gilt diese Verbundenheit mit dem Standort auch für die Wirtschaft?

Mit der Industrialisierung wurde das Bürgerverständnis der Basler auf die grossen, hier ansässigen Firmen übertragen. Novartis und Roche waren immer lokal stark verankert und hatten damit auch einen direkten Bezug zu den Bürgern dieser Stadt – anders als etwa die Credit Suisse, deren Bezug zur Stadt Zürich viel ­weniger deutlich erkennbar ist. Ich sehe darin einen grossen Gewinn, im Gegensatz etwa zu Städten wie Genf oder Bern, wo das Patriziertum im Zuge der Industrialisierung abgelöst wurde und sich dieses Bürgerverständnis weniger auf die ­Firmenlandschaft übertragen hat.

Wollen Sie damit sagen, dass sich die Basler Pharmaindustrie, ­verglichen mit anderen Branchen, durch ein aus­geprägtes soziales Bewusstsein hervortut?

Ob das mehr oder weniger als bei ­anderen ist, kann ich nicht sagen. Man kann aber hinsichtlich der Form des Engagements differenzieren. Bei ­Novartis geht das gemeinnützige  ­Engagement hauptsächlich vom ­Management aus. Und es besteht kein Zweifel, dass diese Firma enorm viel in die Basler Gesellschaft investiert – von der International School über die Museumsnacht bis hin zum Sponsorenvertrag mit dem FC Basel.

Die wenigsten dieser Engagements erfolgen uneigennützig.

Natürlich hat die Unterstützung auch damit zu tun, dass Novartis und Roche im Bestreben, die besten Talente an sich zu binden, mit anderen grossen Pharmafirmen wie Pfizer oder Glaxo-SmithKline in Konkurrenz stehen. In der Region Basel leben heute 35 000 Expats. Denen muss man etwas bieten. Insofern hat Novartis genauso wie Roche ein grosses Interesse an der ­Attraktivität dieses Standorts. Das schmälert aber nicht den Nutzen dieses Engagements für die Stadt.

Wobei Roche als die grosszügigere der beiden Firmen gilt.

Bei Roche verhält es sich tatsächlich ein bisschen anders, und zwar deshalb, weil dort die Besitzerfamilie im Hintergrund nach wie vor stark mit dem Unternehmen verbunden ist. Die Rückflüsse in die Gesellschaft ­finden deshalb eher über die Eigen­tümer statt. Nehmen Sie nur das ­Beispiel von Maja Oeri, die vor den Toren der Stadt das Schaulager errichten liess und jetzt den Erweiterungsbau des Kunstmuseums mit 50 Millionen Franken massgeblich mitfinanziert.

Wie bedeutend ist die Rolle der Roche-Erben?

Gerade in Basel fliesst sehr viel Geld auch direkt und nicht über den Umweg einer Stiftung. Ihre Aktien halten die Roche-Erben privat, alimentieren die von ihnen errichteten Stiftungen aber regelmässig mit frischem Geld. Von der Grössenordnung her dürfte es sich um 20 bis 30 Prozent der gesamten Basler Stiftungsausschüttungen pro Jahr handeln. Fiele dieses Geld weg, würde man das sicher spüren.

Wie beeinflusst die hohe Stiftungsdichte das Lebensgefühl in dieser Stadt?

Stiftungen tragen viel zum gesellschaftlichen Leben und zur Attraktivität der Stadt bei. Trotzdem steht ihr Beitrag in ­keinem Verhältnis zu den 115 Mil­lionen Franken, die der Kanton jährlich für Kultur ausgibt – 30 Millionen Franken alleine fürs Stadttheater.

Inwiefern tragen Stiftungen zum gesellschaftlichen Ausgleich bei?

In der Realität trifft dies nur sehr bedingt zu, weil viele Stiftungen das fördern, was das Bildungs­bürgertum oder allenfalls die Mittelschicht anspricht. Wenn ein Museum oder eine Uni gefördert wird, profitiert das Bürgertum. Eine Um­verteilung funktioniert besser über staatliche Mittel.

Wo können Stiftungen einen ­Unterschied machen?

Sicher nicht, indem sie staatliche Leistungen übernehmen. ­Stiftungen müssen sich viel genauer überlegen, was sie mit ihrem Geld ­machen, als der Staat. Während der Staat oftmals Geld mit der Giess­kanne ­ausschüttet – was er ja auch muss, weil das Gleichheitsprinzip gilt – können Stiftungen immer ganz gezielt auswählen.

Kritiker sagen, Stiftungen seien oft zu intransparent.

Stiftungen sind steuerbefreit. Nur schon deshalb haben sie eine gewisse Verpflichtung, ihre Aktivi­täten offenzulegen – auch wenn es dafür keine rechtliche Grundlage gibt.

Es heisst, potenzielle Stifter ­würden durch zu viel Transparenz und Kontrolle abgeschreckt?

Wenn jemand anonym bleiben will, kann er einfach spenden und muss dafür keine Stiftung einrichten. Wer eine Stiftung errichtet, begibt sich in die ­Öffentlichkeit und geht eine Verpflichtung ein. Und wenn ich der betreffenden ­Stiftung auch noch meinen ­Namen gebe, muss ich mich nicht wundern, wenn ich von Gesuchstel­lern angeschrieben ­werde.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12

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