«Der FC Basel ist ein idealer Weinberg»

Am Samstag empfängt der Schweizer Meister FC Basel die Grasshoppers (17.45 Uhr, St. Jakob-Park). Zu Ansichten und Einsichten von Meistertrainer Heiko Vogel die ungekürzte Fassung eines Interviews, das in Ausgabe 18 der TagesWoche erschienen ist.

Blickt der Zukunft optimistisch entgegen: Heiko Vogel, Chef- und Meistertrainer des FC Basel. (Bild: Basile Bornand)

Wie Heiko Vogel die Mannschaft des FC Basel sanft auf den Kopf gestellt hat, von wem er sich inspirieren lässt und warum ihm Berater gestohlen bleiben können. Einsichten und Ansichten des Meistertrainers.

(Gelb unterlegt jene Fragen und Antworten, die in der Printversion fehlen.)

Heiko Vogel, wie fühlt es sich an mit etwas Abstand an, mit dem FC Basel Meister geworden zu sein?

Das eindrücklichste Gefühl ist Dankbarkeit. Sehr viel Dankbarkeit auf ganz vielen Ebenen.

Wacht man nach der Meisternacht morgens etwas verkatert auf, schaut in den Spiegel und klopft sich selbst auf die Schultern?

Nein. Das alles, die Verarbeitung, wird wahrscheinlich erst im Urlaub noch mal hochkommen.

Als stärksten emotionalen Moment haben Sie das zweite Tor gegen Manchester United, den Abpfiff dieses Spiels und damit das Weiterkommen in der Champions League bezeichnet. Da seien Sie den Tränen am nächsten gewesen. Wie war es am Sonntag, als die Meisterschaft endgültig vollbracht war?

Im Moment auf dem Balkon habe ich gedacht: Schön, dass alle da sind. Da ist mir klar geworden, dass ich ganz vielen Leuten zu danken habe, stellvertretend den 20‘000 auf dem Barfüsserplatz. Das war ein enormes Bild.

Mal abgesehen davon, dass der FC Basel seinen Co- zum Cheftrainer gemacht hat: Was ist das spannendste Experiment, das in den letzten fünf Jahren auf Fussballplätzen versucht worden ist?

Puh, was sind Experimente? Jede Zusammenarbeit eines Trainer mit einer Mannschaft ist ein Experiment. Egal, ob auf höchstem Niveau oder angefangen bei den Kleinsten. Das erfolgreichste Experiment der letzten Jahre war für mich Pep Guardiola mit dem FC Barcelona.

Das kommt jetzt aus Ihrer Fan-Perspektive. War Mourinho bei Inter Mailand nicht auch ein Experiment?

Doch, er hat mit seiner Mannschaft im Champions-League-Final gezeigt, wie ästhetisch man verteidigen kann.

Oder Klopp und Dortmund?

Finde ich sehr, sehr schön. Jürgen Klopp hat eine tolle Aura, mit der er junge Spieler nicht nur begeistern kann dafür, was sie ohnehin schon am liebsten tun, sondern er kann sie für sich und seinen Plan gewinnen. Er hat eine tolle Vorstellung von Fussball, und was die Mannschaft spielt, das ist Klopp. Es gibt nichts vergleichbares. Und das finde ich schön: Wenn man einen Stil zuordnen kann. Das ist nachhaltig. Sagen zu können: Das ist Dortmund unter Klopp oder Barcelona unter Guardiola oder Athletic Bilbao unter Marcelo Bielsa. Das ist ein grosses Kompliment für einen Trainer. Aber es geht ja ums spannendste Experiment. Was Guardiola mit der Mannschaft zustande gebracht hat, hat weltweit viele Menschen in den Bann gezogen, Fans wie sogenannte Experten.

Was sagen Sie zu seinem Rücktritt?

Ich kann es verstehen, so wie es erklärt wird. Ich glaube, er hat unheimlich viel Energie investiert.

Die Nachfolgeregelung mit Co-Trainer Francesc «Tito» Vilanova müsste Ihnen sympatisch sein.

(lacht). Das ist schön, das passt zu Barcelona.

Welche historische Revolution auf dem Rasen prägt den Fussball bis heute?

Arrigo Sacchi hat das Spiel grundlegend verändert. Weil er konsequent in der Raumdeckung gespielt hat. Und dadurch hat der Fussball eine fantastische Entwicklung genommen, hat die Athletik an Bedeutung gewonnen und die spielerische Qualität aller Spieler auf dem Feld zugenommen. Es gibt keine Wadenbeisser mehr, die dem Stürmer bis aufs Klo hinterherrennen. Heute spielt jeder im Raum.

Sind der FC Barcelona und Spaniens Nationalteam so etwas wie die Retter des Fussballs gewesen? Sie haben eine Phase des defensiv organisierten Fussballs überwunden und den Offensivfussball wieder en vogue gemacht.

Glaube ich nicht. Beide Mannschaften sind das Produkt einer einheitlichen und durchlässigen Ausbildung, sowohl im Verein wie im Verband. Die können für sich alle reklamieren, einen schönen Fussball zu spielen. Da zählt der Kurzpass und der Ballbesitz etwas. Das gibt es in der Schweiz oder in Deutschland so nicht.

Sie haben kürzlich mal gesagt, wenn man glaubt, der FCB spiele ein 4-4-2-System, dann lassen Sie die sogenannten Experten in diesem Glauben.

Fussball ist einfach, weil es nur drei Situationen gibt, auf die sich ein Spieler einstellen muss: Du hast den Ball, ein Mitspieler hat den Ball oder der Gegner hat den Ball. Und wenn den den Ball hast, dann: a) schiess ein Tor, b) ist das nicht möglich, geh dahin, wo du ein Tor schiessen kannst und c) spiel den Ball dahin, wo ein Mitspieler ein Tor schiessen kann.

So viel muss man also gar nicht verstehen?

Nein. Es hat schon etwas mit der Anordnung zu tun, im 4-4-2 stehen hinten vier und vorne zwei. Und wie sich die Mittelfeldspieler verhalten, das ist Interpretation des Trainers. Für mich war das grösste Problem bei der Übernahme: Wie schaffe ich einen sanften Umbruch, der eigentlich ein Auf-den-Kopf-Stellen ist, ohne dass es die Mannschaft merkt?

Auffallend ist, dass der FCB unter Ihnen weniger Gegentore erhält.

Wir sind einmal Meister geworden mit 46 Gegentoren und einmal mit 44. Wenn man auf andere Ligen schaut, dann sieht man: Mit einem Eins-Komma-Schnitt an Gegentoren wird man normalerweise nicht Meister. Ich wollte Wege finden, um Worst-Case-Fälle abzusichern. Deshalb steht bei mir nur ein Aussenverteidiger hoch und einer der Innenverteidiger immer in der Mitte. Wir haben den Spielaufbau verändert, wenn die beiden Flügelspieler links weg sind, lässt sich ein Mittelfeldspieler fallen, weil die Seite immer geschlossen sein muss. So bekommt man eine Balance. Wir haben andere Schwerpunkte gelegt. Ich bin viel anspruchsvoller, die Spieler haben bei mir Stress im Training. Sie müssen immer denken, völlig unabhängig von der Position, bei jeder Übung, bei jeder Spielform. Wir sind viel variabler geworden.

Deshalb kann sich Alex Frei auf dem Platz rumtreiben wo er will.

Das gilt nicht nur für ihn. Aber wenn er sich fallen lässt, öffnet sich irgendwo eine Lücke. Fussball findet in Raum und Zeit statt. Nur durch Bewegung schafft man Raum, und reagiert der Gegner darauf, wird ein anderer Raum frei. Und darum geht es. Aber das ist sehr anspruchsvoll. Das grösste Kompliment hat uns Bernard Challandes gemacht: unser Spiel sei ein stückweit wie das von Barcelona. Und er hat recht.

Wie komplex dürfen denn die eigenen taktischen Ideen sein, bevor sie Spieler überfordern?

Die Frage ist, wann sie überfordert sind. Wenn man erwartet, dass es beim ersten oder zweiten Mal perfekt funktioniert und es scheitert, dann bist du als Trainer gescheitert. Ich gebe den Spielern Zeit, Ideen umzusetzen. Der beste Katalysator ist Erfolg, gute Spiele und Siege. Dann verinnerlicht der Spieler: es funktioniert.

Als Trainer hat man aber nicht viel Zeit.

Man darf den Glauben nicht verlieren, wie in vielen Lebensbereichen. Man darf nicht den Fehler machen, beim ersten Mal gleich alles über den Haufen zu schmeissen. Wenn man Niederlagen nicht an konzeptionellen Fehlern festmachen kann, sondern an individuellen, an technischen Fehlern, wenn es ein verlorener Zweikampf war, die Qualität eines gegnerischen Spielers oder auch eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters – das alles hat nichts mit dem Konzept eines Trainers zu tun. Aber das Konzept muss an die vorhandenen Spieler angepasst sein – sonst hast du die falsche Idee im Kopf.

Wie viele Schritte oder Pässe hintereinander können als Angriffsvariante einstudiert werden?

Wir studieren da wenig ein. Es ist keine Passfolge vorgeschrieben. Ich versuche, die Spieler zu positionieren, ihnen Freiheit zu geben …

Was jetzt: Freiheit oder Position halten?

Das ist das Gleiche: die Freiheit, sich zu positionieren.

Hat das etwas mit der holländischen Fussballschule, dem Fussball total zu tun?

Nein, den finde ich sehr statisch. Es geht um Überzahl und Unterzahl, und ich will überall auf dem Platz Überzahl haben – in beiden Phasen des Spiels, egal ob bei eigenem Ballbesitz des Gegners.

Etwas, was Barcelona perfektioniert hat?

Nicht nur, auch Athletic Bilbao oder Borussia Dortmund. Die schaffen es, unmittelbar nach Ballverlust ins Gegenpressing zu gehen. Es gibt Mannschaften wie Inter Mailand, die haben hinten Überzahl, oder Chelsea, das ist das beste Beispiel …

… nun ja, die haben sich gegen Barcelona in der Champions League einfach zweimal hinten reingestellt.

Aber sie hatten Überzahl.

Ist das nicht das eigentlich Faszinierende am Spiel von Barcelona, die Ballrückeroberung?

Das ist zwar toll, aber ich ergötze mich eher an gelungenem Ballbesitz.

Und an Spielern wie Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka?

Shaqiri spielt jetzt anders. Er ist mein Spielmacher, mein Zehner, ich fordere ihn auf, in die Mitte zu kommen, hinter die Spitzen. Da geht kein Aussenverteidiger mit, aber wer kümmert sich dann um ihn? Einer der beiden Innenverteidiger?

Oder ein Mittelfeldspieler.

Aha, aber dann wird einer meiner Mittelfeldspieler frei.

Ist Shaqiri mit seinen Qualitäten, seinem Tempo, seinen Dribblings zu ersetzen?

Grundsätzlich ist keiner eins zu eins zu ersetzen. Schaun mer mal, was kommt. Und was mit den neuen Spielern möglich ist. Das sind auch immer Chancen, und das ist mein Job.

Und Xhaka?

Er spielt jetzt eine dominantere Rolle. Es ist Teil unseres Spiels, dass er sich die Bälle hinten holt. Er ist Linksfuss und kann neben seiner unglaublichen Ballsicherheit einen wunderbaren Wechsel spielen.

Haben Sie ihn in der Planung für die kommende Saison schon gestrichen?

Wenn ich ihn habe, ist das sensationell. Aber man muss realistisch sein, es sind Angebote da, und es sind ja nicht nur Gladbach und der HSV an ihm interessiert.

Wie viel Vogel steckt in dieser FCB-Mannschaft und wie viel Fink ist noch vorhanden?

Unsere Philosophien sind sicher nicht komplett unterschiedlich. Wir wollen den Fussball, sprich: den Ballbesitz pflegen. Es gibt die Spielanlage, also die Frage, wie ich etwas erreichen will, und das Ziel – und das ist ziemlich identisch. Aber es geht um viele Details. Sagen wir so: Ich habe es weiterentwickelt. Ich sage aber nicht, das ich offensiven, attraktiven Fussball spielen lassen will. Nein. Ich will mich auch nicht als Fuchs hinstellen und sagen, wir wollen taktisch hochwertig spielen – es muss letztlich auch erfolgreich sein. Aber es ist besser, wenn die Leute gerne kommen, um uns zuzuschauen.

Wieso sind Sie nicht mit ihm nach Hamburg?

Es gab kein entsprechendes Angebot von ihm. Wir haben uns sehr gut ergänzt, aber eine solche Ergänzung muss nicht dauerhaft sein und ein Leben lang halten. Wir haben uns gutgetan, es war auch sehr erfolgreich, es hat gepasst. Ich habe auch einiges gelernt, wie man es anders machen kann. Und irgendwann gibt es Chancen und Zeitpunkte, wo man getrennte Wege gehen kann und man sich weiterentwickelt.

Die Führungscrew des FCB, Sie eingeschlossen, ist vom Profifussball nicht gross beleckt. Im europäischen Kontext ist das eher ungewöhnlich, irgendeiner in den grossen Clubs hat doch immer einige Hundert Ligaspiele oder ein paar Länderspiele im Palmares und ist damit vermeintlich mit den Weihen des Profifussballs gesegnet. Was sagt uns das?

Ach, das sind für mich Ammenmärchen. Als Spieler lernt man ein bisschen, wie das Geschäft läuft, man ist vielleicht schon mal in die Falle der Medien getappt. Aber der Beruf Spieler hat doch mit dem Amt Präsident, mit dem Beruf Sportdirektor oder dem Beruf Trainer mal so was von gar nichts zu tun. Man bewegt sich im gleichen Metier, wechselt aber die Seite. Also: Diese sagenumwobenen Mythen hat noch niemand verifiziert oder falsifiziert. Einer mit über 300 Bundesligaspielen muss nicht mehr vom Fussball verstehen, und ich sage auch nicht, dass ich ein Riesentrainer werde, aber ich glaube nicht, dass es eine Grundvoraussetzung ist, Profi gewesen zu sein, um erfolgreich zu sein. Mourinho ist ein erfolgreicher Trainer – nie gross in Erscheinung getreten, Benitez hat mit Liverpool die Champions League gewonnen, und Tuchel in Mainz ist wie ich früh gezwungen worden, sich mit Fussball auf eine andere Art und Weise zu beschäftigen. Ich habe vielen Profis zehn Jahre mehr Berufserfahrung voraus. Und ich sage auch: Im Jugendbereich wird man als Trainer gut, auch ich habe da viel gelernt.

Zum Beispiel?

Am Ende der Saison unbequeme Entscheidungen zu treffen. Davor scheue ich mich nicht. Jeder Spieler bekommt von mir eine klare Ansage. Der weiss haargenau, wie mein Plan aussieht. Er kann mitziehen, er kann den Kampf annehmen, oder er kann weggehen. Ich verlange nicht, dass er danach jubelnd rausgeht. Aber er weiss immer Bescheid. Und da spielt es keine Rolle, ob es ein Jugendspieler ist oder ob einer zwei Millionen verdient.

Wie war es denn, Benjamin Huggel klarzumachen, dass Schluss ist?

Das war ja nicht so, dass wir Huggel das so in einer Einbahnkommunikation gesagt haben. Vielmehr sind wir in etlichen Gesprächen mit dem Thema «Wie weiter?» gemeinsam zum Schluss gekommen, dass ein Aufhören als Spieler Ende Saison und ein rollender Wechsel in eine neue Aufgabe der sinnvollste Weg ist. Auch oder gerade Benjamin Huggel ist gescheit genug zu realisieren, dass ein Rücktritt auf dem Höhepunkt und im Erfolg nicht der schlechteste Weg ist.

Hat sich denn im Verhältnis zu den Spielern mit Ihrem Rollentausch wirklich nichts verändert?

Ich gehe sehr freundschaftlich mit ihnen um, sie überschreiten manchmal Grenzen, die sie bei einem anderen nicht überschreiten würden. Und das dürfen sie auch …

… weil Sie zuvor Co-Trainer waren.

Das Verhältnis habe ich nicht verändert, das wäre auch affektiert. Es gibt aber auch die Momente, wo die Spieler sagen: So, Trainer, wir haben genug gespielt, Spielzeug beiseite gelegt, jetzt geht es wieder um Fussball, jetzt musst du wieder vorausgehen.

Herr Vogel, Sie haben mal erzählt, dass aus Ihnen, der von der pfälzischen Weinstrasse stammt, auch ein Winzer hätte werden können. Haben Fussball und Weinbau etwas gemeinsam? Und: Was würden Sie anbauen?

Der Riesling ist die tollste Weissweintraube, aber ich trinke lieber Rotwein. Im Weinbau wie im Fussball muss man vom Charakter her ähnlich gestrickt sein. Man muss eine Obsession haben, eine Liebe. Es mag romantisch-verträumt klingen, aber Fussball ist für mich weit mehr als das kommerzialisierte Geschäft. Für mich existiert Fussball noch als Reinform, als Spiel. Und das Gleiche gibt es im Weinbau auch. Es gab Skandale, es gab die Mengenreduzierung, und jetzt kommt die Liebe zum Eigentlichen, man kommt zum Ursprung zurück und produziert qualitativ tolle Weine.

Und was dem Winzer der Hagel ist, der ihm die Ernte zerstören kann, ist im Fussball der Ball, der vom Innenpfosten wieder ins Feld zurückspringt und über Triumph und Scheitern entscheidet.

Schauen Sie Barcelona gegen Chelsea an. Deshalb mag ich den Vergleich.

Okay, wie beschreiben Sie den Jahrgang 2011/12 des FC Basel?

Ich habe einen idealen Weinberg. Die Lage und Neigung, die Böden, tolle alte Rebstöcke, die es schon bewiesen haben, und wir hatten eine Erntezeit, die trocken war, das heisst, man hat die volle Entfaltung der Trauben spüren können. Ein schöner Vergleich: ein perfekter Jahrgang, in dem alles gepasst hat.

Aber kein grosses Gewächs ohne einen passionierten Kellermeister.

Das gehört dazu. Und es ist schon nicht so, dass ich nicht um meine Rolle weiss. Aber ich will sie nicht hervorheben. Der Kellermeister hat mehr Verantwortung als andere, aber schon für die Weinlese braucht man gutes Personal. Und ich sage Ihnen: Im Weinberg des FCB war kein Vollernter, das war Handlese.

Und was liegt noch im Keller? Was wird noch besser, je länger man es reifen lässt?

Die einen können sich körperlich weiterentwickeln oder taktisch, die Jungen können sich vollends im Profibereich akklimatisieren. Daneben gibt es gestandene Spieler, die als Führungspersönlichkeiten noch mehr gereift sind. Nehmen wir unseren Captain, Marco Streller: eine Idealbesetzung. Neben seiner öffentlichen Rolle ist es für mich noch viel wichtiger, wie er nach innen wirkt, in der Mannschaft und gegenüber mir. Und da ist Pippi ein toller Sensor. Er hat noch einmal eine Schippe draufgelegt und ist als Persönlichkeit unheimlich gereift. Zum Alphatier, zu dem man aufschauen kann, nicht nur, weil er so gross ist.

Vertreter anderer Sportarten, zum Beispiel der Leichtathletik, sagen immer mal wieder, die Trainings im Fussball könnten noch weit stärker verwissenschaftlicht werden im Vergleich zur eigenen Sportart. Ein korrekter Vorwurf?

Auf diesem Sektor hat sich viel getan. Der Fussball hatte den Ruf, archaisch zu sein in der Trainingslehre. Die Leichtathletik ist die Reinform der Trainingslehre. Aber gib einem 100-Meter-Sprinter einen Ball: Der braucht eine Minute für die Strecke, und wir Fussballer schaffen das in wesentlich kürzerer Zeit. Und dann stellst du zu dem 100-Meter-Läufer noch einen Gegenspieler – da verändert sich der Laufstil völlig. Jorge Valdano (ehemaliger argentinischer Profi, Ex-Sportchef von Real Madrid) hat dazu den schönsten Vergleich angebracht: Wenn der 100-Meter-Läufer im Ziel ist, hat er es geschafft. Wenn der Fussballer am Ziel ist, also in Ballbesitz, beginnen die Probleme erst. Wir Fussballer sollten uns an der Trainingslehre orientieren, aber warum sollen andere Sportarten nicht auch von uns lernen? Ich blicke gerne über den Tellerrand, zum Beispiel zum Basketball oder Tennis.

Was kann man da abschauen?

Beim Tennis die Beinarbeit: Wie komme ich von A nach B ohne den Ball aus den Augen zu verlieren. Beim Basketball geht es um Raum besetzen, Raum öffnen. Und: Man hat Zeitdruck. Dem kann ich viel abgewinnen. Oder beim American Football der Kommunikation zwischen den Coaches.

Gibt es einen Fussballtrainer, der so etwas wie Ihr Idol ist?

Ich lasse mich inspirieren. Von Guardiola, Mourinho oder seit ein paar Monaten von Marcelo Bielsa. Die jeweilige Spielweise der Mannschaften ist das, was ich beobachte, die zugrunde liegende Idee des Trainers, die man dahinter vermutet. Das interessiert mich. Ich will ja nicht stehen bleiben. Aber es gibt auch Trainer ausserhalb des Fussballs, die mich beeinflussen. Im American Football etwa Vince Lombardi, der Trainer der Green Bay Packers in den 50er-Jahren. Der hat mal was wunderschönes gesagt: Wenn ich immer nur schaue, ob ich besser bin als die anderen, höher und weiter springen kann, schneller und weiter laufen kann, bin ich immer besser als die anderen, aber ich weiss nie, wie mein eigenes Leistungsvermögen ist. Darum geht es mir, dahin will ich meine Spieler bringen. Aber es gibt auch Persönlichkeiten fern des Sports, die mich inspirieren …

… nämlich?

Ich finde es sehr erstrebenswert, wie ruhig und dennoch selbstbewusst, wie stark und mächtig der Dalai Lama rüberkommt. Nach einem 0:7 sich in aller Gelassenheit den Medien zu stellen – ob ich das kann und ob ich das bin, weiss ich nicht. Aber ich finde es bewundernswert.

Apropos: Würden Sie morgen etwas anderes machen, wenn sie noch mal in München antreten könnten?

Klar, ich würde andere Vorgaben machen.

Anders aufstellen?

Nö.

War die Mannschaft vielleicht zu selbstsicher?

Die Bayern waren im Rückspiel parat hoch fünf. Und meine Mannschaft war massivst beeindruckt von der Vehemenz, wie die Bayern über sie kam.

Sind Sie ein politischer Mensch?

Puh, ich interessiere mich für das Zeitgeschehen, bin aber ein Stück weit politikverdrossen.

Was haben Sie gewählt, als Sie mit 18 Jahren erstmals zur Urne durften? Als Pfälzer Helmut Kohl?

(überlegt) Ja, ich habe schwarz gewählt. Danach habe ich gar nicht mehr gewählt. Weil Politik zuviel Lobbyismus und Opportunismus ist. Das brauche ich nicht, und da brauche ich keine Stimme abgeben.

Als guter Demokrat sind Sie dazu aufgerufen.

Dann wähle ich Angela Merkel. Die finde ich taff, die hat Charisma. Und Joachim Gauck als Bundespräsident ist ich auch eine gute Lösung.

Werden Sie auf offener Strasse angesprochen?

Häufig, sehr viel.

Wie fühlt sich Popularität an?

Es ist sehr angenehm. Aber ich bin mir durchaus bewusst, dass wir eine sehr erfolgreiche Zeit durchleben. Es ist alles sehr sympathisch, herzlich und warm. Generell ist es ein respektvoller Umgang. Als ich während unserer Champions-League-Kampagne in Bern war, haben Zürcher und Berner Fans unheimlich positiv auf uns reagiert. Ich glaube, dass wir nicht sportlich Sympathiepunkte gewonnen haben, sondern auch dafür, wie wir als Verein auftreten: demütig. Und die Argumente liegen auf dem Platz und nirgendwo anders.

Was verstehen Sie unter demütig? Keine grosse Klappe zu haben?

Davon halte ich nichts. Ich halte auch von den ganzen Psychospielchen nichts. Für mich zählt ehrliche Arbeit, täglich, und die Ergebnisse sollen für sich sprechen.

Wirkt sich Ihre Arbeit in Basel schon in irgendeiner Weise aus?

Es gibt Berater, die rufen an und sagen: Jetzt musst du deinen Erfolg ausnutzen. Aber das kann mir alles gestohlen bleiben. Sie sollen mich in Ruhe lassen, ich brauche keinen Berater. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, ich weiss, was ich kann. Und ich habe keine Furcht, irgendetwas zu verlieren, wenn ich nicht erfolgreich bin. Es geht immer weiter.

Wem vertrauen Sie sich an?

Für gewisse Dinge habe ich meinen Mentor, Hermann Hummels, einen väterlichen Freund. Der sagt: Mach es, mach es nicht. Zum Beispiel an den Stammtisch bei Sport 1 zu gehen oder bei Sky als Experte auftreten – das kam nach ein paar Monaten alles ein bisschen früh. Ich würde mich da auch nicht wohlfühlen, weil ich das noch nicht bin.

Ist die Bundesliga kein Thema?

Man muss wissen, wann man für was reif ist. Ich bin jetzt erfolgreich, seit einem halben Jahr. Aber das ist noch nicht nachhaltig. Ich habe noch so viel zu lernen. Mit Niederlagen umzugehen, mit ein, zwei oder sogar drei. Wir haben einen Umbruch vor uns, wir verlieren zwei, drei Stammspieler, starke Persönlichkeiten und starke Typen wie Benjamin Huggel oder Scott Chipperfield.

Der FC Basel geniesst gerade eine Ausnahmestellung in der Schweiz. Sportlich wie wirtschaftlich ist die Schere zur nationalen Konkurrenz weiter aufgegangen. Enteilt Basel den anderen auf Jahre hinaus?

Überhaupt nicht. Wenn ich das schon höre: wie wirtschaftlich potent wir sind. Was macht denn YB? Glauben Sie, dass Bobadilla und die anderen noch Geld mitbringen? Da wurde doch viel mehr investiert als bei uns. Shaqiri und Xhaka – das ist eigener Nachwuchs. Es ist wunderbar, dass wir in diesem Bereich qualitativ so gut arbeiten, dass wir Profit daraus machen. Das ist ein Indiz dafür, dass wir auf allen Ebenen vieles richtig gemacht haben. Bernhard Heusler und Georg Heitz finde ich sensationell, auch das Schattenkabinett dahinter mit Ruedi Zbinden, der ist klasse, oder Carlos Bernegger, der ein toller Ausbildner ist. Also: Es wird nicht die letzte erfolgreiche Saison des FC Basel sein, und ich glaube auch daran, dass das wiederholbar ist.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

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