Der Meister des Blödsinns

Der Humorist René Schweizer feiert heute seinen 70. Geburtstag. Der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch über den Sinn des Lebens – und die Erkenntnis: Eigentlich ist das Leben ein Witz.

(Bild: Basile Bornard)

Der Humorist René Schweizer wird 70 Jahre alt. Höchste Zeit für ein Gespräch über den Sinn des Lebens – und die Erkenntnis: Eigentlich ist das Leben ein Witz.

«Ich habe gemerkt, dass ich gern trinke, es aber nicht Alkohol sein muss», antwortet René Schweizer auf die Frage, wie er sein Alkoholproblem in den Griff bekam. Seine Fähigkeit, zu verblüffen, wird nun in einer Hommage (siehe Box) an ihn gewürdigt. Herausgeber ist der Psychologe und Pionier des therapeutischen Humors Michael Titze.

Das Buch ist auch der Grund, weshalb René Schweizer dieses Interview überhaupt gibt. Aber eigentlich, sagt er, sei das unnötig: «Wenn jemand ein Buch über Regenwürmer schreibt, gehen Sie ja nicht hin und interviewen den Regenwurm – sondern den Autor.» Doch darüber sehen wir hinweg.

René Schweizer
Der Kleinbasler Humorist wurde mit Nonsens-Briefen an Behörden bekannt. Von 1977 bis 1993 hat er seine Briefwechsel in vier Bestseller-Bänden unter dem Titel «Ein Schweizerbuch» veröffentlicht. 2004 kam ein «Best Of» auf den Markt. Er publizierte weitere Bücher und den Theatermonolog «Die Säuferin». Schweizer ist Initiator der Internationalen Kongresse «Humor in der Therapie», die zwischen 1996 und 2000 in Basel stattfanden. Am 27. Juli 2013, seinem 70. Geburtstag, ist die Vernissage des Buches «Kleinbasel und der Humor in der Therapie» mit dem Herausgeber Dr. Michael Titze in der Buchandlung Thalia. Das Buch ist eine Hommage an den Basler Humoristen.

Herr Schweizer, wo fangen wir an?

Am Anfang, würde ich sagen.

Und wo ist der Anfang?

Das war im Juli 1977, als ich mein erstes Buch herausgab …

… und Sie mit einem Schlag berühmt wurden.

Mein Verleger gab es im Sommer heraus, was ich eine schlechte Idee fand, da Neuerscheinungen im Herbst während der Buchmessen mehr Beachtung finden. Was aber geschah in diesem Sommer? Es gab nur dieses neue Buch und jedes Käseblatt stürzte sich darauf.

Sie haben den Behörden Briefe mit absurden Fragen geschrieben und diese samt Antwort veröffentlicht. Warum kam das an?

Das war absolut neu – und die Leser fanden es toll, dass ich mich das traute. Manchmal hatte ich Angst, verhaftet zu werden. Etwa, als ich der Staatsanwaltschaft mitteilte, ich hätte in die Hosen gemacht, und sie fragte, ob das ein Offizialdelikt sei.

Da wird doch niemand verhaftet.

Das wusste ich damals nicht, es gab ja keine Erfahrungen damit. Ausserdem hatte ich bereits negative Geschichten mit der Polizei erlebt. Beispielsweise wurde mir Knast angedroht wegen meines «asozialen Lebenswandels». Heute ist es unvorstellbar, dass ein junger Mensch eingesperrt wird, bloss weil er lieber im «Atlantis» herumhängt als richtig arbeiten zu gehen.

Wie kamen Sie auf die Idee mit den Nonsens-Briefen?

Es schwirrte einfach in der Luft herum. Ich halte es da mit Nietzsche, der einst sagte: «Ich fange Gedanken.» Das ist ein gewaltiges Bild.

Welche Gedanken waren es, die Sie damals fangen wollten?

Wenn ich allein bin, kommen mir lauter absurde Dinge in den Sinn. Ich gehe durch den Wald und sehe eine Tanne – und denke Pfanne. Dann denke ich Pfanne, dann komm ich auf Schlampe und schliesslich auf Velosolex. Die Logik ist rasch verschwunden, ich werde gierig. Ich frage mich: Was ist noch wahnsinniger als Velosolex? Dann denk ich: Rubinstein. Darauf komme ich auch nur, damit ich auf etwas komme, das mit Velosolex gar nichts zu tun hat.

«Wenn ich allein bin, kommen mir lauter absurde Dinge in den Sinn. Ich sehe eine Tanne – und denke Pfanne.»

Wie definieren Sie Humor?

Keine Ahnung.

Wikipedia schreibt: «Humor ist die Begabung eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen.»

Von mir aus! Wenn ich aber in der Beiz sitze und sage: «Niemerem sage, Schwartemage» und alle lachen, weiss ich nicht, ob diese Definition passt. Humor ist oft einfach «Seich» machen. Ich erzähle gern unzusammenhängenden Blödsinn.

Ihre Briefe waren nicht unzusammenhängend. Sie haben einmal Ihren Verstand verloren – und beim Fundbüro nachgefragt, ob es diesen gefunden habe.

Eine meiner ersten Anfragen ging an die BVB: Ich würde eine Haifisch-Ausstellung organisieren und bräuchte dafür Tramgleise. Völlig irrsinnig, diese Vorstellung. Doch zu meiner Verblüffung bekam ich eine seriöse Antwort mit Angeboten verschiedener Tramgleise.

Wann haben Sie den letzten Brief in diesem Stil geschrieben?

Als ich wegen meines Alkoholproblems in der Psychiatrie war, schrieb ich Briefe mit dem Briefkopf der Klinik. Das führte dazu, dass sich die Adressaten an die Abteilungsleitung wendeten. Und wissen Sie was? Der Leiter dort hiess Doktor Wurst!

Schreiben Sie noch Briefe?

Nein, jetzt ist Schluss. Titzes Buch ist die Krönung meiner Lebensphase als schöpferischer Mensch.

Sie sind kein schöpferischer Mensch mehr?

Mich interessieren inzwischen andere Dinge. Ich will etwa herausfinden, wie es möglich ist, dass ein Säulenheiliger jahrelang auf einer Säule sitzen und sich nicht bewegen kann.

Dem Humor schwören Sie ab?

Beim Humor ist meine Neugierde weitgehend gestillt.

Die Hommage an Sie befasst sich aber mit Ihrem Humor. Persönlichkeiten wie der Psychiatrieprofessor Raymond Battegay finden darin lobende Worte für Sie.

Unsere Beziehung fing mit einem Brief von mir an. Ich schrieb, ich sei ein Arschloch und würde ihn bitten, mir zu sagen, weshalb. Er schrieb geistreich zurück und beendete den Brief mit den Worten: «In diesem Sinne zähle auch ich mich zu den von Ihnen erwähnten Löchern.» Später hielt er eine Rede am Humor-Kongress, den ich organisierte, und kam ins Patronats-Komitee.

Battegay schreibt im Buch über Sie, mit Humor könnten sogar Kriege verhindert werden. Sie dürfen also nicht aufhören!

Ich habe sozusagen einen Erben in Sachen Humor. Er nennt sich «Der von Adelheid geadelte Heide». Wir haben viel erlebt zusammen. In der nordspanischen Stadt Cadaqués wollte ich ihn dazu bewegen, ins Dalí-Museum zu gehen, wo ich zuvor schon etliche Male war. Doch er wollte lieber in die Beiz mit mir. Damit gab ich mich nicht zufrieden, also bat ich ihn, so nah wie möglich am Museum vorbei auf mich zuzukommen. Ich fotografierte ihn, seither ist er «der Mann, der haarscharf am Dalí-Museum vorbeiging».

Sie kannten Salvador Dalí. Wie kam das?

Ich schrieb ihm, als ich in Cadaqués war, eine Postkarte: «Ich habe die Ehre, Sie über meine Ankunft zu informieren.» Prompt lud er mich zu sich ein – aus reiner Neugierde, wer der Absender wohl sein würde. Dalí und ich verstanden uns grossartig.

«Ich bin ja nur nebenbei Bankbetrüger. Sie werden auch nicht als Friedhofsgängerin bezeichnet, bloss, weil Sie auf dem Friedhof waren.»

Zurück zum Buch: Einer der bekanntesten Banker der Schweiz, Eric G. Sarasin, würdigt Sie darin. Ausgerechnet er – als junger Mann sassen Sie schliesslich wegen Bankbetrugs im Gefängnis.

Aber ich bin ja nur nebenbei Bankbetrüger, Sie werden auch nicht als Friedhofsgängerin bezeichnet, bloss, weil Sie auf dem Friedhof waren. Ich kenne Eric seit seiner Jugend. Wir lernten uns in der Rio Bar kennen.

Er schreibt, das sei der längste und lustigste Abend seines Lebens gewesen. Was haben Sie als Bankbetrüger eigentlich getan?

Ein Freund von mir arbeitete bei einer Bank. Er erzählte mir, dass oft Firmenmitarbeiter anriefen und ­einen Check bereitmachen liessen. Es käme dann ein Bote und hole ­diesen Check ab. Also fragte ich ihn nach einer dieser Firmen und rief den Buchhalter dort unter dem ­Vorwand an, ich sei Schüler und schreibe eine Arbeit über Aluminium. Nach dem Gespräch rief ich ­sofort die Bank an und bat mit der Stimme des Buchhalters, die ich im Ohr hatte, um einen Check. Den holte ich dann ab.

Sie landeten im Gefängnis.

Aber erst später. Beim Einlösen des Checks musste ich meinen Namen angeben, um das Geld überhaupt zu bekommen. Mir war bewusst, dass ich ein Risiko einging, ich dachte mir aber: «Jetzt nimmsch dä Stutz und hausch ab.» Schliesslich wollte ich nach Mexico reisen, mir ein Pferd kaufen und ins Nichts reiten. Doch Interpol fand mich vorher in Italien, wo ich eingesperrt wurde.

Was bedeutet die Zeit im Gefängnis für Ihr Leben?

Ich wollte nicht leiden, sondern etwas tun. Bloss wusste ich zunächst nicht, was. Also habe ich mich gefragt, was ich nur im Gefängnis machen kann, weil es draussen aus irgendwelchen Gründen nicht geht. Die Lösung war: Singen! Wenn ich in Beizen damit anfing, wurde ich immer sofort rausgeschmissen. Das ging nicht im Gefängnis. Also sang ich «Santa Lucia», stundenlang. (Er fängt an zu singen, wir sitzen in einer Beiz, man lässt ihn singen.)

Sie schreiben in Ihrem Blog, Sie fühlten sich als Agent, der auf die Erde geschickt worden sei, um abzuchecken, ob man hier vorsichtig sein muss. Muss man?

Nein, die Menschen sind zu einem grossen Teil laut und dumm, gefährlich sind sie aber überhaupt nicht.

Naja, es gibt Kriege.

Für sich selber sind sie natür­lich ­gefährlich, aber nicht für das Universum.

Womit wir wieder bei Herrn ­Battegay wären, der sagt, Humor sei wichtig für den Frieden.

Entschuldigen Sie, da kommt mir ­etwas in den Sinn: Ein Mithäftling um­armte mich, als ich entlassen wurde. Zuerst dachte ich, er wolle mich hauen, weil er sauer war wegen meiner Singerei. Doch er hatte Tränen der Rührung in den Augen und sagte: «Das sind die schönschte drü Täg gsi sit ich do bin.» Ich war verblüfft. Ich wusste nicht, dass mein Singen draussen gehört worden war.

Sie haben auch eine sehr ernste Seite, die sich etwa in diesem Satz von Ihnen zeigt: «Es ist die Welt ausserhalb meiner Seele, die mich verwirrt, beleidigt und mit Zorn erfüllt.»

So geht es mir nach Wanderungen. In der Natur ist alles rein, kaum nähere ich mich einem Dorf mit Menschen, fühle ich die schlechten Vibrationen der Normalos.

Sind Sie ein Misanthrop?

Eigentlich vollkommen, ja. (Genau in diesem Moment setzt sich ein Mann zu uns an den Tisch und sagt: «Sali». René Schweizer grüsst zurück. Wir reden unbeirrt weiter.)

Wie kommt es, dass ein Menschenfeind einen Kongress initiiert, der die Behandlung psychischer Leiden durch Humor in der Therapie zum Thema hat?

Ich halte es für wichtig, Menschen auf diese Art zu therapieren. Ich habe miterlebt, wie eine Lehrerin von Panikattacken befreit werden konnte, die sie vor Publikum hatte – und zwar durch Rollenspiele.

Humor kann heilen, doch: Gibt es überhaupt was zu lachen?

Klar! Zum Beispiel bringen einen Kinder und Jungtiere zum Lachen. Oder auch die Fasnacht, manchmal.

Viele Menschen lachen über Comedians wie Mario Barth.

Das ist mir unverständlich. Ich höre ja auch, was der sagt, begreife aber nicht, warum jemand lacht deshalb.

Worüber lachen Sie denn?

Wenn mein Freund «Der von Adelheid geadelte Heide», der kaum Spanisch spricht, auf Spanisch telefoniert. ­Einmal wollte er jemandem erklären, er sei in finanziellen Schwie­rigkeiten. Das klang so: «Io tengo una crisa ­monumental en los dineros.» Da konnte ich mich nicht mehr halten vor Lachen. Auch mein Vater brachte mich oft zum Lachen. Der war ein Spruchhaufen, schlimmer als ich.

In einer Besprechung über eines Ihrer Bücher stand einmal: «Wenn Sie wissen wollen, wie die Schweizer sind, müssen Sie René Schweizer lesen oder an eine Gemeindeversammlung gehen.» Wie ist der Schweizer?

Das weiss ich nicht, ich bin Basler.

Kleinbasler, um genau zu sein.

Dazu muss ich sagen: Dem Kleinbasler kann man es nie recht machen. Wenn man sagt, die seien alle originell, sind sie beleidigt. Wenn man aber behauptet, alle Kleinbasler seien normal, ist es auch nicht recht.

Sie gelten als ein Original. Das passt Ihnen nicht, oder?

Ich empfinde mich nicht als Original. Bluemefritz war eines. Aber ich? Muss ein Original lustig sein? Das grösste Original war Modeschöpfer Fredy Spillmann, aber der brachte ja nicht pausenlos alle zum Lachen. Streng genommen war auch Picasso ein Original, weil er tat, was er wollte. Daher bin ich vielleicht doch eines. Original bedeutet ja «ursprünglich», während originell eher für «lustig» steht.

«Ich glaube, dass jeder Mensch eine Rolle spielt, die er vor seiner Geburt gewählt hat.»

Sie sind demnach eher originell als ein Original?

Schwierig, so etwas über sich zu sagen. Jetzt stinkts mir langsam.

Wenn man sich Jahrzehnte lang wie Sie mit Nonsens beschäftigt, kommt man dann zum Schluss, dass das Leben im Grunde einfach ein riesengrosser Witz ist?

Das ist wahrscheinlich so, ja. Das sagen auch Weise. Mein mehrfach erwähnter Freund, der Heide, lebte 16 Jahre in Indien bei einem Guru – und der schaffte Klarheit, indem er meinem Freund sagte: «Das Leben ist nichts anderes als ein Witz. Alles, was ich euch erzähle, stimmt nicht.»

Weshalb rackern sich denn viele Menschen für Dinge ab, die sie eigentlich gar nicht wollen?

Das ist ihre Rolle. Als ich als Schauspieler auf der Bühne stand, stellte ich mir oft vor, wie das Publikum reagieren würde, wenn ich sagen würde: «Ich bin René Schweizer und nicht diese Shakespeare-Figur, die ich hier darstelle.» Das hätte einen Skandal ausgelöst. Ich glaube, dass jeder Mensch eine Rolle spielt, die er vor seiner Geburt gewählt hat.

Er wolle keine Briefe mehr schreiben, sagte René Schweizer im Gespräch. Doch drei Tage später schickte er der TagesWoche-Redaktion eine E-Mail mit dem neusten Brief. Adressat ist Stadtpräsident Guy Morin. Schweizer fragt: «Zu meinem Geburtstag möchte ich den Bölimaa globalisieren. Können Sie mir dabei helfen?»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.07.13

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