Der «Nachtzug» kommt in Basel an

Als Buch ist der «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier ein Weltbestseller. Schafft auch der Film eine Reise um die Welt? Die internationale Crew verspricht es. Wir trafen den dänischen Regisseur und Oscar-Preisträger Bille August zum Gespräch.

«Diese Geschichte ist sehr universell», sagt der dänische Regisseur Bille August über den Schweizer Literatur-Bestseller. (Bild: Keystone)

Als Buch ist der «Nachtzug nach Lissabon» von Pascal Mercier ein Weltbestseller. Schafft auch der Film eine Reise um die Welt? Die internationale Crew verspricht es. Wir trafen den dänischen Regisseur und Oscar-Preisträger Bille August zum Gespräch.

Mit «Nachtzug nach Lissabon» gelang dem Schweizer Schriftsteller Peter Bieri alias Pascal Mercier ein Weltbestseller. Im Februar feierte die Verfilmung an der «Berlinale» Premiere (wir haben darüber aus Berlin berichtet), jetzt läuft der international besetzte Streifen auch in Basel an. Wir trafen den dänischen Regisseur und Oscar-Gewinner Bille August zum Gespräch.

Im «Nachtzug nach Lissabon» ist die Schweiz, ist Bern, zu Beginn reizvolle Kulisse. Herr August, sie sind Däne. Öffnet sich einem Leser im Film dann auch ein Blick hinter die Kulissen der Schweiz?

Ich las das Buch vor circa sieben Jahren. Da war der Roman bereits in mehrere Sprachen übersetzt. Es erzählt eine Geschichten, die an mir hängen geblieben ist. Besonders weil sie so universal ist, weit über die Schweiz hinaus weist. Als man mich dann anrief, um zu fragen, ob ich interessiert wäre, die Geschichte als Film zu erzählen, sagte ich ohne zu zögern zu.

Im Film begeistern die Schüler des Berner Gymnasiums ihren Lehrer voller Begeisterung – im Chor…!

Wir haben Experten darüber befragt und sie haben uns das so bestätigt …  

Wie haben Sie Ihre Begeisterung für das Buch in den Film gerettet? Das philosophische Buch im Buch und die verzweigten Erzählstränge stellten Sie wohl vor eine grosse Aufgabe.

Der Kern des Romans ist vertieft philosophisch. Er besteht  aus einem ausgedehnten Inneren Monolog, der für den inneren Film eines Lesers eine immense Kraft darstellt. Die galt es also auch auf die Leinwand zu bringen. Das Buch ist ein intellektuelles Medium. Film ist ein emotionales Medium.

Hat die Tatsache, dass das Buch ein Weltbestseller ist, die Aufgabe erschwert? Sie mussten ja damit rechnen, dass der Grossteil der Kinogängerinnen und -gänger das Buch kennt?

Davon darf man sich nicht einschüchtern lassen. Leser sind Individuen. Ich höre ebenso auf meine Intuition – und versuche der Essenz des Buches zu folgen, die Wirkung, die es auf mich ausübt. Erst als ich mich entschieden hatte, welches die wichtigste Geschichte im Film sein würde, konnte ich beginnen, Nebenstränge des Romans zu vernachlässigen. Es galt immer die Balance zu finden zwischen dem Zitat des Buches und der Eigenständigkeit des Filmes.

Welches ist Ihnen als emotionaler Kern für den Film hängen geblieben? Die Liebesgeschichte? Die Eifersucht? Die Suche nach der unbekannten Gefahr im Faschismus …

Es sind viele Geschichten. Im Kern sucht hier ein Mann nach seiner Identität. Er lebt ein zufriedenes, glückliches, zurückgezogenes Leben als Lehrer. Aber er lebt nicht sein Leben. Erst auf dieser scheinbar grundlosen, komplizierten Reise, die ihn in die Welt hinausführt, macht er sich auf den Weg zu sich selbst. Er beginnt ganz neu. Raimund ist ein Mann, der kaum mehr den Zugang zu seinen eigenen Gefühlen findet. Als ihn eine fremde Frau mit ihrem Selbstmordversuch aus diesem Leben reisst, kann er das lange nicht einordnen. Er folgt ihr. Er folgt aber auch seiner Obsession für ein Buch, das ihn dann nach Lissabon führt, in eine fremde Welt, in eine verschlossene Vergangenheit, die er Schritt für Schritt lüftet. Aber er findet nicht nur eine unbekannte Vergangenheit. Er findet auch zu sich.

Dieser Lehrer findet sich mitten in einer Liebesgeschichte wieder. Er forscht in der Geschichte seiner Heldin, stösst aber auch auf seine eigene. Dabei schämt er sich etwas für seine, wie er es nennt, «Langeweile». Schweizer sind ja auch nicht sonderlich bekannt dafür besonders leidenschaftliche Liebende zu sein …

Ich kann nicht sehr viel über die Schweizer Mentalität sagen ….

Aber über die Langweile?

Raimond Gregorius empfindet sein Leben tatsächlich als langweilig. Aber das realisiert er erst, als er durch die portugiesische Frau in ein zweites Leben gelockt wird. Als sein zweites Leben beginnt, fängt er an, sein erstes Leben besser zu verstehen. 

Gewiss schwingt beim Autor des Bestsellers, der diesen unter dem Pseudonym Pascal Mercier veröffentlichte, auch etwas von der Herkunft mit. Peter Bieri ist eigentlich Berner, wie auch Raimund. Wie wirkt ihr nordischer Blick auf die Figur ein?

Ich sehe mich weniger als dänischer Filmemacher. Diese Geschichte ist sehr universell. Sie greift etwas auf, was die Menschen um den Globus beschäftigt. Raimund ist in Lissabon ein Fremder. Das gestattet uns, Lissabon und die Geschichte, die er kennenn lernt, mit seinen unvoreingenommenen Augen zu sehen. Wir mussten nicht ein möglichst exotisches Lissabon präsentieren.  

Sie haben einen internationalen Cast für die Geschichte gefunden: Den Briten Jeremy Irons, den Schweizer Bruno Ganz, die Deutsche Martina Gedeck,die Schwedin Lena Olin, die übrigens auch den leidenschaftlichsten Eindruck hinterlässt. Sind sie alle Fremde in dieser Welt?

Das war sehr spannend, mit Schauspielern aus sehr unterschiedlichen Traditionen zu arbeiteten. Dennoch ist die Sprache der Schauspielerei sehr rasch universell. Der Prozess der gemeinsamen Sprachfindung war mit allen sehr ähnlich.

Dämpft das nicht die Spannung der Sprachunterschiede?

Das grösste Risiko besteht darin, dass der Film einen Liebhaber der Sprache porträtieren muss, nicht des Lebens. Peter Bieri ist immerhin ein grandioser Abenteurer des Bewusstseins. Wir mussten also für Raimunds Besessenheit für Sprache eine eigene filmische Entsprechung finden. Wir haben versucht, den spannenden Schauspieler Jeremy Irons als Raimund ein fast gewöhnliches Leben führen zu lassen. Wir sehen das so, und gewiss wird jeder Leser erst einmal seine eigene Interpretation finden wollen, und sich vielleicht erst einmal an Jeremy Irons gewöhnen müssen.

Selbst Peter Bieri hat eingestanden, dass er beim Schreiben des Buches einen anderen Raimund vor sich sah. Er war aber beglückt: jetzt habe er durch den Film ein zweites Bild von Raimund erhalten.

Ja. Wir hatten anfänglich viele Zitate aus dem Buch im Off-Text. Jetzt haben wir uns auf die nötigsten Zitate beschränkt, die die Handlung vorantreiben. Das öffnet die Sicht auch auf den Roman. Der Film muss den Zuschauer auch für Raimund interessieren, nicht nur für das, was Raimund interessiert. Nur so kann der Film den Zuschauer mit auf die Reise zu nehmen, die in diese Liebesgeschichte führt.

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