Der Vater von «Taxi Driver» zeigt sein Meisterwerk in Basel

Paul Schrader («Taxi Driver», «Raging Bull») ist Ehrengast am Basler Bildrausch-Festival. Der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur hat seinen neusten – viele sagen, besten – Film «First Reformed» dabei. Ein Gespräch über Eingebung, pathologische Christen und den «transzendentalen Stil».

Paul Schrader: «Moment, mein neuster Film ist mein erster transzendentaler Film!»

Herr Schrader, mit Ihrem von Kritikern gefeierten neuen Film «First Reformed» kehren Sie zu einem Stilmittel und zu Inhalten zurück, mit denen Sie sich vor bald 50 Jahren beschäftigt haben: Dem, was Sie selbst als «transzendentalen Stil im Kino» definiert haben. Wie ist es dazu gekommen?

Es geschah vor rund drei Jahren. Ich war an einem Gespräch über Pawel Pawlikowskis Film «Ida» an einem Festival in New York. Danach begannen Pawel und ich uns über spirituelles Kino zu unterhalten. In jener Nacht ging ich zu Fuss in meine Wohnung zurück. Auf dem Weg wurde es plötzlich klar: «Nun ist die Zeit gekommen, den Film zu schreiben, von dem du immer gesagt hast, du würdest ihn nie schreiben.»

Eine Eingebung aus heiterem Himmel?

«Jetzt ist der Zeitpunkt, du musst diesen Film jetzt machen.» Das stand jedenfalls fest. Ich hatte noch keine Ahnung von den Figuren oder dem Inhalt. Aber ich hatte mich entschieden, einen Film über das Spirituelle, das Seelenleben zu machen. Danach begann ich, all die Filme wieder zu schauen, die ich immer geschätzt hatte. Und ich fing an zu überlegen, wie das wohl bei mir aussehen würde, wenn ich einen solchen Film machen würde. So hat das seinen Lauf genommen.

Paul Schrader (71) wurde 1946 in Grand Rapids, Michigan/USA, geboren. Er wuchs in einer strenggläubigen, calvinistisch geprägten Familie auf. Als Filmtheoretiker und -kritiker machte er sich schon als junger Mann einen Namen, wenig später dann als grosser Drehbuchautor und schliesslich auch als Regisseur. Mit Drehbüchern wie «Taxi Driver» (1976), «Raging Bull» (1980) oder «The Last Temptation of Christ» (1988) schrieb Schrader Kino-Geschichte.

In Ihrer Theorie des «transcendental style» gibt es einen Punkt, der nicht einfach zu verstehen ist: Einerseits geht es Ihnen um Stil, also um formale Vorgaben, andererseits geht es um Filme, die transzendental auf den Zuschauer wirken, sprich – Spiritualität ist als Inhalt wichtig.

Sie weisen mit dieser Feststellung auf einen zentralen Widerspruch hin. Theoretisch ist es ein Stil. Letztlich sind japanische Zen-Gärten und manche Kunstpraktiken des Mittelalters das Gleiche. Das sind Fragen des Stils, nicht des Inhalts. Nichtsdestotrotz funktionieren diese Geschichten einfach besser, wenn es um Menschen des Glaubens geht.

Es geht also nicht ohne den richtigen Inhalt.

Ich hätte «First Reformed» über einen Klempner machen können, der seinen Glauben an sanitäre Installationen verliert. Das wäre gegangen, aber es hätte sicher nicht gleich gut funktioniert (lacht). Aber klar, es ist etwas widerprüchlich. Ich sage, es gehe um Stil, doch die Filme, bei denen es wirklich gut funktioniert, da geht es – in irgendeiner Form – inhaltlich um Religiöses, das Innere.

Religion, der Glaube, ist in Ihrer eigenen Biografie ein zentrales Element. Sie wuchsen in einem streng calvinistischen Elternhaus auf, durften auch als Teenager nicht ins Kino. Wie persönlich ist «First Reformed», der Film über den Mann des Glaubens Ernst Toller?

Nun, es ist ja ein Film über einen Mann, der den Glauben verlor. Pure Verzeiflung. Was Søren Kierkegaard die «Verzweiflung vor dem Tod» nennt. «Angst», darum geht es – und wie man damit umgeht. Im Film haben wir einen Typen, der ein Tagebuch schreibt, und Gottesdienst hält. Und säuft. Und dann findet er eine neue Form des Gebets …

… Allerdings. Wenn man Ihr Oeuvre anschaut, scheinen Sie eine Vorliebe für Figuren zu haben, die Sinnkrisen durchmachen und auf Abwege geraten. Ist das auch ein Element des transzendentalen Films?

Moment, mein neuster Film ist mein erster transzendentaler Film! Mein einziger spiritueller Film in diesem Stil. Mein Buch hat nichts mit meinen vorherigen Filmen zu tun. Ein junger Mann hat dieses Buch geschrieben – ich war 24 – und ein anderer Mann wurde Drehbuchautor und Regisseur. Da gab es keinen Zusammenhang. Aber als ich vor drei Jahren nachts durch New York ging, da spürte ich: Nun ist die Zeit gekommen, diese Verbindung herzustellen. Etwas, was ich 40 Jahre lang abgelehnt habe.

Eine Konstante gibt es trotzdem: Charaktere, die verzweifelt auf der Suche nach ihrem wahren Selbst sind. Nach einem tieferen Sinn.

Ja. Nun, ich denke, das gilt für uns alle. Für einige intensiver als für andere, aber wir möchten ja alle herausfinden, was wir hier eigentlich machen.

Für Travis Bickle in Ihrem «Taxi Driver» endet die Suche in einem Desaster. Ein Mann, den man nur schwer mögen kann. Trotzdem übt er eine riesige Faszination aus, ist für viele zur Kultfigur geworden.

Das Gimmick, das ich in «Taxi Driver» einsetze, das funktioniert stufenweise. Und zwar wie folgt: Zuerst lege ich dem Zuschauer eine narrative Infusion. Erzählung, intravenös: Du wirst ernährt, aber du schmeckst nichts davon. Andererseits erzähle ich dir obendrauf eine Geschichte in Bildern. Aber diese nur aus der Perspektive eines einzigen Mannes. Es gibt kein anderes Leben, keine andere Perspektive. Ist er nicht da, sieht man es nicht. Man kann also gar nicht anders, als sich mit ihm zu identifizieren. Und dann habe ich dich.

…Und schlagen zu.

Genau. Dann, nach rund 50 Minuten, werden bei Bickle einige Schrauben locker. Zuerst nur ein bisschen. Dann ein bisschen mehr. Zuerst stört es dich ein bisschen. Und am Ende kommst du als Zuschauer an einen Punkt, an dem du sagst: Ich habe mich mit einer Person identifiziert, von der ich nun denke, dass sie meiner Identifikation nicht würdig ist. Und das ist der Gipfel der Kreativität: Ich habe deine Schädeldecke gerade weit aufgerissen (lacht). Was ich nicht weiss, ist, wie du das verarbeitest. Das kann ich auch nicht voraussagen. Aber ich weiss, dass ich meinen Job gemacht habe.

Wie es um den Markt für langsame Filme steht: «Nun, es gibt jedenfalls ganz viele davon. Die kommen schneller raus, als man sie schauen kann.»

Sie haben – getreu dem transzendentalen Stil – mit «First Reformed» einen langsamen Film gemacht. Ist das für das heutige Publikum einfacher oder schwieriger als vor 40 Jahren?

Nun, langsame Filme zu machen ist in der heutigen Hyper-Multitasking-Welt jedenfalls sehr viel einfacher geworden. Weil sich die Leute derart schnelle Filme gewöhnt sind, muss man nur noch ein bisschen Tempo wegnehmen und schon sagen alle: Wow, das ist so langsam! Derselbe Film wäre vor 40 Jahren wohl nicht mal als langsam wahrgenommen worden.

War es schwierig für Sie, diesen Film zu machen?

Es war letzlich sehr viel einfacher als ich mir das vorgestellt habe. Bei «Dog Eat Dog» (2016) fiel ein anständiges Sümmchen für mich ab. Da war ich schrill, grell, abscheulich. Nun konnte ich das Geld verwenden, um das Gegenteil davon zu machen. Klar musste ich noch hier und dort etwas zusammenkratzen. Aber es gelang, den ganzen Film in nur 20 Tagen abzudrehen.

Wie sieht es bezüglich des Marktes für langsame Filme aus? 

Nun, es gibt jedenfalls ganz viele davon. Die kommen schneller raus als man sie schauen kann! Es sind aber meistens eher Museums-Filme.

Museums-Filme?

Solche, die man in einem Museum zeigen kann, aber die keinen wirtschaftlichen Erfolg haben müssen. Zum Beispiel, weil sie subventioniert werden. Meist stammen sie von Regisseuren, welche die Kosmogonie des Plots, der Handlung, verlassen haben. Die driften dann in Richtung dessen, was ich den Überwachungskamera-Modus nenne – mit langen, nicht enden wollenden Einstellungen. Oder in Richtung Kunstgalerie – Farbe, Form und Musik. Oder in Richtung Mandala – Meditation. Das sind alles Sackgassen.

Welche Wege führen nicht in die Sackgasse?

Im Zentrum der Kosmogenie des Films gibt es einen Bereich, den ich als «Tarkovski-Ring» bezeichne. Das ist die Grenze, an der man vom kommerziellem zum Museums-Kino gelangt (lacht).

Viele kommerziell erfolgreiche Filme, die gleichzeitig jahrzehntelang als Kunstwerk standhalten, sind wohl gar nicht so weit von diesem Ring entfernt.

Genau. Deswegen bildet ja Andrei Tarkovski auch gleich die Grenze. Er ist drin und draussen. Aber von einem Punkt an werden Filme nicht mehr für einen Markt, sondern als Museums-Projekte produziert. Oder geschrieben von Lobbyisten, von Regierungen. Filme als Promo, als Propaganda.

Paul Schrader: «Wenn Christen pathologisch werden, dann fangen sie an, das Leiden Jesu mit ihrem eigenen zu verwechseln.»

Eines Ihrer Themen ist Selbstzerstörung, Selbstauslöschung, Suizid. Schon in «Taxi Driver» und nun ungleich stärker auch in «First Reformed». Was macht dieses Thema so zentral für Sie?

Es ist eine Pathologie, die tief im Christentum verankert ist. Das Christentum ist derart voller Blut – die Opfer im alten Jerusalem, das Opfer Jesu am Kreuz, die Transsubstantiation in der Messe, im Blut, im Blut, im Blut, gewaschen im Blut, dem Blut aus Immanuels Venen … ach. Alles blutgetränkt. Wenn Christen pathologisch werden, dann fangen sie an, das Leiden Jesu mit ihrem eigenen zu verwechseln: «Wenn ich nur genug leide, wie Jesus, dann kann ich mir meinen Platz im Himmel sichern.»

Die Charaktere quälen sich, weil sie Erlösung suchen?

Wenn Sie an Ostern die Prozessionen sehen, Leute, die sich selbst ans Kreuz nageln, dann ist das ist kein christliches Verhalten. Aber es ist die verständliche Folge einer christlichen Pathologie. Es entspringt der Versuchung, sich selbst aktiv retten zu können, statt das Geschenk der Erlösung durch Christus annehmen zu können. In diesem Film sagt der Geistliche Cedric Kyles zu Pfarrer Ernst Toller: «Gott will nicht, dass wir leiden. Er hat das für uns getan.» Aber Toller ist längst zu sehr hinüber, um das noch verstehen zu können. Er hat sich dem Leiden verschrieben.

Menschen, die sich unausweichlich Richtung Katastrophe bewegen: Auch das scheint Sie zu faszinieren. Erlösung gibt es da nur vielleicht. Ganz sicher aber gibt es kein Zurück.

Was Sie eigentlich sagen – dass ich eine neue Art des Betens erfunden habe (lacht). Nein, eine der unheimlichsten Szenen in dem Film ist jene, in der Ethan, also Toller, über seinen Grossvater spricht. Diese Geschichte ist Teil meiner persönlichen Mythologie: Ich wuchs mit dieser Geschichte auf.

Also doch auch ein sehr persönlicher Film …

Meine Mutter hat mir diese Geschichte erzählt, über meinen eigenen Grossvater, der in einem Lift gestorben ist. Im Film erzählt Ethan, also Ernst Toller, die Geschichte von seinem sterbenden Grossvater, der sagt: «Jungs, zieht mir die Schuhe aus, ich stehe auf heiligem Grund.» Damit zitiert er Moses. Und dann sagt er: «Ich denke an Michael, wenn ich an diese Geschichte denke. Ich glaube, er ist auf heiligem Boden gestanden.» Das sagt Toller über den jungen Michael, der sich umgebracht hat! Das ist der Punkt, an dem er komplett den Weg verliert, am ganz finsteren Ort landet. Ohne es explizit zu sagen. Aber wenn man das hört, denkt man: «Wow. Was hat das zu bedeuten?»

Das Basler Bildrausch-Filmfestival ehrt Paul Schrader mit dem erstmals verliehenen Preis für visionäres Filmschaffen. Schrader selbst ist bis zum 3. Juni in Basel und am Festival dabei – auch bei vielen der Screenings der Filme, die anlässlich der Hommage an ihn und sein Schaffen gezeigt werden.
Mit im Gepäck und im Rennen um den «Bildrausch»-Filmpreis hat Paul Schrader selbstverständlich seinen neusten Film «First Reformed», der am Freitag um 19.15 Uhr im Stadtkino Schweizer Premiere feiert. Am Sonntag, 3. Juni läuft er ein zweites und bis auf weiteres letztes Mal: Bis jetzt gibt es kein Schweizer Release-Datum.

Autor und Regisseur Paul Schrader hält zudem einen Vortrag über sein neu aufgelegtes, erweitertes und stellenweise neu gedachtes Standardwerk «Transcendental Style in Film» (1972, rundum erneuerte Auflage 2018). Schraders öffentlicher Vortrag «Rethinking Transcendental Style» findet am Samstag 2. Juni, um 16.15 Uhr, im Stadtkino Basel statt. Der Eintritt ist frei – Gratistickets sind an der Kinokasse zu beziehen.

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