«Die Menschen bezahlen nicht für Inhalte. Sie bezahlen für das Unkopierbare»

Wir klagen zuviel und wagen zuwenig. Autor Dirk von Gehlen glaubt an die Möglichkeiten des Internets – und hält wenig von der Jammerei über die «Generation gratis».

Dirk von Gehlen ist Leiter von Social Media bewi (Bild: Gerald von Foris)

Wir klagen zuviel und wagen zuwenig. Autor Dirk von Gehlen glaubt an die Möglichkeiten des Internets – und hält wenig von der Jammerei über die «Generation gratis».

Dirk von Gehlen, Ihr neues, noch ungeschriebenes Buch mit dem Titel «Eine neue Version ist verfügbar» hat die «Verflüssigung» von Kultur zum Thema. Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Wir wurden alle damit (zeigt auf einen «Tages-Anzeiger» vor sich) sozialisiert und meinten, das Papier sei der Inhalt. Und wir lagen falsch: Der Inhalt ist schwer greifbar, der Inhalt ist nicht fest, der Inhalt ist flüssig. Ich versuche das in einem Bild zu fassen: Früher wurden Kunst und Kultur in Eisblöcken verteilt. Seit wir mit der historischen Ungeheuerlichkeit der Digitalisierung konfrontiert wurden, die zum ersten Mal in der Geschichte der Menschen den Inhalt vom Datenträger löste, taut das auf.

Und was heisst das für einen Autoren, der ein Buch schreibt?

Meine These: Der Prozess des kreativen Schaffens wird ins Zentrum rücken, nicht mehr alleine das Ergebnis wird etwas zählen. Schreiben ist mystifiziert, findet im stillen Kämmerlein statt. Ich will das aufbrechen, ich lasse meine Hosen runter und zeige, während ich schreibe, wie ich schreibe. Das ist die Idee meines Buches: Ich präsentiere eine Idee und suche nach Leuten, die bereit sind, mir bei der Realisierung dieser Idee zu helfen. Im Gegenzug erhalten sie am Ende ein E-Book oder eine Papierausgabe. Aber eben auch Zugang zu meinem Schreiben, zum Prozess, zu den Versionen. Ich will wissen, ob das funktioniert, ob es Leute gibt, die bereit sind, dafür Geld auszugeben.

Nehmen wir an, das Experiment funktioniert und das Geld kommt zusammen. Das System wird am gleichen Fehler kranken wie das heutige: Nur wer wie Sie bereits bekannt ist, bekommt Geld im Voraus.

Diesen Zweifel hört man immer wieder, wenn es um Crowdfunding geht. Ich finde den Einwand aber nur bedingt berechtigt, weil er für jedes System zutrifft. Jeder Künstler, jeder Musiker, jeder Schriftsteller musste sich immer schon Öffentlichkeit schaffen. Und das ist heute viel einfacher. Ich muss nicht totaler Mainstream sein, um eine Plattenfirma zu überzeugen, ich muss nicht den Interessen eines Verlages gehorchen. Wenn ich genügend Leute irgendwo da draussen von meiner Idee überzeugen kann, dann kann ich sie umsetzen. Man muss sich eben seine Nischen suchen, sein eigenes Fachpublikum. Als beispielsweise die Besprechung meines ersten Buches «Mashup» auf Netzpolitik (einem der grössten und meistgelesenen deutschen Blogs, Red.) verlinkt wurde, war der Vorrat bei Amazon innert kurzer Zeit ausverkauft. Das geschah mir nicht bei den anderen Besprechungen in den konventionellen Medien.

Es gibt viele Warner und Mahner, die die Demokratisierung unserer Kultur mit dem Niedergang unserer Kultur gleichsetzen. Andrew Keen zum Beispiel: Er sagt, Kultur sei per se ein elitäres Konzept und könne nicht von Amateuren geschaffen werden. Warum hat er Unrecht?

Es gibt tausend Argumente, warum er falsch liegt. Ich habe mir aber angewöhnt, diese Frage andersherum zu beantworten. Es mir völlig wurscht, wie man die heutige Situation bewertet. Sie ist einfach da. Ich bin ein Journalist, ich arbeite bei einer Zeitung und ich muss mich den Gegebenheiten anpassen, wenn ich in meiner Branche überleben will. Digitale Kopien werden nicht mehr verschwinden, das Internet lässt sich nicht mehr zurückdrängen – und damit muss ich mich auseinandersetzen. Natürlich ist die Bewertungsdebatte von Keen und den anderen spannend, aber sie führt nicht weiter. Nur weil wir etwas schlecht reden und es blöd finden, verschwindet es nicht einfach wieder.

Und inhaltlich liegen die Kritiker ebenfalls daneben?

Ja. Das ist der Verteidigungskampf jener, die sich jahrelang nicht begründen mussten. Deren einzige Begründung war, dass nur sie es waren, die publizieren konnten. Von Clay Shirky, einem amerikanischen Autor, stammt das Zitat: «Publishing is not a Job. It’s a button.» Und das macht den bekannten und etablierten Publizisten Angst. Sie müssen auch bei null Followern auf Twitter anfangen, müssen Aufmerksamkeit neu begründen.

Also macht der demokratisierte Zugang zu Kunst und Kultur den Wettbewerb einfach viel härter?

Ebenfalls von Shirky stammt das Zitat: Du bist nur das, was du zuletzt veröffentlicht hast. Wir stehen jetzt am Anfang eines Prozesses mit ungewissem Ausgang. Neue Formen, neue Konstellationen und neue Bezahlmodelle werden entstehen. Man darf die Vergangenheit nicht glorifizieren. Freunde von mir arbeiten in der Filmbranche und ihre hassenswertesten Feinde sind die Redakteure beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Die entscheiden nach nicht nachvollziehbaren und nicht transparenten Kriterien, welcher Film gefördert wird und welcher nicht. Da ist doch ein System besser, in dem von Anfang an klar ist, wofür ich stehe, was meine Idee ist und ich auslote, ob es jemanden gibt, der dafür bezahlen möchte.

Das tönt ziemlich anstrengend.

Vermutlich war das angenehmer in der schönen Alten Welt. Aber es geht nicht darum, ob ich in die 70er-Jahre zurückwill. Es geht darum, ob ich dahin zurück kann. 

Sie sind nicht nur freischaffender Autor, Sie leiten auch die Abteilung «Social Media» bei der Süddeutschen Zeitung. Was müssen bezahlte Zeitungen tun, damit sie auch noch in zehn Jahren existieren?

Wir unterschätzen den gesamten Social-Media-Aspekt. Ein Fussball-Beispiel: Wir sind zwar auch Fans eines Vereins wegen der Stars, aber die wechseln oft. Viel wichtiger sind die anderen Fans, das Gemeinschaftserlebnis. Wir dürfen Medien nicht mehr länger als Kanäle, sondern als Räume verstehen. Die Leute gehen nicht in einen Club, weil die Bier, Musik oder Toiletten haben – das ist die Voraussetzung. Die Leute gehen in einen Club, weil dort andere coole Leute hingehen. Es gibt Marken und Codes, die die Menschen untereinander verbinden und das kann auch bei Zeitungen funktionieren. Die Medien werden vermutlich dann eine gute Zukunft haben, wenn sie begreifen, dass sie ein zahlendes Publikum brauchen. Und dieses werden sie nur finden, wenn das Publikum sich wohlfühlt und weiss, wofür es etwas bezahlt.

Früher glaubten die Verleger, die jungen Leser würden irgendwann vom kostenlosen «20 Minuten» auf eine bezahlte Zeitung umsteigen. Wie konnte dieser Denkfehler entstehen?

Es war nur ein halber Denkfehler, weil bis die Digitalisierung mit voller Wucht zuschlug, funktionierte das. Aber es war wohl schon damals ein Fehlschluss: Die Menschen zahlen nicht für unsere Inhalte, auch wenn wir Journalisten das natürlich alle gerne hätten, die Menschen zahlen für das Unkopierbare. Früher haben die Musiker CDs gemacht und sie auf Konzerten beworben. Heute ist es umgekehrt. Die Leute bezahlen für Dinge, die sich nicht verflüssigen lassen. Für Live-Erlebnisse. Seiner Lieblingsautorin, seinem Lieblingsautor beim Schreiben zusehen zu dürfen, wäre wie das Konzert eine Band.

Wenn alles immer live ist, enden wir in einer Echtzeit-Gesellschaft.

Ich experimentiere, ich tippe im Dunkeln, und vielleicht liege ich auch irre falsch. Nehmen wir Twitter. Ich dachte immer, ich sei ein extremer Fan von Twitter, aber kürzlich hatte ich Kontakt mit dem englischen Fussball-Kollegen, der ist wirklich begeistert. Er meinte, alle technischen Neuerungen könne man wegschmeissen – ausser Twitter. Das gibt ihm einen neuen Hebel, das öffnet was für ihn. Fussballspiele bekommen mit Twitter eine neue Ebene. Es steckt total viel drin in der Echtzeitdimension. Heute gibt es Software, die uns sagen kann, wieviele Leute jetzt im Moment einen Text auf unserer Website lesen. Warum nutzen wir das nicht? Wir müssen nicht immer lamentieren, man solle zu den vergangenen Zeiten zurückkehren. Wir müssen die Chancen nutzen!

Ganz ehrlich: Ich finde die Angst nicht ganz unverständlich, die gewisse Journalisten und Künstler vor der Echtzeit-Gesellschaft haben.

Ich auch. Aber, was folgt daraus? Für Journalisten ist es nicht entscheidend, ein neues Redaktionssystem zu können. Sondern neu zu denken. Und das gilt nicht nur für Journalisten. Sondern auch für Anwälte, Ärzte, Lehrer, die sich von ihren Schülern bewerten lassen müssen. Es gilt für alle, die Öffentlichkeit erreichen möchten. Und da will ich lieber mitgestalten, als es mir von anderen erklären zu lassen.

Was halten Sie von den Klagen über die «Generation gratis»?

Sie stimmen nicht. Nehmen Sie Rapidshare in Cham (ZG). Die machen Geld mit Inhalten. Die Leute bezahlen bei Rapidshare für die Infrastruktur, weil sie Inhalte wollen. Oder nehmen Sie das Mobiltelefon. Man bezahlt irrsinnig viel Geld für diesen Bilderrahmen, hat aber noch keinen einzigen Song drauf. Im Budget der «Generation kostenlos» hat das Mobiltelefon den grössten Beitrag aufgefressen.

Die Geldflüsse verschieben sich.

Ja. Und wir müssen beobachten, wohin. Das ist irre schwierig, weil die alten Geschäftsmodelle noch funktionieren und die neuen erst am Anfang stehen. Das ist ein Veränderungsprozess, der jetzt beginnt.

In der Schweiz beginnt dieser Prozess auch institutionell, das Urheberrecht soll revidiert werden. Verfolgen Sie die Debatte?

Ich hatte sie bis jetzt nicht auf dem Schirm, werde das aber ändern. Soviel ich bereits weiss, hat die Schweiz heute schon ein sehr liberales Urheberrechtsgesetz. Davon könnte Deutschland echt was lernen.

In der gedruckten Ausgabe der TagesWoche vom 24. August: «Generation gratis» – Macht das Internet Schmarotzer aus uns? Ist das Jammern über die Gratismentalität berechtigt? Muss der Staat strengere Regeln aufstellen? Die Debatte läuft schon länger – jetzt beginnt sie auch in der Schweiz.

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