Einst war Andreas Burckhardt Vollblutpolitiker. Heute ist er Präsident der Bâloise und darf nur noch «formell impulsiv» sein. Gegen Basel als Wohnort spreche einiges, sagt er.
Es ist das erste Wiedersehen nach anderthalb Jahren, das erste seit Andreas Burckhardt Verwaltungsratspräsident der Bâloise ist und nicht mehr Politiker. Und wir sind ein bisschen irritiert. Denn der 61-Jährige ist kaum mehr wiederzuerkennen. Vorsichtiger scheint der frühere Handelskammer-Direktor geworden zu sein – und auch etwas gelassener. Von Amtes wegen.
Das war bis vor Kurzem anders. 30 Jahre war Burckhardt in der Basler Politik, davon 14 Jahre im Grossen Rat. «Abu», wie er von vielen genannt wird, war ein leidenschaftlicher Debattierer, der gerne und gut austeilen konnte. Grossartig waren vor allem seine Duelle mit dem heutigen SP-Nationalrat Beat Jans. Im Januar 2011 zog er sich wegen seiner neuen Funktion bei der Bâloise aus der Politik zurück. Im Gespräch erzählt er, wie sich sein Leben seither verändert hat und wieso es den Daig nicht gibt.
Herr Burckhardt, wie fühlt es sich an, ganz oben zu sitzen und so viel Macht zu haben?
Das ist keine Frage der Macht, sondern vielmehr eine Frage der Verantwortung. Wenn Sie aber das meinen: Es geht mir gut als Verwaltungsratspräsident der Bâloise. Der Job ist spannend. Ich wusste ja auch, was auf mich zukommt, zumal ich bereits zwölf Jahre im Verwaltungsrat des Unternehmens sass.
Sie haben nun aber eine ganz andere Rolle.
Die Rolle des Präsidenten des Verwaltungsrats ist schon eine andere als die eines Verwaltungsratsmitglieds. Ich habe mich jedoch bestens eingelebt und bin froh, dass es der Bâloise gut geht. Wir sind eine solide Gesellschaft mit einer soliden Entwicklung.
Trotz der Krise?
Unser Gewinn brach letztes Jahr um 86 Prozent ein. Unter anderem, weil wir bei den Euro-Staatsanleihen Abschreibungen machen mussten. Die Entwicklungen der Börse und Zinsen bereiten mir Sorgen. Dennoch sind wir dank unserem soliden Versicherungsgeschäft eine starke Firma. Die Halbjahreszahlen werden Ende August publiziert.
Das Hotel Hilton am Aeschengraben steht auf wackligen Füssen. 2016 läuft der Mietvertrag mit der Bâloise aus. Wissen Sie schon, ob das Hotel abgerissen wird oder renoviert?
Wir sind im Gespräch mit dem Kanton. Wir befürworten momentan eher einen Neubau und keine Renovation. Hier gibt es verschiedene Varianten. Eine davon ist, dass der Centralbahnplatz grösser wird und wir im neuen Hotelgebäude auch Büros unterbringen. Es ist aber noch nichts spruchreif. Zudem stellt sich die Frage, mit wem der Pachtvertrag abgeschlossen werden soll.
Sie haben also Vorbehalte gegenüber dem Hotel Hilton?
Nein, habe ich nicht. Wir haben einfach noch nicht darüber gesprochen. Wenn Sie persönlich mir jetzt sagen würden, Sie möchten bei der Bâloise arbeiten, hab ich weder Vorbehalte, noch ist etwas unterschrieben.
Schön, dass Sie mir einen Job anbieten.
(lacht) Ich wollte damit sagen, dass wir noch verhandeln und uns in einem neuen Vertrag einig werden müssen. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir eine Lösung finden.
Ihr Leben muss ruhiger geworden sein. Sie sind nicht mehr oft an gesellschaftlichen Anlässen oder in den Beizen anzutreffen.
Ich bin in der Tat mehr zu Hause – meine Frau kann das bestätigen. Ich habe ja nun auch eine ganz andere Funktion und mache ganz andere Sachen. Als Handelskammer-Direktor gehörte es dazu, an vielen Anlässen teilzunehmen, um sich auszutauschen und sich eine Meinung bilden zu können. Heute habe ich mehr eine firmeninterne Funktion. Zudem bin ich auch nicht mehr viel unterwegs, weil ich nicht mehr Politiker bin.
Als Politiker waren Sie für Ihre emotionale Art bekannt. Im Grossen Rat gingen Sie nicht selten vor Wut an die Decke und bekamen einen knallroten Kopf. Sind Sie als Verwaltungsratspräsident auch so impulsiv?
Man kann auch formell impulsiv sein.
Aber es fällt Ihnen bestimmt sehr schwer, so still sein zu müssen.
Ich bin nicht mehr der pointierte Politiker oder Handelskammer-Direktor, der alles sagen kann. Was sich bestimmt aber nicht geändert hat, ist, dass ich versuche, Klartext zu reden.
Vermissen Sie die Politik denn gar nicht – vor allem jetzt im Wahljahr?
Ich war lange genug in der Politik. 30 Jahre sind eine Dauer, die dazu berechtigt, sich zurückzuziehen. Ich mache mir nach wie vor meine Meinung – deshalb bin ich nicht ganz weg von der Politik. Aber ich äussere sie nicht mehr überall, weil es nicht mehr so angebracht ist.
Kein bisschen?
Ich äussere meine Meinung dort, wo ich es notwendig finde. Ich muss die Regierung nun auch nicht mehr als Parlamentarier kritisieren oder überwachen. Ich trage nun eine Verantwortung für eine Firma. Ich stelle in der Bâloise kontrollierende, wegweisende Fragen. Das ist ganz anders als in der Politik. Dort macht man ja auch viel Lärm um des Lärms willen. Man kann als Präsident einer europaweit wichtigen Versicherungsgesellschaft nicht mehr zu allem seinen Senf geben.
Machen Sie doch eine Ausnahme. Für uns. Was stört Sie an der Politik in Basel? Sie können die Entwicklung nun aus der Distanz betrachten.
Dass wir es einfach nicht hinkriegen, im Interesse des Kantons parteiübergreifend gemeinsam für Anliegen hinzustehen. Vielmehr stellt man lieber die Unterschiede über die Gemeinsamkeiten. Das gilt für die bürgerliche als auch für die linke Seite.
Konkreter?
Wenn wir uns hauptsächlich über Ruhezeiten der Gartenbeizen, Lärm und Fragen im Sicherheitsbereich aufregen, dann haben wir uns die Grundfrage eines gesunden Wirtschaftsstandorts nicht gestellt. Wenn es einer Mehrheit immer noch egal ist, dass Firmen, die hier Arbeitsplätze schaffen, verglichen mit anderen Schweizer Standorten schlecht behandelt werden, dann …
Womit wir beim Thema Senkung der Unternehmensgewinnsteuern wären, die im Juni vom Stimmvolk bachab geschickt wurde…
… wird es eines Tages zu spät für alles sein. Dann müssen wir feststellen, dass wir hinterherhinken, keine Firmen mehr nach Basel ziehen und dem Kanton das Geld für Bildung, Infrastruktur und Sozialleistungen fehlt.
Logisch, als Bürgerlicher und Verwaltungsratspräsident einer grossen Versicherung müssen Sie das ja sagen.
Basels Politiker sind grundsätzlich bereit, den Wirtschaftsstandort zurückzustufen. Und wenn man das zulässt, wird es Folgen haben. Nicht von heute auf morgen, sondern längerfristig. Es ist die nächste Generation, die darunter leiden wird. Es wird schwierig werden, diese Entwicklung umzukehren. Die Politiker sind kurzsichtiger geworden und sie sind stärker auf die eigene, kurzfristige Profilierung ausgerichtet. Das sieht man bis in unsere Regierung. Wir hatten schon bessere.
Was stört Sie denn alles an der jetzigen Regierung?
(schweigt).
Werden am 28. Oktober alle bisherigen Regierungsräte gewählt?
Das werden wir dann sehen. Es gibt ungeachtet von der Partei Regierungsräte, die sehr gute Arbeit geleistet haben.
Sie meinen die drei Sozialdemokraten Eva Herzog, Hans-Peter Wessels und Christoph Brutschin?
Wie kommen Sie denn darauf? Damit wollen Sie mich doch einfach provozieren.
Sie sagten, ungeachtet von der Partei. Und es heisst doch immer wieder, die rot-grünen Regierungsräte würden die bessere bürgerliche Politik machen.
Jeder behauptet, die bessere Politik zu machen. Wir können dankbar sein, dass es drei Regierungsräte gibt, die eine gute Arbeit leisten. Und fragen Sie mich jetzt nicht nach Namen!
Wieso nicht?
Weil Sie mich jetzt als Präsidenten der Bâloise fragen. Und nicht an der Fasnacht. Wenn ich noch Grossrat wäre, hätte ich natürlich alle beim Namen genannt. Aber eben: Es gibt drei, die eidgenössisch und für den Kanton ihre Arbeit gut machen. Und es gibt solche, die zwar gute Arbeit leisten, die aber nicht meinen Vorstellungen entsprechen. Dann gibt es noch solche, mit denen die Öffentlichkeit auch nicht zufrieden ist.
Die Handelskammer beider Basel unterstützt die SP-Kandidaten, aber keinen SVP-Kandidaten. Können Sie dies als Ex-HKBB-Direktor nachvollziehen?
Ich war 17 Jahre lang Handelskammer-Direktor und habe das Amt so ausgeführt, wie ich es für richtig hielt. Mein Nachfolger Franz Saladin macht es nun auf seine Art. Ich werde mich nicht in Angelegenheiten meines Nachfolgers einmischen. Die Bâloise ist zudem im Vorstand der Handelskammer vertreten. Dort deponieren wir unsere Meinung.
Zuletzt gerieten Sie in die Schlagzeilen, weil Sie den FDP-Kandidaten Baschi Dürr nicht unterstützen wollten. Haben Sie sich mittlerweile wieder mit ihm versöhnt?
Ich muss mich nicht mit ihm versöhnen. Ich habe an der LDP-Parteiversammlung im Mai gesagt, dass ich Bedenken habe, ob Baschi Dürr in der Regierung teamfähig sein kann. Dazu stehe ich nach wie vor. Meine Partei hat anders entschieden. Das ist nicht schlimm. Jetzt hab ich noch meinen Stimmzettel, um meine Meinung kundzutun.
Es ist ziemlich altmodisch und übertrieben, jemanden nicht unterstützen zu wollen, weil er den Militärdienst verweigerte.
Moment! Ich habe an der Versammlung verschiedene Fakten genannt, weshalb Baschi Dürr meiner Meinung nach nicht teamfähig ist. Sein Verhalten im Militär gehört dazu.
Es fällt uns schwer zu glauben, dass dies nicht der Hauptgrund war. Sie sind ein Militärkopf. So waren Sie einst Oberst des Stadtkommandos.
Das ist hier nicht das Thema. Zudem gibt es noch andere Dienstverweigerer in der Regierung. Dass ich ihn wegen Militärdienst-Verweigerung nicht unterstütze, war die Interpretation von Baschi Dürr. Er hat einen Journalisten instrumentalisiert und behauptet, ich hätte deswegen etwas gegen ihn. Dabei habe ich das nie so gesagt.
Vielleicht wollten Sie sich zudem rächen, weil Herr Dürr vor sieben Jahren von der LDP zur FDP wechselte.
Das war die falsche Interpretation von einigen. Ich hab klar gesagt, dass er ein guter Parlamentarier ist – aber kein guter Regierungsrat wäre. Wenn jemand mit etwas in der Partei nicht einverstanden ist und den Bettel hinwirft, wie kann diese Person dann in einem Team Lösungen erarbeiten und diese mittragen?
Wechseln wir das Thema. Sie sind für eine Fusion, jedoch nicht im Komitee vertreten. Weshalb?
Was jetzt läuft – das Sammeln von Unterschriften für eine Initiative – ist eine reine politische Sache, die an den Politikern liegt. Es wäre falsch, wenn ich als Wirtschaftsmann in diesem Stadium in einem Komitee dabei wäre. Umso mehr, als meine Meinung aus meinen früheren Äusserungen bekannt ist.
Warum sollten die beiden Kantone ausgerechnet jetzt fusionieren?
Es wäre doch viel einfacher, wenn man einen Raum mit einer einheitlichen Regelung hätte.
Das Interesse der Basler Bevölkerung daran scheint nicht mehr so gross zu sein, zumal Baselland wegen seiner finanziellen Situation unattraktiv geworden ist.
Ich glaube vielmehr, dass man in Basel nicht mehr gross über die Fusion spricht, weil es derart selbstverständlich ist. Der Wunsch der Basler nach einer Region ist wohl immer noch gleich gross.
Wird es dieses Mal klappen?
Das kommt wohl mehr auf das Baselbiet darauf an. Ich glaube, dass sich dort nicht mehr dieselben Mehrheiten finden werden gegen eine Fusion wie im Jahr 1969.
An einem Anlass, so sagte man uns, haben Sie offenbar massiv über Basel geflucht und gesagt, Sie würden am liebsten wegziehen. Alles sei grausam in dieser Stadt. Wieso so negativ?
Man sagt vieles. Aber ich kann auch Basler sein, wenn ich in Binningen oder im Elsass leben würde. Wenn unsere Kinder mal alle ausgezogen sind, ist es nicht zwingend nötig, dass wir hier in diesen 37 Quadratkilometern bleiben.
Weshalb?
Basel hat eine falsche Ausgabenpolitik. Zudem ist die Verkehrssituation hier ebenfalls nicht die beste. Beispielsweise kann ich nicht nachvollziehen, weshalb die Elisabethenstrasse künftig für Autofahrer in Richtung Kleinbasel gesperrt wird oder man sich so schwer mit neuen Parkhäusern tut. Man will die Stadt immer mehr verkehrsuntüchtiger machen. Für einen Wirtschaftsstandort ist das doch nur schädlich. Man verhindert die Anbindung für Leute, die hier arbeiten. Da muss ich mich schon fragen, ob Basel der richtige Ort ist, um meine Einkommenssteuer abzuliefern.
Sie meinen Ihren Lohn von rund 880 000 Franken bei der Bâloise?
Sie lesen unseren Geschäftsbericht. Es gibt nun mal Entwicklungen in diesem Kanton, die mir Mühe machen. Wenn ich nochmals entscheiden könnte, wo ich wohnen will, wüsste ich nicht, ob es wieder Basel wäre.
Das wäre komisch. Sie gehören zum Daig.
Den Daig gibt es nicht.
Wie bitte?
Das behaupten nur Menschen, die nicht dazugehören und gerne Teil davon wären.
Ich will dort garantiert nicht dazugehören. Zu altmodisch und konservativ stell ich mir den vor.
Dann sagen Sie mir, was der Daig ist.
Sie sind ja die Person, die den Daig hautnah kennt.
Wenn ich doch sage, es gibt ihn nicht! Es gibt in jeder Stadt Beziehungsgruppen – sei es über die Geschichte, soziale Schicht, Firma, Herkunft, Haarfarbe und was weiss ich. Vom Daig redet man in der Regel, wenn man Leute meint, die schon lange in Basel leben. Hätten Sie es lieber, wenn man Sie nach Ihrer Familie oder nach Ihnen selbst beurteilt?
Es scheint Sie zu stören, in diese Schublade gesteckt zu werden.
Ich kann nicht ändern, dass man mich schubladisiert. Ich glaube aber, die richtige Art, jemandem zu begegnen, ist ihn als Person wahrzunehmen – und ihn nicht nach seiner Herkunft zu definieren.
Geschadet hat Ihnen Ihre Herkunft jedoch nicht.
Sehen Sie! Das ist ein Vorurteil. Wir haben alle die Tendenz, uns gegenseitig auf Funktionen zu reduzieren. Klar hat es mir manchmal ein bisschen genutzt, Burckhardt zu heissen. Manchmal hat es mich aber auch einfach gestört.
Wann zum Beispiel?
Im Kindergarten von der Kindergärtnerin vorgeführt zu werden und der gesamten Klasse zeigen zu müssen, wie sich altes Baseldeutsch anhört, ist nicht lustig. Als Vierjähriger ist man noch nicht selbstbewusst genug, man hat das Gefühl, es stimme mit einem etwas nicht. Später hatte ich das Selbstbewusstsein für meinen Dialekt, so dass ich mich nicht mehr anpassen wollte. Ich rede nun mal so, wie ich rede.
Die LDP ist seine politische Heimat. Von 1981 bis 1989 war Andreas Burckhardt Bürgergemeinderat und von 1989 bis 1997 Bürgerrat und Präsident des Bürgerspitals. 1997 folgte der Wechsel in den Grossen Rat. Seine politische Laufbahn krönte «Abu» 2006/2007 mit dem Grossratspräsidium. Von 1994 bis 2011 war er Direktor der Handelskammer beider Basel. Im April 2011 wurde der Jurist zum Präsidenten des Verwaltungsrats der Bâloise gewählt. Burckhardt ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Der 61-Jährige lebt im Neubad-Quartier und ist Pfeifer der Clique Revoluzzer.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.08.12