Die vergessene Partei

Ueli Leuenberger, abtretender Präsident der Grünen, hat ein paar klärende Worte zum schlechten Wahlergebnis seiner Partei. Zu genügsam sei man gewesen, zu bequem. Nun müssten die Grünen ihre Positionen überprüfen – und anpassen.

«Die Partei muss erwachen.» Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen, allein im Bundeshaus. (Bild: Nadja Frey)

Ueli Leuenberger, abtretender Präsident der Grünen, hat ein paar klärende Worte zum schlechten Wahlergebnis seiner Partei. Zu genügsam sei man gewesen, zu bequem. Nun müssten die Grünen ihre Positionen überprüfen – und anpassen.

Gibt es die Grünen noch? Seit ihrer Wahlniederlage im Oktober ist die Partei aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verschwunden. In der Partei selber, da brodelt es dagegen. Der scheidende Parteipräsident Ueli Leuenberger wurde hinter vorgehaltener Hand für den Misserfolg verantwortlich gemacht. Das lässt Leuenberger aber nicht auf sich sitzen.

Herr Leuenberger, haben Sie den Oktober schon verdaut?

Ueli Leuenberger: Wir sind noch im Prozess der Aufarbeitung. Die Grünen gehören klar zu den Verlierern der Wahl, wir haben unser Ziel nicht erreicht. Ich will nichts schönreden, wir hatten grosse Einbussen. Aber wir haben immerhin das zweitbeste Resultat in der Geschichte der Grünen erreicht. Das beste hatten wir vor vier Jahren, damals war ich auch schon im Präsi­dium der Partei.

Sagen Sie das bewusst? Nach der Niederlage gab es in der Partei Stimmen, die Sie für das schlechte Ergebnis verantwortlich machten.

Ja. Ich habe kein Problem mit harten Auseinandersetzungen. Mühe habe ich, wenn man von aussen schiesst, die Themen aber nicht in die Parteigremien einbringt. Unsere Wahlplattform wurde einstimmig angenommen. Übrigens auch die ganze Kampagne. Und nachher soll ich schuld an mangelhaften Inhalten der Wahlplattform sein? Es ist schon speziell: Gewinnt die Equipe, ist es das Verdienst der Equipe. Verliert sie, ist der Trainer schuld. Aber ich bin nun mal kein Trainer, dem die Spieler gehorchen. Ich bin Präsident einer sehr heterogenen Partei. Und ich habe das vertreten, was die Gremien beschlossen haben.

Was war denn das Problem?

Die Mobilisierung war viel zu schwach – und das kann man dem Parteipräsidenten kaum vorwerfen. Ein Teil der Verantwortlichen war etwas geblendet vom Erfolg 2007. Damals war die Klima­debatte das bestimmende Thema und die Grünen wurden von den Medien gehätschelt wie bei den aktuellen Wahlen die Grünliberalen. Es brauchte damals keinen wahnsinnigen Aufwand für unseren Erfolg.

Waren Sie zu bequem?

Was hätte ich anders machen können? Zusammen mit der Parteileitung haben wir immer wieder mobilisiert. Ich war an vielen Orten und in den Me­dien präsent, habe auch meine 2000 Unterschriften für unsere Initiativen gesammelt und in meinem Umkreis die Leute mobilisiert. Unsere Partei muss nun erwachen, unsere Basis muss erwachen! Unsere Amts- und Würdenträger haben sich im Wahlkampf wenig und teilweise nicht engagiert. Aber ich brauche unsere Regierungsräte, unsere Grossräte, unsere Gemeinderäte und die Vorstandsmitglieder der Kantonal- und Ortssektionen. Ich brauche sie auf der Strasse! So entsteht Dynamik, so werden auch die einfachen Parteimitglieder viel besser mobilisiert. Das muss ein Teil der Partei wieder lernen.

Erleben die Grünen nicht den normalen Lauf der Dinge? Gestartet als Randgruppe, haben es sich ihre Vertreter in den Institutionen gemütlich gemacht. Das ist auch schon anderen Parteien passiert.

Das ist eine Krankheit, die uns droht. Wir sind eine Partei ohne Geld, gerade darum ist das Engagement der Mitglieder so wichtig. Wenn nun die gleichen Amtsträger, die sich nicht am Wahlkampf beteiligen, wenigstens tiefer in ihr Portemonnaie greifen würden, dann könnten wir das etwas kompensieren. Aber das machen die meisten auch nicht. Ich habe kein einziges Inserat schweizweit schalten können. Kein einziges!

Von aussen betrachtet, sind die Grünen ein relativ disparater Haufen. Grüner, linker, bürgerlicher, mehr in die Mitte – wohin wollen die Grünen eigentlich?

Ich kann mich nur wiederholen: Wir brauchen ein breites grünes Dach, unter dem möglichst viele Ideen Platz haben. Das wird auch eine Hauptaufgabe meiner Nachfolgerin, meines Nachfolgers bleiben müssen: diesen Club zusammenzuhalten. Wir hatten an unserer Delegiertenversammlung spannende Diskussionen über unsere politische Ausrichtung. Es gibt eine kleine Minderheit, die gegen die Mitte rücken möchte. Mein Ansatz ist ein anderer: Wir müssen unsere Positionen analysieren und überarbeiten. Dann wird der allmächtige Gott Smartvote darüber entscheiden, ob wir etwas rechter oder etwas linker positioniert sind. Ein Postulat im Sinne von «wir müssen in die Mitte, weil die Mitte Erfolg hat» lehne ich ab.

Was uns zu den Grünliberalen führt. Wie wollen Sie mit der GLP umgehen? Ignorieren und auf die Wahlen in vier Jahren hoffen?

Wir haben die Grünliberalen nie ignoriert und werden das auch nie tun. Die GLP wird nun eine interessante Findungsphase erleben: Die Fraktion ist grösser und heterogener und ihr Präsident muss in Zukunft mehr Dinge teilen. Grundsätzlich bin ich für eine grösstmögliche Zusammenarbeit. So, wie ich das in Umweltfragen mit der CVP versucht habe. Leider scheiterte diese Zusammenarbeit, weil einige Mitglieder in meiner Fraktion bei den Bundesratswahlen 2009 nicht Urs Schwaller (CVP) die Stimme gegeben haben und stattdessen Didier Burkhalter (FDP) gewählt wurde. Wäre es damals anders gelaufen, hätten wir heute zwei CVP-Bundesräte und im Dezember vielleicht den ersten grünen Bundesrat. Aber das sind Hypothesen.

Reden wir also über den Bundesrat. Ein Grüner wird nicht Bundesrat, wer sonst?

Ich persönlich plädiere für den Status quo. Ich bin mir noch nicht sicher, ob diese Haltung in unserer Fraktion eine Mehrheit finden wird, hoffe es aber. Es wäre für einen grossen Teil der Bevölkerung und für einen grossen Teil unserer Wählerschaft unverständlich, wenn das Parlament Eveline Widmer-Schlumpf wieder abwählen würde. Ich habe persönlich mitgeholfen, dass sie anstelle von Blocher gewählt wurde. Sie nun wieder abzuwählen, halte ich politisch für unverantwortlich. Widmer-Schlumpf hat keine grossen Fehler gemacht, eher im Gegenteil. Sie gehört zur Mehrheit im Bundesrat, die einen Atomausstieg möglich gemacht hat und für die Energiewende mit einer ökologischen Steuerreform eintritt. Und sie gehört zu einem Bundesrat, der besser funktioniert als auch schon.

Und was wollen Sie mit der SVP machen?

Die haben das vor vier Jahren verlauert, die brauchen im Moment keinen zweiten Sitz im Bundesrat. Die SVP hat noch nicht gezeigt, dass sie ihre Art zu politisieren ändern würde. Sie hetzt mit ihren Initiativen laufend einen Teil der Bevölkerung auf einen anderen, will die Bilateralen bodigen und hilft nicht mit, die flankierenden Massnahmen zu verschärfen. Sie geht bei allen Themen auf Konfrontationskurs. Auch wenn sie jetzt mit ihrem zahmsten Schäfchen antreten, ändert das nicht. Es bleibt die SVP. Die sollen jetzt noch ein bisschen warten.

In einer Konkordanz muss man doch andere Meinungen aushalten können.

Natürlich! Aber Konkordanz war schon immer ein Mix zwischen Mathematik und Inhalt. Es geht um die Art und Weise, wie man miteinander politisiert. Nehmen Sie die Geschichte der Von-Wattenwyl-Gespräche. Früher haben die Parteien dort mit dem Bundesrat grosse Projekte wie die AHV-Revision aufgegleist, heute geschieht dort gar nichts mehr – vor allem wegen der SVP. Zudem ist die FDP nicht genügend eingebrochen, als dass man ihr jetzt einen Sitz absprechen könnte. Darum sehen wir in vier Jahren weiter, nach den nächsten Wahlen.

Man könnte doch der SVP einen Sitz bei der nächsten Vakanz versprechen.

Ich hoffe, es gibt vorher keine Vakanz. Eine Regierung tritt für vier Jahre an. Stellen Sie sich vor, wir hätten in den Städten oder den Kantonen einen ähnlichen Turnus wie im Bundesrat – da wäre es unmöglich zu regieren!

Es ist speziell, Sie so reden zu hören. Sie waren an der Absetzung von Bundesrat Blocher beteiligt.

Diese Abwahl war wahnsinnig wichtig. Es war eine Notsituation: Dieser Mann musste raus aus der Regierung. Aber so eine Nachtaktion wie bei Blocher muss die Ausnahme bleiben. Es darf nicht sein, dass derart wichtige Entscheide erst in der Nacht vor einer Wahl fallen. Darum will ich, dass die Parteien aus dem Busch kommen und frühzeitig erklären, ob sie Eveline Widmer-Schlumpf unterstützen. Das können sie schon jetzt entscheiden.

Das scheint doch heute schon klar. SVP und FDP sind gegen Widmer-Schlumpf, der Rest für sie.

Es ist überhaupt nicht klar. Es laufen noch zu viele Spielchen! Die Fraktionen sollen sich klar äussern: Widmer-Schlumpf, ja oder nein. Ein zweiter SVP-Sitz, ja oder nein. Eine Abwahl von Johann Schneider-Ammann, ja oder nein. Dann gibt es eine öffentliche Debatte, dann sind die Mehrheiten klar und dann braucht es auch keine Nacht-und-Nebel-Aktion, die unserer Demokratie abträglich ist. Dieses Mal könnten wir den Bundesrat wählen, ohne in derartige Manöver zu geraten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11

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