«Ein staatlicher Betrieb wie das Kunstmuseum muss jederzeit Rechenschaft ablegen können»

Josef Helfenstein, der Direktor des Kunstmuseums Basel, atmet auf: Sein unterfinanziertes Haus bekommt zwei Millionen Franken mehr Betriebsmittel. Im Gespräch mit der TagesWoche führt Helfenstein aus, wie er das Museum auf Kurs bringen will.

«Wenn wir nicht so effizient wie möglich arbeiten, dann haben wir auch weniger Ressourcen für das Künstlerische» – Kunstmuseumsdirektor Josef Helfenstein.

Josef Helfenstein, das Kunstmuseum Basel soll zwei Millionen Franken mehr im Jahr erhalten. Sind Sie zufrieden damit?

Zufrieden bin ich selbstverständlich. Das Entscheidende ist, dass die Betriebsanalyse bestätigt hat, was früher bereits bekannt war: nämlich, dass das Museum unterfinanziert ist. So gesehen bin ich froh über die Erkenntnis, aber auch nicht überrascht.

Was machen Sie mit dem zusätzlichen Geld?

Das müssen wir uns genau überlegen. Wir durften unsere Leute aus den einzelnen Abteilungen vor dem Regierungsratsbeschluss begreiflicherweise  nicht informieren. Jetzt stehen wir vor der Frage, wie wir diese Mittel am besten einsetzen können. Diese Entscheidung ist überhaupt noch nicht gefallen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir diese Mittel noch nicht haben, zuerst müssen sie definitiv bewilligt werden. Wir werden eingehend prüfen, wie wir diese effizient einsetzen können.

Aber es werden in erster Linie Personalkosten sein?

Das ist so.

Die Wirtschaftsprüfer haben 18 notwendige zusätzliche Vollzeitstellen eruiert. Eine interne Befragung im Museum kam aber auf 33 neue Stellen. Können Sie mit 18 Stellen also wirklich zufrieden sein?

Ich kenne kein Museum, das wunschlos glücklich ist in Bezug auf seine Finanzierung. Die zwei Millionen bedeuten immerhin fast eine Verdoppelung des für den Neubau benötigten zusätzlichen Betriebsbudgets. Und wir nähern uns damit dem an, was man – ohne jetzt die Details zu kennen – bereits 2010 berechnet hat. Das ist eine sehr gute Ausgangslage. Sie erlaubt uns, unsere Arbeit in die Zukunft zu ziehen.

2018 bekamen Sie einen Budgetnachtrag von 925’000 Franken, 2017 mussten Sie den Betrieb ohne Zusatzmittel stemmen. Wie haben Sie das geschafft?

Das fragen wir uns im Nachhinein alle. Aber es war für mich klar, dass wir beweisen mussten, dass wir dieses Museum auf einem hohen Niveau führen und unsere Visionen erfüllen können. Und da haben auch alle im Museum hervorragend mitgearbeitet.

«Viele der Umsetzungsforderungen aus der Betriebsanalyse sind bereits in intensivster Bearbeitung.»

Die Betriebsanalyse besagt ja nicht nur, dass Sie mehr Geld benötigen, um personelle Lücken zu schliessen. Sie gibt Ihnen auch eine ganze Menge an betriebsökonomischen Hausaufgaben mit auf den Weg. Hatte die finanzielle Unterdotierung zur Folge, dass Sie das Museum nur ungenügend führen konnten?

Das Museum befindet  sich seit dem 1. September 2016, als ich es übernommen habe, in einem Transformationsprozess. Das ist das Komplizierte an der Betriebsanalyse: Sie bildet einen Momentzustand ab, in unserem Fall einen Moment im Winter 2017/2018. Viele der Umsetzungsforderungen aus der Betriebsanalyse sind deshalb bereits in intensivster Bearbeitung, einige werden bereits umgesetzt, etwa das neue Shop-Konzept. Andere Forderungen sind nicht abschliessbar. Wir können endlos über die Preisgestaltung diskutieren: Sind die Eintritte zu teuer, sind sie zu billig? Wie können wir unsere Einnahmen insgesamt optimieren? Hier gibt es immer Raum nach oben.

Demnach wäre die Betriebsanalyse anders ausgefallen, hätte sie den Zustand vom Sommer 2018 abgebildet?

Ideal wäre natürlich gewesen, wenn man die Analyse vor dem Direktorenwechsel  gemacht hätte. Ich habe bereits vor meinem  Stellenantritt intensiv mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Wir hatten zum Beispiel bereits im September 2016 die beiden getrennt arbeitenden Restaurierungsabteilungen zusammengeschlossen, um der Abteilung insgesamt mehr Gewicht zu geben. Das war ein logischer Schritt, den heute niemand infrage stellt. Weitere Beispiele: Seit 2017 gibt es neu  eine Abteilung Programme, Bildung und Vermittlung. Zudem war mir klar, dass wir gewisse Task-Forces brauchen – zum Beispiel in den Bereichen  Provenienzforschung oder Digitalisierung.

Sie nennen jetzt vor allem Massnahmen im künstlerischen Bereich. An der Medienkonferenz zur Betriebsanalyse sprachen Sie davon, dass Sie die Spitze des Verwaltungsapparats neu definieren wollen. Einen neuen Finanzchef haben Sie bereits, Ende Jahr wollen Sie die Verwaltungsdirektion neu ausschreiben. Im Museum sollte es doch vor allem um Kunst gehen und nicht um die Buchhaltung?

Sie sprechen mir aus dem Herzen. Aber als Non-Profit-Unternehmen können wir uns im Management keine Schwächen leisten; wenn wir im technischen und administrativen Bereich sowie im Management nicht so effizient wie möglich arbeiten, dann haben wir auch weniger Ressourcen für das Künstlerische. Das ist die Transformation, die wir vollziehen müssen.

Ist es das, was die Betriebsanalyse anspricht? Dass die Abstimmung zwischen dem künstlerischen und dem administrativen Bereich ungenügend sei?

Diese Abstimmung ist wichtig. Aber gerade in diesem zentralen Bereich haben wir in den letzten zwei Jahren enorme Fortschritte erzielt. Das können wir auch belegen.

Sie mussten diese Fortschritte aber erst einleiten?

Eine möglichst effiziente Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen ist in jeder Organisation wichtig, und da können wir uns sicher noch verbessern.

«Besucherzahlen kann man nicht planen, sie bleiben eine Zielgrösse.»

Weitere Stichworte aus der Betriebsanalyse betreffen den Businessplan, den es nicht gibt, oder die Vollkostenrechnung, die eingefordert wird. Sie wehrten sich an der Medienkonferenz vom vergangenen Freitag dagegen. Warum?

Ich wehre mich nicht dagegen, ich möchte einfach vor zu hohen Erwartungen warnen. Businessplan oder Vollkostenrechnung klingen im ersten Moment vielversprechend. Ich habe mich an der Medienkonferenz vielleicht etwas ungeschickt ausgedrückt: Ich bin überhaupt nicht gegen Vollkostenrechnungen bei Sonderausstellungen. Wir haben aber sehr detaillierte und zuverlässige Budgets und eine Buchhaltung, die eine korrekte und verursachergerechte Abrechnung der Sonderausstellung liefert. Wir können eine Vollkostenrechnung implementieren, aber ich glaube nicht , dass diese zu entscheidenden Einsichten führen wird. Deshalb hat dies nicht die höchste Priorität.

https://tageswoche.ch/kultur/wurde-bei-der-betriebsanalyse-des-kunstmuseums-der-bock-zum-gaertner-gemacht/

Bevor Sie das Haus übernahmen, hat die Regierung die falsche Rechnung angestellt, dass die Stiftung für das Kunstmuseum 2,5 Millionen Franken jährlich an die Betriebskosten beitragen würde. Die Stiftung beharrte aber darauf, dass ihr Geld nur in Sonderausstellungen fliessen soll. Kann man denn das Ausstellungsbudget von den Betriebskosten so gut trennen?

Um das aufzuzeigen, wäre eine Vollkostenrechnung natürlich eine gute Voraussetzung. Wir sind ein grosses Museum mit einer riesigen Sammlung und anspruchsvollen  Sonderausstellungen, die nur dank Fremdfinanzierung zustande kommen. Diese Fremdfinanzierung – das sind mehrere Millionen pro Jahr – können wir eindeutig beziffern. Für die kommt die Stiftung auf. Aber wenn Sie eine Vollkostenrechnung anstellen für alle Ausstellungen, die wir zum Beispiel mit den Beständen des Kupferstichkabinetts machen, ist der administrative Aufwand nicht zu unterschätzen. Wir müssten aufzeigen, wie viel Zeit und Kosten zum Beispiel für alle an der Ausstellung Beteiligten (und das sind viele!) anfallen. Man kann das machen. Aber das ändert nichts daran, dass die Stiftung sagt, dass sie keine Löhne für fest angestelltes Personal bezahlt.

Wie ist es denn, wenn Sie bei Sonderausstellungen weniger Geld ausgeben, als Sie budgetiert haben? Das war im Jahr 2017 der Fall. Bringt Ihnen das etwas, oder müssen Sie die überschüssigen fremdfinanzierten Mittel zurückgeben?

Nein, es nützt uns sehr. Wenn wir von der Stiftung zugesagte Gelder nicht ausgeben, sind sie nicht verloren. Wir können sie im folgenden Jahr einsetzen. Je mehr wir die Stiftung schonen, umso sicherer ist ihr Fundament. Deshalb haben wir ein enormes Interesse daran, haushälterisch mit diesen Geldern umzugehen. Abgesehen davon sind Sonderausstellungen schwierig zu budgetieren. Wir budgetieren im Allgemeinen eher konservativ und  wollen so negative Überraschungen unbedingt vermeiden. Es ist auch ein wichtiges Zeichen an die Adresse der Donatoren.

«Sie werden sicher Verständnis dafür haben, dass ich diese Frage unbeantwortet lasse.»

Gilt dies auch für Firmensponsoren?

Selbstverständlich. Jeder Sponsor und Donator will wissen, dass mit den Geldern, die er zusagt, sorgfältig umgegangen wird.

Ein Teil der Mehrkosten fusst auf höheren Lohnkosten auf Direktionsebene. Wie viel verdienen Sie, Herr Helfenstein?

Sie werden sicher Verständnis dafür haben, dass ich diese Frage unbeantwortet lasse.

Also weiter: Die Betriebsanalyse fordert ein monatliches Reporting mit der Abteilung Kultur des Präsidialdepartements. Wird Ihre Autonomie da nicht stark beschnitten?

Das finde ich nicht. Wir haben dreimal im Jahr eine Tertialabrechnung, die zeigt, ob wir uns auf Kurs befinden. Das ist ein sinnvoller Rhythmus. Wenn mehr Reportings zuhanden der Abteilung Kultur eingefordert werden, dann werden wir dem selbstverständlich nachkommen. Ein staatlicher Betrieb dieser Grössenordnung muss jederzeit Rechenschaft ablegen können.

In regelmässigen Abständen taucht die Idee auf, das Museum zu privatisieren. Was halten Sie von dieser Idee?

Die Forderung, dass wir gleich behandelt werden wie zum Beispiel das Theater, also als subventionierter Betrieb, finde ich legitim. Das würde uns in verschiedenen Bereichen mehr Flexibilität geben. Aber ich denke, das ist eine Diskussion, die nicht ich zu führen habe. Die findet weiter oben statt.

Die SVP verlangt, dass die zwei zusätzlichen Millionen für das Kunstmuseum im Kulturbudget anderswo abgezwackt werden. Was halten Sie davon?

Ich hoffe, dass dies nicht der Fall sein wird. Wir wollen ja nicht anderen Institutionen etwas wegnehmen.

Wenn Sie ein Ausstellungsjahr planen, budgetieren Sie auch eine gewisse Besucherzahl. Wie sehr beeinflusst dieser Punkt Ihre Planung?

Es ist immer ein Balanceakt. Besucherzahlen kann man nicht planen, sie bleiben eine Zielgrösse. Der heisse und schöne Sommer 2018 war nicht vorausplanbar, er hat sich nicht positiv auf unsere Besucherzahlen und auf diejenigen anderer Museen ausgewirkt. Unsere Zielgrösse von 300’000 haben wir letztes Jahr klar übertroffen, werden wir dieses Jahr voraussichtlich aber nicht erreichen. Doch das ist für mich nicht entscheidend. Besucherzahlen haben auch mit dem Programm zu tun und fluktuieren. Unser Job als Manager ist, dass wir auf solche Entwicklungen reagieren und kein negatives Ergebnis ausweisen.

«Es ist nicht unsere Aufgabe, Blockbuster an Blockbuster zu reihen. Mir sind kleinere Ausstellungen ebenso wichtig.»

2017 hatten Sie ein überaus erfolgreiches Jahr mit 335’000 Besuchern, dank dem Blockbuster Chagall. Hoffen Sie jetzt auf Johann Heinrich Füssli?

Es war nicht nur die Chagall-Ausstellung, die viele Leute anlockte. Wir hatten letztes Jahr mit Cézanne und der Prado-Ausstellung viel Klassische Moderne und eine ziemlich konstante, erfreulich hohe Besucherzahl. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, Blockbuster an Blockbuster zu reihen. Mir sind kleinere Ausstellungen und dynamische Sammlungspräsentationen ebenso wichtig.

Das ist etwas, das das Kunstmuseum von der Fondation Beyeler unterscheidet?

Ja, ganz klar. Die Fondation Beyeler hat ja auch eine viel kleinere Sammlung.

Nächstes Jahr wird die Fondation mit den frühen Picassos aus der Rosa und Blauen Periode sicher wieder einen Blockbuster landen. Sind Sie da nicht etwas neidisch und sagen sich: Warum haben wir das nicht gemacht? Das Kunstmuseum hat ja einige wunderbare frühe Picassos in der Sammlung.

Wir werden eine Kubismus-Ausstellung zeigen, die es so noch nie zu sehen gab, was aus meiner Sicht für das Kunstmuseum wichtiger ist – eine Ausstellung auf hohem Niveau, in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou und dem Musée Picasso. Wir werden diese wichtige Kunstbewegung nicht auf einen Namen fixiert und so viel breiter präsentieren können. Und es wird klar werden, wie unglaublich bedeutend unsere Sammlung ist, auch mit Bezügen zu weiteren Kunstrichtungen – zum Futurismus, Orphismus oder Expressionismus. Ich freue mich sehr auf diese Ausstellung, die Eva Reifert bei uns vorbereitet.

Sie pochen auf Seriosität und wissenschaftlich fundierte Arbeit. Aber ein spektakulärer Blockbuster im Museum ist doch auch nicht schlecht?

Nein, sicher nicht. Je mehr ein Museum lebt, umso schöner ist es. Ich finde es aber genauso wichtig, Schüler und Kinder im Museum zu haben. Sonst besteht die Gefahr, dass die Vermarktung wichtiger wird als die Inhalte.

Sie wollen das Museum auch als Veranstaltungsort stärken. Bei der kommenden Füssli-Ausstellung arbeiten Sie zum Beispiel mit dem Theaterregisseur Thom Luz zusammen.

Solche Kooperationen – nicht nur mit dem Theater Basel – sind mir ein  grosses Anliegen. Unser Kurator für Programme, Daniel Kurjaković, hat hier schon viel in die Wege geleitet.

Nächstes Jahr kommt es auch zur Kooperation mit dem Historischen Museum Basel zu 1000 Jahren Münster.

Auch auf diese Zusammenarbeit freue ich mich. Die Initiative und die intellektuelle Arbeit kommen aus dem Historischen Museum. Aber wir werden sehr aktiv beteiligt sein, unter anderem auch mit Leihgaben. Das wird eine einmalige Ausstellung werden, die weit über das Durchschnittspublikum der beiden Museen hinausstrahlen wird. Das Zusammengehen der beiden Häuser ist in diesem Fall sehr sinnvoll.

«Museen haben eine wichtige Aufgabe: In vielen Ländern findet ein offener Angriff auf die Demokratie statt.»

Ihnen ist also wichtig, Teil der Kulturstadt Basel zu sein und nicht einen Einzelauftritt als abgeschotteter Leuchtturm hinzulegen?

Nur so können wir der Leuchtturm beziehungsweise der Treffpunkt sein, der wir sein möchten. Museen haben in dieser Zeit, in der Ideen zum Ausdruck kommen, von denen man glaubte, sie seien verschwunden, eine wichtige Aufgabe. In vielen Ländern, auch in Europa, findet ein offener Angriff auf die  Demokratie statt. Es gibt einflussreiche Politiker, die den Begriff der Wahrheit nicht nur infrage stellen, sondern mit Lügen und Fakes operieren. Museen haben in dieser Situation eine Verantwortung als Hort von gesellschaftlicher und schlussendlich auch ethischer Verantwortung. Wir bewahren in unseren Galerien und Depots das Gedächtnis der Menschheit auf. Unser Auftrag ist es, damit verantwortungsvoll, mit Leidenschaft und Selbstkritik umzugehen.

Mit der Eröffnung des Neubaus verbunden war die Sorge, dass das Haus für Gegenwart noch mehr zum Stiefkind werden könnte, als es das bislang schon war. Wie sieht es damit aus?

Darauf blicken wir sehr sorgfältig. Dass der Neubau am meisten besucht wird, ist klar. Wir müssen aufpassen, dass das Haus für Gegenwart im St.-Alban-Tal nicht marginalisiert wird. Soeren Grammel und sein Team machen in dieser Hinsicht auch sehr gute Arbeit. Es hilft, die beiden Häuser mit Ausstellungen zu verbinden, wie das bei Theaster Gates der Fall ist. Auch nächstes Jahr werden wir mit William Kentridge einen weltberühmten Künstler hauptsächlich im Haus für Gegenwart zeigen. Das Problem ist aber nicht das Haus an und für sich. Soeren Grammel hat Pläne, das Haus noch intensiver als Ort der Auseinandersetzung zu positionieren. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir in Basel, einer Kleinstadt, einen einzigartigen Reichtum an Museen und Ausstellungen haben. Es kommt einem so vor, als ob Basel das Angebot einer Zehnmillionenstadt hätte. Das ist eine Herausforderung und langfristig vielleicht auch ein Problem.

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