Am 1. November ist es genau ein Jahr her, dass Elena Filipovic ihren Einstand als Direktorin der Kunsthalle Basel gab. Zeit für eine erste Bilanz in Form eines Gespräches über die Funktion der Kunsthalle, rote Fäden, überraschende Begegnungen und darüber, wie es weitergehen wird.
Elena Filipovic, Sie sind jetzt seit einem Jahr in Basel…
Elena Filipovic: …was ich fast nicht glauben kann.
War das Jahr so kurz?
Es war sehr intensiv und verging wie im Flug. Ich dachte, im ersten Jahr werde ich mich genau an jeden einzelnen Schritt erinnern, wie das bei grossen Lebenseinschnitten halt so ist. Aber alles ging rasend schnell. Mein Programm fing sofort nach meiner Ankunft hier an. Und weil wir versuchten, die DNA der Kunsthalle Basel zu verstehen, ihre Geschichte zu respektieren, sie zu reflektieren, sie aber gleichzeitig auch ein bisschen neu zu erfinden, hatte das zur Folge, dass wir nicht zur Ruhe kamen.
Hatten Sie Erwartungen, als Sie hierher kamen?
Natürlich. Ganz viele.
Beispielsweise?
Ein Teil eines solchen Abenteuers ist es, nicht zu wissen, was einen erwartet. Obwohl ich die Institution kannte – ich kam früher sehr oft hierher und verfolgte das Programm –, wusste ich nicht, wie es sein wird, hier Direktorin zu sein. Überhaupt: Direktorin zu sein war neu für mich, und es ist etwas ganz anderes, als sich nur auf das Kuratieren konzentrieren zu können. Plötzlich hält man alle Möglichkeiten für das Programm in den eigenen Händen. Man muss erst mal ein Team und die vorhandene Struktur der Institution kennenlernen. Und dann gibt es kleine und grosse Möglichkeiten, die Dinge und das Denken zu verändern.
Was haben Sie denn verändert?
Neben der neuen inhaltlichen Ausrichtung haben wir unter anderem die Vernissagen neu gedacht. Der Ort ist immer noch die Kunsthalle Basel, es fängt immer noch um sieben an, es gibt immer noch eine Rede. Trotzdem haben die Eröffnungen heute einen anderen Charakter. Ich habe versucht, zu betonen, dass jeder – egal welchen Alters, welchen Hintergrunds – sich willkommen fühlt. So sind die Türen zu den Ausstellungen, die vorher erst nach den Reden geöffnet wurden, nun von Beginn an offen. Dies als kleine Metapher und das Angebot von uns, dass die Kunsthalle für alle von Anfang an zugänglich ist.
«Wir haben von Anfang an die Neugierde gespürt, die uns entgegengebracht wurde.»
Hat das funktioniert?
Es hat funktioniert, ja. Es ist einerseits erstaunlich und andererseits sehr aufregend für uns alle hier, für diejenigen, die schon lange hier sind, aber auch für die Neuen wie mich. Wir haben von Anfang an die Neugierde gespürt, die uns entgegengebracht wurde. Schon zur ersten Vernissage kamen sehr viele Leute. Und sie kamen wieder! Aber es geht nicht nur um die Besucherzahl, sondern, es ist auch wichtig, wie lange sie bleiben.
Und warum bleiben sie länger?
Ein Aspekt ist sicher, dass die Leute es schätzen, die Künstlerinnen und Künstler bei den Eröffnungen zu treffen. Das ist unser Vorteil in dieser kulturell so reichen Stadt: Unsere Künstler sind unmittelbar erlebbar. Und sie sind in der Regel jung und sehr zugänglich. Die Schwelle zwischen ihnen und beispielsweise den Kunststudierenden oder Kunstbegeisterten ist nicht zu hoch. Dass wir auf Essen nur für Geladene verzichten und die Künstler stattdessen mit unserem Publikum essen, diskutieren und tanzen lassen, bringt beide einfach näher zusammen.
Das Publikum also ist neugierig. Sie haben vor Ihrer ersten Ausstellung gesagt, Sie wollen Experimente wagen, um herauszufinden, zu was diese Institution imstande ist. Was herauskam, waren ganz unterschiedliche Ausstellungen. Jetzt bin ich neugierig: Geht es so vielfältig weiter wie im ersten Jahr?
Eine der enormen Freiheiten, die wir in der Arbeit mit zeitgenössischer Kunst haben, ist jene, dass die Künstlerinnen und Künstler neugierig und offen sind – auch in Bezug auf Technologien oder Formate. Unsere Aufgabe als Kunsthalle ist es, zu reflektieren und vorzustellen, was in der zeitgenössischen Kunst passiert. Also werden wir sicher auch künftig versuchen, allen künstlerischen Formaten gerecht zu werden. Aber darüber hinaus ist es mir wichtig – und es ist schön, dass das Ihnen wie auch dem Publikum aufgefallen ist –, dass das Experimentelle nicht nur in den ausgestellten Kunstwerken selbst zu finden ist, sondern dass auch die Institution hinterfragen kann, was eine Ausstellung überhaupt ist.
Das heisst?
Dass man auch bereit ist, Risiken einzugehen in der Art, wie man die Künstler ausstellt. Meine allererste Ausstellung von Zhana Ivanova im Januar 2015 war nur ein erstes «Kapitel» einer Retrospektive, die erst in der Zukunft abgeschlossen sein wird. Das zweite Kapitel folgt im Januar 2016, das dritte Kapitel vielleicht 2017. Es ist also eine Werkretrospektive im gemeinsamen Entstehen – und welches die einzelnen Kapitel der künftig sein werden, wissen wir alle noch nicht. Und genau das gefällt mir. Danach hatten wir mit Vincent Meessen und Mark Leckey zwei Ausstellungen, die von den Künstlern kuratiert wurden. Oder nehmen wir das Projekt von Anicka Yi, die den Ausstellungskatalog zum zentralen Element der Ausstellung gemacht hat.
Elena Filipovic ist es wichtig, dass das Experiment der Kunsthalle inhärent bleibt. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Nach all dem Hinterfragen: Wissen Sie denn jetzt, was die Kunsthalle Basel ist und soll?
Ich habe eine Antwort, und sie lautet: Wir sollen es vielleicht gar nicht wissen. Oder es sollte zumindest nicht fixiert sein.
Warum nicht?
Unter anderem war für mich bei der Ankunft klar, dass – obwohl ich in der Kunsthalle Basel eine wichtige Rolle spiele – die Kunsthalle mehr ist als ich. Da ist das Team, da sind die Mitglieder und die Freunde und das Publikum. Sie alle unterstützen eine Institution, die Kunstschaffende ausstellt, deren Namen sie oft nicht kennen oder nicht wissen, wofür diese stehen. Sie gehen dieses Risiko ein und lassen sich überraschen. Das ist anders als Picasso auszustellen – da weiss jeder, was ihn erwartet. Jedes Mitglied von uns trägt dazu bei, dass Künstler frei arbeiten können und vielleicht sogar mal eine Art Picasso von morgen werden. Dieses Vertrauen, diese Offenheit, ist unglaublich rar, gerade in Zeiten, wo Kultur in der Krise steckt. Und deshalb muss die Kunsthalle flexibel bleiben und dies wertschätzen.
Als Sie anfingen, meinten Sie, Sie würden die Anzahl der Ausstellung verringern, um vielleicht mehr Mittel für Publikationen oder Veranstaltungen zu bekommen. Ich habe nicht nachgezählt: Sind es weniger Ausstellungen als zu Zeiten Ihres Vorgängers Adam Szymczyk?
Es sind nicht relevant weniger, nein. Die Idee war natürlich, trotzdem viel zu machen. Aber die Ausstellungen sollten länger laufen, um dem Publikum mehr Zeit zu geben, sie besuchen zu können und vielleicht auch zweimal zu kommen. Das hat geklappt. Ich habe aber kürzlich auch von jemandem gehört, der meinte, wir würden viel mehr machen als früher. Als ich darüber nachgedacht habe, bin ich zum Schluss gekommen, dass wir das, was wir machen, wahrscheinlich besser kommunizieren. Wir investieren sehr viel Energie darauf, viele Menschen zu erreichen, und dass die Sprache verständlich ist, aber wir vertrauen auch sehr auf Mundpropaganda. Wir tun also wirklich viel.
Absolut keinen Plan?
Als ich begann, dachte ich, dass das erste Jahr für mich ein Manifest sein sollte. Wo ich unterschiedliche Konzepte auslege und unterschiedliche Pfade begehe – aber nicht muss. Nun stehe ich vor dem zweiten Jahr und denke: Das ist auch ein Manifest! Und wahrscheinlich wird mir das nun jedes Jahr so gehen. Denn jedes Mal will ich ja dasselbe Statement machen, zu den Ideen, zu den Künstlerinnen und Künstlern, zu den Themen, die wichtig sind. Und alles entwickelt sich weiter, die Kunst, die Gesellschaft, die Kunsthalle. Weil immer etwas anderes dringend erscheint. Und die Kunsthalle Basel soll immer auch ein Ort der Dringlichkeit sein. Und gleichzeitig zugänglich und verständlich bleiben.
Apropos zugänglich: Wir unterhalten uns gerade auf Englisch, Sie halten auch Ihre Reden noch in Englisch. Wie geht es den Deutschkursen?
Nicht so gut bislang… (lacht).
Keine Zeit?
Nein, es war einfach alles sehr viel, und ich habe inzwischen entschieden, wie ich es anpacke. Ich habe schon andere Sprachen wie Französisch gelernt, und für mich sind Abendkurse zweimal die Woche kein effizienter Weg. Also werde ich für drei Wochen oder so an einen Ort zum Lernen gehen, wo ich nur in Deutsch kommunizieren darf. Im Augenblick versuche ich, diese drei Wochen in meinem Kalender zu finden…
…nach der Gruppenausstellung?
Genau! Nach der Gruppenausstellung (lacht).