«Es geht nicht darum, Lebensmittel zu verbieten» – Maya Graf über ihre Fair-Food-Initiative

Soll der Bund vorschreiben, wie unser Essen produziert wird? Am 23. September stimmen wir über die Fair-Food-Initiative ab. Die Baselbieter Nationalrätin Maya Graf ist Co-Präsidentin des Initiativkomitees. Sie sagt: Der Schweizer Konsument will Qualität.

Graf ist selbst Mitglied der «Gmüeserei»-Genossenschaft. Jede Woche bezieht sie einen Sack Gemüse – regional und saisonal, wie es ihre Initiative fordert.

Maya Graf weibelt derzeit in der ganzen Schweiz für die Fair-Food-Initiative. Als Treffpunkt für das Gespräch über ihr Anliegen schlägt die Sissacherin die «Gmüeserei» vor. Die Genossenschaft, bei der auch Graf Mitglied ist, existiert erst seit diesem Frühling und baut auf dem Land des Landwirtschaftlichen Zentrums Ebenrain in Sissach Lebensmittel an.

Maya Graf, wenn Sie in Ihrer Initiative von regional und saisonal produzierten Produkten sprechen, die Sie fördern wollen: Meinen Sie dann solche wie jene aus der «Gmüeserei»?

Es ist ein kleiner Teil von dem, was wir uns von der Initiative wünschen. Aber ja, Projekte wie die «Gmüeserei» haben wir mit der Initiative auch im Fokus. Bei allen Umfragen ist es dieses Konzept, das von den Konsumentinnen und Konsumenten vermehrt bevorzugt wird: Es soll regional sein, ökologisch und fair produziert.

«Fair» ist aber ein sehr schwammiger Begriff.

Der Lebensmittelmarkt und der -handel sind bereits stark kontrolliert und reguliert. Es gibt internationale Abkommen, bei denen beispielsweise die Anstellungsbedingungen der Mitarbeitenden in der Landwirtschaft geregelt sind. Die Idee der Initiative ist, dass sich der Bund einen Überblick über bestehende Abkommen verschafft und überlegt, welchen man sich anschliessen könnte. Gleichzeitig gibt es bereits viele Labels und ganze Branchen, welche die Regeln, die wir fordern, bereits aufgenommen haben – zum Beispiel «Fairtrade» oder die «Bioknospe».

In diesem Fall gibt es die Instrumente ja schon. Wozu dann die Initiative?

Es wäre ein Leichtes, wenn es nur noch Fair-Trade-Bananen geben würde. Die Instrumente sind da und der Preis niedrig genug, dass es sich jeder leisten könnte. Aber es ist immer noch nicht umgesetzt. Wir brauchen mehr Instrumente, um die Labels zu stärken.

Maya Graf (56) sitzt seit 2001für die Grünen im Nationalrat. 2012 wurde sie als erstes Mitglied der Grünen-Fraktion zur Nationalratspräsidentin gewählt. Die diplomierte Sozialarbeiterin lebt in Sissach, wo sie aufgewachsen ist und nun mit ihrem Ehemann auf dem familieneigenen Bauernhof eine Bio-Hofgemeinschaft gegründet hat. Graf ist die Tochter von alt SVP-Landrat Fritz Graf und Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

Es ist aber nicht wegzudiskutieren, dass Produkte dieser Labels teurer sind. Das kann sich nicht jeder leisten.

Das muss nicht sein, faire Produzentenpreise beeinflussen den Konsumentenpreis nur marginal. Wenn zudem das Angebot grösser wird, und genau das möchten wir mit der Initiative erreichen, dann geht der Preis nicht unbedingt nach oben. Die Qualität hingegen steigt. Fair produziertes Essen soll kein Luxusprodukt sein, das nur einer gewissen Bevölkerungsschicht offensteht. Jeder hat qualitativ gutes gesundes Essen verdient.

Aber die Leute geben immer weniger Geld für die Lebensmittel aus, derzeit sind es noch knapp sieben Prozent des Einkommens. Anscheinend wollen die Leute lieber billiges Essen.
Menschen mit kleinem Einkommen können leider oft nur dort sparen. Mieten und Versicherungen sind zu grosse Fixkosten. Das ist ein grosses Problem und muss mit sozialpolitischen Massnahmen gelöst werden. Es geht um die wichtige Diskussion, wie viel Wert ein gutes Lebensmittel hat. Die Grundlage dafür schafft man, indem man für Nähe zwischen den Produzenten und den Konsumentinnen sorgt. Wer sieht, dass hinter dem Poulet eine Bauernfamilie steht, die ihre Tiere anständig hält und ihre Mitarbeitenden angemessen bezahlt, ist auch eher bereit, einen angemessenen Geldbetrag dafür in die Hand zu nehmen. Aber es gibt heute bereits sehr positive Entwicklungen in diese Richtung.

Welche?
Viele junge Leute befassen sich vermehrt mit Essen und Lebensmittelproduktion. Im Ebenrain sind die Gärtnerkurse regelmässig überbucht und die Leute pflanzen wieder ihr eigenes Gemüse auf dem Balkon. Und es gibt Läden, die Überschüsse an Esswaren billig abgeben. Das sind schöne Entwicklungen.

Weshalb fordern Sie dann noch mehr?

Zwei Monate nach der Debatte zur Ernährungssicherheit hat der Bundesrat letztes Jahr seine Gesamtschau zur kommenden Agrarpolitik veröffentlicht. Und ist überhaupt nicht auf die neue Verfassungsgrundlage eingegangen. Im Gegenteil: Er pusht mit voller Kraft die Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten [Abkürzung für «Mercado Común del Sur», gemeinsamer Markt Südamerikas, Anm. der Red.]. Da war erst recht klar: Es braucht die Fair-Food-Initiative, um dem Bund Instrumente in die Hand zu geben, damit er die Nachhaltigkeitsstrategie bei zukünftigen Handelsabkommen verankert.

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Ihre Gegner werfen Ihnen Protektionismus vor – Sie wollen den Schweizer Markt abschotten und Importe beinahe verunmöglichen.

Nein, überhaupt nicht. Die Schweiz importiert 50 Prozent ihrer Lebensmittel, wir sind ein kleinflächiges Land und müssen auf enorm engem Raum Landwirtschaft betreiben. Wir brauchen internationalen Handel und wollen ihn auch. In der Initiative steht nichts von Abschottung oder Verbot, wir verteidigen gemeinsam mit den bürgerlichen Parteien gerade die bilateralen Verträge. Aber wir wollen, dass Qualität und Nachhaltigkeit auch beim Lebensmittelhandel spielen. Die Fair-Food-Initiative ist der Mittelweg zwischen Abschottung und schrankenlosem Freihandel. Letzterer ist das, was unsere Gegner wollen. Und das ist nicht zukunftsfähig.

Weshalb?
Ein Drittel unseres ökologischen Fussabdruckes betrifft unsere Lebensmittel, vor allem weil wir viel importieren. Wir müssen uns fragen, welchen Beitrag wir leisten können, um nachhaltiger zu essen. Und wir haben auch eine Verpflichtung, sei es wegen des Pariser Klimaabkommens oder der UNO- Agenda 2030. Es kann so nicht weitergehen, die Lebensmittelproduktion ist klimarelevant. Es ist deshalb nötig, zu hinterfragen, ob Lebensmittel durch ganz Europa gefahren werden müssen oder ob es nötig ist, dass wir im Februar Erdbeeren kaufen, die in Südspanien in Treibhäusern wachsen, die mit Erdöl geheizt werden.

Möchten Sie, dass solche Produkte aus den Regalen verschwinden?

Es geht nicht darum, einzelne Lebensmittel zu verbieten. Aber wir wollen Transparenz schaffen. Zum Beispiel könnte man bei den spanischen Erdbeeren auf der Packung ausweisen, wie hoch der CO2-Ausstoss für deren Produktion und den Transport war und verlangen, dass minimale soziale Standards bei der Ernte eingehalten werden. Ich vertraue den Kunden, dass sie dann selbst sagen würden: Das ist unnötig, das kaufe ich nicht.

Interessiert es den internationalen Markt überhaupt, wie die Schweizer einkaufen und welche ausländischen Produkte sie nicht mehr wollen?

Ja, die Menge unserer Importe ist relevant. Wir importieren jedes Jahr 220’000 Tonnen Fleisch. Die Forderungen nach sozialen und nachhaltigen Handelskriterien gibt es bereits heute weltweit und sie werden zahlreicher werden. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, damit jeder Einzelne für sich entscheidet, welche Produkte er unterstützen möchte und welche nicht. Es ist relevant zu wissen, dass es auch den Produzenten im Ausland besser geht, wenn wir Lebensmittel kaufen, die aus nachhaltiger Produktion stammen, deren Mitarbeitende gefördert statt ausgebeutet werden. Diese Länder und Branchen sollen die Chance haben, hochwertige Produkte anzubauen und an uns zu verkaufen, anstatt billige Ware in Monokulturen anzubauen, die ihrer eigenen Umwelt und Wirtschaft schaden.

Die Grünen-Nationalrätin Maya Graf setzt sich als Co-Präsidentin für die Fair-Food-Initiative ein und zeigt Vorzeigeprojekte wie die «Gmüeserei».

Glauben Sie denn, dass diese Produkte besser schmecken?
Ich kann es nicht vergleichen, ich esse nur die Produkte unseres eigenen Bio-Hofes oder kaufe nachhaltig produzierte Lebensmittel ein. Aber es geht nicht nur um den Geschmack, es geht auch um unsere Gesundheit. Wir wissen, dass es hormonelle Rückstände oder Antibiotika im Import-Fleisch gibt, die auch uns schaden. Und wir wissen, dass wir unsere Natur nicht einfach nur schröpfen können. Dafür kehren Vielfalt und Geschmack zurück.

«Auf dem Marktplatz müssten mehr Bäuerinnen vertreten sein. Dann würde Konkurrenz entstehen und er wäre weniger teuer.»

Was meinen Sie damit?

In den letzten Jahren ist eine neue Vielfalt entstanden. Organisationen wie Pro Specie Rara bringen alte Landsorten, Kulturpflanzen oder Tierrassen wieder zum Vorschein. Bauernfamilien fangen wieder an, das Getreide Ur-Dinkel anzubauen, das in Vergessenheit geraten war. So können wir alte Geschmacksnoten wiederentdecken und essen nicht nur das, was die Industrie uns vorsetzt.

Wie sollen diese Produkte zu den Konsumenten kommen?

So direkt wie möglich. Es ist ein grosser Vorteil unserer kleinräumigen Schweiz, dass Produzentinnen und Konsumenten überall sehr nahe beieinander sind. Ich wünschte mir, es würde in jedem grösseren Ort einen Wochenmarkt geben, wo Bauern ihre saisonalen Produkte verkaufen. Das würde eine maximale Vielfalt und Regionalität bieten.

https://tageswoche.ch/form/reportage/nachhaltig-lokal-gewinnorientiert-die-strategie-des-birsmattehof

Meinen Sie wie in Basel auf dem Marktplatz?

Ich denke eher an den Samstagsmarkt in Liestal oder an den Berner «Märit», wo man schlicht alles findet – sogar aussortiertes Obst zum Einkochen. Der Markt auf dem Marktplatz bräuchte ein neues Konzept: Es müssten mehr Bäuerinnen vertreten sein mit unterschiedlichsten Produkten aus der ganzen Region. Dann würde auch eine Konkurrenz entstehen und der Markt wäre nicht mehr so teuer.

«Um die Konsumenten in der Schweiz zu behalten, muss man ihnen Qualität liefern.»

Die meisten Bauern sind aber voll ausgelastet mit ihrem Betrieb und können nicht jeden Tag in der Woche noch auf einem Markt mit ihren Kunden reden.

Ja, das ist ein Problem, heute fehlen entsprechende Strukturen. Aber das hat man auch erkannt. Der Bauernverband beider Basel hat zusammen mit dem Ebenrain das Label «Genuss aus Stadt und Land» geschaffen und arbeitet an Projektideen. Eines davon könnte die lokalen Bauernfamilien dabei unterstützen, ihre Produkte möglichst direkt zu verkaufen.

Ist die Gefahr nicht viel grösser, dass die Konsumenten stattdessen nach Lörrach oder Weil ausweichen?

Das Phänomen des Einkaufstourismus ist in unserer Region nicht neu und das wird sich nach der Annahme der Fair-Food-Initiative auch nicht ändern. Um die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz zu behalten, muss man ihnen Qualität liefern. Dieses Argument stammt nicht von mir, sondern aus einer Studie der HSG. Das Fazit dort ist: Wenn die Leute bei den Lebensmitteln entscheiden können, ob sie es in der Schweiz oder im Ausland kaufen, entscheiden sie sich für die Produkte, die aus der Region stammen und ökologisch produziert wurden. Genau dort wollen wir ansetzen. Denn auch unsere Nachbarn schlafen nicht: In Lörrach gibt es mittlerweile einen grossen Wochenmarkt mit regionalen Bio-Produkten. Den sollten wir uns als Vorbild nehmen.

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