Nachhaltig, lokal, gewinnorientiert: die Strategie des Birsmattehofs

In Therwil wächst seit über 35 Jahren Bio-Gemüse, das in der Stadt in Depots vertrieben wird. Mit wachsendem Erfolg. Trotz genossenschaftlicher Organisation ist für den Betreiber klar: Auch sie müssen Gewinn erwirtschaften – um zu überleben.

Es herrscht Hochbetrieb auf dem Birsmattehof. In den letzten beiden Jahren gab es einen richtigen Erntesegen.

Dienstagabend, in einem Hinterhof in Basel. Der Moment der Wahrheit: Was landet in den nächsten Tagen auf dem heimischen Teller? Der Gemüsekorb verrät es. Dieses Mal: Mais, Zucchetti, Tomaten, Rüebli, Bohnen und Salat. Alles bio, acht Kilometer entfernt im Baselbiet gewachsen.

Direktvertreiber wie Marktverkäufer und Gemüseabos machen nur 2 bis 3 Prozent des Gemüseabsatzes in der Schweiz aus, doch die Tendenz ist steigend. Immer mehr Menschen möchten Lebensmittel verzehren, die keine langen Fahrwege hinter sich haben und nach hohen Qualitätsstandards angebaut wurden.

Gutes Gewissen statt Wahlfreiheit

Ein paar Stunden früher an diesem Dienstag schieben Mitarbeiter kistenweise Gemüse über den Platz des Birsmattehofs zur Verpackungshalle, ein Traktor bringt frisch geschnittenen Salat vom Feld. Zwei Genossenschafter helfen den Mitarbeiterinnen dabei, die verschiedenfarbigen Körbe zu beladen, die heute in die Stadt geliefert werden. «Wir versuchen, alles so frisch wie möglich abzupacken», erklärt Alexander Tanner. Er leitet seit 1995 gemeinsam mit seiner Frau Nicole Tanner den Betrieb des Birsmattehofs, welcher der Genossenschaft Agrico gehört.

Wer einen Gemüsekorb abonniert, bezieht 46 Wochen im Jahr frisches Gemüse. Die Körbe bieten zwischen 1,5 und 10 Kilogramm an Ware – «aber es kommt eigentlich immer mehr in den Korb», sagt Tanner. Auf den Tisch kommt, was gerade Saison hat. Statt Peperoni aus Holland landet im Dezember heimischer Zuckerhut, Chicorée oder Rosenkohl in der Pfanne. Nicht mehr nur die Gelüste entscheiden darüber, was gegessen wird.  Dafür überwiegt das gute Gewissen.

Um die Kundschaft bei Laune zu halten, braucht es immer wieder Neues und Überraschendes. Über 50 Gemüsesorten pflanzt die Genossenschaft an, neben klassischen Karotten und Kartoffeln gibt es hier auch dunkelviolette Tomaten und rote Auberginen. Seit zwei Jahren landen im Winter Schwarzwurzeln im Korb und der Betrieb hat ein Feld mit Süsskartoffeln.

Alexander Tanner ist seit 23 Jahren Co-Betriebsleiter des Birsmattehofs.

Dafür braucht es jede Menge Platz: Ein Hof nach Bio-Richtlinien verlangt Fruchtfolgen. Das bedeutet, dass nach einem Jahr nicht mehr das gleiche Gemüse angepflanzt wird. «Wo wir heute Bohnen pflücken, wird in den nächsten sieben Jahren anderes angepflanzt», erklärt Tanner. So kann sich der Boden optimal entwickeln und Schädlinge entwickeln sich nicht so schnell.

In der Region ist Platz Mangelware. Deshalb bewirtschaftet Agrico neben dem Birsmattehof in Therwil seit fünf Jahren auch 70 Hektaren auf dem Markhof im deutschen Herten. «Schon vor über 30 Jahren gab es die Idee, das Gemüse im Elsass anzubauen», sagt Tanner. Wolle man regionales Gemüse anbauen, sei der Platz nun einmal begrenzt, da müsse man auch über die Landesgrenze hinausgehen. Und mit den wachsenden Abo-Zahlen steigt auch die Nachfrage nach Gemüse: Rund 3000 Körbe liefert die Agrico jede Woche aus, dazu kommen fünf Marktstände und der Verkauf ab Hof.

Feuer und Netze statt Pestizide

Mitarbeiter Merih schwingt sich vom Fahrrad und stellt es neben dem Bohnenfeld ab. Die Wege sind kurz, für ein schnelles Hin und Her ist das Velo perfekt. «So müssen wir nicht ständig mit dem Traktor herumfahren», sagt Tanner. Merih und seine Kollegen kauern auf dem Boden und nehmen die reifen Bohnen ab. Hier klappt das gut, es hat kaum Unkraut, das die Ernte erschwert. Auf dem Feld nebenan sieht es anders aus. Hier wuchern die Störenfriede höher als das Gemüse.

Auch das ist eine der Schwierigkeiten eines Bio-Betriebes. Unkraut wird nicht einfach mit einem Pestizid vernichtet. «Wenn wir ein Feld neu bestellen, säen wir die Bohnensamen und warten dann ein paar Tage. Wenn alles gut läuft, spriesst das Unkraut aus dem Boden, während die Bohnen noch unter der Erde sind. Dann können wir das Unkraut striegeln oder abbrennen und die Bohnen können ungestört wachsen», erklärt Tanner.

Das klappt aber nicht immer: Wenn es zur falschen Zeit regnet, verpassen die Bauern den richtigen Moment und sie können das Unkraut nicht regulieren. «Dann müssen wir eben unter erschwerten Bedingungen ernten.»

Seit 1981 bewirtschaftet die Genossenschaft Agrico den Birsmattehof.

Eine andere Methode wenden die Gemüsebauern auf dem Blumenkohlfeld an. Hier werden die grünen Triebe mit einem feinmaschigen Netz abgedeckt, das die Schädlinge abhält. Mit dem Netz kommen aber auch Schwierigkeiten: «Im Herbst müssen wir aufpassen, dass der Tau verdunsten kann, sonst verschimmelt die Ernte», sagt Tanner. Und billig ist es auch nicht. Solche Netze sind grosse Investitionen, die erst nach Jahren amortisiert sind.

Im Moment läuft es aber gut: 2039 Stück Gurken, 450 Kilo Karotten, 500 Kilo Tomaten, 29 Kilo Basilikum kommen heute neben vielen anderen Gemüsen in die Abo-Körbe. In der Woche macht das rund 13 Tonnen Gemüse plus zwei Tonnen Salat. Die Mitarbeitenden haben Erfahrung, sie wissen, wie viel Gemüse sie in die Körbe packen können, damit es gerecht verteilt ist. Die Zucchetti kommen direkt in die Körbe, Tomaten und Basilikum werden abgewogen.

Die letzten zwei Jahre waren für den Gemüsebau ideal, die Pflanzen spriessen derzeit nur so aus dem Boden. Das hat aber auch Schattenseiten. Bauern, die an Grossverteiler liefern, müssen in Spitzenzeiten Gemüse wegwerfen, weil die Nachfrage zu klein ist. Hier ist der Birsmattehof im Vorteil: Die Mitarbeiter packen einfach mehr Gemüse in die Körbe.

Auch der Birsmattehof betreibt ein Gewächshaus, um seinen Kunden Tomaten anbieten zu können.

Nicht die ganze Ernte schafft es in die farbigen Körbe. Was zwar nicht schlecht ist, aber nicht mehr gut genug für die Kundschaft, landet bei den Tieren. Der Birsmattehof hält seit 35 Jahren Rinder. Am Anfang produzierte die Genossenschaft ihren Quark selbst, musste aber bald feststellen, dass der Aufwand zu gross war. Jetzt betreibt sie Muttertierhaltung, nutzt in erster Linie den Mist für den eigenen Gemüsebau und verkauft zwischendurch das Fleisch der Tiere.

«Es tut mir bei jedem Kalb weh, wenn es gehen muss», sagt Tanner ernst. «Aber ich esse trotzdem Fleisch.» Ein veganer Gemüseanbau sei zwar möglich, aber schwierig. Die Genossenschaft konzentriert sich darauf, innerhalb eines geschlossenen Kreislaufs zu produzieren. Mit Tieren. Mit allen Konsequenzen.

Es geht auch ums Geschäft

«Eigentlich möchte ich, dass jeder, der Eier isst, einmal ein Huhn selbst schlachtet», sagt Tanner mit einem Funkeln in den Augen. Klar, seine Aussage ist eine Provokation. Für ihn wäre es aber nur konsequent. «Nach eineinhalb Jahren kommen die Hühner in die Mauser und produzieren nicht mehr genügend Eier. Dann müssen wir den gesamten Bestand austauschen.» Die Hühner werden geschlachtet und als Suppenhühner verkauft, die nächste Generation kommt.

Auch wenn der ökonomische Druck gross ist, kann es sich die Genossenschaft leisten, Entscheidungen aus Überzeugung zu treffen. Neben den Hühnern zieht die Agrico gleich viele männliche Küken auf und verkauft sie als Mistkratzerli. «Mit den Mistkratzerli und den Suppenhühnern machen wir keinen Gewinn, aber wir können zumindest die Kosten decken. Und die Tiere dürfen noch aufwachsen, sie werden nicht einfach als Küken nach dem Schlüpfen geschreddert.»

Eine Mischung zwischen ökonomisch und ethisch vertretbar: Der Birsmattehof zieht für jede Legehenne einen «Bruder» mit auf.

Trotz der Land-Hof-Wiesen-Romantik, der man bei einem Besuch auf dem Birsmattehof sehr leicht verfallen kann: Hier geht es auch ums Geschäft. Und daraus macht Tanner keinen Hehl. «Früher sagten wir: Die Genossenschaft muss keinen Gewinn erwirtschaften. Das würde ich heute auf keinen Fall mehr unterstützen.» Denn es brauche nun einmal Geld. Um die Mitarbeiter zu entlöhnen, neue Geräte zu kaufen und auch, um finanzielle Sicherheiten zu haben.

Im Moment boomt das Geschäft, jedes Jahr steigt die Abo-Zahl um knapp zehn Prozent. Doch so lief es nicht immer: «In den 1990er-Jahren erlebten wir eine Krise. Wir hatten für zwei Millionen Franken diesen Hof in Therwil gekauft und die Leute waren plötzlich nicht mehr sonderlich an Bio interessiert.» Er ist froh, hat sich der Wind seither wieder gedreht.

Die Genossenschafter packen auf dem Birsmattehof mit an, zum Beispiel beim Füllen der Körbe.

Tanner ist überzeugt, dass der Birsmattehof so gut läuft, weil die Genossenschaft eine Nische besetzen konnte. Die Region Nordwestschweiz sei finanziell gut aufgestellt und die Leute bereit, für qualitativ hochstehende Produkte auch einen entsprechenden Preis zu zahlen.

Auch die Politik gibt der Strategie des Birsmattehofs Recht. Ende September stimmen die Schweizer mit der Initiative für Ernährungssouveränität und der Fair-Food-Initiative über Geschäfte ab, die regionale und saisonal produzierte Lebensmittel fördern möchten.

Trotz des Erfolgs des Birsmattehofs blickt Tanner etwas skeptisch auf die Abstimmungen. Eigentlich will er sich zur Politik nicht äussern, sagt dann aber doch: «Auch wenn ich persönlich den Anliegen grösstenteils positiv gegenüberstehe, stellt sich die Frage, ob man den Lebensmittelmarkt so stark abschotten will und auch kann, dass die erwünschten Effekte eintreten.»

https://tageswoche.ch/form/interview/es-geht-nicht-darum-lebensmittel-zu-verbieten-maya-graf-ueber-ihre-fair-food-initiative

Am Ende bestimme vor allem die Kundschaft am Ladentisch. Je strenger die Auflagen seien, desto weniger Handlungsspielraum habe der Produzent – darunter können auch erwünschte Effekte leiden, weil eine Verordnung nicht die ganze Vielfalt der Landwirtschaft abdecke.  «Es besteht eine gewisse Gefahr, dass die Produzenten ein Wunschdenken ausbaden, das die Kunden am Verkaufsregal  nicht honorieren», sagt Tanner.

Solche Diskussionen hat Tanner am eigenen Leib erfahren: Vor 15 Jahren war es das Gewächshaus, bei dem die Wogen hochgingen. «Es gab klare Fronten, einige fragten sich, weshalb wir ein Gewächshaus bauen wollen, das wir im Winter frostfrei halten», erinnert sich Tanner. Schliesslich konnten die Bedenken ausgeräumt werden.

Denn trotz Land-Hof-Wiesen-Romantik, trotz den Buntbrachen, dem Naturbiotop und den glücklichen Tieren: Am Ende überlebt nur, wer ökonomisch erfolgreich ist.

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