Peter Arbenz war 1985 der erste Flüchtlingsdelegierte der Schweiz. Seither verfolgt er die Asylpolitik und kennt sie wie kaum ein anderer. Verantwortlich für die neue Härte im Asylbereich sind in seinen Augen internationale Abkommen und die Politik der SVP.
Für viele Flüchtlingshelfer war Peter Arbenz der Buhmann schlechthin, als er Ende der 80er-Jahre als erster Flüchtlingsdelegierter die schweizerische Asylpolitik zu gestalten begann. Doch 1997 erhielt er den «Preis für Menschlichkeit» von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Kaum jemand hat die Schweizer Asylpolitik so nah verfolgt wie der heute 76-Jährige.
Seit mehr als 25 Jahren verfolgen Sie die Asylpolitik, Herr Arbenz. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Aus meiner Sicht hat die politische Polarisierung zugenommen, und der Ton hat sich verschärft. Asylsuchende sind zu einem zentralen Polit-Thema geworden, mit dem sich die Parteien zu profilieren versuchen. Vor 25 Jahren haben sich die Debatten eher zwischen den Asylbehörden und einer engagierten Zivilgesellschaft abgespielt. Es gab viele kleine Organisationen, die sich für abgewiesene Asylbewerber einsetzten, diese auch versteckten. Mit dabei waren selbst kirchliche Kreise. Heute ist das Engagement der Zivilgesellschaft kleiner geworden, es gibt weniger Protestorganisationen und weniger Privatpersonen, die Asylsuchende aufnehmen und sich für sie einsetzen.
Woran liegt das?
Zu einem grossen Teil sicher daran, dass Parteien die Asylpolitik besetzen. Die SVP hat in den vergangenen Jahren nicht nur die Asyl-, sondern auch die Ausländerpolitik politisch instrumentalisiert und pflegt diesen Stil offensichtlich auch im Hinblick auf die nächsten Wahlen weiter. Ob sie damit auch in Zukunft punkten kann, wird sich weisen. Leider versuchen einzelne FDP- und CVP-Politiker ebenfalls, mit solchen Tönen politische Popularität zu erhaschen, wenn solche Stellungnahmen auch nicht der Grundhaltung der beiden Parteien entsprechen. Demgegenüber hat sich das links-grüne Lager klar und mehr oder weniger einheitlich für eine menschenwürdige und korrekte Asylpolitik ausgesprochen und unterstützt auch integrationspolitische Programme.
Die jüngste Debatte um die Rayonverbote in Bremgarten hat aber nicht die SVP ausgelöst.
Nein, da gab es gewisse Missverständnisse zwischen dem Bundesamt für Migration und den lokalen Behörden. Im Detail kann ich das nicht beurteilen. Aber solche Missverständnisse entspringen jeweils dem Umstand, dass die Ankündigung einer neuen Asylunterkunft in einer Gemeinde bei der lokalen Bevölkerung zunächst auf Widerstand stösst. Dies wiederum ist oft auf völlig falsche Pauschalurteile und manchmal auch auf schlechte individuelle Erfahrungen im Umgang mit einzelnen Asylsuchenden zurückzuführen. Wichtig ist deshalb die frühzeitige Kommunikation und der rechtzeitige Einbezug der örtlichen Bevölkerung.
Was kann man da künftig verbessern, um Unterkünfte für Asylsuchende zu finden?
In solchen Situationen sollte man vermehrt auf die Loyalität von Gemeindebehörden mit ihren Kantonen und dem Bund zählen können. Ebenso wichtig wäre aber auch, dass sich die Medien für ein konstruktives Zusammenleben zwischen der lokalen Bevölkerung und neuen Asylsuchenden einsetzen und nicht nur aus aktuellem Anlass moralisieren und das Grundrecht aller Menschen auf Bewegungsfreiheit einfordern, wenn das Bundesamt und Gemeindevertreter Vereinbarungen für Asylzentren und zeitlich befristete Begegnungszonen treffen sowie Hausordnungen erlassen wie etwa in Bremgarten.
«Bremgarten» hat auch international Reaktionen ausgelöst und das Image der Schweiz beeinträchtigt.
Ach, diese Reaktionen waren überrissen und lächerlich – besonders wenn man berücksichtigt, dass «Bremgarten» zudem mit «Täschligate» in Verbindung gebracht wurde. Wenn man sieht, wie die USA die Mexikaner mit Mauern und Stacheldraht fernhalten wollen, wie italienische und spanische Behörden mit Bootsflüchtlingen vor ihren Küsten umgehen und so weiter – dann waren dies vor allem Schlagzeilen in der Sauregurkenzeit.
«Die schweizerische Asylpolitik ist in keiner Weise härter als die anderer Länder.»
Ist denn die Schweizer Asylpolitik nicht restriktiver als diejenige anderer Länder?
Nein, die Schweiz hält sich fast buchstabengetreu an die internationalen Abkommen, etwa jene von Dublin und Schengen. Seit den späten 80er-Jahren pflegten wir im Bundesamt für Flüchtlinge einen intensiven internationalen Austausch über die Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik mit den wichtigen europäischen Aufnahmestaaten und den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien. Dies führte schrittweise zu einer internationalen Angleichung der Asylverfahren. Die heutige schweizerische Asylpolitik ist in keiner Weise härter als diejenige anderer europäischer Staaten. Die Aufnahmepolitik ist aber angesichts der weltweiten Migrationsbewegungen generell restriktiver geworden.
Trotzdem spricht Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Zusammenhang mit Asylzentren von einem «gewachsenen subjektiven Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung».
Tatsächlich steht die Ausländer- und Asylpolitik seit bald 30 Jahren von Zeit zu Zeit an erster Stelle des Sorgenbarometers unserer Bevölkerung. Dies hängt wohl einerseits mit der über die Jahre stark schwankenden Zahl der Asylgesuche zusammen, anderseits aber auch mit der Tatsache, dass im Allgemeinen die Zahl der Arbeitsmigranten unter den Asylsuchenden zugenommen hat. Diese verlassen ihr Herkunftsland nicht wegen politischer Verfolgung, sondern aus Armutsgründen und Chancenlosigkeit, können aber als Bürger von Drittstaaten in die Schweiz nur über das Asylverfahren einreisen. Dass das Bundesamt für Migration und Frau Bundesrätin Sommaruga Ängsten und Abwehrmechanismen in der Bevölkerung Rechnung tragen, ist innenpolitisch verständlich und legitim und nicht etwa als Antwort auf die Stimmungsmache der SVP zu verstehen. Eine solche Rücksichtsnahme erleichtert die Akzeptanz und Durchsetzungsmöglichkeit im politischen Kräftespiel.
Verpassen die Asylbehörden einfach immer wieder die aktuellen Entwicklungen?
Es gibt eben Entwicklungen, die so kaum vorhersehbar sind, wie zum Beispiel der Arabische Frühling oder die Ausweitung von ethnischen und religiösen Spannungen zu Bürgerkriegen. Zudem stehen die Asylbehörden des Bundes und der Kantone von verschiedenen Seiten unter politischem Druck. Auch wenn sie kurzfristig Massnahmen ergreifen, so benötigt deren Umsetzung jeweils einige Zeit.
Dennoch: War das Bundesamt für Migration nicht etwas gar unvorbereitet, als die Asylgesuche vor zweieinhalb Jahren wieder anstiegen?
Dass der Mitarbeiterstab in der Abteilung Asylverfahren verkleinert und die strategische Leistungsbereitschaft – also die Bereitschaft, bei Bedarf den Betrieb hochzufahren – abgeschafft wurden, haben vor allem die Bundesräte Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf zu verantworten. Damit die Asylverfahren nun wieder beschleunigt und neue Bundeszentren errichtet werden können, müssen die Bearbeitungskapazitäten beim Bundesamt wieder aufgebaut werden. Dies ist in vollem Gang. Viele der neuen Mitarbeitenden sollen inskünftig dezentralisiert eingesetzt werden, sowohl in den Empfangsstellen an der Grenze wie bei den neuen Bundesver-fahrenszentren in einzelnen Kantonen. Gespart wurde nur vorüber-gehend und am falschen Ort, und der ganze Wiederaufbau wird zwei bis drei Jahre benötigen.
Peter Arbenz
Als Flüchtlingsgruppen aus Sri Lanka für Aufregung in der Schweizer Bevölkerung sorgten, schuf Bundesrätin Elisabeth Kopp Ende 1985 die Stelle eines Flüchtlingsdelegierten und besetzte sie mit dem Winterthurer FDP-Stadtrat Peter Arbenz. Er wurde 1990 Direktor des Bundesamts für Flüchtlinge, wo ihn die Flüchtlingswelle aus dem kriegsgeschüttelten ehemaligen Jugoslawien forderte. 1993 trat er zurück und machte sich als Berater selbstständig. Er verfasste einen Bericht über die Schweizer Migrationspolitik, inspizierte für die UNO die Blauhelme im ehemaligen Jugoslawien und organisierte 1996 die Wahlen in Bosnien.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 23.08.13