Nach der Ausschaffung droht die Folter

Die Schweiz will unzählige Tamilen ausschaffen, weil Sri Lanka angeblich wieder sicher ist. Menschenrechtsorganisationen sind empört, und mit Baselland wehrt sich ein erster Kanton.

Die letzte Station in der Schweiz – das Gefängnis des Flughafens in Kloten. (Bild: Steffen Schmidt)

Die Schweiz will unzählige Tamilen ausschaffen, weil Sri Lanka angeblich wieder sicher ist. Menschenrechtsorganisationen sind empört, und mit Baselland wehrt sich ein erster Kanton.

Der junge Tamile im Ausschaffungsgefängnis Bässlergut hat dramatische Tage hinter sich. Am Montag musste er noch davon ausgehen, dass seine Zeit in der Schweiz ­abgelaufen ist. Dass er abgeschoben wird, mit einem Flug ab Zürich nach Colombo.

Der junge Mann hatte Angst. Vor der Polizei in Sri Lanka, vor dem ­Geheimdienst und paramilitärisch organisierten Banden. Er fürchtete sich vor Verhören, vor Verfolgung und Gewalt.

Gleichzeitig hoffte er. Einerseits auf das Wiedererwägungsgesuch, das vor Bundesverwaltungsgericht hängig ist, und andererseits auf die Beschwerde gegen seine Ausweisung an die ­Anti-Folter-Kommission der UNO.

Am Dienstag erhielt er dann den Bescheid, den er sich so sehnlichst ­erhofft hatte. Aber nicht etwa vom Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen, nicht vom UNO-Sitz in Genf und auch nicht vom Bundesamt für Migration (BFM) in Bern.

Die Mitteilung kam aus Liestal: Das kantonale Amt für Migration hatte entschieden, dass der Mann bis auf Weiteres nicht ausgeschafft wird. ­Darüber hinaus forderte die Baselbieter Sicherheitsdirektion das BFM auf, die Sicherheitslage auf Sri Lanka neu abzuklären – ganz offensichtlich traut man in Liestal den Einschätzungen der Bundesbeamten nicht.

«Schwierig für alle»

Die Intervention ist eher ungewöhnlich. Normalerweise beschränken sich die Kantone im Asylbereich auf ihre Rolle als ausführende Organe und überlassen die heiklen Entscheide dem Bund.

Adrian Baumgartner, Sprecher der Sicherheitsdirektion, will zum ­konkreten Fall zwar keinen Kommentar abgegeben, sagt aber immerhin: «Wenn eine Beschwerde nicht von vorneherein aussichtslos erscheint – und bereits Tatsachen geschaffen würden –, und es passiert dann etwas, wird es für alle Beteiligten ­schwierig.»

Mit anderen Worten: Es wäre ein Skandal, wenn die Schweiz einen ­jungen Asylsuchenden ins Verderben schicken würde – und die Anti-Folter-Kommission der UNO im Nachhinein feststellte, dass schon von allem ­Anfang an auch mit dem Schlimmsten zu rechnen ­gewesen wäre, mit Folter und Tod.

Alles kein Problem?

Das Bundesamt für Migration geht dagegen – zumindest bis jetzt – eher vom Idealfall aus.

Offiziell ist der Bürgerkrieg auf Sri Lanka seit 2009 beendet. Seither gibt es nach Ansicht des Bundes keinen Grund mehr, warum die rund 3000 Tamilen, die derzeit in einem Asyl­verfahren sind, hier bleiben müssen. «Nach einer eingehenden Über­prüfung der Situation» sei man zum Schluss gekommen, dass sich «die Sicherheits­lage in Sri Lanka deutlich entspannt habe», was eine «Rückkehr von abgewiesenen asylsuchenden ­Personen (…) zulässt», teilte das Bundesamt für Migration Ende 2011 mit. Unter dieser Prämisse wollen die Behörden nun nochmals Fall für Fall durchgehen, wobei «der Integration der betroffenen Personen in der Schweiz Rechnung getragen» werde, wie sie versichern.

Mehrere Fälle von Folter dokumentiert

Der junge Tamile, der nun mehrere Jahre im Baselbiet lebte, hier in die Schule ging und nach eigener Aussage auch Aussicht auf eine Lehrstelle hatte, gehört dennoch zu den ersten, die gehen sollten. In den nächsten Monaten möchte das BFM nach Informationen der TagesWoche ganze Gruppen ausschaffen – in Flugzeugen, die ­speziell dafür gechartert werden.

Menschenrechtsorganisationen halten diese Pläne für einen fatalen Fehler. Sie sind überzeugt, dass Regimekritiker in Sri Lanka weiterhin systematisch verfolgt, verhaftet, ­gefoltert und getötet werden, wie der Bericht von Amnesty International vom April 2013 zeigt. Und dass die Rückkehrer ganz besonders gefährdet sind, weil sie unter dem General­verdacht stehen, die tamilischen ­Separatisten zu unterstützen, egal, ob sie je politisch aktiv gewesen sind oder nicht.

Eine Kampagne für die Tamilen

So dokumentierte unter anderem Human Rights Watch im vergangenen Jahr 13 Fälle von ausgeschafften Tamilien, die nach ihrer Rückkehr verhaftet und gefoltert wurden. Betroffen sind offenbar auch Deportierte aus der Schweiz, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker mit der Dokumentation von zwei Fällen zeigen will; veröffentlicht werden soll der Bericht im September, wenn auch Amnesty International, die Schweizer Flüchtlingshilfe und andere Menschenrechtsorganisationen eine Kampange gegen die Ausschaffungspraxis des Bundes lancieren, unter anderem mit einer Petition, in der die Behörden aufgefordert werden, bis auf Weiteres keine Tamilen mehr auszuweisen.

Diese Hilfe wäre für den jungen Mann im Bässlergut fast zu spät gekommen. Dank des Eingreifens der Baselbieter Sicherheitsdirektion kann er nun in der Schweiz auf die Entscheide des Bundesverwaltungsgerichtes und der Anti-Folter-Kommission warten.

Seine Chancen sind dabei je nach Rekursinstanz recht unterschiedlich. Die UNO-Kommission nimmt Beschwerden von Tamilen offensichtlich ernst. In mehreren Fällen setzte das Gremium jedenfalls schon einmal eine aufschiebende Wirkung durch. Gut möglich, dass die Kommission auch die Ausschaffung des jungen Tamilen aus der Region verhindert hätte, wenn ihr nicht die Sicherheitsdirektion zuvorgekommen wäre. Solche Abschiebungen sind gemäss der Anti-Folter-Konven­tion der UNO verboten. Die UNO-Konvention ist auch von der Schweiz unterzeichnet worden.

Die kuriose Begründung des Gerichts

Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind die Aussichten des jungen Tamilen dagegen eher schlecht. Die St.Galler Richter haben bereits eine ­ganze Reihe von vergleichbaren Gesuchen abgelehnt und die harte Abschiebepraxis des Bundes damit bestätigt. Dabei kamen auch sie nicht um die Feststellung herum, dass der «sri-lankische Staat» auch Rückkehrer ohne «politisches Profil» verhafte und teilweise foltere, weil die Regierung ­«jedes Wiederaufleben einer militanten und separatistischen Tamilenorganisation im Keim ersticken will».

Und was schliesst das Gericht daraus? Trotz dieser «beunruhigenden Meldungen» sei «die Zumutbarkeit des Vollzugs (…) aber zu bejahen», wie es im entsprechenden Urteil ohne weiter Begründung heisst (Urteil E-5198/2011 vom 25. April 2013, zu finden in der Entscheidungsdatenbank des Bundesverwaltungsgerichts).

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 23.08.13

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