«Es gibt keinen Grund, nett zu sein» – Miriam Locher über die Oppositionsrolle der Baselbieter SP

Seit 2015 politisieren die Baselbieter Sozialdemokraten auf verlorenem Posten. Während sie auf der Strasse und an der Urne Erfolge feiern, bleibt im Landrat meist nur die Ernüchterung. Die Fraktionspräsidentin sieht ihre Partei dennoch im Aufschwung.

«Wir sind in den vergangenen drei Jahren stärker geworden», sagt SP-Fraktionspräsidentin Miriam Locher.

Drei Jahre ist es her, seit die Sozialdemokraten mit versteinerten Gesichtern durchs Regierungsgebäude in Liestal geisterten. Die SP war nach 90 Jahren aus der Baselbieter Regierung geflogen.

Seither ist in der SP viel passiert – mit Adil Koller steht ein junger, selbstbewusster Präsident an der Parteispitze. Samira Marti wird spätestens Ende Jahr als jüngstes Mitglied in den Nationalrat einziehen und auch im Landrat geben immer öfter die Jungen bei der SP den Ton an.

Trotzdem kann die SP im Landrat so gut wie nichts bewegen. Schmerzhaft offensichtlich wurde das für die Partei bei der ersten Budgetdebatte der neuen Legislatur: Die bürgerliche Mehrheit verweigerte schlicht die Debatte. Und schmetterte alle Vorstösse von der linken Ratsseite diskussionslos ab.

Wenn die Bürgerlichen nicht wollen, bekommt die SP im Parlament keinen Fuss vor den andern. Das dürfte auch am Donnerstag nicht anders sein, wenn die SP erneut ein chancenloses Vorstosspaket einreicht. Fraktionspräsidentin Miriam Locher Locher findet trotzdem: Die SP hat von der Oppositionsrolle auch profitiert.

Frau Locher, die SP reicht am Donnerstag neun Vorstösse zur Sozialpolitik ein. Glauben Sie, dass diese überwiesen werden, da das Baselbiet neu schwarze Zahlen schreibt?

Es ist an der Zeit, diese Themen wieder zur Sprache zu bringen. Allerdings werden unsere Anliegen wohl erst dann wieder Erfolg haben, wenn sich die Mehrheiten im Parlament verändert haben. Mit den schwarzen Zahlen der Jahresrechnung verliert die rechte Ratsmehrheit allerdings ihre vordergründige Legitimationsgrundlage, unsere Vorstösse immer wieder aufs Neue abzulehnen. Das gängige Argument, dass alle unsere Vorstösse generell nicht finanzierbar seien, hat an Kraft verloren.

Anton Lauber sagte vergangene Woche, dass das Baselbiet nicht eine schwarze Null brauche, sondern ein Plus von 60 Millionen, um sich nicht neu zu verschulden. Ist es nicht frustrierend, wenn immer neue Argumente fürs Sparen kommen?

Unsere Anliegen werden abgeschmettert, ganz egal, wie viel sie kosten und wie viel Geld vorhanden ist. Weil sie nicht den Prioritäten der rechten Mehrheit entsprechen. Ich bleibe allerdings dabei: Der Abbaukurs der vergangenen Jahre war extrem hart, gerade für Leute mit tiefen und mittleren Einkommen. Es ist endlich an der Zeit, ihnen etwas zurückzugeben. Der Schuldenabbau ist lediglich eine Ausrede des Finanzdirektors.

«Die CVP ist keine verlässliche Kraft für uns. Die Partei ist gespalten, momentan hat der neoliberale Flügel das Sagen.»

So wie Sie die Situation beschreiben, produzieren Sie Ihre Vorstösse für den Papierkorb?

Da muss ich vehement protestieren: Wir sind mit unseren Anliegen die Stimme eines grossen Teils der Bevölkerung. Es ist wichtig und richtig, dass wir diese Themen aufgreifen, schliesslich sind wir die soziale Stimme im Parlament. Die Rechten sollen nun mal erklären, weshalb sie konkret gegen Ergänzungsleistungen für Familien oder für ein besseres Betreuungsangebot in den Schulferien sind.

Miriam Locher ist seit 2014 für die Sozialdemokraten im Landrat, seit 2016 ist sie Fraktionspräsidentin. Die 35-jährige Münchensteinerin arbeitet als Kindergärtnerin und Unterstufenlehrerin in Aesch.

Aber damit kommen Sie nicht durch. Was erhoffen Sie sich dann überhaupt von diesen Vorstössen?

Wie erwähnt, unsere Anliegen haben alle ihre volle Berechtigung, daher müssten sie auch alle überwiesen werden. Allerdings ist das bei der jetzigen rechten Mehrheit schwierig. Einerseits hoffen wir darauf, dass der stete Tropfen den Stein höhlt. Andererseits ist natürlich auch die Hoffnung da, dass das eine oder andere Anliegen dennoch durchkommt, wie es in der Vergangenheit auch passiert ist. Dabei sind wir auf die CVP angewiesen. Und gerade bei der Sozialpolitik bin ich der Meinung, dass sie unsere Vorstösse eigentlich unterstützen müssten.

Sie sagen «eigentlich»?

Die CVP ist keine verlässliche Kraft für uns. Die Partei ist gespalten und momentan hat der neoliberale Flügel das Sagen.

Die CVP steckt derzeit mitten in den Verhandlungen für das Wahljahr 2019 mit FDP und SVP für eine bürgerliche Allianz. Wie stehen Sie zur bürgerlichen Zusammenarbeit?

Ob sich die CVP erneut den rechten Parteien anschliesst, spielt für mich keine Rolle. Die Bevölkerung weiss nach vier Jahren Abbaupolitik schliesslich, dass sich diese Parteien immer mehr angleichen.

Was macht die Opposition mit Ihrer Partei?

(überlegt lange) Es ist hartes Brot. Aber die SP hat sich in dieser Rolle zurechtgefunden. Wir sind in den vergangenen drei Jahren stärker geworden und vor allem ist die Opposition gegen den von den Rechten eingeschlagenen Abbaukurs auch in der Bevölkerung gewachsen. Wir haben massiv an Mitgliedern zugelegt. Daran sieht man, dass der Abbaukurs der Regierung und der Rechten nicht mehrheitsfähig ist. Aber es braucht Kraft und Ausdauer.

«Wenn man in einer Machtposition ist, die man ausspielen kann, muss man nicht mehr auf seinen Tonfall achten.»

Seit dieser Legislatur weht ein härterer Wind im Landrat. Die Debatten sind direkter, persönlicher, oft auch sehr unprofessionell. Die Themen geraten zeitweise sehr in den Hintergrund zugunsten eines Links-Rechts-Hickhacks.

Ja, es hat etwas von einem Kabarett (lacht). Ich glaube, alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssten sich mehr an der Nase nehmen, um das Niveau wieder zu heben. Das sind wir auch der Bevölkerung schuldig, die wir schliesslich vertreten.

Woran liegt es?

Wenn man immer gewinnt und in einer Machtposition ist, die man ausspielen kann, muss man nicht mehr auf seinen Tonfall achten.

Wo geht es den Baselbietern heute schlechter als vor drei, vier Jahren?

In allen Bereichen: im Sozialen, in der Bildung, beim Personal, beim öffentlichen Verkehr und so weiter.

Ihre politischen Gegner können Ihnen vorwerfen, dass Sie das grosse Ganze, sprich die finanzielle Lage des Kantons, nicht im Blick haben.

Dem widerspreche ich. Die Finanzpolitik des Kantons ist aber ein falscher und gefährlicher Weg. Beim kantonalen Finanzhaushaltsgesetz wollten wir dieses Rasenmäher-Prinzip verhindern. Dort haben wir es aber nicht geschafft, die Probleme aufzuzeigen, weil es eine äusserst komplizierte Vorlage war. Was Sie ansprechen, ist sicher, dass sich logischerweise Anliegen wie Bildungs-, Sozial- oder Integrationspolitik einfacher erklären oder nach aussen tragen lassen.

Viele Erfolge konnten Sie in den vergangenen Jahren nicht feiern.

Unser grösster Erfolg ist wohl, zu beweisen, dass die jetzige Politik eine falsche ist. Das konnten wir nach aussen tragen. Und wir hatten einige wichtige Erfolge abseits des Parlaments, auf der Strasse und an der Urne. Denken Sie an das Elba-Nein und das Rheinstrassen-Nein, die Initiative zu den Krankenkassenprämien oder die Petition zur Taktverdichtung des 70er-Busses.

«Wir mussten lauter werden, um gehört zu werden.»

Ist es in gewisser Weise auch einfacher, aus der Opposition heraus zu politisieren? Sie sind der Underdog, auf der Seite der Schwachen, und haben nichts zu verlieren?

Wir sind nicht verantwortlich dafür, was im Kanton passiert. Das mag von aussen betrachtet eine einfache Position darstellen. Handkehrum haben wir aber auch mit allen Anliegen, mögen sie noch so gut sein, keine Chance im rechten Parlament. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich denke, es braucht sehr viel mehr Energie und Ausdauer, aus dieser Position zu politisieren: weil es weniger erfolgreich ist, weil man viel mehr alleine stemmen muss, weil man kaum Gestaltungsspielraum hat, weil man eben nicht in der Regierung ist.

Seit die SP nicht mehr in der Regierung ist, hat sie sich einer Verjüngungskur unterzogen. Hat ihr das neuen Schwung gebracht?

Wir konnten beweisen, dass die SP ein Generationenprojekt ist, von jung bis alt. Das ist sicher der Erfolg des Wechsels. Und wir sind wieder näher zur Basis gerückt. Das haben wir sicherlich geschafft, weil wir unsere Politik sehr pointiert präsentieren konnten. Und das war letzten Endes möglich dank des Oppositionskurses. Wir mussten lauter werden, um gehört zu werden.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die SP nächstes Jahr einen Regierungssitz zurückerobern kann?
Ich kenne keine andere Partei, die innert einer Woche für eine Initiative über 5000 Stimmen sammeln kann. Die Bevölkerung hat erkannt, dass wir die Interessen einer grossen Menge Menschen vertreten, in die Regierung gehören und Anspruch auf einen Sitz haben. Und es braucht wieder eine soziale Stimme in der Regierung, diese fehlt derzeit. Mit Kathrin Schweizer hätte die SP zudem (sofern sie nominiert wird) eine hervorragende Kandidatin. Ich bin also zuversichtlich.

Ihr Präsident Adil Koller hat angekündigt, dass das künftige SP-Regierungsmitglied damit rechnen muss, dass es Krach mit der eigenen Partei geben wird. Weshalb?

Von Krach kann dabei wohl kaum die Rede sein. Viel eher meint auch er, dass nach diesen Wahlen die Zeit der Opposition nicht einfach vorbei ist. Im besten Fall haben wir danach einen Regierungssitz und damit eine soziale Stimme in der Regierung, die unsere Themen mit einbringen kann. Im Parlament werden wir nicht die Mehrheit haben, also werden wir sicher unbequem bleiben.

Was bedeutet «unbequem»?

Dass wir nicht alles hinnehmen, nur weil wir einen Regierungsrat stellen. Wir werden sicher weiter Dinge hinterfragen, etwas aufzeigen, was nicht unserer Richtung entspricht. Diese Art des Politisierens werden wir sicher beibehalten.

«Seit wir nicht mehr in der Regierung sind, ist die Schere weiter aufgegangen zwischen dem Kurs der Grünen und unserem.»

Worum soll sich das neue SP-Regierungsmitglied als Erstes kümmern, wenn es im Amt ist?

Er oder sie soll für jene Anliegen kämpfen, die mit dem Abbaukurs zu kurz gekommen sind. Die jetzt nicht zur Kenntnis genommen werden.

Aber viel Geld ist im Baselbiet ja nicht vorhanden. Und dann ist die SP-Regierungsrätin schuld, wenn der Kanton wieder in die roten Zahlen fällt.

Es ist klar, dass die Veränderungen nicht überall möglich sind.

Wie ist das Verhältnis der SP zu den Grünen?

Wenn man sich das Abstimmungsverhalten anschaut, gibt es Anliegen, wo wir gleicher Meinung sind, und andere, wo sich die Grünen klar von uns distanzieren.

Wo sind die Stolpersteine?

Da müssen Sie die Grünen fragen. Ich als SP-Fraktionspräsidentin bin natürlich dezidiert der Meinung, dass die SP sich mit ihrem Abstimmungsverhalten für die richtigen Anliegen einsetzt.

In der letzten Legislaturperiode funktionierte das Zusammenspiel zwischen SP und Grünen besser.

Das finde ich nicht unbedingt. Die Grünen sind unsere natürlichen Partner in den sozialen und ökologischen Fragen. Leider haben sie uns bei wichtigen finanzpolitischen Anliegen, beispielsweise beim Kampf gegen das Finanzhaushaltsgesetz, nicht geholfen, darin unterscheiden wir uns. Seit wir nicht mehr in der Regierung sind, ist die Schere weiter aufgegangen zwischen dem Kurs der Grünen und unserem. Wir sehen keine Notwendigkeit, nett zu sein.

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