«Freiburg ist nicht so harmlos, wie es scheint»

Freiburg im Breisgau ist die gemütliche grüne Vorzeigestadt. Denkt man. Stimmt gar nicht, sagt Dieter Salomon, grüner Oberbürgermeister der Stadt. Ein Gespräch über Freiburgs dunkle Seite, den Aufstieg der AfD und den Biopool von Guy Morin.

«Was zum Teufel ist ein Biopool?», Dieter Salomon, 56-jähriger Oberbürgermeister von Freiburg trennen nicht nur 65 Kilometer von seinem Amtskollegen Guy Morin.

(Bild: Basile Bornand)

Freiburg im Breisgau ist die gemütliche grüne Vorzeigestadt. Denkt man. Stimmt gar nicht, sagt Dieter Salomon, grüner Oberbürgermeister der Stadt. Ein Gespräch über Freiburgs dunkle Seite, den Aufstieg der AfD und den Biopool von Guy Morin.

Am Informationsschalter im Freiburger Rathaus lacht Dieter Salomon, Oberbürgermeister der Stadt seit 2012, von einem Plakat. Man solle doch daran denken, auch an Studenten Wohnungen zu vermieten, steht da geschrieben. Er selber sei auch mal Student gewesen und froh darum, günstig unterzukommen.

Seit der Gründung der Partei 1980 ist Salomon Mitglied der Grünen. Ein eingefleischter Kompostierer war er nie. Er ist ein Liberaler, der die Gesellschaft mit Anreizen verändern will. Folgerichtig soll seine Prominenz Anreiz sein, Studenten ein Dach über dem Kopf zu besorgen.

Salomon ist auch Politprofi. Als nach der Kölner Silvesternacht eine Meldung die Runde machte, dass Freiburger Clubs Asylsuchende wegen Übergriffen und Diebstählen ausschliessen, war er sofort mit einer Aussage parat. Seine Schuldzuweisung an nordafrikanische Täter flackerte während Tagen in den nationalen Medien auf.

Wie passt diese Geschichte ins beschauliche Freiburg? Weshalb kann die rechtspopulistische AfD auch in der grünen Vorzeigestadt punkten? Und warum funktioniert die Zusammenarbeit mit Basel so schlecht? Salomon spricht im grossen Interview mit der TagesWoche Klartext.

Herr Salomon, wie gut kennen Sie Guy Morin, Ihren Amtskollegen in Basel? Ein Grüner wie Sie – vielleicht sogar noch ein bisschen grüner.

Ich kenne ihn ganz gut und schätze ihn. Aber woran machen Sie das fest, dass er grüner ist als ich?

Zum Beispiel besitzt er einen Biopool.

Was zum Teufel ist ein Biopool?

Ein natürlicher Schwimmteich.

Ich wohne zur Miete und wäre froh, hätte ich überhaupt einen Pool (lacht).

Weshalb haben die beiden Städte Freiburg und Basel, trotz ihrer Nähe, ihrer ähnlich gepolten Regierung so wenig miteinander zu tun? Der Austausch zwischen Basel und Schanghai am anderen Ende der Welt ist intensiver.

Basel ist durch die Industrie eine dermassen wohlhabende Stadt, dass sie in einer anderen Liga spielt als wir. An eine Städtepartnerschaft mit Schanghai kämen wir nicht ran. Vor allem ist die Gestaltungskraft des Dreilands begrenzt. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit krankt daran, dass jedes Land anders funktioniert.

Wie äussert sich das?

Wenn ich mit Guy Morin und Jean Rottner aus Mulhouse zusammensitze, dann merken wir, wie unterschiedlich unsere politischen Systeme sind. Wenn wir miteinander sprechen, brauchen wir ständig Dolmetscher, die das eine System ins andere übersetzen. Die Logiken dahinter sind halt national und nicht regional.

Dann konzentrieren wir uns doch auf Freiburg. An Ostern wurde der erste Tatort Freiburg ausgestrahlt. Ein Beamter wird ermordet, die guten Töchter der Stadt lassen sich würgen, viel Hartz-4- und Gentrifizierungs-Elend. Ist das idyllische Freiburg so krass?

Es geschehen hier mehr Dinge zwischen Himmel und Hölle, als man sich vielleicht vorstellt. Trotzdem fand ich die Story abstrus. Mit Freiburg hatte das alles nix zu tun. Es gab zwar schöne Schnittbilder von der Stadt, aber ansonsten hätte die Geschichte auch in Tokio spielen können. Was hier gar nicht gut ankam, war – das können Sie als Schweizer sicher nachempfinden –, dass Schauspieler mitgewirkt haben, die vom hiesigen Dialekt keine Ahnung haben.

Ausserhalb Freiburgs hielt man das schon für authentisch.

Ja, da dachte man: So sind die Schwaben. Was die Badener natürlich noch mehr ärgert. Aber für die Schweizer sind wir vermutlich alle Schwaben.

Sie äusserten sofort, ohne Abklärungen zu treffen, die Vermutung, die Täter seien höchstwahrscheinlich junge Männer aus Nordafrika. War diese Aussage rückwirkend auch eine Kommunikationspanne?

Auf jeden Fall war sie nicht falsch. Als ich in der «Badischen Zeitung» von Antanzen, Diebstahl, Messerstechereien las, erinnerte ich mich an ganz ähnliche Vorgänge vor zwei Jahren in der Freiburger Innenstadt. Damals waren unbegleitete minderjährige Flüchtlinge die Täter. Ich erzählte einem Reporter bloss, was hier vor zwei Jahren los war. Meine Aussagen wurden von «Spiegel Online» verdreht. Darüber war ich nicht sehr glücklich.

Warum haben Sie die Story überhaupt sofort kommentiert?

Ich befürchtete, dass die Leute denken, die Probleme hätten mit den Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak zu tun. Dass es sofort heisst: Da seht ihr, was passiert, wenn wir die alle ins Land lassen. Nach der Kölner Silvesternacht musste man aufpassen, dass die Rechtsradikalen die Ereignisse nicht ausschlachten können. Es war wichtig, hier zu differenzieren. Heute haben wir in Freiburg Probleme mit Drogendealern, die meist aus Gambia kommen. Das muss man benennen. Aber man muss auch sagen, dass jemand nicht kriminell ist, nur weil er aus Gambia kommt oder eine dunkle Hautfarbe hat. Er ist kriminell, wenn er Straftaten begeht.

Werden solche Differenzierungen verstanden in Zeiten, in denen in Deutschland fast täglich Flüchtlingsheime brennen?

Mit Differenzierungen hat man es immer schwer.

Sollten die Grünen weniger versuchen, die Leute zu besseren Menschen zu erziehen?

Das Missionarische, das die Grünen manchmal haben, den Leuten zu erklären, wie sie zu leben haben, das ist mir fremd. Es wäre zwar schön, wenn morgen keiner mehr Auto fährt, aber mir ist klar, dass die Welt nicht so ist und dass ich das nicht diktieren kann. Ich kann Anreize schaffen, damit die Leute ihr Auto aufgeben. Aber von Verboten halte ich nichts. Freiburg ist eine Stadt voller unterschiedlicher Meinungen, darunter auch manche verrückte. Aber ich will, dass man die ausdrücken darf.

Welche Prinzipien und Ideale würden Sie nie aufgeben, auch nicht, um an der Macht zu bleiben?

Diese Frage kann nur ein Schweizer stellen. Die ist mir so fremd, die wurde mir seit 20 Jahren nicht mehr gestellt. Ich muss Ihnen etwas zeigen…(steht auf und holt aus dem Nebenzimmer ein Bild). Diese naive Kinderzeichnung ist ein Plakat der Grünen von 1980. «Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt», war das Gründungsmotiv der Grünen. Eine Verantwortungsethik zu entwickeln für den Planeten, die über das eigene Leben hinausreicht, dahinter stehe ich. Meine Aufgabe sehe ich darin, dieses Leitmotiv pragmatisch umzusetzen.

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