«Gäll, so kennsch mi nid?»

Noch wenige Stunden bis zum Anpfiff in München – doch geht es im Leben wirklich nur um Fussball? Aus aktuellem Anlass hier nochmals das Interview mit Benjamin Huggel aus der Printausgabe.

«Bausparen – ein spannendes Thema!»: Benjamin Huggel,ein Fussballer mit vielen Interessen. (Bild: Stefan Bohrer)

Noch wenige Stunden bis zum Anpfiff in München – doch geht es im Leben wirklich nur um Fussball? Benjamin Huggel klärt die ganz grossen Fragen.

Über den FC Basel und seinen grossen Sieg gegen Bayern München wurde vieles gesagt. Schon fast alles eigentlich. Also sprach die TagesWoche mit Benjamin Huggel (34) über alles – ausser über Bayern München. Der Basler Kultfussballer versprach kurze und prägnante Antworten – und meistens gelang es ihm beim gemeinsamen Mittagessen im «Joggeli» auch, die Welt kurz und knapp zu erklären. Notfalls kann ein Beni Huggel eben auch die Poesie sprechen lassen.

Benjamin Huggel, wie muss man sich das Zusam­men­leben in einer Mannschaft vor­stellen, mit Teenies einerseits und gestandenen Familienvätern andererseits – reden die einen unter sich über Kindererziehung und Spielplätze und die anderen über angesagte Discos und die neuste Mode?

Etwa so, ja. In einem Team gibt es unterschiedliche Themen und unterschiedliche Arten sich auszudrücken, und je nach Alter interessiert man sich eher für das eine oder das andere. Dann gibt es aber auch das Generationenübergreifende. Wenn wir Älteren zum Beispiel über ein Kind reden, das krank ist oder sich blöd verschluckt hat, dann hören auch die Jungen zu, weil sie selber vielleicht auch bald Kinder haben und mit ihnen ähnliche Erfahrungen machen werden. Wir bekommen dafür von ihnen zu hören, was gerade hip ist. So bleibe ich jung.

Über die Jugend wird viel diskutiert, lamentiert auch. Ist sie tatsächlich schlecht?

Auf diese Frage kann ich jetzt gut eine prägnante Antwort geben: Die Jugend ist viel besser als ihr Ruf.

Was waren Sie für ein Kind?

Ein unkompliziertes, sagt meine Mutter. Ich machte alles, was ich musste, und das auch noch gut. Die Freizeit habe ich mit «Schutte» verbracht, ziemlich gewöhnlich alles, zumindest bis 16.

Und dann?

Dann schmiss ich bald das Gym, um eine Lehre anzufangen. Ich rebellierte gegen das Elternhaus. Aber auch das ist wohl normal für einen Teenager.

In dieser Zeit spielten Sie auch in einer Punkband.

Das Ganze fing eher zufällig an. Mein Bruder hatte eine Band fürs Abschluss­fest, aber keinen Bassisten. Also fing ich an, Bass zu spielen. Später wurde ich Mitglied einer Band – Döschwo.

Ein bisschen üben – und schon ein Auftritt! Sind Sie ein Naturtalent?

Na ja, um «Verdamp lang her» zu begleiten, reichen vier Töne. Aber vielleicht ist mir der Sinn für die Musik schon auch ein bisschen in die Wiege gelegt worden. Meine Mutter ist eine sehr gute Sängerin und singt auch heute noch im Basler Gesangsverein, mein Vater ist ein angefressener Pianist und Organist. Wenn er die Noten ab Blatt liest, entstehen ganze Klangwelten vor ihm. Das bewundere ich.

War Döschwo eine gute Band?

Wir hatten unser Stammpublikum. Das «Chästli» in Aesch zum Beispiel war jeweils ausverkauft. Dort haben ja übrigens auch Marco Streller und Alex Frei tanzen gelernt. Das behaupten sie während der Koordina­tions­übungen jeweils.

Zu Ihren Klängen?  

Wo denken Sie hin?! Die beiden waren ja noch Schulbuben, als ich auf der Bühne stand. Die hätte man damals nie und nimmer ins «Chästli» gelassen.

Gibts noch Tondokumente oder Fotos aus der Zeit?

Die sind leider nur ganz schwer greifbar.

Das tönt jetzt etwas nach einer Ausrede.

Das tönt so, und es könnte sogar eine sein. Aber wer sieht sich schon gerne in den Klamotten der 80er-Jahre?

Also gut, sprechen wir vom Ende von Döschwo. Warum haben Sie aufgehört?

Irgendwann wurde einfach alles zu viel. Dreimal Training pro Woche mit dem FC Arlesheim, daneben die Musik – und Jungwachtleiter war ich auch noch.

Heute sind Sie selber Vater eines Mädchens und eines Buben. Was versuchen Sie, ihnen mitzugeben?

Erziehen heisst für mich: vorleben. Handeln, nicht schwatzen.

Schwierig – oder?

Ja, sehr. Aber ich gebe mir alle Mühe. Das fängt schon bei der Sprache an. Die Kraftausdrücke bleiben in der Kabine.

Geben Sie Ihren Kindern alles, was sie wollen?

Sie bekommen, was wichtig ist. Das heisst, dass ihnen in materieller Hinsicht sicher nicht alle Wünsche erfüllt werden. Geschenke gibts am Geburtstag und an Weihnachten, dann auch grosszügig, sonst nur das Notwendige, also Gebrauchsgegenstände, Schlittschuhe zum Beispiel. Das läuft bei uns gleich wie in meinem Elternhaus.

Wer trägt bei Ihnen daheim die Hauptlast bei der Erziehung?

Meine Frau.

Zwischen den einzelnen Trainings hätten Sie doch viel Zeit für die Kinder.

Bevor sie in den Kindergarten und in die Schule kamen, wars tatsächlich ideal. Nun sind sie dort, wenn ich am Morgen mal frei habe. Dafür bin ich an den Wochenenden weg, wenn sie daheim sind.

Wie ist es für Ihre Kinder, einen Fussballstar als Vater zu haben?

Ziemlich normal, glaube ich. Sie sind halt einfach ein Teil meines Lebens und damit auch des Fussballs. Sie kennen auch all die anderen Spieler und kommen auch mal in die Kabine mit.

Ziemlich normal? Wenn Sie in einem wichtigen Spiel einen schon fast historischen Treffer wie den zum 1:1 in Lissabon erzielen, ist Ihr Sohn am Tag danach in der Schule doch sicher der König!

Nach dem Spiel in Lissabon hat ihm der Lehrer total begeistert gratuliert. Ganz allgemein ist der Name Huggel für ihn zumindest bis jetzt noch kein Nachteil gewesen.

Wie muss man sich das vorstellen, wenn Sie mit Ihrem Sohn Fussball spielen? Er ist der Streller und Sie der Huggel?

Das war vielleicht mal so, inzwischen hat er in der Schule aber von Messi gehört. Jetzt will er immer Barcelona sein. «Gut, dann bin ich Basel», sage ich in dann. Er: «In dem Fall hast du aber absolut keine Chance!» Ich: «Vorsicht, Vorsicht, mein Junge. Mach jetzt bloss keine allzu grossen Sprüche!»

Soll man sein Kind in einen Fussballclub schicken oder lernt es dort nur Mätzchen und ab dem B-Junio­ren-Alter auch noch trinken?

Schaut doch mich an. So schlecht bin ich ja auch nicht herausgekommen! Dabei wollten mich meine Eltern zuerst aber auch nicht in einen Fussballclub schicken, weil sie Angst hatten, ich werde dort verdorben, mit wüsten Worten, Alkohol und so weiter. Heute bin ich überzeugt, dass die Kinder lernen müssen, mit all den Herausforderungen und Gefahren, die das Leben bereithält, umgehen zu können. Darum fördere ich meine beiden Kinder auch in allem, was sie machen. Mein Sohn zum Beispiel ist von einem Kindsgikollegen zum FC Arlesheim geholt worden. Das unterstütze ich, auch wenn er es im Fussball mit seinem Namen nicht ganz einfach haben wird.

Anderes Thema: Internet. Muss man davor Angst haben?

Ein bisschen unheimlich ist es schon, weil immer alles gleich aufs Netz gestellt und «gejudged» wird. Das bekomme auch ich mit meiner bisschen Berühmtheit zu spüren. Bei einer Meisterfeier zum Beispiel habe ich in der «Bodega» ein paar dumme Sprüche gemacht, was mehrere Leute gefilmt und schon sehr bald veröffentlicht haben. Die haben meines Erachtens etwas ganz Wesentliches nicht kapiert: Dass der Moment in der «Bodega» für sie etwas Exklusives war, etwas ganz Besonderes. Das haben sie zerstört – und nur, um ihr eigenes Profil auf Kosten eines anderen aufzuwerten. Das verstehe ich ebenso wenig wie die Menschen, die vor dem Eiffelturm oder sonst einer Sehenswürdigkeit stehen und ununterbrochen knipsen, anstatt einfach mal nur den Moment zu geniessen.

Haben Sie Ihren Lebensstil verändert, weil Sie fast ständig damit rechnen müssen, beobachtet zu werden, sobald Sie die Haustüre hinter sich zugemacht haben?

Nein, das nicht, aber ich muss immer damit rechnen, dass irgendeine Aussage oder eine Geste von mir aus dem Zusammenhang gerissen, in einen neuen Kontext gestellt wird und daraus auch in den Medien eine Geschichte gesponnen wird. Möglicherweise muss ich mich dann plötzlich rechtfertigen für etwas, das ich gar nicht getan habe. Auf diese Weise wird die Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt. Ein Problem, das wir ja auch aus anderen Bereichen kennen.

Sie selber sind auf Facebook nicht aktiv?

Nein, ich bin zufrieden mit meinem Freundeskreis und wüsste nicht, warum ich ihn irgendwie künstlich vergrössern sollte.

Zur Politik: Kann sie überhaupt noch etwas bewirken oder hängt alles nur noch von wirtschaftlichen Zwängen ab?

Ou, da bin ich jetzt nicht so der Fachmann. Als Bürger und Wähler kann ich nur sagen, dass die Politiker und Parteien ihre Finanzierungsmodelle offenlegen sollten. Dann könnten man auch besser beurteilen, warum sich welcher Politiker für was einsetzt. Das täte der etwas angekratzten Glaubwürdigkeit der Politik gut.

Können Sie sich vorstellen, ­irgendwann Politiker zu werden?

Nein, dafür mache ich viel zu prägnante Aussagen.

Sie gelten als Linker.

Tatsächlich? Das ist eine Fremdwahrnehmung. Ich selber ordne mich nicht in dieses Links-rechts-Schema ein. Den Grünliberalen wird ja von euch Medien immer vorgeworfen, sie hätten kein Programm. Ich selber habe so gesehen auch kein Programm, sondern entscheide mich immer situativ, möglichst sach- und themenbezogen.

Nicht für eine Partei, sondern für die Vernunft.

Hei, das haben Sie jetzt aber schön gesagt.

Und was sagt die Vernunft? Haben wir ein Problem mit jungen Ausländern?

Da kann ich nur eine subjektive Empfindung aus meiner Jugendzeit wiedergeben, die auch schon ein paar Jahre her ist. Damals waren irgendwelche Stresssituationen und Pöbeleien immer mit ausländischen Jugendlichen verbunden. Ich gehe davon aus, dass viele andere Schweizer Jugendliche die genau gleiche Erfahrung machen. Das sollte man nicht einfach negieren, so, wie die Linken es jahrelang gemacht haben – ein Riesenfehler!
Wir Schweizer sind extrem stolz auf unsere Toleranz. Das ist auch richtig so, aber nur solange die Toleranz nicht zur Gleichgültigkeit wird. Wir sollten deutlicher sagen, was uns wichtig ist und was wir erwarten. Schliesslich passen wir uns auch an, wenn wir im Ausland sind.

Wie wichtig ist der Sport bei der Integration?

Da kann ich nur Sepp Blatter zitieren (Huggel macht eine grosse Geste und spricht in einem Mischmasch aus ­Walliserdeutsch und Hochdeutsch): «Fussball ist eine Universalsprache.» Immerhin hat der Fifa-Präsident wenigstens in diesem Punkt absolut recht. Wenn einer Fussball spielen kann, versteht man sich immer, egal, woher er kommt und wie er spricht. Entsprechend gross ist die integrative Wirkung dieser Sportart und des Sports allgemein.

Wenden wir uns aktuellen politische Fragen zu: unser Verhältnis zur EU, der Kauf von Kampfjets, Bausparen …

Bausparen – ein spannendes Thema. Ich habe dazu natürlich intensivst die Debatte bei der TagesWoche verfolgt. 79 Prozent haben bei euch ja dagegengestimmt. Als ich das las, dachte ich sofort, aha, die haben aber eine ziemlich linke Leserschaft.

Gegen das Bausparen ist zum Beispiel auch der Ökonom Silvio Borner – alles andere als ein Linker.

Mag sein. Ich kann auch das Argument von Susanne Leutenegger Oberholzer (SP) nachvollziehen, die sagt, vom Bausparen profitierten vor allem die Reichen, indem sie Steuern sparen. Meiner Meinung nach hat die Idee mit dem Bausparen aber dennoch was für sich – weil viele junge Familien zu wenig Platz zum Wohnen haben.

Wie sieht die Lösung im Verhältnis zur EU aus?

Derzeit halten wir Schweizer uns ja alle für clever, weil wir nicht in der EU dabei sind. So falsch kann es also nicht sein. Dennoch halte ich das langfristig für keine Lösung, ständig irgendwelches EU-Recht übernehmen zu müssen, ohne wirklich dabei zu sein und mitbestimmen zu können.

Brauchen wir neue Kampfjets?

Nein. Meiner Meinung nach brauchen wir auch keine Armee. Die alten «HD Läppli»-Filme finde ich zwar immer noch grossartig, die Bedrohungslage hat sich seit dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg aber schon sehr verändert …

Was ist von der Verschärfung des Hooligan-Konkordates zu halten?

In eurem Schwerpunkt zu dem Thema habt ihr nicht ganz zu Unrecht geschrieben, einzelne Politiker würden sich mit der Forderung nach immer schärferen Kontrollen profilieren. Ich sehe aber schon auch einen Grundkonflikt zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem nach persönlicher Freiheit. Im Flugverkehr haben sich die Präferenzen nach 9/11 auch verschoben. Möglicherweise gibt es in den Stadien nun einen ähnlichen Trend, nachdem es dort mehrfach Probleme gegeben hat, auch mit Pyros. Wir dürfen keinesfalls hinnehmen, dass die jungen Familien nicht mehr ins Stadion kommen, weil sie Angst haben. Damit würde die Basis des gesamten Fantums zerstört. Dieser Virus, diese Liebe zum FCB ist bis jetzt nämlich immer genauso von Generation zu Generation weitergegeben worden, wie es auch die Fans singen: «Sait de Babbe zu sim Soon, hütt gön mir ins Stadion.» Am schönsten wäre natürlich, wenn die Selbstregulierung in den Kurven spielen würde.

Für welche Sportart muss man sich neben Fussball interessieren?

Als Mensch muss man schwimmen können und als Schweizer Ski fahren.

Als Profifussballer dürfen Sie wegen der Verletzungsgefahr doch nicht Ski fahren – oder?

Nein, und im vergangenen Jahr habe ich es auch wirklich nicht getan, weil ich inzwischen eher ein Schönwetterfahrer bin.

Warum wird eigentlich ein solches Tamtam um den Fussball veranstaltet?

Fussball ist ästhetisch, Fussball kann unglaublich spannend sein und Fussball ist im Mensch drin. Jedes Kind versucht, nach etwas zu treten. Das kontrolliert zu tun, ist unglaublich schwierig. Und unglaublich faszinierend, wenn es klappt.  

Haben Sie als Profi ein anderes Verhältnis zum Fussball als der Fan – ein nüchterneres, distanzierteres?

Nein, das nicht, ich bin ja viel näher dran, direkt auf dem Platz. Als Spieler habe ich das Schicksal in den eigenen Füssen. Das Glück eines Fans hängt dagegen von anderen ab.

Ist die Vorstellung nicht etwas ­ungeheuer, dass das Wohlbefinden Tausender von Menschen ­zumindest vorübergehend von ­Ihrer Leistung abhängt?

Manchmal schon.

Ist es mühsam, berühmt zu sein?  

Ich bin zufrieden.

Kinder sagen, Sie würden schimpfen, wenn man Sie auf der Strasse mit Du anspricht.

Das ist eine absolut falsche Aussage. Ich habe es gerne, wenn man mir Beni sagt. Aber «Du, Huggel», das mag ich nicht. Wenn schon: Herr Huggel.

Haben Sie Angst vor der Leere nach dem Fussballerleben?

Ja. Ich habe schon als Kind immer Fussball gespielt, dann hatte ich das Glück, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Wenn das wegfällt, wird sich schon eine Leere auftun.

Was macht der Beni Huggel in fünf, zehn, fünfzehn Jahren?

Ich habe zwar viele Ideen, aber keine konkreten Pläne. In irgendeiner Form möchte ich dem Sport gerne verbunden bleiben. Darum habe ich auch mit dem Trainerlehrgang angefangen.

Haben Sie am Morgen Schmerzen beim Aufstehen?

Manchmal, ja.

Fühlen Sie sich eigentlich tatsächlich noch jung, wie Sie vorhin sagten? Eigentlich gelten Fussballer mit 34 ja schon als alt.

Warum auch sollte ich mich nicht mehr jung fühlen? Wer wie ich mit Mitte 30 noch keinen Wohlstandsranzen hat, ist doch schon mal dick drin.

Herr Huggel, das mit dem Ranzen fassen wir jetzt etwas als persönliche Spitze auf.

(Lacht.) So wars nicht gemeint. Ich möchte eigentlich nur sagen, dass es nicht alte und junge Spieler gibt, sondern nur gute und schlechte. Leider will niemand diese Weisheit von Otto Rehhagel hören.

Muss man seine Teamkollegen mögen?

Das ist sehr wichtig, ja. Sympathien wirken sich immer positiv aus, auch auf dem Feld.

Nerven Sie sich manchmal, wie viel wert in Ihrer Branche auf Äusserlichkeiten gelegt wird, auf schöne Frisuren, schöne Klamotten, schöne Frauen, schöne Autos?

Nein.

Weil Sie alles haben?

Oh, danke, ich richte meiner Frau das Kompliment gerne aus. Aber im Ernst: Ich habe nie versucht, mich mit Äus­serlichkeiten zu profilieren. Mich stören mehr diese Klischees. Der angeblich dumme Fussballer zum Beispiel. Tatsache ist, dass es im Fussball genauso viele Dumme und Schlaue gibt wie in der übrigen Gesellschaft.

Herrscht im Fussballbetrieb eine Macho-Kultur?

Es läuft jedenfalls nicht so, dass man vor dem Spiel mit dem Gegner zusammensitzt und sagt, du, ich würde nachher gerne mal zu einem Dribbling ansetzen und eventuell sogar an dir vorbeiziehen, aber selbstverständlich nur, wenn du einverstanden bist. Im Fussball sind andere Qualitäten gefragt.

Da muss man manchmal eine Drecksau sein.

Richtig. Die Zuschauer wollen doch nichts anderes, als Helden bejubeln und sie scheitern sehen, genau gleich wie in einem griechischen Drama. Also muss man kämpfen. Weltverbessererer sind fehl am Platz. Darum habe ich Ivan Ergic auch zusammengestaucht, als er dem Schiri gesagt hat, er habe fälschlicherweise ein Foul für uns gepfiffen. Und das in einer Finalissima gegen YB, nur 18 Meter vor dem gegnerischen Tor! Es wäre eine super Chance gewesen!

Ist doch sympathisch von Ergic, dass er ehrlich war.

Ich bin nicht unfair, aber nicht päpst­licher als der Papst. Mal wird irrtümlich für uns gepfiffen, mal für die anderen. Ich stand schon auf dem Platz und der Schiri gab ein Tor, das keines war. Es war unglaublich! Aber zugegeben hat das selbstverständlich niemand beim Gegner. Nur gejubelt haben sie.

Schmerzen Niederlagen lange?

Einige sehr, sehr lange. Ich habe in meiner Karriere aber zum Glück sehr viel häufiger gewonnen als verloren.

Kann man als Fussballer offen über seine Ängste vor Verletzungen, vor Niederlagen, vor einem Versagen reden?

Wenn einer es schafft, seine Ängste mithilfe eines anderen aufzuarbeiten und ihm dann – trotz allem – eine Karriere gelingt, finde ich das grossartig. Ich glaube aber nicht, dass viele das schaffen. Die meisten scheitern früh, weil die Psyche gleich wichtig ist wie der Körper und die soziale Herkunft. In die Elite schaffen es nur die Besten.

Wann ist der Druck am grössten? Vor dem Spiel? Auf dem Platz? Nachts im Bett?

Eher noch im Bett als auf dem Platz.

Wie geht man damit um?

Man muss sich ablenken, auf andere Gedanken kommen. Ich sage mir immer: Ein Spiel ist wie eine Prüfung. Wer gut vorbereitet ist, bringt seine Leistung.

Was halten Sie von Sportjour­nalisten?

Gegenfrage: Was hat ein normaler ­TagesWoche-Journalist gelernt, bevor er etwa über Politik schreibt?

Er hat zum Beispiel Geschichte und Deutsch studiert.

Mmh, das ist okay. Ich frage mich immer: Welche Ausbildung bräuchte ein Sportjournalist? Leider gibt es die noch nicht. Darum schreiben sie so oft über alles – ausser übers Spiel. Schade.

Als Fussballer profitieren doch auch Sie von der Personalisierung und dem ganzen Trara rund um das eigentliche Spiel.

Das kann ich nicht beurteilen. Mich stört jedenfalls diese wahnsinnige Macht, welche die Sportjournalisten haben. Sie erklären in vielen Fällen nichts oder wenig und  strecken nur den Daumen rauf oder runter, was für den einzelnen Spieler erhebliche Auswirkungen haben kann.

Warum stören sich die Menschen an Millionen-Boni für Banker, nicht aber an Millionen-Gehältern für Fussballer?

Na, ja, Kritik gibts auch an den Fussballerlöhnen.

Für die «Scheissmillionäre»?

Das hört man in den Stadien tatsächlich seltener als auch schon. Meiner Ansicht nach gibt es aber auch einen entscheidenden Unterschied zwischen Fussballern und Managern: Als Spieler trage ich das Risiko, 40 bis 50 Prozent meines Gehalts hängen vom Erfolg ab. Wenn dagegen ein Manager ein Unternehmen in den Sand setzt, erhält er vielleicht sogar noch eine fette Abfindung. Das widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden.

Was ist von der Occupy-Bewegung zu halten?

Ich weiss nicht genau, was ihr Ziel ist, aber dass die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr aufgeht und es auch der Mittelstand schwer hat, fällt mir schon auch auf. In anderen Ländern ist das extrem. Julio Rossi, Gimenez und Costanzo haben immer von Argentinien erzählt, wo sich die Reichen in Ghettos zurückziehen, weil sie sonst nirgends mehr sicher sind. So weit kommt es, wenn es viele Menschen gibt, die nichts mehr zu verlieren haben. Wir sind zum Glück noch ein gutes Stück davon entfernt. Darum haben unsere Argentinier die Schweiz auch immer für ein Paradies gehalten.

Sie sind nicht einer, der den Weltuntergang oder zumindest den ­Zusammenbruch des Wirtschaftssystems befürchtet?

Nein, die soziale Marktwirtschaft ist immer noch das beste System, um das wirtschaftliche Zusammenleben zu organisieren. Allerdings sollte man den freien Markt auch wirklich spielen lassen. Doch was passiert, wenn eine Grossbank, die stets De­regulierung gepredigt hat, plötzlich Probleme hat? Dann zahlt die ­Öffentlichkeit 60 Milliarden Franken, um sie zu retten, ohne dass im Par­lament ernsthaft darüber debattiert würde. Da stimmt bei uns schon auch etwas nicht mehr.

Zu den USA: Soll Barack Obama noch einmal gewählt werden?

Ich würde immer Demokraten wählen.

Welche Bücher soll man lesen?

Die Krimis von Jussi Adler-Olsen. Die sind unglaublich spannend.

Was gefällt Ihnen an Krimis?

Das Böse, das der Autor erschafft. Die menschlichen Abgründe. Da kann man einiges lernen über den Menschen.

Welche Musik muss man hören?

Primus müsste ich als Ex-Döschwo-Bassist sagen. Rock, Independent, ­Alternative Pop ist mir aber lieber.

Zeitungen lesen Sie auch?

Ich kann nicht anders. «Spiegel», «NZZ am Sonntag», TagesWoche. Allerdings wärs mir lieber, ihr würdet jeden Tag in gedruckter Form erscheinen. Vor dem Zmorge noch den Laptop zu starten, ist mir etwas zu umständlich.

Herr Huggel, Sie haben auf alles eine Antwort. Dann können Sie uns sicher auch sagen, wo es das beste Cordon bleu der Region gibt.

Nein, da muss ich passen.

Aber das Lieblingslokal können Sie uns nennen.

Das «Poco Loco» in Arlesheim, das von meinem Juniorentrainer geführt wird.

Ist gesundes Essen eigentlich so wichtig, wie die vielen Ernährungsberater behaupten?

Es ist wie bei allem eine Frage der ­Dosis. Übermass ist nie gut. Manche meinen aber, ein Fussballer dürfe nie, nie, nie ein Glas Bier oder ein Glas Wein trinken, eine Zigarette rauchen oder in den McDonald’s gehen. Das ist dann auch wieder übertrieben. Wenn mich bei Gelegenheit wieder einer fragt, ob ich tatsächlich auch mal ein Bierchen trinke, antworte ich jeweils: Ja – und ich trainiere sogar noch. Einfach nicht direkt nach dem Bier, versteht sich.

Wo haben Herzog und de Meuron das schönere Stadion hingestellt: in Basel oder in München?

Architektonisch ist das Münchner ­Stadion wohl schöner, unseres ist aber dennoch das schönste der Welt!

Eine letzte Frage: Was ist eigentlich lustig an der Basler Fasnacht?

Ha, jetzt kommt noch eine wirklich ­interessante Frage. Wirklich lustig ist die Basler Fasnacht nicht. Eher schön. Da kann man in einen Keller gehen und einfach miteinander reden, ganz ohne Musik. Sonst wird man immer und überall berieselt, in den Bars, in den Lounges und den Discos sowieso. An der Fasnacht kann man dann endlich reden! Und dann diese Schnitzelbängg! Grossartig, häufig! Und fast noch mehr Spass macht es mir, mich versteckt hinter einer Larve auszu­leben, mit den Leuten zu spielen, zu ­intrigieren. «Gäll, du kennsch mi nid?», frag ich sie immer zuerst und sie kennen dich tatsächlich nicht. Für einmal nicht der Beni Huggel zu sein, das macht unglaublich Spass. 

Herr Huggel, noch eine allerletzte Bitte: Könnten Sie uns als Fasnächtler nicht vielleicht noch ein Värsli brünzle?

Für d Tageswuche sotti e paar Värsli schmiide
Für e Schütteler könn is no guet, wird mr beschiide
Drum suech i nach Wörter für die jungi Pflanze
Suech dr Sinn und Zwäck fürs grosse Ganze
Drbi hätt i dr Journalismus als Eibaan gärn
Denn übertriebes Sändigsbedürfnis liggt mr färn
Drum will i e Blatt, wo jede Morge schmöggt
As wurde d Gronischte riefe: Hesches böggt?
Früsch, fräch, jung und trotzdäm druggt
Altmodisch uf Papiir, aber au e bitz veruggt
Blog, Twitter oder «I like it»-Knopf
Jedi Redaggtion hänggt am Social-Media-Tropf
Doch öbbis blibt für immer e Bangg
Für das gits au kei Zauberdrangg
Ob bim Schriibe, Schutte, Baue oder Schnuure
Eins isch klar – Qualität setzt sich duure
Drum wünsch ich däm junge Blatt ganz vill Saft
Und nie vrgässe – In dr MITTI liggt d Kraft

Benjamin Huggel – zur Person:
Am 7. Juli wird der Münchensteiner 35 Jahre alt. Er begann 1998 seine Profikarriere erst mit 21 Jahren beim FC Basel, nachdem er zuvor eine Lehre zum Landschaftsgärtner abgeschlossen hatte. Im Dress des FCB bringt er es (Stand Ende Februar) auf 290 Punktspiele, sechs Meistertitel und vier Cupsiege. Zwischen 2005 und 2007 spielte er 68-mal für den Bundesligisten Eintracht Frankfurt. 41 Partien und ein legendäres Fuss­gemenge in Istanbul bestritt er für die Schweiz und erzielte deren 1000. Länderspieltor. 2010 wurde der oft Unterschätzte zum Schweizer Fussballer des Jahres gewählt. Seit der Rückkehr 2007 nach Basel zählt er mit Marco Streller und Alex Frei zu den Identifikationsfiguren des FCB und hofft, dass er seinen im Sommer auslaufenden Vertrag ein weiteres Mal verlängern kann.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12

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