Geburtshelferin der Stadtentwicklung

Es gibt in Basel kaum eine Um- oder Zwischennutzung, in die Barbara Buser nicht involviert ist.

Barbara Buser auf «ihrem» Gundeldinger Feld, wo unter ihrer Regie das ehemalige Sulzer-Areal umgenutzt wurde. Als nächstes hat sie die Markthalle im Visier. (Bild: Stefan Bohrer)

Es gibt in Basel kaum eine Um- oder Zwischennutzung, in die Barbara Buser nicht involviert ist. Die Architektin spricht aber lieber über Menschen als Gebäude.

Zum Gespräch auf dem Gundeldinger Feld erscheint Barbara Buser mit fleckigen Händen, darin hält sie Holzklötzchen. Es handelt sich dabei um die Überreste eines Industrie­bodens aus einer der Hallen der ­ehemaligen Sulzer-Fabrik. Das Gundeldinger Feld ist wohl das bekannteste Projekt der Architektin und Stadtentwicklerin. Aber sie hat in der ganzen Stadt Spuren hinterlassen. Das jüngste Kapitel ist die Markthalle. Dort will Buser bis in vier Jahren eine Essens- und Genussmeile etablieren.

Sie waren vor Kurzem in Portugal. Haben Sie neue Ideen für die Markthalle mitgebracht?

Ja, tatsächlich. Ich kenne dort einen Laden, der ausschliesslich Meeresfrüchte verkauft. Gleichzeitig kann man die angebotenen Waren auch direkt vor Ort essen. Den Ladenbetreiber habe ich gefragt, ob er Interesse hätte, in Basel etwas Ähnliches zu versuchen. Er war ziemlich begeistert von der Idee.

Barbara Buser
Die 59-jährige Architektin ist in Basel geboren und lebt im Gundeldinger Quartier. Sie ist Mutter einer Tochter. Nach ­ihrem Studium an der ETH war sie rund 10 Jahre in der ­Entwicklungszusammenarbeit tätig. Unter anderem hat sie in Tansania die Gebäude der Universität von Dar es Salaam renoviert.
Zurück in Basel gründete sie die Bauteilbörse, und 1998 begann sie zusammen mit dem Architekten Eric Honegger die Umnutzung der ehemaligen Volksbank zum «Unternehmen Mitte». Bekannt ist auch das Gundeldinger Feld, aus einer ehemaligen Maschinenfabrik machte sie ein buntes Quartierzentrum. Jüngster Coup der umtriebigen Architektin: die Umnutzung der Markthalle in einen Markt mit Gastro­nomie.
Buser steht ausserdem regelmässig am Ruder der Münsterfähre.

Vor vier Jahren sind Sie im Wettbewerb um die Markthalle unterlegen, jetzt kommen Sie doch noch zum Zug. War die Genugtuung gross?

Ich habe es lustig gefunden, dass irgendwann die Credit Suisse angefragt hat, ob wir immer noch bereit wären, unseren Vorschlag umzusetzen. Schade ist, dass durch die Nutzung der letzten Jahre vieles von der Atmosphäre der Halle kaputt gemacht wurde. Wir wissen noch nicht, wie wir das wiederherstellen können.

Die kommerzielle Nutzung der Markthalle war ein Flop. Jetzt dürfen Sie den Ort umnutzen, ohne dass die Rendite grösste Priorität besitzt. Waren die Investoren so verzweifelt?

Sie wussten, dass es so nicht weitergehen kann.

Zwischennutzungen sind aus Sicht der Eigentümer allerdings oft die letzte Option.

Wir machen keine Zwischennutzung, sondern sind langfristige Mieter dieser Halle, das ist ganz wichtig. Niemand ist bereit, zu investieren, wenn keine Aussicht auf Längerfristigkeit besteht. Wir haben aber eine Sollbruchstelle eingebaut: Wenn wir bis in drei Jahren nicht bestimmte Zahlen erreichen, hören wir wieder auf. Bis es richtig losgeht, werden wir aber teilweise auch zwischennutzen.

Dennoch: Projekte, wie Sie sie machen, stehen nicht zuoberst auf der Wunschliste von Eigentümern. Warum ist das so?

Weil jeder zuerst Geld verdienen will. Das hat auch die CS versucht, nur ist sie damit gescheitert. Dazu kommt, dass Schweizer den Drang haben, es immer sofort recht machen zu wollen. Diese Haltung funktioniert nicht bei Zwischen- und Umnutzungen. Die Dinge müssen vor Ort entstehen, aus einem akuten Bedürfnis heraus und dürfen nicht als Konzept in irgendeinem Büro erarbeitet werden.

«Schweizer wollen immer alles ‹recht› machen. Bei Zwischennutzungen funktioniert das nicht.»

Mit dem Verein «Unterdessen» unternehmen Sie den Versuch der Professionalisierung von Zwischennutzungen. Ist das wirklich nötig?

Professionalisierung würde ich das nicht nennen. Wir verstehen uns eher als Schnittstelle zwischen Nutzern und Eigentümern. Uns geht es da­rum, Zwischennutzungen überhaupt erst zu ermöglichen. Es herrscht Platzmangel, da ist es nicht fair, gute Häuser leerstehen zu lassen.

Sie stellen sich mit Ihrem Netzwerk als Vertrauenspartner der Verwaltung zur Verfügung. Das ist doch eine Professionalisierung.

Was wir tun, ist eigentlich eine Übersetzungsarbeit. Die Zwischennutzer verstehen nicht, was ein Verwaltungsangestellter sagt, und umgekehrt fehlt dem Beamten funktionsbedingt oft das Verständnis für die Probleme einer Zwischennutzung.

Im Hafen hat man direkt beo­bachten können, wie gründlich es schiefgehen kann, wenn die Verwaltung eine Zwischen­nutzung organisieren will. Wo­ran hat es gelegen?

Die Zuständigkeiten waren nicht eindeutig und die minimalsten Rahmenbedingungen nicht geklärt. Es gab ja nicht einmal ein Abwassersystem. Wenn derart grundlegende Dinge nicht geregelt sind, dann wird es ­extrem schwierig, etwas auf die Beine zu stellen.

Eine praxisferne Kopfgeburt also?

Ich glaube, man wollte wirklich etwas erreichen, der Wille war vorhanden. Aber ein Wettbewerb ist von mir aus gesehen das falsche Vorgehen. Denn dabei wird nicht zusammen etwas entwickelt, sondern die Projekte werden anhand vordefinierter Kriterien ausgewählt.

Und auf der Seite der Gewinnerprojekte entsteht zudem eine Anspruchshaltung.

Genau.

Es gibt im Moment in Basel zwei Sorten von Zwischennutzern. Diejenigen mit einem eher akademischen Zugriff, die stadtentwicklerische Pläne verfolgen. Daneben gibt es die Macher, die anpacken und Tatsachen schaffen. Erstere sind wenig erfolgreich, letztere hingegen schon. Woran liegt das?

Wozu zählen Sie uns?

Da bin ich mir noch nicht ganz sicher.

(lacht) Für Zwischennutzungen braucht es vor allem die Macher. Dazu zählen wir auch uns selbst, denn Rahmenbedingungen zu schaffen und gute Verträge auszuhandeln, gehört für mich auch dazu. Was kaum funktioniert, ist, wenn man sich Konzepte zurechtlegt und dann versucht, diese in die Realität zu übertragen. Etwas entstehen zu lassen, bedingt, dass man einfach mal anfängt und dann schaut, was geschieht. Natürlich kann das auch schiefgehen, wie zuletzt beim Schiessplatz in Allschwil.

Was war dort das Problem?

Das grösste Problem bei den meisten gescheiterten Zwischennutzungen ist, dass die Leute nicht miteinander reden. Genau dort springen wir mit «Unterdessen» in die Bresche. Ich bin überzeugt, dass man es auch auf dem Schiessplatz hinbekommen hätte, wenn die richtigen Leute miteinander gesprochen hätten. Der Abbruch war unnötig und daneben.

Wann haben Sie erkannt, dass es diese Schnittstelle zwischen Eigentümern und Nutzern braucht?

Als 2007 das Hotel am Steinengraben besetzt wurde und nach nur einem Tag zuerst die Räumung und dann der Abbruch kam, hat mich das wahnsinnig wütend gemacht. Aus Holland kannte ich das Konzept von Genossenschaften, die leerstehende Gebäude vorübergehend mieten und gegenüber dem Eigentümer haften. So kann wenigstens die Nutzung gewährleistet werden. Diese Idee wollte ich hierher bringen. Also habe ich sie Guy Morin präsentiert. Bald kam das erste Projekt an der Feldbergstrasse (Ladybar), und dann haben wir den Verein gegründet.

«Den Vorwurf höre ich oft, dass immer ich alles machen würde. Es ist ja nicht so, dass ich mich darum reisse.»

Woran liegt es, dass gerade Immobilien Basel-Stadt so viele Objekte leerstehen lässt?

Ein Amt kann keine Zwischennutzung organisieren, deshalb sollte es uns damit beauftragen. Oder auch jemand anderen, ich muss ja nicht alles machen.

Dennoch gibt es kaum ein Umnutzungsprojekt, in das Sie nicht involviert sind.

Den Vorwurf höre ich oft, dass immer ich alles machen würde. Es ist ja nicht so, dass ich mich darum reisse, ich finde einfach, dass etwas gemacht werden muss. Wenn sich sonst niemand darum kümmern will, dann mache ich es halt.

Man könnte aber tatsächlich auf den Verdacht kommen, dass Sie eine Art Monopol auf die alternative Nutzung leerstehender Gebäude haben.

Überhaupt nicht, das kommt davon, dass niemand anderer etwas machen will. Ich gebe gerne Auskunft und versuche jedem zu helfen, der ein solches Projekt auf die Beine stellen will. Aber es braucht halt Leute, die bereit sind, Zeit und Energie zu investieren.

Fehlt diese Bereitschaft in Basel?

Anscheinend schon, sonst gäbe es nicht so viele leerstehende Häuser. Einfach nur besetzen bringt eben auch nichts, da kommt man nicht weiter. Man wird von der Polizei rausgetragen, und dann wird das Gebäude auch gleich noch abgerissen. Das Wichtigste ist der Dialog zwischen Nutzern und Besitzern. Wenn ein Eigentümer sein Gebäude selber nutzen will, dann muss dieser Wunsch auch respektiert werden. Wenn der Auszug mit Mietgerichten und so weiter ewig hinausgezögert wird, schadet das der Sache.

Das heisst, auch die Zwischennutzer erliegen der Stagnation, wenn sie sich an einem Ort einmal eingerichtet haben?

Ja, definitiv. Menschen verspüren einen grossen Widerstand gegen Veränderungen. Wenn etwas einmal läuft, dann soll dies möglichst für immer so bleiben. Bei Zwischennutzungen aber ist das Ende meist offen, was vieles erst ermöglicht. Diese Ungewissheit wirkt sich auf die Geisteshaltung der Nutzer aus, was das Ganze überhaupt erst so spannend macht. Gerade die Vorläufigkeit wird so zur Bereicherung.

Sind Sie mehr Architektin oder mehr Stadtsoziologin?

Studiert habe ich zwar Architektur; trotzdem macht sie nur etwa einen Drittel meiner Arbeit aus.

«Nicht die Architektur ist politisch, sondern die Besitzverhältnisse.»

Seit einer halben Stunde sprechen wir über Architektur und die Nutzung von Gebäuden; trotzdem kommen Sie immer wieder auf das Wesen der Menschen zu sprechen.

Mir geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Gebäude. Die Grundfrage ist: Macht ein gutes Gebäude gute Menschen? Meine vorläufige Antwort auf diese Frage ist, dass es eine Wechselwirkung ist.

Ist Architektur auch politisch?

Nicht die Architektur ist politisch, sondern die Besitzverhältnisse. Ich bin der Überzeugung, dass der Boden der Allgemeinheit gehören sollte.

Sie sind also auch Utopistin?

Klar, aber dennoch sehr pragmatisch.

Ihr Geschäftsmodell ist ziemlich ausgeklügelt und deckt die ganze stadtentwicklerische Verwertungskette ab: Sie betreiben ­einen Thinktank zur urbanen Entwicklung, ein Architektur­büro für den Bau und verschiedene Vereine und AGs für die Verwaltung der Flächen. Können Sie schwer loslassen?

Wenn etwas läuft, kann ich gut loslassen. Das Architekturbüro benötigen wir, weil wir die Projekte, welche wir in der «Denkstatt» vorbereiten, gar nicht mit anderen Architekten umsetzen könnten. Wir wollen ja so wenig wie möglich bauen, und das können nur wenige meiner Kollegen nachvollziehen. Ich arbeite lieber mit den eigenen Leuten zusammen. Es ist einfacher, wenn man sich auf allen Ebenen versteht und die gleichen Ziele verfolgt. Nur die Verwaltung machen wir inzwischen nicht mehr selbst. Da haben wir einen Partner gefunden, mit dem wir uns gut verstehen.

Ist dieses «verstehen» der Grund, weshalb Sie immer mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten?

Ja, absolut. Dazu kommt eine gegenseitige Treue. Erst daraus entsteht diese Langfristigkeit, an der mir so viel liegt.

Läuft man so nicht Gefahr, in einer Art Blase zu leben?

Doch, es läuft so vieles so gut im ­Moment, da kann es schon passieren, dass man davon ausgeht, das sei überall so. Dann kommt man zuweilen schon etwas auf die Welt. Es ist natürlich eine Blase, aber solange es einem gut geht darin, spricht eigentlich nichts dagegen.

In einem Porträt über Sie stand, dass Sie bald kürzer treten wollen. Haben Sie es versäumt, Nachfolger aufzubauen, weil Sie immer mit den gleichen Leuten zusammengearbeitet haben?

So ist es natürlich nicht. Im Architekturbüro beispielsweise sind wir inzwischen acht Partner, nicht mehr nur zwei. Ich versuche so viel wie irgendwie möglich zu delegieren, um andere Leute einzubinden und auf ­ihren Weg zu schicken.

Eine Art Geburtshelferin?

Ich werde eher zu selten und zu spät um Rat gebeten, ich würde gerne jedem helfen, seine Ideen umzusetzen. Mit dem Baubüro erledigen wir beispielsweise eine Baubewilligung so günstig wie kaum ein anderes Büro. Das ist auch als Engagement zu verstehen gegenüber spannenden Ideen und Projekten. Wir verdienen damit kein Geld.

Warum können Projekte, wie Sie sie anstossen, nicht rentieren?

Ich bin nicht sicher, ob sie das wirklich nicht können. Wir wollen es einfach nicht.

Direkt und indirekt: Wie gross ist der Anteil Ihres Umsatzes aus öffentlichen Geldern oder Stiftungsmitteln?

Wir erhalten kein Geld von Stiftungen oder von der öffentlichen Hand.

Ich denke da beispielsweise an das Restaurant Blinde Kuh, welches sich die Mieten auf dem Gundeldinger Feld wohl kaum leisten könnte ohne Gönnerbeiträge und Stiftungsgelder.

Jeder unserer Mieter bezahlt einen Mietzins; woher sie dieses Geld haben, ist nicht meine Sache.

Wie weit geht Ihre Utopie bei der Auswahl der Mieter?

Unsere Mieten sind teilweise unter dem Marktwert und verändern sich auch nicht. Wir erhalten aber keine Subventionen und müssen Geld verdienen, sonst wäre das alles nicht möglich.

Sie sind sehr gut vernetzt. Wie kommt das?

Ich getraue mich halt, die Leute einfach anzusprechen, egal welchen Posten sie innehaben. Das bin ich mir noch so gewohnt aus Afrika. Dort hat man als Schweizer Hilfswerk ständig mit Ministern zu tun und kommuniziert auf höchster Ebene. Ich habe diese Hemmungen nicht, wie sie hier so viele haben.

Wer an so vielen Projekten beteiligt ist, gerät doch bestimmt in Interessenskonflikte?

Nein, eigentlich nicht.

Sie sind beispielsweise die Autorin einer neuen Nutzungsstudie für das Gundeldinger Casino, welches Räume für Kulturveranstaltungen und Sitzungen anbietet. Gleichzeitig sind Sie Mitinhaberin des Gundeldinger Feldes, das nur wenige Hundert Meter entfernt das Gleiche tut. Wie verträgt sich das?

Das ist kein Problem, dort ist das ­Publikum anders als bei uns. Das Gundeldinger Feld ist sowieso zu klein geworden für alle die Nutzungen, die hier stattfinden. Wir sind mehr Ergänzung als Konkurrenz.

«Es geht mir nicht in den Kopf, dass man etwas abreisst, nur weil es nicht mehr der Mode entspricht.»

Sie reisen gerne, haben Erfahrungen gesammelt in der Entwicklungszusammenarbeit. Was davon steckt in Ihren Projekten hier?

Das ist die Grundlage, ohne diese ­Arbeit in Afrika und die Reisen gäbe es das Gundeldinger Feld nicht. Viele meiner Überzeugungen habe ich unterwegs gewonnen. Zum Beispiel, dass fast alles noch brauchbar ist. Was der eine als Abfall bezeichnet, ist für den anderen von grossem Wert.

Das Prinzip der Bauteilbörse.

Genau, das war die direkte Konsequenz aus dieser Erkenntnis. Wir haben in der Schweiz eine Bauqualität, die einmalig ist. Es geht mir nicht in den Kopf, dass man etwas abreisst und wegschmeisst, nur weil es nicht mehr der Mode entspricht.

Wie kommt es, dass Sie sich für alternative Projekte einsetzen und nicht den lukrativeren, kommerziellen Weg gewählt haben?

Architektur, die Luxus ist, das ist nicht meine Welt. Und mit Luxus meine ich nicht nur teure Villen, auch ein Einfamilienhäuschen zähle ich dazu. Solche Bauten sind unnötig. Wir nehmen solche Aufträge nicht an.

Architektur ist eben doch politisch.

Das stimmt, im Zusammenhang mit der Raumplanung ist sie tatsächlich sehr politisch.

Woher kommt Ihr Drang, sich zu engangieren?

Irgendwo bekommt man Werte mit auf den Weg. Ich fühle mich ganz einfach verantwortlich, weil es mir sehr gut geht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.08.13

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