Guy Morin: «Alle haben Fehler gemacht, aber wir lernen dazu»

Die Verantwortung für das Geschehen auf dem Hafenareal trage er, sagt der Basler Regierungspräsident. Aus seiner Sicht ist das Projekt erfolgreich. Ärgerlich findet Guy Morin, dass die Beschwerde der WG Klybeck die Weiterentwicklung des Ex-Migrol-Areals behindert.

Für die Zwischennutzungen am Basler Hafen sieht sich der Basler Regierungspräsident Guy Morin verantwortlich – obwohl es keinen eigentlichen Chef gibt. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Verantwortung für das Geschehen auf dem Hafenareal trage er, sagt der Basler Regierungspräsident. Aus seiner Sicht ist das Projekt erfolgreich. Ärgerlich findet Guy Morin, dass die Beschwerde der WG Klybeck die Weiterentwicklung des Ex-Migrol-Areals behindert.

Herr Morin, wer ist auf dem Hafenareal der Chef?

Das ist bei allen Areal-Entwicklungen und Bauten der Verwaltung nach dem Dreirollen-Modell geregelt. In diesem Modell gibt es keinen eigentlichen Chef. Es gibt den Nutzer, den Eigner und den Bewilligenden beziehungsweise Ausführenden. Nutzer sind im Fall der Zwischennutzung wir, also das Präsidialdepartement. Eigner ist immer das Finanzdepartement über Immobilien Basel. Und das Bau- und Verkehrsdepartement bewilligt und führt aus. Es sind also in jeder Entwicklung drei Departemente zuständig.

Was ist Ihre Rolle in diesem Prozess, in dem es keinen eigentlichen Chef gibt?

Wir, also das Präsidialdepartement, sind Nutzer. Und der Nutzer definiert die Inhalte und die Bedürfnisse, in diesem Fall konkret für die Zwischennutzungen. Neben dem Eigner hat der Nutzer also eine genauso wichtige Rolle im Prozess.

In der öffentlichen Wahrnehmung heisst es: Guy Morin ist schuld. Sie treten auch öffentlich in Erscheinung, etwa als Sie vergangene Woche zugunsten der jenischen Familie am Hafen einschritten. Tragen Sie denn letztlich nun die Verantwortung für die Situation am Hafen?

Ja, das hat mit meiner Aufgabe zu tun. Als Nutzer wollen wir verwaltungsintern die Dinge vorantreiben und setzen uns stark für die Interessen der Zwischennutzerinnen und Zwischennutzer ein. Das mache ich – und das mache ich auch gerne. Denn ich bin überzeugt, dass es diese Zwischennutzung auf der Klybeckinsel braucht. Schliesslich soll dort mittel- bis langfristig ein neues Quartier entstehen. In der aktuellen Übergangszeit ist die Zwischennutzung eine grosse Chance, mit der wir das Quartier einbeziehen können. Das Quartier – und das weitere Umfeld – sollen das Areal benutzen können und es sich dadurch im weiteren Sinne auch aneignen.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

«Die blockierenden Kräfte kommen vornehmlich aus dem Quartier. Wir spüren eine Angst vor Verdrängung und Aufwertung.»

Nun, sind Sie als Nutzer also zufrieden mit der heutigen Situation auf der Klybeckinsel?

Nein. Ich bin aus zwei Gründen nicht zufrieden. Ich stelle fest, dass am Hafen sehr viele Teilinteressen ins Spiel kommen, die sich zum Teil widersprechen und sich vor allem gegenseitig behindern. Und es gibt zum einen Kräfte, die keine Entwicklung am Hafen wollen – auch in Zukunft nicht. Diese Kräfte behindern auch die Zwischennutzungen, denn in ihren Augen gelten diese als Vorläufer dessen, was noch kommt. 

Wer will die Zwischennutzung konkret verhindern?

Die blockierenden Kräfte kommen vornehmlich aus dem Quartier. Wir spüren hier eine Angst vor Verdrängung und Aufwertung. Diese Kräfte wollen, dass alles gleich bleibt wie bisher, dass also am Hafen nichts passiert. Dazu zähle ich auch die Wohngenossenschaft Klybeck, die eine Einsprache gegen die Zwischennutzung auf dem Ex-Migrol-Areal – gegen den Holzpark Klybeck – gemacht hat. 

Und was ist mit den Wagenleuten und ihren Sympathisanten?

Das sind Kräfte, die wollen, dass alles frei bleibt, damit sie machen können, was sie wollen. Dazu gehören etwa «Uferlos» und «Haafescharte», auch die BastA! verorte ich in diesem Umfeld. Diese Kräfte sagen: Wir wollen uns nicht einem Regelwerk unterwerfen und tun, was wir wollen. Und da müssen wir halt sagen: Es gibt auf jedem Zentimeter Grund Regeln, die eingehalten werden müssen. Diese Regeln gelten zum Schutz der Menschen, die den Raum nutzen, und zum Schutz der Nachbarn: Baubewilligungen, Lärmvorschriften, Jugendschutz etc. So ist es auch bei diesen zwei Arealen. Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen, auch wenn ich überzeugt bin, dass es möglichst wenige sein sollen. Aber Anarchie, das gibt es nicht. 




(Bild: Hans-Jörg Walter)

«Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen, auch wenn es möglichst wenige sein sollen.»

Dafür haben Sie ja jetzt die Vereine I_Land und Shift Mode: Die zwei grossen Zwischennutzer.

Sie gehören zur dritten Gruppe, die auch politisch sehr aktiv ist: Es sind Kräfte, die Zwischennutzungen in der jetzigen Form wollen. Dabei handelt es sich um Menschen, die sagen: Nach dem Ende des NT-Areals ist der Hafen eine grosse Chance für eine ähnliche Zwischennutzung. Davon bin auch ich überzeugt. Aber auch in dieser Gruppe gab es immer wieder Interessenskonflikte und Rivalitäten, was sich mittlerweile gelegt hat. Wir haben jetzt zwei verlässliche Partner mit I_Land auf dem Ex-Esso-Areal und Shift Mode auf dem Ex-Migrol-Areal. Es gibt aber auch noch eine vierte Gruppe: Die Kräfte von rechts, die sich gegen eine Nutzung in dieser Form stemmen und lieber eine gewerbliche Zwischennutzung auf dem Areal sähen.

Ganz schön verfahren. Und dann gibt es da ja noch die zitierte Einsprache gegen den Holzpark.

Die Einsprache der Wohngenossenschaft Klybeck gegen den Holzpark Klybeck behindert uns derzeit am meisten. Ohne rechtsgültige Baubewilligung kann der Holzpark Klybeck nicht loslegen. Verwaltungsintern war bislang das Bewilligungsverfahren abgeschlossen, aber solange die Einsprache hängig ist, passiert bezüglich Holzpark auf dem Areal erst einmal gar nichts. Und das kann sogar noch andauern, wenn die Einsprache weitergezogen würde. Aus unserer Warte eine ärgerliche Situation.

Im Zusammenhang mit dieser Mehrschichtigkeit – Dreirollen-Modell des Kantons, Zwischennutzer, weitere Interessengruppen – fiel auch schon der Begriff «Teile und herrsche»: Zwischennutzer dienen als Pufferzone zwischen Störelementen und politischen Verantwortlichen.

Nein, und das ist auch keinesfalls Absicht der Regierung. Die Regierung will, dass diese Brachen – Ex-Esso und Ex-Migrol – durch Zwischennutzungen genutzt werden. Und dies nicht in einem rechtsfreien Raum, sondern in einem geregelten Rahmen, mit einem Zwischennutzungsvertrag. Das ist die Absicht. Natürlich lockt eine Brache jegliche wilde Nutzung oder Besetzung an. Diese schaffen immer wieder politische Konflikte – und das ist dem Prozess nicht dienlich. Herrscht dort ein ständiger Konflikt, dann entsteht nichts Positives, dann entstehen auch keine positiven Bilder. Letztlich dient das natürlich auch jenen, die wollen, dass mit dem Areal gar nichts passiert. Konflikte blockieren die Entwicklung. 

Aber das ist ja genau das, was kürzlich wieder passiert ist. Vergangene Woche wurde einer jenischen Familie vom Zwischennutzerverein I_Land schriftlich eine Räumung angedroht. Was lief falsch?

Entscheide über Ultimaten, Fristen oder Räumungsandrohungen sind immer Sache der Politik. Wir schieben keinesfalls einen Mieter vor – auch wenn rechtlich gesehen der Mieter eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs einreichen muss.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

«Entscheide über Ultimaten oder Räumungsandrohungen sind immer Sache der Politik.»

Nun hatte aber I_Land am Montag der Familie schriftlich mit der Anzeige bis Mittwochmittag gedroht, sollte sie den Platz an der Uferstrasse bis dann nicht geräumt haben.  

Das lief ordnungsgemäss ab. I_Land ist Vertragspartner und muss damit als Mieter den ersten Schritt tun. Das ist leider so, und da hat sich auch die Verwaltung daran zu halten. Als politisch Verantwortlicher kann letztlich aber nur ich sagen: Bleiben wir ruhig und gehen wir es gelassen an. Ich hatte am Montag leider eine Operation und versuchte noch, das entsprechende Signal zu geben, offensichtlich drang es nicht bis zu den Ausführenden vor Ort durch. Wir sind aber schnellstmöglich eingeschritten und haben entsprechend kommuniziert, dass eine Räumung sicher nicht das Ziel sei. Klar ist aber: Hierbei handelt es sich um einen politischen Entscheid und da übernehme ich die Verantwortung und nicht etwa der Verein I_Land.  

Shift Mode hat den noch deutlicheren Auftrag einzuschreiten: Per Klausel soll der Verein bei Besetzungen und ähnlichem umgehend und seinen Möglichkeiten entsprechend handeln. Was hat es damit auf sich?

Vielleicht ist die Formulierung dieser Klausel nicht gerade geschickt, aber sie drückt die politische Absicht der Regierung aus: Dass wir diese Brache einem Zwischennutzer namens Shift Mode vermieten, damit dieser geregelte Zwischennutzungen durchführt. Es soll keine Umgehung der Auflagen möglich sein, so unter dem Motto: «Da müssen wir jetzt nicht hinschauen, wenn etwas passiert.» Deshalb die strikte Formulierung. Das ganze Areal ist Industriezone und dort darf nach Definition nur ein Hauswart wohnen. 

Trotzdem duldet die Regierung noch die Wagenleute.

Ja. Vielleicht lag dem eine gewisse Naivität meinerseits beziehungsweise des Kollegiums zugrunde. Aber das übergeordnete Interesse, nämlich die Vermeidung von immer wiederkehrenden Konflikten wie weiteren Besetzungen und Räumungen, rechtfertigt aus unserer Sicht die Duldung des Wagenplatzes. Unsere Erwartung war, dass mit der Duldung das Konfliktpotenzial deutlich sinkt.

Und sank das Konfliktpotenzial?

Ja, es sank. Aber verschwunden ist es nicht. Es gibt immer noch einen Herd von grundsätzlichem Widerstand, der alles verhindern will. Das ist schade. Wir hatten mit der Duldung die Hoffnung, dass diese Konflikte kleiner werden. Das wurden sie zwar auch, aber zwischendurch kommt es immer wieder zu kleinen Störmanövern. 




(Bild: Hans-Jörg Walter)

«Die Veröffentlichung des Vertrags mit Shift Mode war nicht kritisch.»

Zurück zu Shift Mode: Der Vertrag – so es denn der echte ist – tauchte vor wenigen Wochen auf der Plattform «D Made im Daig» auf. Wie konnte das passieren?

Es ist der echte Vertrag. Aber es gilt ja auch das Öffentlichkeitsprinzip und sowohl die Regierung wie auch die Verwaltung haben hierbei nichts zu verbergen. Wieso dieser Vertrag nicht von Anfang an veröffentlicht wurde, weiss ich auch nicht. Es unterliegt meines Wissens nichts Wesentliches im Vertrag dem Datenschutz. Die Veröffentlichung war nicht kritisch. 

Was sind jetzt die weiteren Schritte am Hafen?

Was das Ex-Migrol-Areal betrifft, ist klar: Hier ist derzeit alles behindert durch die Einsprache der WG Klybeck. Auf dem Ex-Esso-Areal werden wir den Vertrag mit I_Land verlängern bis 2019. Damit werden beide Zwischennutzer dieselbe Vertragslaufzeit haben. Die Verlängerung wird aus meiner Sicht eine Formsache sein. Das Interesse ist auf beiden Seiten vorhanden und der Verein I_Land ist sehr erfolgreich. Dann besteht noch die Pendenz der provisorischen Passerelle: Das Areal ist bislang dürftig erschlossen. Eine zusätzliche Verbindung für die bessere Erreichbarkeit des Quartiers ist absolut sinnvoll, bis die definitive Erschliessung sichergestellt ist.

Und dann gehts richtig los?

Ja, dann entsteht Leben. Wenn der Holzpark Klybeck mit seinen Hallen steht, wenn noch weitere Projekte auf dem Ex-Migrol-Areal realisiert werden, wenn auch die Trendsporthalle in Betrieb ist: Dann kommt das, was wir versprochen haben. Nämlich, dass hier für die nächsten vier, fünf Jahre ein offener Ort entsteht, den das Quartier, die Jugendlichen und die Bevölkerung frei von Konsumzwang nutzen können. Aber dafür muss erst die Einsprache vom Tisch, die die Entwicklung des Ex-Migrol-Areals derzeit blockiert. 

Zusammengefasst: Wie lautet die Zwischenbilanz aus der Sicht des Basler Regierungspräsidenten?

Ich erachte das Projekt trotz allem als sehr erfolgreich. Denn bezüglich Zwischennutzung des Kantons auf Brachen haben wir noch keinerlei Erfahrungen – uns geht es hierbei gleich wie den anderen Kantonen. Da gebe ich sehr gerne zu, dass wir in einer Art Laborsituation sind, wo wir Erfahrungen sammeln, es ist eine Art Pilotprojekt. Da haben in der Vergangenheit alle Fehler gemacht, auch wir. Aber wir lernen dazu – auf allen Seiten. Und es ist auch für uns ein spannender Lernprozess, wie wir gerade aktuell am Fall der jenischen Familie gesehen haben.

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Weitere Hintergründe zur Situation der Zwischennutzungen auf der Klybeck-Halbinsel gibts in der «Chronologie eines politischen Scheiterns». Lesen Sie dazu auch den Kommentar zum «Pulverfass am Klybeckquai».

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