Herr Streller, muss man als Captain des FC Basel ein Lokalchauvinist sein?

FCB-Captain Marco Streller spielt heute mit seiner Mannschaft gegen den FC Sion. Die beste aller Entwicklungen hat er hinter sich: von ganz unten nach ganz oben. Wir haben mit ihm über mehr als Fussball gesprochen.

«Was für ein Vater sind Sie?» (Bild: Basile Bornand)

FCB-Captain Marco Streller hat die beste aller Entwicklungen hinter sich: von ganz unten nach ganz oben.

Und dann war nur noch einer übrig. Alex Frei weit weg in Luzern, Beni Huggel irgendwo zwischen TV-Kabine, Coiffeur und Trainingsplatz der U14 des FCB. Und ja, er vermisst sie. Aber Marco Streller kann es jetzt auch alleine. Der ewige Lausbub ist erwachsen geworden. Ein Gespräch mit dem Captain des FC Basel über Heimatliebe und mangelnden Respekt.

Wie fest vermissen Sie Beni Huggel?

Er fehlt mir sehr. Als er noch spielte, habe ich Beni beinahe öfter gesehen als meine Frau. Er ist ein sehr guter Freund. Und natürlich haben wir noch immer viel Kontakt, aber es war eine echte Umstellung ohne ihn in der Kabine. Beni fehlt mir auch auf dem Feld. Er hat viel zu spät die Anerkennung erhalten, die er eigentlich verdient gehabt hätte. Seine Spielweise war nicht spektakulär, aber extrem wichtig. Er war das Herz der damaligen Mannschaft.

An der ersten Meisterfeier wirkten Sie etwas verloren ohne Huggel.

Der Druck war sehr gross auf diesem Balkon. Beni war immer der Tätschmeister, früher durfte ich übernehmen, wenn er eine Pause brauchte. Nach mir ist das etwas schwieriger. Wir sind beide in Basel geboren und aufgewachsen – auf dem Balkon ist es mit Basler Dialekt einfacher als mit einem Ostschweizer, so wie ihn Fabian Frei spricht… (lacht). Was aber nicht wertend gemeint ist!

Die vergangenen zehn Jahre waren nicht nur auf dem Platz erfolgreich, sondern auch stilbildend für das Verhältnis zwischen der Stadt und dem Verein. Es gab immer eine lokale Anbindung. Wird das zum Problem, wenn die nach Ihrem Rücktritt fehlt?

Das wird sich zeigen. Es geht um die bedingungslose Liebe zum Club und zur Stadt. Den Weg den Alex, Beni und ich gemacht haben, via Ausland zurück nach Basel, der ist meiner Meinung nach super. Aber das geschieht nicht so häufig, und man muss sich bewusst sein: Eine Phase mit so vielen Einheimischen in der ersten Mannschaft ist extrem selten.

«Es spielt keine Rolle, woher du kommst. Wichtig ist, dass jemand vermitteln kann, was es bedeutet, für diesen Club zu spielen, dass jemand dieses Feuer weitergeben kann.»

Braucht es tatsächlich jemanden, der Baseldeutsch spricht, damit sich die Fans mit dem Club identifizieren können?

Nein. Ein Valentin Stocker, ein Yann Sommer, ein Fabian Frei stehen heute für diesen Club. Costanzo, Ergic, Giménez oder Rossi standen auch für diesen Club, und sie kamen aus Argentinien und Serbien. Es spielt keine Rolle, woher du kommst. Wichtig ist, dass jemand vermitteln kann, was es bedeutet, für diesen Club zu spielen, dass jemand dieses Feuer weitergeben kann. Nicht von ungefähr mag ich das Lied «Seit dr Babbe zu sim Sohn» so sehr. Darum geht es: Werte von einer Generation an die nächste zu übergeben. Nicht von ungefähr sind die Lieblingsfarben meines Sohns Rot und Blau.

Bis er pubertiert.

Vielleicht. Aber man darf durchaus auch noch mit einem anderen Verein sympathisieren. Ich habe das auch gemacht.

Sagen Sie jetzt nicht…

Nein, nein, um Gotteswillen. Es war kein anderer Club in der Schweiz. Damals ging Chapuisat zu Dortmund, und ich fand Dortmund toll. Das Herz war aber immer beim FCB, auch in schlechten Zeiten.

Wie ist es, als Marco Streller durch die Stadt zu spazieren?

Man wird sehr oft erkannt und erhält viele Rückmeldungen, die meisten sind positiv. Ich bin mir bewusst, dass ich eine Person der Öffentlichkeit bin, und kann mittlerweile gut damit umgehen.

Nervt es auch?

Natürlich stört es manchmal. Wenn ich mit meiner Familie am Essen bin, würde ich gerne meine Ruhe haben. Aber das ist part of the game. Wir machen vielen Leuten eine Freude, liefern Themen für den Stammtisch. Und manchmal nerven wir auch. Es ist meine Aufgabe als Captain da zu sein, wenn sich Leute Luft machen wollen. Die Leute in Basel sind sehr kritisch, was gut ist. Zum Glück sind sie aber auch sehr treu und begeisterungsfähig.

«Solange ich Fussballer bin, gehe ich lieber nicht in andere Schweizer Städte, auch wenn ich glücklich und stolz auf mein Land bin.»

Wie ist es in anderen Schweizer Städten?

Solange ich Fussballer bin, gehe ich lieber nicht in andere Schweizer Städte, auch wenn ich glücklich und stolz auf mein Land bin. Ich habe viele Länder gesehen, vor allem im Osten, wo eine unbeschreibliche Armut herrscht. Wir wissen manchmal gar nicht, wie gut es uns hier geht. Und so machen wir uns halt unsere eigenen Probleme. Es ist schade, dass ich mir Gedanken darüber machen muss, ob ich durch Zürich spazieren kann, ohne dumm angemacht zu werden. Das ist traurig. Darum fordere ich es während meiner Aktivkarriere auch nicht heraus, nach der Karriere wird das viel einfacher werden.
In unserer Ferienwohnung in Grächen im Wallis fühle ich mich und meine Familie sehr wohl. Wir pflegen dort ein tolles Verhältnis zu den Einheimischen.

Sie haben eine unglaubliche Entwicklung hinter sich: 2006 verschossen Sie zungenkreisend einen Penalty an der WM in Deutschland und waren ganz unten. Heute scheinen Sie in der Schweiz respektiert zu sein. Wie ging das?

Ich kam zu einer Zeit zum FCB, als sehr forsch und mit grossem Selbstvertrauen kommuniziert wurde. Wahrscheinlich habe ich mich oft auch zu forsch ausgedrückt, was mir als Arroganz ausgelegt wurde. Es ging einfach alles zu schnell: Ich spielte in der dritten Liga, und zwei Jahre später war ich in der Nationalmannschaft und Hoffnungsträger der Schweiz. Und dann eben, der Penalty. Der war der Ursprung von allem. Wir hatten vier Schützen im Achtelfinal gegen die Ukraine, einer fehlte noch.

Alex Frei war zuvor ausgewechselt worden.

Ja, ein paar Minuten vor dem Penalty. Der Trainer fragte mich, und ich sagte ja, ich wollte Verantwortung übernehmen. Und bin kläglich gescheitert. Statt nachher mein Versagen einzugestehen, habe ich in Interviews die Sprechchöre im Stadion kritisiert. «Ohne Holland fahren wir nach Berlin» hatten die Fans gesungen. Das war zwar schon etwas seltsam während unseres Spiels, aber sicher nichts, was ich nach der Niederlage hätte ansprechen sollen. Danach musste ich brutal unten durch. Acht Monate zuvor hatte ich das entscheidende Tor gegen die Türkei geschossen. Ich besuchte danach den Zibele-Märt in Bern und wurde von den Menschen beinahe auf Händen getragen. Ein Jahr später hätten mir die gleichen Menschen die Zwiebeln um die Ohren gehauen. Es liegt alles so nahe beieinander.

Warum wurde es wieder besser?

Ich habe immer versucht, respektvoll zu sein. Bei einem Tor keine Geste den anderen Fans gegenüber zu machen, einen provozierenden Mitspieler von der gegnerischen Fankurve wegzuholen, solche Dinge. Mit der Zeit hat man in den anderen Stadien gemerkt, der ist ja noch anständig. Der liebt seinen Club, hat aber nichts gegen uns. Nach einem Spiel in St. Gallen gingen wir mit ein paar Spielern ausnahmsweise in den Ausgang. Da waren auch ein paar St. Galler Fans, und die stellten ganz überrascht fest: «Du bist ja gar kein Arschloch.» Nein, das bin ich wirklich nicht. Geholfen hat auch, dass meine Leistungen besser wurden. Ich erlebte Phasen, da stimmte die Leistung nicht – da ist es logisch, dass du kritisiert wirst.

«Mit der Zeit hat man in den anderen Stadien gemerkt, der ist ja noch anständig. Der liebt seinen Club, hat aber nichts gegen uns.»

Auch am Auftritt in der Stadt haben Sie gearbeitet. Früher waren Sie der Letzte an der Bar, heute haben Sie einen vorbildlichen Lebenswandel. Was ist geschehen?

Der Körper vergibt einem vieles, wenn man noch jünger ist. Heute geht das einfach nicht mehr, ich kann nicht mehr so leben wie früher. Die Zeiten möchte ich nicht missen, die Erfahrungen, die guten und die schlechten. Sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Aber mit der Geburt meiner Kinder haben sich meine Prioritäten total verschoben. Ich trage Verantwortung für zwei neue Menschen, mein Sohn ist fünf, meine Tochter ist drei, und da hat ein anderer Lebenswandel einfach keinen Platz mehr. Allerdings: Wenn die Möglichkeit besteht, bin ich immer noch nicht abgeneigt, dann und wann mit den Jungs auf den Putz zu hauen.

Und es tags darauf auf einem Newsportal zu lesen.

Das ist das Schlimme: Karli Odermatt und Köbi Kuhn hatten auch ihre Geschichten. Sie wurden dabei aber nur von ein paar Leuten gesehen. Wenn ich heute irgendwo ein Bier trinke, blitzen die Handys, und am nächsten Tag heisst es in der Zeitung, der Streller habe zehn Bier getrunken. Auch wenn es nur zwei waren.

Das ist die Gnade der frühen Geburt.

Definitiv. Vergangene Woche sind wir mit meinem Cousin und seiner Freundin essen gegangen. Vier Freunde, alle im Alter von 30 bis 32. Wir stellten fest: Wir sind die letzte Generation, die noch nicht mit Internet und Handy aufgewachsen ist. Ich hatte mein erstes Handy mit 20! Als wir früher Hockey oder Fussball spielen wollten, gab es ein Rundtelefon. Frau Meier, darf Ihr Sohn noch raus? Das ist mit einer der Gründe, warum ich Beni in der Kabine so vermissen. Ich bin 32, die Degens sind 30, wunderbare Freunde, aber auch etwas anders… Die nächsten Spieler in der Kabine sind 24 – das ist eine andere Generation. In der Nationalmannschaft war es gleich: Früher wurde in der Freizeit gejasst. Heute ist nur noch Playstation-Time, natürlich mit einigen Ausnahmen.

Wie halten Sie es bei den eigenen Kindern und ihren Gerätchen?

Das ist ein schwieriges Thema. Wenn du heute in die Schule kommst und du hast das oder jenes Gerät nicht, dann bist du ein Aussenseiter. Unser Ziel ist, den Kindern einen dosierten Umgang mit den elektronischen Geräten beizubringen.

Geht das?

Man muss es versuchen. Meine Kinder gehen zum Glück sehr gerne nach draussen, in den Wald, klettern, Fussball spielen. Bei so viel Aktivität liegt dann auch mal eine halbe Stunde Fernsehen drin.

Wunderbar. Dann können wir unseren Kindern ab sofort sagen: Leg das Gerätchen weg, der Streller hat gesagt, man soll nicht die ganze Zeit dran sein!

Ha! Dabei klappt es bei mir auch nicht immer. Ich habe halt eine grosse Röhre…

Was sind Sie eigentlich für ein Vater?

Ich versuche ein guter Vater zu sein. Ich verwöhne meine Kinder. Manchmal vielleicht zu sehr. Aber es gibt halt nichts Schöneres, als ihnen eine Freude zu machen.

Verwöhnen im materiellen Sinn?

Ja, aber natürlich nicht nur. Wir geben ihnen vor allem viel Liebe. Wir versuchen ihnen einen bescheidenen Umgang beizubringen. Wenn ich jetzt meinen Sohn im Kindergarten sehe, dann bin ich unglaublich stolz – weil er Sozialkompetenz hat. Als Eltern ist dein Einfluss beschränkt, da freut es umso mehr, wenn etwas fruchtet.

Ist es nicht schwierig, zur Bescheidenheit erzogen zu werden, wenn der Vater so populär und reich ist?

Ja, das ist schwierig. Aber sie kennen nichts anders. Wir sind uns dieser Herausforderung sehr bewusst und versuchen die einfachen Werte zu vermitteln: Danke sagen, Bitte sagen, andere nicht schlagen – die Basics halt. Das machen die meisten anderen Eltern auch, aber nicht alle. Man müsste sich wieder mehr auf diese einfachen Werte besinnen.

«Wir hatten mit fünf alle den gleichen Traum, ich habe es geschafft. Sie wissen: Ich spiele auch für sie, ich lebe auch ihren Traum. Und sie lassen mich das auch spüren. Das ist wunderbar.»

Viele Fans in der Muttenzerkurve identifizieren sich mit Ihnen – obwohl oder gerade weil Sie sich in einer ganz anderen Lebensrealität aufhalten. Funktioniert diese Verbindung auch umgekehrt?

Ja. Ich kenne viele Leute in der Kurve von früher, ausserdem kommt man sich auch auf Auslandsreisen oder in Trainingslager näher. Wir haben ein gutes Verhältnis, finde ich. Unsere Fans sitzen manchmal 40 Stunden im Bus oder im Zug, um uns spielen zu sehen. Das ist bedingungslose Liebe, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Für die Menschen in der Kurve ist Authentizität sehr wichtig. Ich glaube, die spüren, dass ich authentisch bin. Dass es von Herzen kommt. Umgekehrt ist das genau so.

Funktioniert die erste Mannschaft eines FCB eigentlich gleich wie die Hobbymannschaft eines FC Aesch?

Ja, und das ist auch der Schlüssel zum Erfolg. Es gibt immer wieder Reibereien, aber über allem steht die Solidarität. Du lernst so viel in einem Fussballclub: Verantwortung übernehmen, dass es nur zusammen geht, den Teamgedanken. Wenn jemand sagt, im Fussball lerne man nur Saufen und schmutzig Reden, dann ist das ein riesiger Blödsinn! Das lernt man überall sonst. Der Fussball ist eine grosse Lebensschule. Wenn ich ehemalige Mitspieler aus Aesch treffe, dann ist das wunderschön… und wenn ich Ihnen das erzähle,  bekomme ich gerade eine Gänsehaut. Wir hatten mit fünf alle den gleichen Traum, ich habe es geschafft. Sie wissen: Ich spiele auch für sie, ich lebe auch ihren Traum. Und sie lassen mich das auch spüren. Das ist wunderbar.

Es gibt immer wieder Momente in heiklen Phasen eines Spiels, in denen Sie die Kurve anfeuern. Sieht man Ihnen in diesen Momenten ins Gesicht, kann man sich etwa vorstellen, wie viel Adrenalin Ihnen durch den Körper schiesst. Kommt das einem Rauscherlebnis nahe?

Ich habe nie Drogen genommen. Aber dieser Moment, dieses Pushen…  das ist wie eine Sucht. Das wird nach der Karriere fehlen, darum geniesse ich es jetzt so. Wichtig ist: Man muss den richtigen Moment treffen. Als Giovanni Sio gegen Young Boys den Ausgleich geschossen hatte, habe ich kurz so gemacht (schaufelt die Hände von unten nach oben), und dann habe ich es gespürt. Wir schiessen das 2:1, das Stadion bebt. Wir brauchten die Fans, sie waren da. Dieses Spiel gegen YB war extrem wichtig. Das war ein Moment, der Moment…

In dem es passiert.

… genau. Das war die Wende. Jetzt geht es aufwärts.

Es gibt auch die Momente der Vernunft – als Sie den jubelnden Mohamed Salah beim Spiel gegen Maccabi Tel Aviv zurückhielten. Geschieht so etwas bewusst?

Nein, in einem solchen Moment machst du einfach. Ich wollte ihn schützen. Auf seinem Rücken wurde vor dem Spiel in Israel eine politische Debatte geführt, das hat Mohamed nicht verdient. Beim Einlaufen sagte er mir noch, dass er die Provokationen der Fans verstehen würde, und die waren wirklich unter der Gürtellinie. Sein Ausbruch, sein kleiner Ausbruch, war menschlich. Nach der Pause lief ich direkt hinter ihm ins Stadion, um ihn zu schützen. Das war ein bewusster Entscheid, und das war meine Aufgabe als Captain. Dass ich ihn beim Jubeln zurückgehalten habe, war eine instinktive Reaktion. Ich wollte nicht, dass er sich schadet.

Reden wir noch einmal über die alten Freunde. Diese Suchtmomente, fehlen die auch Alex Frei und Beni Huggel?

Der Alex hatte ja gar keine Pause und hat als Quereinsteiger direkt beim FC Luzern angefangen. Unser Verhältnis ist heute noch besser als während der Zeit als Spieler war. Wir haben auf der gleichen Position gespielt, und da war immer irgendwo tief drinnen eine gewisse Konkurrenz. Heute ist unser Verhältnis intensiver und tiefer. Beim Beni war es so, dass er es perfekt getimt hat, er ist angekommen. Hat zuerst lange Ferien gemacht, danach noch etwas weiter trainiert, die Sache Schritt für Schritt zurückgefahren …

… sich eine neue Frisur verpasst…

… die ihm super steht!

«Eine Firma gründen mit ein paar Freunden, sich einen normalen Lohn auszahlen, geregelte Ferien, ein ganz normales Leben. Das würde ich gerne machen.»

Bei Ihnen werden sich bald ähnliche Fragen stellen. Können Sie sich vorstellen, auch etwas ganz anderes zu machen?

Ja, das kann ich mir. Eine Firma gründen mit ein paar Freunden, sich einen normalen Lohn auszahlen, geregelte Ferien, ein ganz normales Leben. Das würde ich gerne machen.

Das wäre ein grosser Schritt: aus der Umarmung der Öffentlichkeit in die Anonymität eines KMU.

Ja, das wäre es. Und ich muss mir das sehr genau überlegen. Der Fussball ist meine Welt, ich habe mir einiges Know-how erarbeitet, wir haben beim FCB tolle Partner, und gerade für den Bereich Marketing würde ich mich sehr interessieren. Das weiss auch Präsident Bernhard Heusler. Der Punkt ist: Noch habe ich einen Vertrag über eineinhalb Jahre – echte Gedanken mache ich mir erst im letzten Jahr.

Apropos: An einer Veranstaltung am Gymnasium Oberwil haben Sie Ihren Rücktritt für nächstes Jahr verkündet und dann doch verlängert. Warum?

Das war eine sehr spannende Diskussion damals, mit jungen, intelligenten Leuten, die mich forderten und alles hinterfragten. Als sie mich nach meinem Rücktritt fragten, habe ich nur eine Tendenz mitgeteilt. Alex stand von seinem Rücktritt, Beni war schon weg, Valentin Stocker scheinbar kurz vor einem Transfer – da beginnt man sich Gedanken zu machen. Aber bald danach kam der Erfolg, der Euro-League-Halbfinal, und Murat hat mich gefragt, ob ich den FCB noch ein Jahr mehr unterstützen wolle. Ich habe Ja gesagt – bei mir geht das manchmal schnell.

Ist das ein Wesenszug von Ihnen, das leicht Opportunistische?

Ja. Aber das ist eine gefährliche Aussage. Ich habe eine klare Meinung zu allen Dingen und bin gleichzeitig harmoniesüchtig. Ich versuche die positiven Dinge zu betonen und nicht die negativen – das ist auch meine Art, eine Mannschaft zu führen. Mit viel, viel Menschlichkeit. Der Erfolg gibt uns recht – unsere Basis ist die Menschlichkeit. Fabian Frei, Valentin Stocker, Yann Sommer sind die Teamleader, und wenn du es mit denen verscherzt, dann hast du etwas Grundlegendes falsch gemacht. Alex hatte eine andere Art, direkter, fordernder. Darum hat es damals auch so gut geklappt mit Beni, Alex und mir – wir haben uns perfekt ergänzt. Heute läuft es einfach etwas anders: Es wäre seltsam, wenn ich die Jungs in der Kabine zusammenstauchen würde.

Gibt es auch etwas, was Sie am FCB nervt?

Natürlich gibt es schwierige Situationen, wenn man beispielsweise die Verantwortung für Dinge übernehmen muss, die man nicht selber getan hat. Aber das sind die Ausnahmen, das Positive überwiegt weitaus. Ich bin sehr gerne Captain dieses Vereins.

Muss man als Captain des FCB Lokalchauvinist sein?

Es ist sicher kein Nachteil. Wichtiger ist aber, dass du Leistung bringst. Nur so erhältst du den Respekt deiner Mannschaft.

Reden wir etwas über Politik. Interessiert Sie die überhaupt?

Ja, ich gehe abstimmen. Und bin froh, dass ich das anonym tun kann … Ich habe nicht eine oder eine andere Linie, ich entscheide situativ.

Trotzdem ein paar politische Fragen: Zahlen Sie zu viel oder zu wenig Steuern?

Das ist schon okay in der Schweiz. Mir geht es sehr gut, da kann ich auch mehr Steuern zahlen als andere. In Deutschland war die Hälfte des Lohns schon weg, bevor der Lohnzettel ankam.

Wie beurteilen Sie das politische Klima in der Schweiz?

Um gleich bei Deutschland zu bleiben: Im Vergleich dazu ist der Umgang in der Schweiz respektvoller. Wenn man sieht, wie es unserem Land geht, dann machen wir das nicht so schlecht, finde ich.

Sie haben in Ihrem Beruf viel mit Ausländern zu tun. Werden sie in der Schweiz gut behandelt?

Natürlich sind wir manchmal etwas kleinkariert und etwas engstirnig. Wir sind aber auch tolerant, was bei den ausländischen Spielern in unserem Team zugegebenermassen auch einfach ist. Klar: Gewisse Regeln müssen von allen eingehalten werden. Wir lernen von den fremden Kulturen, gleichzeitig erwarte ich, dass auch unsere Kultur respektiert wird.

Was meinen Sie eigentlich zum Hooligan-Konkordat?

Schwierig! Da will ich mich als Spieler eigentlich nicht äussern, du kannst nicht das Richtige sagen.

Spüren wir richtig, dass Sie eine ähnliche Haltung wie Bernhard Heusler haben, der sich kritisch zum Konkordat äussert?

Genau.

«Ich habe Fälle gesehen, da kamen 9-Jährige zum FCB als Beste ihres Dorfclubs. Dann reichte es ihnen nicht, und sie mussten zurück als Versager. Das kann man Kindern nicht zumuten.»

Dass wir uns mit Ihnen auch über Dinge ausserhalb des Fussballs unterhalten können, hat auch mit Ihrem Lebensentwurf zu tun. Sie haben eine Lehre abgeschlossen und wurden erst mit 20 Profi. Heute erfasst das System die jungen Talente viel früher. Eine richtige Entwicklung?

Eher eine, die mir Sorgen macht. Ich halte es in einigen Fällen für falsch, dass Kinder unter 13 Jahren schon zum FC Basel wechseln. Es ist schade, wenn man in Arlesheim wohnt und das Kind schuttet mit 9 schon beim FCB. Schade und gefährlich. Ich habe Fälle gesehen, da kamen 9-Jährige zum FCB als Beste ihres Dorfclubs. Dann reichte es ihnen nicht und sie mussten zurück als Versager. Das kann man Kindern nicht zumuten. Man sollte so lange wie möglich mit seinen Freunden spielen.

Spüren Sie diese neue Realität auch bei Ihren jungen Kollegen?

Ja, ganz konkret. Beim Lohn beispielsweise. Bevor ich zu Stuttgart wechselte, war ich Torschützenleader in der Super League. Und verdiente damals als 22-Jähriger unwesentlich mehr als heute ein 16-jähriger U-Nationalspieler.

Gefällt Ihnen das?

Tja. Die sehr talentierten Jungen werden heute in ganz Europa angeboten, da muss man konkurrenzfähig bleiben. Wir haben eine sehr gute Nachwuchsabteilung, und es muss das Ziel sein, dass es jedes Jahr ein Nachwuchsspieler in die erste Mannschaft schafft – das ist das beste Argument für die jungen Talente. Ein Shaqiri hat sich bei uns durchgesetzt und dann bumm! Für 15 Millionen zum FC Bayern. Damit eine solche Entwicklung überhaupt möglich ist, muss man etwas Geld investieren, auch bei ganz jungen Leuten.

Folge der frühen Professionalisierung ist auch, dass echte Typen mit einer eigenen Meinung immer seltener werden.

Das hat nicht nur mit der Professionalisierung zu tun, das ist auch eine Folge des grösseren Drucks durch die sozialen Medien. Die Leute können heute überall anonym ihre Meinung verkünden und einem fertigmachen– da sagt man als Fussballer manchmal lieber nichts, als sich angreifbar zu machen. Ich suche da einen Mittelweg und versuche Themen zu vermeiden, die einen zu grossen Rummel verursachen könnten. Ich bin immer noch forsch. Aber ich kann es heute besser durch die Blume sagen.

Als kleine Ergänzung: Das sagte Marco Streller nach dem grandiosen Spiel gegen Chelsea unserem Sportredaktor Florian Raz. Die Berichterstattung zum historischen Sieg finden Sie hier: den Spielbericht, die Einzelnoten und die Presseschau.

Marco Streller Der Captain des FCB hat ein bewegtes Fussballer-Leben hinter sich. Marco Streller (32) wurde mit 20 Jahren Profi beim FC Basel. Er wurde an Concordia und an Thun ausgeliehen, setzte sich beim FCB durch und wechselte 2004 nach Stuttgart. Richtig erfolgreich wurde Streller, der von 2003 bis 2011 in der Nationalmannschaft spielte, erst bei seiner Rückkehr 2007 nach Basel, wo er Titel an Titel reihte. Streller ist verheiratet, wohnt in Arlesheim und ist Vater zweier Kinder.

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