Hervé Falciani: «Es ist ungerecht, Geheimnisse zu schützen»

Hervé Falciani hat in Genf Kundendaten einer Bank gestohlen und an andere Staaten weitergegeben. Das brachte ihm einen Prozess wegen Verletzung des Bankgeheimnisses ein. Heute entwickelt der 44-Jährige alternative Bezahlsysteme.

«In gewisser Weise bin ich ein politisch Verfolgter», sagt Hervé Falciani.

(Bild: JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

Hervé Falciani hat in Genf Kundendaten einer Bank gestohlen und an andere Staaten weitergegeben. Das brachte ihm einen Prozess wegen Verletzung des Bankgeheimnisses ein. Heute entwickelt der 44-Jährige alternative Bezahlsysteme.

Hervé Falciani hat auch nach dem zehnten Interview am selben Tag noch gute Laune. Höflich rückt er für die Journalistin den Stuhl zurecht. Der IT-Experte hat bis 2008 bei der Grossbank HSBC in Genf gearbeitet. Dann hat er Daten von Tausenden Kunden weitergegeben und einen der grössten Steuerhinterziehungsskandale ins Rollen gebracht.

In Spanien ist der Franko-Italiener ein häufiger und gern gesehener Gast. Als Politaktivist engagiert er sich bei Anti-Korruptions-Plattformen und entwickelt derzeit mit der Gruppe XNet ein Online-Bezahlsystem, das die lokale Wirtschaft stärken soll.

Herr Falciani, das Bundesstrafgericht in Bellinzona hat Sie im November wegen Wirtschaftsspionage zu fünf Jahren Haft verurteilt, in der Schweiz sind Sie zur Fahndung ausgeschrieben. Bereitet Ihnen das Sorge?

Im Gegenteil: Das Urteil hilft mir, weil es mich bekannter macht. Ich habe derzeit ohnehin kein Interesse daran, in die Schweiz zu reisen. Wenn ich in andere Länder möchte, beispielsweise nach Griechenland, müsste ich theoretisch die griechischen Behörden bitten, den Schweizer Interpol-Haftbefehl zu umgehen. Auf offiziell-politischem Weg ist das etwas kompliziert, aber bis jetzt haben sich immer andere Wege gefunden. Ich reise viel, in Frankreich, nach Spanien, nach Italien … 

Dort können Sie sich frei bewegen, auch weil Sie – etwa in Frankreich oder Spanien – mit Behörden zusammengearbeitet haben, um Steuersünder aufzufinden und Praktiken wie Geldwäsche offenzulegen. Werten Sie das Urteil gegen Sie als politisches Urteil?

Ja, in gewisser Weise bin ich tatsächlich so etwas wie ein politisch Verfolgter. Das Urteil besagt doch, dass ich gegen die nationalen Interessen der Schweiz verstossen habe. Kurioserweise liegt aber das, was gegen das Interesse der Schweiz ist, im Interesse anderer Länder. Das macht meinen Fall zu einem genuin politischen Fall. Gesetze und Institutionen werden von Staaten genutzt. Und ich habe auch gesehen, wie Normen und Vorschriften genutzt werden, um ganz offensichtlich Unrecht zu begehen. Ich war ja Teil des Systems. Mit meiner politischen Arbeit will ich nun zeigen, dass nicht nur die Institutionen, sondern auch wir – die Bürger, die Zivilgesellschaft – uns die Gesetze aneignen können und lernen müssen, sie in unserem Sinne zu nutzen. Nur so kann sich die Gesellschaft wandeln. Die Liberalisierung des Geldtransfer-Marktes durch die EU ist ein Beispiel dafür.

«Wir versuchen, ein lokales Zahlsystem aufzubauen, das die Nutzer schützt, aber die Geldflüsse nachvollziehbar macht.»

Sie sprechen von der seit Oktober 2015 gültigen EU-Direktive PSD2, die den Online-Zahlungsverkehr einfacher und billiger machen soll und Konkurrenz zu Online-Bezahlsystemen wie Paypal oder Visa ermöglicht.

Genau. Paypal ist letztendlich eine Bank mit Sitz in Luxemburg. Bei jeder Transaktion fliessen drei bis fünf Prozent unseres Geldes an Paypal, also an Leute, die mit dem Kauf gar nichts zu tun haben. Da kommen Beträge in Höhe von Hunderten von Millionen zusammen! Der Grundgedanke ist: Warum soll dieses Geld nicht hier bleiben, da, wo das Geschäft letztlich stattfindet? Deshalb versuchen wir in Barcelona und in anderen Städten ein lokales Zahlsystem aufzubauen, das auf einer offenen Technologie basiert: auf einem Peer-to-Peer-System, das die Nutzer schützt, aber die Geldflüsse nachvollziehbar macht. Dieses System kann sowohl mit klassischen Währungen wie auch mit Alternativwährungen funktionieren. 

Wer macht bei so einem Experiment mit?

In Barcelona haben wir demnächst ein Gespräch mit der Stadtverwaltung. In Italien startet in einem Monat ein Pilotprojekt, bei dem Banken, Aktivisten, Bürgerplattformen, ein Verlag, lokale Verwaltungen und politische Institutionen beteiligt sind. Ich bin sehr glücklich, Teil dieses Projekts zu sein und mein Wissen zum Thema ökonomische Intelligenz, Steuern und Transparenz beisteuern zu können. In den Kommunen und Städten, in lokalen Netzen liegt der Schlüssel. Sie sind der Motor des Wandels.

Warum?

Städte und Kommunen sind feste historische Grössen und für den gesellschaftlichen Wandel sehr viel wichtiger als etwa staatliche Regierungen, die häufig nach Parteikalkül entscheiden. Die Auswirkungen der Politik, ganz egal, ob positiv oder negativ, sind immer lokal zu spüren. Deswegen müssen die Bürger in den Kommunen auch Zugang zum Wissen, zu Informationen haben. Auch das ist der Sinn von solchen Zahlungssystemen.

«Ich habe gelernt, dass es ungerecht ist, Geheimnisse zu schützen.»

In Spanien kooperieren Sie nicht nur mit der Plattform XNet, sondern arbeiten auch für die Protestpartei Podemos. Ist aus dem ehemaligen Bankangestellten Hervé Falciani ein linker Politiker geworden?

Ich würde mich tatsächlich als links bezeichnen, aber hauptsächlich in dem Sinn, dass ich für frei zugängliches Wissen bin, für den freien Fluss von Informationen. Eine fundamentale Erfahrung der letzten Jahre war für mich: Wenn Wissen geteilt wird, öffnen sich dadurch neue Wege, Veränderung wird möglich. Das fand ich sehr bereichernd. Ich bin im Steuerparadies Monaco aufgewachsen, wo das Geheimnis etwas ganz Wesentliches ist. Dort habe ich gelernt, dass es ungerecht ist, Geheimnisse zu schützen. Dass es ungerecht ist, wenn das Wissen nur in den Händen weniger liegt. Denn so wird Ungleichheit geschaffen.

Wegen der Blossstellung von Steuersündern verehren die einen Sie als heldenhaften Whistleblower. Andere sagen, Sie hätten sich am Weiterverkauf der Kundendaten vor allem persönlich bereichern wollen. Eine deutsche Tageszeitung goss das in die  Formel «Robin not so good».

Ich muss mich für die Motive meines Handelns nicht rechtfertigen. Ich habe mich nicht bereichert und auch vor Gericht konnte man die böswilligen Unterstellungen nicht beweisen. Dass ich aus heroischen Motiven gehandelt habe, natürlich auch nicht. Aber diese Frage tut eigentlich nichts zur Sache. Mich interessieren allein die Fakten, die Tatsachen. Mit meinem Image habe ich kein Problem, im Gegenteil: Die Medien interessieren sich häufiger mehr für den Bad Guy als für Helden. Und das kann ich für meine Zwecke einsetzen. Da bin ich ganz pragmatisch.

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