«Hoffentlich fassen wieder mehr Schnitzelbänke heisse Eisen an»

Als er den Auschwitz-Vers dichtete, fragte sich der Sänger der Dreydaagsfliege, ob er zu weit gehen würde. Die vielen positiven Reaktionen machen ihm aber Mut – und plumpe Beschimpfungen wie «Linke Kackvögel» sorgen für Amüsement, sagt er im Interview.

Ein Trio, das an der Fasnacht 2016 für Gesprächsstoff sorgte – und darüber hinaus: die Dreydaagsfliege.

Als er den Auschwitz-Vers dichtete, fragte sich der Sänger der Dreydaagsfliege, ob er zu weit gehen würde. Die vielen positiven Reaktionen machen ihm aber Mut – und plumpe Beschimpfungen wie «Linke Kackvögel» sorgen für Amüsement, sagt er im Interview.

Ihr Auschwitz-Vers sorgt noch Tage nach der Fasnacht für Diskussionen. Wie gehen die Urheber damit um, das grosse Stadtgespräch geworden zu sein? Und wie sind die Reaktionen? Das haben wir den Sänger der Dreydaagsfliege gefragt. Wie bei Schnitzelbängg üblich, bleibt die wahre Identität hinter der Larve verborgen.

Wahnsinn, das Video Ihres letzten Verses wurde innert weniger Tage 45’000 Mal angeschaut…

… es sind mittlerweile über 46’000 Views …

… und es werden stündlich mehr. Ist die Dreydaagsfliege jetzt ein One-Hit-Wonder?

Ich hoffe es nicht! Es könnte aber durchaus sein, dass dies der Vers meines Lebens ist. Ich weiss es nicht. Am Schlussabend im Stadttheater wartete jedenfalls der ganze Saal darauf. Die Stimmung war ganz anders als noch während der Fasnacht, nun, da der Vers bekannt geworden ist.

Wie erlebten Sie die Stimmung an der Fasnacht selber?

Meist herrschte am Ende Stille, vereinzeltes Raunen, gefolgt von anschwellendem Beifall. Bei manchen Zuschauern war auch ein Abwehrverhalten spürbar. Wir riskierten jedes Mal, in einem ruhigen Saal abzutreten. 

«Wir riskierten jedes Mal, in einem ruhigen Saal abzutreten.»

Gab es auch Buhrufe?

Einmal hat mein Gitarrist einen Buhruf gehört. Die Leute reagierten aber vorderhand nicht negativ – was nicht heisst, dass sie den Vers goutierten. Manche Freunde rieten uns, ihn am Anfang oder in der Mitte zu bringen, um nicht mit beklemmender Stille aufzuhören. Aber das kam schliesslich nicht infrage. Wir konnten nach diesem Vers nicht mehr Heiterkeit verbreiten. Deshalb setzten wir ihn ans Ende des Auftritts.

Die Reaktionen auf Facebook wie auch in unserem Artikel zeigen: Sehr viele Leute gratulieren Ihnen zu Ihrem Mut.

Ja, die Mehrheit der Reaktionen ist positiv. Es gab sogar Zustimmung aus Kreisen, von denen ich es nicht erwartet hätte. Andrerseits empfanden einige Leute den Vers als Entgleisung. Auf Facebook schrieb einer: «Linke Kackvögel». Das hat mich schon fast wieder amüsiert. Manche Leute aber haben den Vers auch missverstanden. 

Inwiefern?

Dass wir die SVP mit Auschwitz vergleichen. Das ist in dieser Verkürzung schlicht falsch. Man kann von Blocher sagen, was man will, aber er ist kein Nazi. Was ich sagen wollte: Wir sind auf einem Weg, den Europa schon einmal beschritten hat, und der – in extremis! – dort geendet hat. 

So habe ich den Vers auch verstanden, im Sinne von: Wehret den Anfängen.

Ja, ich fand die Einordnung der TagesWoche treffend. Auschwitz ist ein Mahnmal, eine Formel für das absolut Böse, was Menschen anderen antun können. Es war einmal möglich – und es kann wieder möglich werden. Für mich besteht der eigentliche Tabubruch unseres Verses darin, dass ich das «Bi uns isch so ebbis nid meeglig!» hinterfrage. Was für mich die Schweiz auszeichnete, war eine Gesprächskultur, in der man durchaus kontrovers, aber mit gegenseitigem Respekt um Lösungen und Kompromisse gerungen hat. Die SVP hat die politische Gesprächskultur systematisch zerstört. Und nun stehen wir vor einer Initiative, die zweierlei Recht schaffen will, eine Initiative, die das Fundament unseres Staatswesens, die Gewaltenteilung, angreift. Diese Entwicklung finde ich äusserst gefährlich.

«Ich haderte lange damit, den ‹Auschwitz›-Reim als Schluss stehen zu lassen.»

Fiel es Ihnen leicht, diesen Warnruf zu schreiben?

Auf keinen Fall. Als wir uns im Herbst mit der Sujetwahl beschäftigten, war uns klar, dass wir uns politisch äussern wollten. Doch haderte ich lange damit, den «Auschwitz»-Reim als Schluss stehen zu lassen, weil ich dagegen bin, allzu leichtfertig die Nazikeule zu schwingen. Ich fragte mich, ob ich damit zu weit gehen würde und hatte zunächst Hemmungen, ob wir das durchziehen könnten.

Wie haben die Bangg-Kollegen reagiert?

Positiv. Viele haben mir zum Mut gratuliert. Ich wiederum hoffe, dass das nun auch anderen Mut gemacht hat, wieder politischer zu werden, den Finger dort hinzuhalten, wo es wehtut. Im letzten Jahr, nach dem Attentat auf «Charlie Hebdo», gab es eine grosse Diskussion: «Wir lassen uns nicht den Mund verbieten!», vernahm man von allen Seiten. Dann aber hörte man an der Fasnacht doch in erster Linie Bänke über Conchita Wurst und Geri Müller. Klar, manche wollen einfach unterhalten, das ist auch berechtigt. Aber ich hoffe, dass wieder mehr Schnitzelbänke heisse Eisen anfassen.

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