Der Alte-Welt-Charme des Grand Hotel Trois Rois sitzt dem schmalen Amerikaner perfekt, der über einer Tasse Pfefferminztee mit sanfter Stimme von seinem Kampf in Hollywood berichtet: Terry Zwigoff, Musiker, Journalist und Regisseur von «Ghost World» und «Bad Santa», ist als Ehrengast am sechsten Basler Gässli Festival. Seinen Freund Robert Crumb, über dessen bewegtes Leben als Underground-Comiczeichner er eine preisgekrönte Dokumentation drehte, hat er gleich mit ans Festival gebracht: Damit ist Gässli-Festival-Leiter Giacun Caduff ein doppelter Coup gelungen.
Mehr Infos: www.baselfilmfestival.ch
Der 65-jährige Zwigoff erinnert ein bisschen an Charles Chaplin, mit seiner dunklen Sonnenbrille und dem Menjoubart, aber auch an Ron Mael vom Rockduo The Sparks. «Ich würde mich eher mit Jean-Pierre Melville vergleichen», sagt er selber. Und offenbart im Gespräch nicht nur, dass er einige Brocken Deutsch spricht, sondern auch, dass ihm europäische Autorenfilme gefallen.
Herr Zwigoff, Sie sagten «Setzen Sie sich». Woher kommt Ihr Deutsch?
An der Highschool habe ich ein paar Sachen gelernt, weil ich mal dachte, dass ich vielleicht Doktor werden wollte, und dass Latein und Deutsch dafür gut wären. Aber ich kann mich nur noch an wenig erinnern… Es kommt nur langsam zurück.
Sie haben nie hier gelebt?
Nein. Ich war in jedem europäischen Land – aber noch nie in der Schweiz. Dass ich hier bin, ist Giacun Caduff zu verdanken. Er hat an meinem letzten Film «Art School Confidential» mitgearbeitet. Und meiner Frau, die gerne reist. Meine Schwägerin schwärmte zudem sehr von der Schweiz: Sie fand hier die einzigen Orte, die so wirkten, als sei unser Planet noch nie von Menschen bevölkert worden. Das wollte ich sehen.
Jetzt sind Sie aber hier gelandet, in der Stadt Basel …
Ja, aber Giacun hat uns gestern rausgenommen, aufs Land, in ein kleines Dorf im Grünen. Gempen hiess es. Es war fantastisch. Kühe mit Glocken, die frei grasen. Wiesen ohne Zäune, Wälder. So etwas Unberührtes findet man in Amerika kaum noch, nach all dem Fracking, nach all der Plünderung der Natur. Aktuell etwa sind die grossen Probleme mit der Wasserversorgung und -qualität, etwa des Lake Erie ein Thema. Hier in der Schweiz scheint es zumindest einige Regulierungen zu geben. Soweit jedenfalls mein erster Eindruck.
Wir haben uns gefragt, was einen Regisseur wie Sie hierher führt.
Die Flucht aus Kalifornien. Weg von den Leuten, von den Menschen. Einer der Gründe, dass ich gar nicht so gerne Filme mache, ist jener, dass ich gezwungen bin, in Los Angeles zu arbeiten. Die Stadt ist ziemlich abscheulich, wirklich übel. In San Francisco oder Oakland lassen sie mich keine Filme machen, weil es da zu teuer ist. Wenn man ausserhalb Hollywoods drehen will, dann muss man nach New Orleans gehen oder Detroit, in Städte, denen es finanziell schlecht geht. Denn dafür wird man mit Steuererleichterungen entschädigt… Ich fühle mich sehr unwohl in Los Angeles. Seit meinem letzten Film habe ich daher viele Schreibarbeiten angenommen, denn die kann ich von zu Hause aus erledigen.
«Ich arbeite nicht gern in Los Angeles. Die Stadt ist abscheulich.»
In unserer Vorstellung gehört Los Angeles noch immer zu den US-Städten, die man besuchen möchte.
Ich weiss. Aber im Filmgeschäft ist so viel Geld und Macht im Spiel, dass die Stadt wirklich schlimme, skrupellose Leute anzieht. Hinzu kommt das Klima, es ist neun Monate pro Jahr über 30 Grad warm – und so hell: Darum trage ich auch ständig Sonnenbrillen, meine Augen sind sehr lichtempfindlich. Ich mag es kühler, so wie in San Francisco. Trotz einiger wüster Hochhäuser ist das immer noch eine der nettesten Städte Amerikas, wo es sich am besten leben lässt. Aber L.A., mit all den Verkehrsstaus, dem Wassermangel – in den letzten drei Jahren hat es nicht mehr geregnet… Nein, es ist grundsätzlich keine gute Idee, in Los Angeles zu leben. Bald kommt ein riesiges Erdbeben, dann sind alle verschwunden.
Hollywood zu hassen ist nicht die beste Voraussetzung, wenn man Filmemacher wird.
Ja, aber das wusste ich nicht, als ich in Detroit und Chicago begann. Das Filmgeschäft hat sich seither verändert, es dreht sich alles nur noch um diese dummen Filme für Kids, die eine Milliarde Dollar einspielen können. Man muss nur die Zeitung aufschlagen und die Film-Top-10 anschauen. Garantiert tragen diese Titel wie «Teenage Ninja Turtles», «Transformers 5», «Fast and Furious 7».
Bis vor zehn Jahren gab es in den USA noch eine tolle Independent-Szene. Warum ist die aus unserem Blickfeld verschwunden?
Es wurden zu viele schlechte Independent-Filme produziert. Mir werden immer wieder unmögliche Drehbücher zugeschickt, dann fragt man mich, was ich davon halte. Und ich frage nur zurück: Habt ihr das überhaupt gelesen? Manchen Produzenten ist es egal, dass einer 67 Filmscripts geschrieben hat und nur zwei davon brauchbar waren. Warum kaufen die das überhaupt? Weil sie hoffen, Geld zu verdienen. Es geht schon lange nicht mehr um Inhalte, geschweige denn Kunst! In Hollywood wird nur noch in die Kunst investiert, wenn man sich Chancen auf einen Oscar ausrechnet.
Sehen das nur Leute wie Sie so?
Nein, das ist ein offenes Geheimnis in dieser Branche. Es geht ums Geschäftsmodell, das Risiko ist geringer, wenn Sie 150 Millionen in einen Blockbuster investieren. Sie versuchen lieber aus einem Film, der 150 Millionen kostet, 800 rauszuholen, als einen kleinen Film zu machen für 5 bis 10 Millionen, der am Ende nur 15 bis 20 Millionen einspielt. Das lohnt sich nicht für den ganzen Papierkram. Das wäre, wie wenn man Roche oder Bayer fragen würde, ob sie zu homöopathischen Kräutern zurückkehren möchten.
«Kleine Filme machen in Hollywood, das wäre, wie wenn man Roche oder Bayer fragen würde, ob sie zu homöopathischen Kräutern zurückkehren möchten.»
Was ist denn Ihre Motivation, Filme zu machen?
Immer eine persönliche. Meinen ersten Film machte ich, weil ich einen Musiker entdeckte: Louie Bluie. Als Sammler von altem Blues und Jazz hatte ich noch nie von ihm gehört, bis ich eine Platte von ihm aufspürte. Ich fand die Platte ein Meisterwerk und fragte Sammlerkollegen, ob sie diesen Louie Bluie kannten. Nur einer aus New York hatte schon von ihm gehört, und so machte ich mich in meiner Freizeit auf die Suche nach ihm. Wollte ihn für einen Artikel aufspüren und interviewen, was abenteuerlich genug war. In Chicago wurde ich fündig, rief ihn an und bat um ein Interview. Er sagte: Okay, bring 50 Dollar mit und dann darfst du mit mir reden. Er war so ein brillanter Geschichtenerzähler, 76-jährig, aber klar bei Verstand. Seine Anekdoten waren so unterhaltsam, dass ich mich am Ende entschied, einen Film über ihn zu drehen. Ich griff zu meinem Ersparten, gab es innert einer Woche aus – und stellte fest, dass der Film noch lange nicht fertig war. So musste ich sparen, wo ich konnte, mir vieles beibringen – und lernte so das ganze Handwerk von Grund auf kennen. Das war eine gute Schule.
Seither haben Sie auch grosse Produktionen gedreht. Man weiss, dass in Hollywood viele Leute beim Filmemachen mitreden, der Regisseur oft nicht das letzte Wort hat. Nervt Sie das?
Lustigerweise ist es ja überall dasselbe. Sehen Sie, ich war gerade in Amsterdam. Meine Frau und ich haben das Rijksmuseum besucht. Und da fiel mir ein tolles Gemälde von George Hendrik Breitner auf. Man sah darauf eine Frau, die eine Brücke überquerte. Die Geschichte dazu fand ich interessant: Offenbar hatte Breitner die Frau zunächst als Dienstmädchen abgebildet, doch waren die Feedbacks darauf negativ. Der Maler gab dem Wunsch seiner Galerie nach und verwandelte die Magd in eine edle Dame. Schon damals lief es also so, dass die Geldgeber bei den Künstlern mitsprachen.
Am Gässli Film Festival treffen Sie auf einen alten Freund: Robert Crumb, den Comiczeichner, über den Sie vor 20 Jahren einen Dokfilm gedreht haben.
Ja, genau. Es war fast zwanghaft, ich kannte seinen Vater, seine Brüder, alles interessante, künstlerische Menschen, deren Werke ich sammelte. Ich fand, dass man ihre Story dokumentieren müsste – und zog mit der Kamera los. Ich glaube immer noch, dass Robert Crumb einer der herausragendsten Künstler unserer Zeit ist.
Nach dem «Crumb»-Film wechselten Sie zum Spielfilm, feierten mit «Ghost World» (2001) gleich einen preisgekrönten Einstand in dieser Sparte.
Ich mochte den Comic, und die Dialoge des Cartoonisten Daniel Clowes. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und wurden Freunde. Ich habe dann versucht, etwas Persönliches in der Geschichte zu finden, etwa in dem Schallplattensammler, dessen Persönlichkeit Eigenschaften von mir und Robert Crumb vereint.
Stimmt es, dass Sie damals die Möglichkeit hatten, einen Dokumentarfilm über Woody Allen zu drehen?
Ja, das war der Plan. Aber der Produzent wollte, dass ich Woody und seine Band auf Tour durch Europa begleite. Ich sagte: Allens Band ist okay, aber ich mag sein Filmschaffen lieber – ich spiele selbst Mandoline in einer Dixie-Band. Ich verbrachte ein paar Tage mit ihm, mochte ihn sehr, aber sagte ihm: Ich sehe hier keine Geschichte, wo ist das Drama?
Gleichzeitig hatte ich die Möglichkeit, «Ghost World» zu drehen. Und mit ein Grund, weshalb ich zum Spielfilm wechselte, war, dass ich bei meinen Dokumentarfilmen ständig manipulieren und inszenieren musste. Das war alles andere als Cinéma verité, wie ich es in meinem ersten Dokumentarfilm «Louie Bluie» beabsichtigt hatte. Ich wollte mit meiner Kamera nur das Leben eines Jazzmusikers filmen, doch dann durfte ich nicht einmal dessen Apartment zeigen, weil die Verwaltung dagegen war. Also mussten wir die Wohnung in einer leeren Lagerhalle nachbauen. Darauf starb auch noch ein Bandmitglied, der Banjospieler, und ich musste für ihn Ersatz finden. Das war frustrierend. Und dann schreiben die Kritiker, dass jeder einen solchen Dokumentarfilm drehen könne. Wenn die wüssten!
In «Ghost World» haben Sie mit Scarlett Johansson gearbeitet. Ahnten Sie damals schon, dass sie ein Star werden würde?
Niemand konnte das wissen. Sie war erst 15, und ich hatte sie in diesem Robert-Redford-Film gesehen, «The Horse Whisperer». Ich fand sie wirklich gut und sagte, warum casten wir nicht sie? Ich kämpfte darum, sie zu bekommen, obwohl sie damals noch ein Nobody war. Die Ironie daran ist: Wenn ich heute einen Film finanzieren möchte, heisst es immer, ich solle Scarlett Johansson dafür gewinnen, dann bekäme ich das Geld. Naja.
«Ich kämpfte darum, Scarlett Johansson zu bekommen, obwohl sie damals noch ein Nobody war.»
Was braucht es, damit ein Schauspieler zum Star wird?
Viel Glück. Es sind viele Faktoren, abgesehen von Talent. Ich habe eben Scarletts neusten Film gesehen, «Under the Skin» von Jonathan Glazer. Grossartig! Der Regisseur vermischt darin nahtlos dokumentarische Aufnahmen mit Fiktion, das habe ich bislang erst in «Hundstage» von Ulrich Seidl gesehen. Sehr eindrücklich. Aber alle wollen Scarletts dummen Film («Lucy», Anm. d. Red.) sehen. Wahrscheinlich werde ich ihn mir auf dem Flug zurück anschauen, als Einschlafmittel.
Überlegen Sie sich manchmal, in Europa zu arbeiten? Ist die künstlerische Freiheit hier grösser?
Es gibt hier auf jeden Fall mehr Geld für Kunst, so etwas ist in den USA unvorstellbar. Für einen investigativen Film über Monsanto oder Blackwater geben grosse Unternehmen nichts her. Das ist hart. Dabei sind Dokumentarfilme eine der wenigen Quellen für Wahres in den heutigen Medien.
Woran arbeiten Sie denn aktuell?
An einem Drama und an einer Komödie. Nicholas Cage ist im Gespräch für das Drama, Fred Armisen von der TV-Serie «Portlandia» für die Komödie. Armisen ist sehr lustig, aber er war noch nie in einer Hauptrolle in einem Film. Das Geld dafür kommt nur langsam zusammen, aber das wird schon.
Und wie steht es um das Sequel von «Bad Santa». Sind Sie dabei?
Nein, keine Sequels für mich. Billy Bob Thornton wollte jahrelang eine Fortsetzung machen, aber ich war daran nicht interessiert. Mittlerweile gibt es «Bad Teacher», «Bad Grandpa» – Jeez, überlegt euch doch mal was Originelleres! Aber wie gesagt: Die Leute mit dem Geld haben das Sagen, und die verlassen sich auf Gimmicks, Remakes und Sequels. Originalität ist da nicht gefragt.
Warum sind Fortsetzungen so schwierig?
Wieso schwierig? Ich finde «The Godfather 2» besser als «The Godfather». Es fallen mir im Moment zwar keine anderen Beispiele für gelungene Sequels ein, aber es ist zumindest nicht unmöglich. Immerhin hat noch niemand eine Fortsetzung von «The Asphalt Jungle» gemacht, Gott sei Dank!