Hansjörg Schneider und Raphael Zehnder haben sich noch nie getroffen, aber viel gemeinsam. Allem voran die Wurzeln im Aargau. Klassisch schweizerisch klären sie beim Warten auf den Kaffee ihre Herkunft und beschnuppern sich gegenseitig.
Zehnder kann bei seinen Fragen aus dem Vollen schöpfen, hat er doch «Kind der Aare» gelesen, Schneiders neustes Buch. Der 80-Jährige erzählt in seiner Autobiografie in mal sanfter, mal süffig saftiger Sprache vom Wandel der Gesellschaft und der Schweizer Kulturlandschaft. Diese hat der ehemalige Journalist mit seinem ersten Theaterstück «Sennentuntschi» schockiert und später mit seinem sturen Kommissär Hunkeler beglückt.
«Die meisten Krimis sind fad, weil nicht von guten Schriftstellern geschrieben.»
Zehnders literarischer Palmarès ist schon von Alters wegen kleiner. Doch seit der 55-Jährige das Schreiben entdeckt hat, löst sein Kommissar die Fälle im Eineinhalbjahrestakt. In Zürich wurde Zehnder dafür mit dem Krimipreis geehrt. Der neuste Band «Müller voll Basel» klettert derzeit die Bestsellerlisten hoch. Am Rhein muss sich der Kommissär nach dem Revierwechsel erst einen Ruf erarbeiten.
Schneider hatte jedenfalls bis zur Gesprächsanfrage nicht von Müller gehört und verlangt erst einmal nach einem Buch. Im Gespräch duzt er Zehnder schnell, der hingegen bleibt bis zum offiziellen «Duzis» beim Sie.
Herr Schneider, hatten Sie Zeit das Buch von Raphael Zehnder zu lesen?
Schneider: Ich lese ja kaum Krimis. Aber ich wollte wissen, wie du das machst. Die Art mit den Abkürzungen, die sprachliche Lockerheit gefällt mir. Dazu weisst du verdammt viel und es hat ein paar blitzgescheite Sätze! Hast du das alles im Netz unter «gescheite Gedanken» gefunden?
Zehnder: So soll es wirken. Aber die meisten Zitate im Buch sind erfunden.
Schneider: Und ich bin voll hereingefallen. Beim alten Römer Diodoros kam ich allerdings schon ins Stutzen. Und dann Parmesanides, der verarscht einen dauernd. Aber das hat mir gefallen. Eine neue Art zu erzählen.
Zehnder: Ums Verarschen geht es mir nicht. Und Cicero und Ovid stimmen fast immer.
Schneider: (zitiert) «Alles fängt klein an.»
Zehnder: Das ist korrekt.
Schneider: Das ist super. Ein sehr gescheiter Satz.
Apropos klein. In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, Friedrich Glauser habe sich kleingemacht, «indem er vor allem Kriminalromane und ähnlich unseriöses Zeug schrieb». Krimis scheinen verpönt in der Literaten-Szene.
Schneider: Ich lese nicht deshalb keine Krimis. Ich rege mich über Leute auf, die Gattungen in Qualitäten unterscheiden. Ein fertiger Seich! Bei den zehn besten Schweizer Büchern des 20. Jahrhunderts wären Krimis von Dürrenmatt und Glauser dabei. Aber die meisten Krimis sind fad, weil nicht von guten Schriftstellern geschrieben.
Zehnder: Und die Geschichten sind oft durchsichtig – Effekt, Grusel und Psycho. Das interessiert mich nicht.
Schneider: Mich auch nicht.
«Das Verfluchte an der heutigen Literatur: Jeder meint, er müsse grosse Kunst machen.»
Was ist denn der Reiz, Krimis zu schreiben?
Schneider: Bei mir sind es immer Beziehungsdelikte, weil mich das Zwischenmenschliche interessiert. Meist ist es ein Mord, also der absolute Tabubruch, der dann aufgedeckt und gesühnt wird. Das war schon im Paradies so. Adam und Eva brechen das Tabu und essen von der verbotenen Frucht. Darum schickt Oberkommissar Herrgott seinen Unterkommissär Engel, der sie zur Strafe vertreibt. Das ist der Ursprung des Krimis.
Und bei Ihnen, Herr Zehnder?
Zehnder: Der Krimi muss keinen Massstäben genügen, die man bei «grosser» Literatur sogleich anlegt. Man hat seine Ruhe und Freiheit.
Ganz frei ist man nicht: Der Rahmen ist mit Verbrechen und Ermittlung schon gesetzt.
Zehnder: Klar, da ist ein Kriminalfall, man muss rausfinden, was ist passiert, wer hat es gemacht. Dann kommt die Fahndung und der Zugriff. Entlang dieser Linie kann man erfinden, was man will. Man kann die Realität, das persönliche Leben und das einer Stadt einfliessen lassen. Das ist schön.
Schneider: Schreiben ist immer so viel Freiheit, wie man sich nimmt. Das Papier ist weiss und leer, wir füllen es mit Buchstaben, Wörtern, Bildern. Der Krimi ist kein besonderes Tor in die Freiheit. Er ist einfach eine wahnsinnig schöne literarische Form. Ich habe sie erst spät entdeckt, aber dann bediente ich sie sehr, sehr gerne. Man kann ganz schön, scheinbar ganz genau und einfach beschreiben. Man muss nicht immer Kunst machen. Das ist doch das Verfluchte an der heutigen Literatur. Jeder meint, er müsse grosse Kunst machen. Das ist lächerlich. Man muss einfach erzählen. Das kann man natürlich auf verschiedene Arten. «Berlin Alexanderplatz» etwa erinnerte mich vom Rhythmus an die Art, wie du schreibst.
Zehnder: Das freut mich sehr. Das ist eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe.
Basel hat viele Krimis. Spiegelt das die Realität einer Stadt mit der schweizweit höchsten Verbrechensrate?
Zehnder: Das fühlt sich aber überhaupt nicht so an. Wir schreiben Fiktion.
Schneider: Basel ist eine absolut friedliche Stadt. Keine Ahnung wie ein solcher Ruf zustande kommt.
Die Statistik.
Schneider: Basel ist ein Stadt-Kanton. Auf dem Land ist es friedlicher. Da schauen die Leute besser aufeinander.
Zehnder: Oder sie fahren in die Stadt zum Delinquieren.
Schneider: In Basel spielt sicher auch die Grenzlage eine grosse Rolle.
Zehnder: Zum Glück gibt es nicht so viele Tötungsdelikte wie Krimis. Sonst wäre das eine blutige Realität.
«Meine Bücher sollen auch lustig sein. Nur, wie macht man eine Geschichte lustig, die sich um ein Tötungsdelikt dreht?»
In Ihrem Basel-Krimi wird der Sohn eines rechtsnationalen Nationalrats ermordet. Die emotionale Armut des reichen Machtmenschen erschüttert den Erzähler – oder eben Kommissar Müller – dabei mehr als das Verbrechen.
Zehnder: In meinen Büchern soll es immer auch lustig zugehen. Nur, wie macht man eine Geschichte lustig, die sich um ein Tötungsdelikt dreht? Da muss man den richtigen Ton treffen. Man will sich nicht über die Situation lustig machen, aber das teilweise Groteske oder Absurde herausarbeiten. Das macht mir selbst auch Spass, gerade bei dem Nationalrats-Ehepaar auf dem Bruderholz …
Schneider: SVP, SVP!
Zehnder: Das hab ich nirgends geschrieben.
Schneider: Ich hab es so rausgelesen.
Zehnder: Hmm, ich will keiner Partei einen Platz einräumen. Dieser Nationalrat im Buch könnte auch einer anderen Partei angehören. Darum habe ich auch keinen Parteinamen erwähnt.
Schneider: (lacht) Warum hab ich es dann herausgelesen?
Zehnder: Weil Sie eine blühende Fantasie haben.
Schneider: Nein, weil es eindeutig so steht. Ich bin ja selbst ein Linker. Trotzdem dachte ich: Muss es jetzt so einer sein?
Zehnder: Was sein? Die Figur wird weitergezogen und entwickelt sich anders, als man anfangs meint.
Schneider: Bei Gefühlsarmut denke ich in Basel an andere Gruppierungen.
An wen?
Schneider: Nein, nein, dazu will ich nun nichts sagen.
Dann will ich zumindest wissen, wieso nicht?
Schneider: Es gibt das Vorurteil, dass die Alteingesessenen und wirklich Reichen bis ins Letzte beherrscht sind. Aber die Witze dazu darf ich hier nicht erzählen. Die sind gruusig.
«Ich komme bis heute nicht draus, wie diese Stadt funktioniert. Sehr speziell.»
Kommt die Gesinnung daher, dass Sie selbst mal aus einer Wohnung des Daig geworfen wurden?
Schneider: Die Wohnung am Mühlenberg 1? Die war traumhaft, wahnsinnig schön. Drei Terrassen bis hinunter zum Rhein. Aber nein, zurück zu Basel: Mein Hunkeler ist ja immer ein Fremder, ein Zofinger, der nach dem Studium hier hängenblieb.
Ähnlich wie Sie.
Schneider: Ja, ich komme bis heute nicht draus, wie diese Stadt funktioniert. Sehr speziell.
Zehnder: Da geht es mir gleich.
Schneider: Wie lange bist du denn schon hier?
Zehnder: Zehn Jahre. Man merkt den Unterschied zu Zürich, wo ich vorher gelebt habe. Basel ist etwas kleiner, weniger hektisch, freundlicher – kein riesiger Unterschied, aber die Nuancen im Stadtleben spürt man schon. Die offensichtlichen Eigenheiten wie die Fasnacht verstehe ich dagegen nicht.
Schneider: Ich hatte Anfang der Siebziger ein paar Uraufführungen am Schauspielhaus in Zürich. Dort kam der Präsident des Verwaltungsrats, hat sich vorgestellt und zehn Minuten Small Talk geführt. In Basel: nie. Da versteckt man sich eher.
Das Klischee vom Daig, dessen Damen dann anonym das neue Schauspielhaus zahlten.
Schneider: Genau. Man weiss nicht recht, wer hier wirklich befiehlt. Es läuft über kleine Gremien, in die man keinen Einblick hat.
Das ist die Welt der Geldelite. Sie scheinen beide dem kleinen Mann von der Strasse näher. Wie ist diese Sorte Basler?
Zehnder: Freundlicher, man kommt leichter ins Gespräch.
Schneider: Zürich hat eine Tradition, Leute vom Oberland oder aus der Innerschweiz aufzunehmen. Hier hat es auch Ländler, aber die mischen sich nicht. Basel schottet sich mehr ab. Vielleicht inspiriert das zum Krimischreiben. In offenen Gesellschaften gibt es wohl weniger solche Romane.
Braucht es den Gegensatz des oberflächlich Wohlgeordneten, wo es dafür im Untergrund viel mehr gärt?
Schneider: Vielleicht. Im 20. Jahrhundert gab es in der deutschen Sprache zwei grosse Krimiautoren: Glauser und Dürrenmatt. Beide schrieben im bernischen Gebiet, und Bern ist der Inbegriff von wohlgeordnet.
Zehnder: Der Krimi ist in allen Gesellschaften und Settings möglich. Ich denke an einen algerischen Autor, Khadra. Seine Welt mit dem islamistischen Terror ist sehr ungeordnet. Und es gibt durchaus einige deutsche Krimi-Autoren mit Gewicht: Friedrich Ani, Felix Huby …
Schneider: Ich rede von früher, vom 20. Jahrhundert, nicht dem neuen. Huby ist ja nur zwei Jahre älter als ich.
«Durch die Hunkeler-Krimis habe ich das Rheinbad St. Johann entdeckt, vor allem das untere Deck.»
Um Knörze und Probleme der eigenen Gesellschaft herauszuarbeiten, muss man sein Umfeld sehr gut kennen. Herr Zehnder: Nach 25 Jahren Wohnen und fünf Müller-Krimis in Zürich, wie schwierig war der Wechsel ins Hunkeler-Revier Basel?
Schneider: (lacht)
Zehnder: Die Stadt ist ja so gefährlich, da braucht es mehr als einen Kriminalkommissar! Nein, ich wohne seit zehn Jahren in Basel. Die ersten fünf Müller-Krimis habe ich bereits hier geschrieben oder zumindest beendet. Mittlerweile wurde der Aufwand zum Rekognoszieren von Details in Zürich schlicht zu gross. Aber gerade alltägliche Details muss man kennen, damit man weiss, wie die Stadt vom Geist und Groove her tickt und sich wandelt – damit die Leute die Handlung verorten können und die Geschichte plausibel und stimmig wird. Heute gibt es neue Tramlinien in Zürich, die ich nicht kenne. In Basel bekomme ich einfach alles mit, weil ich hier lebe. Es wurde Zeit, dass auch Müller umzieht.
… und Hunkeler am Rhein die Ehre erweist.
Zehnder: Klar, ich habe die Hunkeler-Krimis nicht nur wahnsinnig gerne gelesen, ich habe dabei auch etwas gelernt, etwa das Rheinbad St. Johann entdeckt, vor allem das untere Deck. Mir ist es im Sommer ja immer zu heiss in der Stadt.
Schneider: Dort ist es kühler.
Zehnder: Ja, da liegt man schön zwei, drei Handbreit über dem Wasser. Logischerweise musste ich Müller im Buch vom einzigen Ort schwärmen lassen, wo man Basel im Sommer aushält. Und logischerweise wusste Müller, dass auch Hunkeler gerne hier ist. Es wäre komisch, würde er dort nicht an ihn denken. Darum musste ich das einbauen. Durchaus auch, um den Hut vor den Hunkeler-Krimis zu ziehen.
Schneider: So weit hab ich den Müller noch nicht gelesen. Aber ja, der Ort ist wahnsinnig schön. Trudi Gerster schwaderte dort noch mit 85 Jahren rum.
Herr Zehnder, Sie arbeiten beim Radio SRF in der Kultur. Nehmen Sie dort zum Schreiben jeweils Auszeiten?
Zehnder: Nein, ich schreibe immer nach der Arbeit an zwei Abenden pro Woche. Manchmal noch an einem Morgen, wenn ich frei habe. Wichtig ist, ständig dran zu bleiben, damit der Fluss stimmt.
Schneider: Schaffst du im Studio Basel? Das Hörspielstudio auf dem Bruderholz habe ich heiss geliebt, wahnsinnig schön. Jetzt zieht man in ein Hochhaus am Bahnhof. Immer diese neuen Hochhäuser.
Zehnder: Wenn wir ins Hochhaus am Bahnhof ziehen, brauche ich ein neues Fitnessprogramm. Bisher fuhr ich immer mit dem Velo zur Arbeit. Besonders schön ist es morgens, wenn noch Nebel über der Stadt liegt.
Das klingt nun sehr nach Heimatromantik eines Aargauers. Wir haben hier doch keinen Nebel.
Zehnder: Doch, doch – manchmal schon. Am schönsten im Winter, wenn sich eine Nebelzunge von Binningen her Richtung Stadt streckt. Erst der nächste Hügel guckt wieder raus, ein richtiges Nebelmeer.
«Literatur ist eigentlich Rache an der Wirklichkeit. Man will sie neu erfinden.»
Apropos Aargau, was hat der eigentlich zu bieten?
Schneider: In der Literatur wahnsinnig viel. Aus den Tälern südlich der Aare bis zur Limmat kommt ein gutes Dutzend guter Autoren.
Warum geniesst der Aargauer in Zürich und Basel einen so schlechten Ruf?
Schneider: Ich finde den Kantönligeist etwas Schönes. Da behält man Eigenarten, das ist gut.
Zehnder: Ich finde Verwurzelung, Herkunft, Dialekt, wie man aufgewachsen ist, auch wichtig und gut. Meine Erfahrung in Zürich war: Wer hyperurban und superzürcherisch tat, war Aargauer, Bündner, Schwyzer, Spanier oder aus Jugoslawien – aber sicher kein Stadtzürcher.
Neigt man aus der Ferne zum Romantisieren oder kann man beim Schreiben über das Eigene, Vertraute am lustvollsten und härtesten mit etwas ins Gericht gehen?
Schneider: Man schreibt immer gegen etwas an. Man schreibt immer aus einer Wut heraus. Man schreibt nicht, wenn man zufrieden oder glücklich ist.
Nie?
Schneider: Nein! Vielleicht mal Goethe mit einem Gedicht. Aber Literatur ist eigentlich Rache an der Wirklichkeit. Man will sie neu erfinden. Das ist normal. Nehmen wir die Wiener Literatur. Die übertreiben das extrem und schamlos. Ich wollte mal Jelinek lesen, «Die Klavierspielerin». Nach drei Seiten packte mich das Grausen. Die geht raus auf die Strasse und sieht nur hässliche Menschen – die spinnt doch! Da habe ich aufgehört.
Zehnder: Das ist mir auch zu extrem.
Und die Ansicht von Literatur als Rache?
Zehnder: Ein interessanter Punkt. Mit der Herkunft kann und sollte man besser Frieden schliessen, sonst hadert man ein Leben lang. «Rache an der Wirklichkeit» kann ich nachvollziehen, weil man vieles sieht, das schiefläuft.
«Journalismus ist mehr das juristische Prinzip, Schriftsteller die subjektive Sicht.»
Sie haben beide Erfahrung im Journalismus: Ist das Anprangern der Fehler und Vergehen nicht Job der Journalisten?
Zehnder: Das ist ganz etwas Anderes. Wenn ich journalistisch arbeite, muss alles zutreffen, ausgewogen sein und unterschiedliche Standpunkte müssen nachgefragt sein. Beim Krimi kann ich radikal schreiben, was und wie ich will. Journalismus ist also mehr das juristische Prinzip, Schriftsteller die subjektive Sicht.
Recht schafft nicht zwingend Gerechtigkeit. Trifft subjektive Fiktion die Realität manchmal besser als ein möglichst objektiver journalistischer Bericht?
Zehnder: Das kann sein.
Schneider: Wieso kommt ein Mensch dazu, die wahnsinnige Büez und Anstrengung auf sich zu nehmen, ein 300-seitiges Buch zu schreiben? Die meisten werden nicht mal gedruckt, noch weniger rentieren am Ende. Warum macht man das? Da muss es doch einen Grund geben.
Zehnder: Freude am Erzählen, Freude an der Sprache?
Schneider: (zögert) Schon, aber ich sehe es radikaler. Auf der einen Seite ist die Wirklichkeit, auf der anderen die Sprache. Die ist zwar auch ein Stück Wirklichkeit, doch kann man mit ihr als Konkurrentin gegen die Realität antreten. Das ist eine wahnsinnige Herausforderung. Der wahre Impetus kommt wohl schon daher. Wut ist wohl zu stark als Wort, Neid passt schon eher.
Für einen Racheengel ist Hunkeler aber wahnsinnig empathisch.
Schneider: Im dem Sinne ist er auch ein Aargauer. Aargauer sind lieb. Unsere Hymne lautet: «Im Aargau sind zwöi Liebi». Ausserdem schreibe ich, nicht der Hunkeler.
Empfinden Sie eine süsse Befriedigung, wenn ein Buch abgeschlossen ist? Oder anders gefragt: Hat man am Ende eines Buches Frieden geschlossen mit dem Thema, das Antrieb zum Schreiben war?
Zehnder: Es ist etwas Schönes, wenn man ein Buch fertig hat. Dann bindet man im Geiste ein Schleifchen drum und denkt schon wieder weiter. Ich schreibe jedenfalls meist relativ nahtlos weiter.
Schneider: Ich mache immer Pause. Ich habe zwischen den Hunkelers immer ein Theaterstück oder so geschrieben. Erst musste ich mich immer neu konzentrieren, die Soldaten neu versammeln, bevor es mit Hunkeler weiterging.
«Der Qualitätsfimmel bremst. Darum denke ich im Vorfeld: Das wird das schlechteste Buch, das je geschrieben wurde.»
Apropos: Gibt es noch einen Hunkeler?
Schneider: Mal sehen.
Fehlt noch die Geschichte?
Schneider: Es ist eine Frage der Anstrengung, ob ich nochmals die Konzentration dafür hinbekomme. Egal, was für ein Buch, es ist immer eine unglaubliche Anstrengung. Aber vielleicht wird es deshalb halt noch einen schlechten Letzten geben.
Zehnder: Das kann ich mir nicht vorstellen, dass der schlecht wäre.
Schneider: Ja, das wär mir grad noch recht (Gelächter).
Schneider: Nein, ist wahr! Denkt man immer daran, dass es saugut werden muss, kann man nicht mehr schreiben. Der Qualitätsfimmel im Kopf bremst Mut und Risikobereitschaft. Darum denke ich im Vorfeld: Das wird das schlechteste Buch, das je geschrieben wurde – und dann geht es.
Dann steht dem Hunkeler eigentlich nichts im Weg.
Schneider: Ich bin immer etwas älter als er. Das macht es für mich schwierig. Was will ich als alter Mann über die heutige Wirklichkeit sagen? Ich komme nicht mehr draus und der Hunkeler deshalb leider auch nicht mehr.
Sie kommen nicht mehr draus?
Schneider: Nein. Bilder wie die drei «Meitschis» dort drüben am Tisch mit ihren Telefonen. Da muss ich doch tätsch heraus lachen. Was machen die, arbeiten?
Zehnder: Vielleicht chatten sie zusammen. Ich sah kürzlich ein Foto von 15 Männern an einer Bushaltestelle, alle mit Blick auf das Handy. Keiner spricht mit dem anderen. Das finde ich selber seltsam, kein Wunder will Hunkeler das gar nicht verstehen.
Ihr Kommissar Müller ist ja auch eher oldschool.
Zehnder: Das hat was.
Schneider: Ein Krimi, der nur über Handys läuft, wäre auch stinklangweilig.
Aber kriminalistische Arbeit ist hoffentlich immer auf dem neusten technischen Stand.
Schneider: Ja, aber beim Erzählen wäre das langweilig. Im Film geht es zwar. Obwohl: Ich kann auch die neuen Filme nicht mehr schauen. Nach zehn Sekunden kommt der erste Griff ans Handy. Es ist einfach wahnsinnig, wie radikal sich die Welt die letzten 20 Jahre wegen der Elektronik verändert hat. Hat man das – wie ich – nicht mitgemacht, kommt man nicht mehr draus. Insofern war es mein Entscheid, heute nicht mehr drauszukommen. Das ist kein Klagelied, mir geht es gut.
«Nur weil er von der BaZ angemacht wurde, jubiliert Wessels über den Verkauf? So einer ist doch ein Kindskopf.»
Für Sie persönlich hat sich in dem Fall aber nicht viel verändert.
Schneider: Ich schreibe meine Bücher noch immer von Hand, und erst dann in die Maschine. Das hat sich bewährt und ich werde es nicht mehr ändern. Was ich dagegen wirklich beklage, ist der Verlust der alten Zeitungswelt, die unterschiedlichen Meinungen etwa von Feuilletonredaktoren nach Premieren. Das ist alles verschwunden – und nun auch noch die «Basler Zeitung».
Der Titel wurde von Tamedia gekauft.
Schneider: Das heisst, es gibt auch die Redaktion nicht mehr! Das ist doch die Zeitung. Wenn es in Basel Leute gibt wie Regierungsrat Wessels, die das auch noch begrüssen, dann verstehe ich die Welt nicht mehr! Nur weil er von der BaZ angemacht wurde, jubiliert er? So einer ist doch ein Kindskopf. Das entbehrt jeglicher Grösse. Man muss die Zeitung des Gegners ertragen.
Zehnder: Der Verlust an Vielfalt ist schon krass. Vor 15, 20 Jahren konnte ich als freier Journalist diverse Redaktionen beliefern. Heute wäre das unmöglich. Jetzt gibt es genau noch Zentralredaktionen von Tamedia, Ringier, AZ Medien, NZZ, SRF – das ist es dann in der Deutschschweiz auch ungefähr.
Die Monopolisierung der Verlage bietet Raum für neue kleine Redaktionen wie die TagesWoche. Die Leute wollen gute Geschichten aus der Region.
Schneider: Die TagesWoche, was da anfangs an Stutz verbraten wurde.
Diese Unterstützung wurde massiv zurückgefahren.
Schneider: Seid ihr von der TagesWoche heute wirklich finanziell unabhängig?
Bis Anfang 2020 haben wir noch eine Galgenfrist, dann müssen wir weitgehend selber Geld verdienen.
Schneider: Aber da müsst ihr nun was unternehmen! Eure Zeitung liest doch niemand.
Zehnder: Doch, online wird sie schon gelesen.
Schneider: Ja, aber online. Es wäre ja bitter nötig, dass es euch gut ginge. Weil wenn ich den Tagi lese, will ich nicht dasselbe wie in der BaZ lesen. Also steigt in die Hosen!
Sie könnten doch für uns schreiben. Unter der Rubrik: Rache an der Gesellschaft.
Schneider: (unter Gelächter) Nein, ich wollte damit nur das alte Bild korrigieren, dass jemand von der Muse geküsst wird, und dann schreibt und alles ist schön und gut. Ich würde schon sagen: Es ist Rache. Aber das kann man nicht so gross plakativ schreiben. Aber Unzufriedenheit. Aus Zufriedenheit schreibt keiner einen Roman.