«Ich bin kein talentierter Verkäufer meiner Selbst»

Gleich in zwei grossen Rollen können wir demnächst Stefan Kurt im Kino sehen: In Bettina Oberlis «Lovely Louise» sowie in der Fernsehproduktion «Nur ein Schritt – Der Fall Paul Grüninger». Wir haben den Schauspieler auf ein Gespräch getroffen.

Stefan Kurt als wortkarger Taxifahrer André in einer Szene des Films «Lovely Louise». (Bild: © Frenetic Films)

Gleich in zwei grossen Rollen können wir demnächst Stefan Kurt im Kino sehen: In Bettina Oberlis «Lovely Louise» sowie in der Fernsehproduktion «Nur ein Schritt – Der Fall Paul Grüninger». Wir haben den Schauspieler auf ein Gespräch getroffen.

Er ist einer der vielseitigsten unter den Schweizer Schauspielern. Eine seine ausgeprägtesten Seiten ist die Scheu. Aber wenn er sich auf der Theaterbühne in einer Shakespeare-Komödie zeigt, erreicht er mit seinem körperlichen Spiel den letzten Rang so schrill, als wäre er eine Grossaufnahme. Er hat immer wieder mit dem grossen Bild-Magier Robert Wilson gearbeitet und grosse Theaterpaläste mit seinem Spiel gefüllt. Vor der Kamera liefert er leise, wortscheue Charaktere – und überzeugt mit faseriger Nähe. Preisgekrönt ist seine Präsenz vor der Kamera bereits mehrfach: Er hat den Grimme-Preis und den Schweizer Filmpreis (als beste Nebenrolle) erhalten. Darf er demnächst seine Traumrolle spielen?

Sie spielen im Drama «Verdingbub» einen verzweifelten, verbohrten Bauern. In «Lovely Louise» werden wir Sie als scheuen, wortkargen Taxifahrer in einer Komödie sehen. Was fasziniert Sie an Menschen, die nicht viel reden?

Wortkarge Menschen öffnen dem Schauspieler viele Assoziationen. Und dem Zuschauer öffnen sie den Geist. Sie haben ein Geheimnis. Wortkarge Menschen bieten mir als Schauspieler viel Futter.

Weil Sie selber nicht so gerne reden… ?

Mhm… (lacht).

Ist Ihnen der Taxifahrer, wie Sie ihn in «Lovely Luise» spielen, schon einmal draussen in der Welt begegnet?

So ähnlich, ja. Zumindest hat mich die Figur sofort interessiert. André ist einer jener Menschen, die von sich behaupten würden, sie seien glücklich. Zumindest zu Beginn des Filmes. Er hat seine kleine, zufriedene Welt. Er hat alles, was er sich wünscht. Alles andere verdrängt er. Für ihn ist es ganz selbstverständlich, dass er mit 55 noch bei seiner Mutter lebt. Da ist für ihn nichts Komisches. Ich bin genau so an die Rolle heran gegangen: Ernst nehmen. In einer Komödie muss man der Figur glauben. Wenn man einer Figur nicht glauben kann, wird das leicht ein Klischee.

Folgen Sie der Sprache des Drehbuches haargenau?

Es gibt Regisseure wie Dieter Wedel, die legen Wert auf jedes Komma, das im Drehbuch steht. Im Fall von «Lovely Louise» war für mich schon die Übersetzung der Vorlage in meine Mundart, das Berndeutsch, eine Möglichkeit, mir den Text zu eigen zu machen. In der Vorlage sprach André eher eine Mischung aus Zürichdeutsch und Oltener Bahnhofbuffet-Deutsch. Durch die Annäherung an meine Sprache wird ein Text rasch zu einem eigenen, als stamme er von einem selbst. Als wäre ich schon lange so ein André.

In Norbert Baumgartens «Mensch Kotschie» waren Sie auch eher so ein Typ.

Er ist auch so ein «Grümscheler», wie wir auf Berndeutsch sagen, der nie explodiert, sondern eher implodiert. Das entspricht eher meinem Wesen. Ich nähere mich ansonsten einer Figur viel lieber über die körperlichen Eigenheiten. Obwohl ich Sprache, vor allem Dialekte, liebe, sie rasch imitieren kann. Ich spiele zum Beispiel im «Der Fall Grüninger» den Polizeihauptmann von St. Gallen auf St.Gallerisch – seinem Heimatdialekt. Da ist die Sprache korrekt. Knapp.

Wieder karg? Immerhin ist Grüninger ein Held…

Ja, das war er. Sachlich. Ich spiele ihn so wortkarg, wie ich glaube, dass er war. Aber eigentlich gehe ich immer von der körperlichen Erscheinung an eine Figur heran.

«Dieser André hat sehr viel Spass gemacht. Vielleicht, weil er ein wenig ist wie ich.»

Auf der Bühne dürfen Sie sich die Sätze grosser Geister ausleihen. Shakespeare oder Büchner. Vor der Kamera wirken sie – selbst in Rollen wie in «Ruhm», wo sie einen beredten Autor spielen, eher verschlossen. Was ist der Unterschied zwischen der Arbeit auf der Bühne und vor der Kamera?

Die Arbeit vor der Kamera geht fast in die gegenteilige Richtung der Bühne. Nach innen. Manchmal genügt es bei einer Grossaufnahme, die Sachen zu denken. Man kann die Gedanken arbeiten lassen, die man auf der Bühne gross ausspielen würde. Das ist dann eher eine Implosion als eine Explosion. Deshalb ist es so befruchtend, beides machen zu dürfen.

Ziehen Sie trotzdem das Eine dem Anderen vor?

Ich komme vom Theater. Dort ist das Erlebnis mit den Zuschauern unmittelbar, das Spiel verbindet. Theater ist körperlicher. Ich liebe den Geruch der Bühne: eine Mischung aus Staub, Schweiss, Parfum und Schminke. Anderseits ist die Verwandlung vor der Kamera, im Kleinen, in der Nahaufnahme, eben auch sehr faszinierend: Dieser André hat sehr viel Spass gemacht. Vielleicht, weil er ein wenig ist wie ich. Ich mag den Humor, in dem er gezeichnet ist.

Wie hätte dieser André in Deutschland gelebt?

Der Film hat für mich etwas typisch Schweizerisches. Das macht den Humor aus, der auch in den Bildern steckt. Auch die Bildsprache. Das wäre ein ganz anderer Film geworden auf Deutsch, vielleicht nicht einmal eine Komödie. Dieses «Grümschelen», das ist für mich hier zu Hause. Wir ziehen uns gerne zurück in unsere kleine Bastelwelt, wie André. Wir leben unser Leben nicht so nach aussen. Das macht eine spezielle schweizerische Art Humor aus.

Haben Sie einen der Modellflieger, wie André ihn im Film fliegt, auch bedient?

Nun, ja, wir haben am Simulator geübt. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wenn man von hier (steht auf) …nach da… (bückt sich leicht, weist mit dem Arm den Weg, um anzudeuten, wohin er fliegt) …fliegt, ist plötzlich links recht und rechts links, da kann man schon mal den Überblick verlieren… Aber ich durfte keinen der Mirages fliegen. Die fliegen mit Düsen und kosten soviel wie ein Kleinwagen und verbrauchen in zwei Minuten Flug einen Liter Sprit.

Jetzt fliegen Sie hin und wieder zwischen Berlin und der Schweiz hin und her.

Ja. Ich lebe seit 1998 in Berlin. Spiele dort auch. An der Staatsoper am Schillertheater «Orpheus in der Unterwelt» in der Regie von Phillip Stölz. Danach werde ich einer Operette mitspielen mit den «Geschwister Pfister» an der Komischen Oper Berlin.

«Ich lese wenig Bücher. Das ist seit der Schule so.»

Sie sind nicht nur als Schauspieler ein Tüftler, ein «Grümscheler». Sie sammeln auch Bilder und Töne. Kleine Türchen in ihre Hörwelt. Auf Ihrer Website findet sich ein ganze Sammlung von ihren Seh- und Hörbildern. Sammeln Sie noch?

Ja. Ich bin fasziniert von Geräuschen. Ich halte sie fest. Und kombiniere sie neu. So entsteht eine neue Hörwelt. Ich lasse mich gern davon überraschen.

Und Bücher?

Jetzt machen Sie mich verlegen. Ich lese Zeitungen. Drehbücher. Muss ich ja. Ich lese wenig Bücher. Das ist seit der Schule so: Dort hat man sie uns eingetrichtert. Ein Buch steht für mich immer für diese Wissensaneignung der Schule. Ich lese zur Erholung. Sibylle Berg zum Beispiel.

Sie sind einer jener Schauspieler, die sich der Öffentlichkeit mit Ihrem Privatleben gerne entziehen.

Ich finde, mein Leben spielt für das Verständnis meiner Kunst keine Rolle. Ich bin aber auch kein besonders talentierter Verkäufer meiner Selbst. Es macht mir einfach keinen Spass, mich für andere zu erfinden: Ich mache keine Home-Stories. Dadurch fallen schon ganz viele Medien weg.

Sie haben auch schon einmal einen Regisseur gespielt. In «Snow White» von Samir. Kein Lust, Regie zu führen?

Nein. Das kann ich nicht. Ich würde den Schauspielern immer nur vorspielen, wie sie es machen sollten… Nein.

Aber Sie machen es sicher gut vor…

…das ist noch schlechter für die Schauspieler. Nein. Ich bin gern so ein «Grümscheler».

  • Zu sehen ist Stefan Kurt in «Lovely Louise» von Bettina Oberli («Herbstzeitlose») ab. 6. September u.a. in den Kult-Kinos in Basel.
 «Nur ein Schritt – Der Fall Paul Grüninger» wird im späteren Herbst zu sehen sein.

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