«Ich denke immer in Geschichten»

Peter Luisi ist einer der talentiertesten Erzähler im jungen Schweizer Film. Wie er sich Absagen von Filmförderstellen erklärt – und warum ihn diese nicht davon abhalten, weiterzumachen, erklärt er im Gespräch.

(Bild: Christian Schnur)

Peter Luisi ist einer der talentiertesten Erzähler im jungen Schweizer Film. Wie er sich Absagen von Filmförderstellen erklärt – und warum ihn diese nicht davon abhalten, weiterzumachen, erklärt er im Gespräch.

Mit «Verflixt verliebt», seinem ersten Film, landete Peter Luisi 2004 gleich einen Insider-Hit. Ohne Geld, aber mit einem Team von begeisterten No-Names, mischte er die No-Budget-Szene auf. Jetzt bringt er wieder einen erfrischenden Jugendfilm ins Kino, mit lauter jungen Gesichtern und einer ausgeklügelten Dramaturgie: «Boys Are Us». Damit lädt Peter Luisi Teenager zum Denken ein. Und uns zum Gespräch in seinen Schneideraum neben einem Autobahnzubringer in Zürich.

Peter Luisi, wovon halten wir Sie gerade ab?

Ich schneide gerade einen neuen Film mit dem Arbeitstitel «Schweizer Helden», den ich im Januar/Februar gedreht habe. Den Film wollte ich eigentlich schon 2006 machen, erhielt damals aber kein Geld. Erst jetzt konnte ich die Geschichte dank eines Koproduktionsbeitrags des Schweizer Fernsehens umsetzen. Es geht um eine Gruppe Asylbewerber, die den «Wilhelm Tell» aufführen will. Der Film kommt Ende 2014 in die Kinos.

Zunächst aber läuft Ihr Film «Boys Are Us» in den Schweizer Kinos an: «Die Jungs gehören uns» – wie ist das zu verstehen?

Ursprünglich hiess der Film «Mias Blog», was sich auf das öffentliche Tagebuch einer Teenagerin bezog, die im Film die Handlung vorantreibt. Der Titel «Boys Are Us» steht jetzt eher für das Spiel einiger Mädchen, die die Kontrolle behalten wollen, auch in der Liebe.

Fleissiger Filmemacher
Peter Luisi (38), schweizerisch-amerikanischer Doppelbürger, studierte in den USA und schloss 1998 an der University of California in Filmproduktion ab. Seither nimmt er im Filmgeschäft vier Rollen ein: Produzent, Regisseur, Cutter und Drehbuchautor. Mit seinem dritten Spielfilm «Der Sandmann» (2011) feierte er einen internationalen Publikumserfolg, Luisis neuster Streich «Boys Are Us» feierte am Filmfest von Chicago Weltpremiere.

«Boys Are Us» ist bereits Ihr vierter Spielfilm seit 2004. Sie gehören aber nicht regelmässig zum Kreis der Geförderten. Motiviert es Sie, fast ohne Geld gegen die etablierten Filmemacher anzutreten?

«Verflixt verliebt» war mein erster Film. Ich durfte alles falsch machen. Das ist befreiend, ich fand zu einer guten Mischung aus Ehrfurcht und Frechheit. Heute ist es eher eine Herausforderung, Gesetze zu überschreiten und Neuland zu suchen.

Beflügeln kleine Budgets auch die Experimentierfreude?

Kleine Budgets bedeuten nicht immer Einschränkungen in künstlerischen Entscheidungen. Es kommt auf die Produktionsweise an. Ich habe bei meinem zweiten Film «Love Made Easy» versucht, über meinem Budget zu produzieren. Plötzlich war viel Freiheit weg. Wir mussten in kurzer Zeit drehen, hatten mit Martin Landau aber einen grossen Hollywood-Schauspieler im Ensemble. An seinem ersten Drehtag hatten wir das Licht erst im Korridor eingerichtet. Seine Szene sollte aber in der Küche spielen. Ich versuchte Landau zu erklären, warum man ihn in dieser Szene nur im Off hört und immer die anderen sieht. Ich glaube, er hat am ersten Tag geglaubt, ich hätte keine Ahnung vom Filmemachen. Das war mein Lehrgeld. So fand ich heraus, welche Produktionsvoraussetzungen ich brauche, um gut arbeiten zu können.

Wie arbeiten Sie?

Ich denke immer in Geschichten. Die Bilder sind nur wichtig, um die Geschichte zu erzählen, und nicht, um an und für sich schön auszusehen. Ich habe immer die Geschichten im Auge, mit ihnen sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer auf eine Reise geschickt werden.

Klingt nach einem literarischen Ansatz – wird das Drehbuch da nicht zu wichtig?

Ich arbeite immer mit guten Kameramännern oder – frauen zusammen und lasse ihnen viel Freiheit. Sie sind meine «Directors of Photography».

Wie gross war das Budget von «Boys Are Us»?

Hätte ich Geld von den Förderstellen bekommen und allen einen regulären Lohn zahlen können, so hätte das Budget bei 550 000 Franken gelegen. Da wir aber von vielen Förderstellen kein Geld bekamen, war ich gezwungen, mit den Schauspielerinnen und -spielern Verträge zu machen, die ihnen erst im Erfolgsfall Geld bringen.

Das heisst, die Jugendlichen, die mitspielen, haben noch nichts verdient?

Ja. Wir wollten den Film unbedingt machen. Aber die Förderstellen haben, glaube ich, den Film nicht verstanden. Nur Teleclub gab ursprünglich Geld. Im Nachhinein auch das Bundesamt für Kultur. Das Problem von Förderkommissionen ist, dass immer der Mehrheitsentscheid gewinnt. Spezielle Ideen können aber oft nur eine Minderheit begeistern. Wenn Mehrheiten etwas gut finden, ist es oft nur das Altbewährte.

«Die Förderstellen haben den Film nicht verstanden, glaube ich.»

Wollten Sie die Geschichte nach den Absagen nicht ändern?

Wir wollten nicht ändern und ändern, bis der Film allen Fördergremien verständlich genug erschien. Ich will wissen, ob das Publikum ihn mag, nicht eine Filmstiftung. Wozu also warten?

Scheuen Sie den Gang durch die Institutionen?

Ich bringe mich ungern in die Situation, dass andere entscheiden dürfen, ob ich einen Film machen darf oder nicht. In «Boys Are Us» war das Arbeiten mit Kleinst-Budget durch die Geschichte möglich – und auch, weil alle Mitarbeiter so jung waren und grosse Lust hatten, mit mir zusammen den Film zu machen. Ich und der Kameramann waren die «Opas».

«Ich will wissen, ob das Publikum meine Filme mag, nicht eine Filmstiftung.»

Sie arbeiten als Produzent, Regisseur, Cutter und als Drehbuchschreiber an Ihren Filmen mit. Sie sind also ein wesentlicher Teil Ihres Teams. Welche Rolle ist Ihre stärkste?

Ich glaube, dass meine Stärken im Führen der Schauspieler, im Verfolgen der Geschichte liegen. Die Drehbucharbeit findet eher alleine statt. Da rede ich dem Regisseur kaum rein … Dass ich auch mein eigener Cutter bin, ist von Vorteil, denn Schnitt ist ein wichtiger Teil der Regie.

Sichern Sie sich damit auch die letzte Entscheidung?

Ja. Am Drehort kümmere ich mich um die «direction», die Richtung, in die ich mit der ganzen Truppe reisen möchte. Danach, am Schnittplatz, kann ich Entscheidungen noch einmal überdenken und korrigieren. Am «Sandmann» habe ich sicher ein halbes Jahr lang geschnitten. Ich hole da auch immer wieder Beraterinnen dazu.

Wir sehen bei Ihnen also immer den «Director’s Cut»? Entspricht das Ihrem Eigensinn?

Ja. Ich entwickle unentwegt unterschiedliche Situationen von Zusammenarbeit. Ich werde auch angefragt, ob ich bei anderen mitarbeite. Ich mache zusammen mit Patrick Karpiczenko eine Sketch Show für SRF. Das ist wieder eine ganz andere Zusammenarbeit. Kurzstrecke. Kleine Szenen. Ganz Unterhaltung. Aber Eigensinn ist vielleicht trotzdem eine gute Beschreibung.

Und, was denken Sie, über welche Ihrer Rollen wird man in 20 Jahren am meisten reden?

Das ist schwer einzuschätzen. Als Autor bin ich am gefestigtsten, da weiss ich genau, was ich will, kann Geschriebenes auch verwerfen. Als Regisseur kann ich vielleicht am meisten dazulernen. Weil sich da die Disziplinen überkreuzen. Ich wünschte mir oft, mich noch genauer ausdrücken zu können, andere Regisseure artikulieren sich viel präziser, scheint mir.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.05.13

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