Am 11. März kommt Sibylle Berg mit ihrem neuen Buch in die Kaserne Basel. Wir haben mit ihr über Roger Köppel, Jan Böhmermann, Beziehungen, Alter und Feminismus gesprochen.
Sibylle Berg hat den Ruf, eine höfliche und humorvolle Frau zu sein. Heisst nicht, dass sie es nicht bissig mag. Zum Beispiel, als die «Weltwoche» vor rund drei Jahren ein Titelbild setzte, das die Roma diskriminierte. Daraufhin nannte Berg das Blatt auf Twitter den «neuen Stürmer». Roger Köppel, mit dem sie früher beim «Magazin» zusammengearbeitet hatte, fand das nicht lustig.
Vielleicht gab es ja ähnliche Gründe dafür, dass ihre langjährige Kolumne «Bergblick» in der «Basler Zeitung» 2011 eingestellt wurde. Allzu lange dürfte sie selber nicht getrauert haben, denn im Nu verpflichtete sie «Spiegel Online».
Doch das macht sie vor allem, um ihre Miete zu zahlen, denn in erster Linie schreibt die 52-jährige Wahlzürcherin Romane (15) und Theaterstücke (16). In Basel war zuletzt «Es sagt mir nichts, das sogenannte Draussen» zu sehen (wir haben berichtet), kurz nachdem es von der Zeitschrift «Theater heute» zum Stück des Jahres gewählt worden war. Aber um noch mal auf die Bissigkeit zurückzukommen: Man kann sie auch in diesem Interview nachlesen, wenn Frau Berg eine Frage nicht gefällt. Aber wir haben es überlebt. Der Schalk hat bei ihr das letzte Wort.
Mehr als zehn Jahre – so glauben wir – ist es her, seit man Sie letztmals in Basel mit einem Leseprogramm live erlebte. Warum gings so lange?
Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Lesungen immer grösser werden und es logistisch nicht funktioniert hat. Gerade bin ich mit acht Leuten unterwegs. Vier Mann von der Band Kreidler, Christian Ulmen, Jan Böhmermann, Video und so weiter.
Kennen tut man Sie ja sehr gut hier, jahrelang schrieben Sie Kolumnen für die BaZ. Bis Markus Somm diese absetzte – irgendwie klammheimlich. Was war geschehen?
Blocher war geschehen.
Unter Roger Köppel schrieben Sie zu dessen «Magazin»-Zeiten. Jetzt will der «Weltwoche»-Chefredaktor für die SVP in die Politik. Erstaunt Sie das?
Damals war er noch ein, sagen wir mal, properer junger Mann ohne politische Auffälligkeiten. Das ist 67 Jahre her. Inzwischen will er nur das Beste. Für, ja, ich weiss nicht genau für wen…
Apropos: Sie sind Schweizerin, richtig? Warum haben Sie sich einbürgern lassen?
Ich lebe jetzt 19, wow, Tatsache, also 19 Jahre in der Schweiz. Es ist das Land, in dem ich immer sein wollte, das Land, für das ich peinliche Liebesgefühle habe. Das sage ich aber nur Ihnen, wir sind ja hier unter uns. Also ist es logisch, Schweizerin zu werden. Oder?
«Ich fürchte mich eigentlich vor nichts.»
Sicher. Mussten Sie auch lustige Fragen beantworten?
Ja. Nennen Sie die Namen der drei Pferde, die Köppel auf seinem Gestüt hat. Nennen Sie die Farbe der Unterhose, die Blocher heute trägt. Singen sie das Guggisberglied. Und zwar in Walliser Dialekt.
Wen werden Sie denn jetzt wählen im Herbst, also ausser Köppel…?
Ich warte, ob Endo Anaconda sich aufstellen lässt.
Stimmt es noch immer, dass Sie sich vor Auftritten fürchten?
Nein.
Nicht?
Ich fürchte mich eigentlich vor nichts. Das klingt cool, ist es vermutlich auch.
Haben Sie Feinde?
Wenn man sich die Kommentare unter Essays von mir durchliest, steht das im Raum. Aber will man anonyme Netzhater Feinde nennen, oder einfach gelangweilte Männer in einer Lebenskrise, denen man Trost zusprechen sollte?
In Basel liest Patrick Frey die männlichen Parts Ihres Buches. Nichts gegen ihn, aber fast noch lieber wäre uns Jan Böhmermann gewesen, der in Deutschland gelesen hat. Finden Sie auch, dass er den Humor im deutschen Fernsehen rettet?
Patrick Frey ist der Böhmermann der Schweiz …
… der Vater des Böhmermanns der Schweiz, vielleicht…
Und zur anderen Frage: Ja. Ich liebe Jan Böhmermann aufrichtig. Er ist ein Hochbegabter. Ich vermute, es gibt nichts, was Jan nicht beherrscht. Singen, Tanzen, Klugsein und auf der richtigen, also meiner, moralischen Seite stehen.
«Ich finde nichts langweiliger als Lesungen.»
Sie garnieren Ihre Leseabende zudem mit Musik. Wieso?
Ich finde nichts langweiliger als Lesungen. Ein Tisch, ein Licht, ein Buch – das kann man doch wirklich besser im Bett erledigen. Wenn man also mit seiner Arbeit herumreist, muss es etwas Zusätzliches geben, das die Welt des Buches beschreibt, sonst fühlte ich mich wie eine Staubsaugervertreterin. Also versuche ich den Zuschauern einen möglichst reichhaltigen Unterhaltungsabend zu bieten.
Bald inszenieren Sie erstmals ein Stück, ein eigenes, im Zürcher Neumarkt – weil Sie nie zufrieden sind, was Regisseure mit Ihren Texten machen?
«Nie» ist ein zu starkes Wort. Mitunter nicht, schwäche ich ab. Und ich habe gemerkt, dass es seltsam ist, wenn ich nicht versuche, meine eigenen Texte selber zu inszenieren. Wer soll denn besser als ich wissen, was gemeint ist.
Würde Sie eine Verfilmung reizen?
Film möchte ich nicht selber machen. Zu kompliziert. Ich bin doch nicht Böhmermann und kann alles.
«Alle sagen: Jung wollen wir nicht mehr sein, aber alt auch nicht.»
In Ihrem aktuellen Buch geht es um die scheiternde Ehe von zwei Spätvierzigern. Was passiert unumgänglich, wenn ein Paar sich entscheidet, das Leben miteinander zu verbringen?
So scheiternd ist die Beziehung ja nicht. Sie hat nur das kleine Manko, das viele Paare in fast jedem Alter kennen, die mehr als fünf Jahre zusammen sind – den Sex. Ich habe in meinen vorangegangenen Feldforschungen wirklich wenige getroffen, die damit rundherum zufrieden waren. Sprich: Irgendwann kommt in den meisten Beziehungen der Punkt an dem sich einer oder beide fragen: War es das jetzt? Für immer? Nie mehr Herzklopfen, Leidenschaft, ein neues Fleisch? Das wird in dem Buch verhandelt.
Es gibt ja auch andere Möglichkeiten: Sich von Beziehungen fernhalten, Single sein, sich – wahrscheinlich besseren – Sex in Affären besorgen. Ist das ratsamer?
Bin ich Dr. Sommer? Keine Ahnung. Wie Menschen ihre Beziehungen gestalten, was sie glücklich macht, ist sehr individuell. Manche stehen darauf, immer von vorne zu beginnen, manche präferieren Einsamkeit (ich kenne nicht so viele), andere finden einen Weg, eine dauerhafte familiäre Liebe mit aushäusigem Sex zu würzen, ohne dass sie sich trennen. Viele aber trennen sich eben, genau darum.
Wenn man auf die Fünfzig geht – gibt es da nur noch die Themen von körperlichem Verfall, und dass man nichts Neues mehr beginnen kann?
Woher soll ich das wissen? Ich habe mich gegen das Älterwerden entschieden, ich finde es nicht interessant. Ich lebe ewig. Fragen Sie Köppel. Oder so viel: Ich finde jede Form von Altersrassismus spiessig. Man kann bis zum Ende alles immer neu erfinden, wenn man sich ein wenig Mühe gibt und nicht stehen bleibt.
Es scheint, als würden Sie die Themen von Beziehung und Altern gar nicht so sehr beschäftigen. Wie kommt es dann, dass sie so einen grossen Raum im Buch einnehmen?
Wir leben in einer Art kollektiver Altersangst. Alle sagen: Jung wollen wir nicht mehr sein, aber alt auch nicht. Denn es heisst ja, irgendwann von der Welt zu verschwinden. Eine unglaubliche Kränkung ist das doch, dass die Welt ohne einen selbst weiterbestehen wird. Mit vierzig ist bereits die Zeit einer Depression gekommen, die heute elegant Burnout heisst. Die Frage, ob man noch Zeit hat, alles zu ändern, hängt für viele mit der schmerzhaften Einsicht zusammen, dass man auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar wird und ab fünzig keine Hypotheken mehr bekommt. Das ist doch alles schwer zu ertragen.
Wenn man Ihr letztes Buch liest, könnte man denken: Wer so schreibt, hat nur unter ganz bestimmten Umständen Bock auf dieses Leben. Stimmt das?
Das Buch ist absurd lustig. Ich weiss nicht, wie Sie darauf kommen. Haben Sie wirklich mein Buch gelesen, oder verwechseln Sie mich, wie so viele, mit Houellebecq?
Ich schau noch mal nach. Das Buch, das ich gelesen habe, ist schon lustig, aber aus dem Grund, dass die Einsichten so treffend sind: zum Beispiel die, dass eine Beziehung zwar sehr viel Geborgenheit gibt, aber zugleich genauso mangelhaft ist wie ein Leben ohne. Hat dieser Humor nicht seinen Preis?
Naja, es gibt eben nichts umsonst. Schade, aber wahr. Darum sind ja auch alle so wild auf Gewinne, weil sie etwas Geschenktes verprechen. Bleiben wir beim Buch, dann wird vom Leben eben zwar eine wunderbare Geborgenheit mit einem anderen Menschen geliefert, das wilde (sicher auch ermüdende) Singleleben ist aber damit gegessen. Die Freiheit als Selbstständiger versus der Sicherheit als Angestellter. Lange Haare gegen kurze Haare – man bekommt nicht alles. Das hat einem keiner versprochen. Die Figuren im Buch leiden nicht, sie sind nicht depressiv.
Die Figuren leiden nicht? Beide, Chloe und Rasmus, wünschen sich zeitweise, dass es vorbei ist mit ihrem Leben. Die eine verreckt fast an Geschlechtskrankheiten, der andere fast am Infarkt. Den Weg, den sie am Schluss für ihre Beziehung finden, kann man auch Aussteigertum nennen. Ich glaube schon, dass sie dabei Glück finden. Aber bis dahin – sie leiden nicht?!
Vielleicht definieren wir Leiden unterschiedlich? Für mich meint Leiden wirklich einen elementaren Schmerz. Die beiden im Buch kriechen ja nicht weinend auf allen Vieren herum. Sie lachen, haben Spass, bis zu dem Punkt, da die Frau die ganze Beziehung in Frage stellt. Dann ist Ausnahmezustand.
Die Hauptfiguren Ihres Buches sind Deutsche. Haben Sie für die Deutschen und ihr Durchs-Leben-Taumeln ein besseres Gefühl als für Schweizer? Oder ist der Markt einfach grösser und das der Grund?
Eigentlich sollte die Herkunft der Figuren egal sein, sie sind überall in der westlichen Welt zu finden. Das einzige Indiz für ihre Herkunft sind die Gedichte, die verhandelt werden. Und die sind nur meiner Unwissenheit geschuldet, denn ich kenne einfach weniger grosse Schweizer Klassiker. Vielleicht, wage ich zu behaupten, gibt es auch nicht so viele.
«Ich bin der Ansicht, dass sich feministische Diskussionen abgenutzt haben.»
Am 8. März ist Tag der Frau. Und am 7. März Demo in Bern für Lohngleichheit. Gehen Sie da hin?
Nein, ich muss leider arbeiten.
Falls Sie plötzlich freimachen wollen: Was würden Sie auf Ihr Transparent schreiben?
Das wäre recht lang. Ich bin der Ansicht, dass sich feministische Diskussionen abgenutzt haben und es Zeit für politisches Handeln ist. Die Gleichheit der Löhne muss selbstverständlich sein, genauso die kostenlose Kinderbetreuung. Danach warten wir mal ein Jahrzehnt und schauen, ob wir noch eine theoretische feministische Diskussion benötigen.
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«Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand», Hanser, 256 Seiten. Lesung zusammen mit Patrick Frey und der Einmannband Fai Baba: 11. März, 20 Uhr, Kaserne Basel, Klybeckstrasse 1b.