«Ich kaufte mir Sandalen, liess mir einen Bart wachsen und tauchte in die Folk Music ein»

Der britische Singer-Songwriter Fink spielt am 15. August am Open Air Basel. Wir haben uns mit ihm über seine neue Wahlheimat Berlin unterhalten, über seine Vergangenheit als DJ und Produzent – und die Möglichkeiten, die Apps Musikern und Fans bieten.

Vom DJ zum Singer-Songwriter: Fin Greenall, der Kopf und das Herz von Fink.

Der britische Singer-Songwriter Fink spielt am 15. August am Open Air Basel. Wir haben uns mit ihm über seine neue Wahlheimat Berlin unterhalten, über seine Vergangenheit als DJ und Produzent – und die Möglichkeiten, die Apps Musikern und Fans bieten.

Fin Greenall, Sie waren jahrelang DJ, ehe Sie 2006 als Singer-Songwriter auftraten und Ihre Karriere neu lancierten. Was führte zu diesem ungewöhnlichen Wechsel: Wurden Sie der MDMA-angetriebenen Nächte überdrüssig?

Hahaaaa! (lacht) Ich wurde nicht aus Lifestyle-Gründen DJ, mir war die Musik wichtiger als die Party. Nein, ich hatte nach all den Jahren genug davon, ständig in die Plattenläden zu rennen, um die neusten Veröffentlichungen anzuhören und zu wissen, was neu und angesagt ist. Ich brauchte eine Pause. Das Schöne an diesem Richtungswechsel ist, dass ich nun Songs schreibe, die ich danach jahrelang und Abend für Abend live aufführen kann, wodurch ich eine völlig andere Beziehung zur Musik aufgebaut habe.

In einem Stil, mit dem es sich auch besser älter werden lässt?

Klar, das sicher auch. Mir wurde vor zehn Jahren bewusst, dass die jungen aufstrebenden DJs viel besser waren als ich. Statt an ihrer Seite aufzulegen, mich mit ihnen zu messen, wollte ich lieber ihr Talent bewundern.

Ein Gesangstalent, das Sie zu dieser Zeit auch bewundert hatten, war Amy Winehouse. Mit ihr arbeiteten Sie zusammen, als sie noch ganz unbekannt war. In einem früheren Interview sagten Sie, dass Amy eine wichtige Inspiration für Sie war. Inwiefern?

Sie war 17, schrieb ihre eigenen Songs, wir spielten zusammen, ihre Stimme klang grossartig. Und kurz darauf, wenige Monate später, nahm sie eine Plattenfirma unter Vertrag, was ihre Karriere richtig lancierte. Das so nah mitzuerleben machte mir Mut. Genau zu diesem Zeitpunkt brauchte ich ein solches Anschauungsbeispiel. Amy bewies, dass es noch einen Markt gab für Talente ausserhalb der Castingshows. Sie zeigte, dass Ausdruck und Persönlichkeit sich noch immer durchsetzen und zum Erfolg führen können.

Verstehe – so legten Sie Ihre Vinylplatten zur Seite und mutierten zum Singer-Songwriter. Haben Sie Ihren signifikanten Bart eigentlich auch just zu jener Zeit wachsen lassen?

Ja.

Wirklich? Dann ist der Bart also auch Zeichen Ihres Wandels?

Genau. Ich zog damals fort von London, nach Brighton. Eine Stadt am Meer, sehr relaxed, sehr künstlerisch. Ich sagte mir: Fuck, ich kaufe mir jetzt Sandalen, lasse mir einen Bart wachsen und tauche in die Folk Music ein. Auf Tour liess ich den Bart dann stehen, wachsen. Wenn ich eines Tages wieder aussteige, werde ich ihn abrasieren.

«Ich sagte mir: Fuck, ich kaufe mir jetzt Sandalen, lasse mir einen Bart wachsen und tauche in die Folk Music ein.» 

Aber ein Ende ist nicht in Sicht?

Nein, keineswegs, auch wenn ich seit Anfang Jahr in Berlin lebe und als Zuhörer wieder in die elektronische Musik eingetaucht bin: Ich fühle mich sehr wohl als Singer-Songwriter.

Auch das ist bemerkenswert antizyklisch: Sie sind nach Berlin gezogen, in diesem Jahr, lange nachdem Sie Ihre Ambitionen als DJ begraben hatten.

Ja, ich weiss! Ich habe ein Appartement gemietet, das ich in ein Studio umfunktionieren möchte, weil ich in Berlin mein nächstes Album aufnehmen will. Ich erhoffe mir von der Stadt Inspiration. Meine Musik reflektiert sehr stark, wo ich bin, wie ich mich fühle, wo ich mich bewege. Mein neues Album «Hard Believer» fühlt sich für mich denn auch tatsächlich nach Los Angeles an, wo es entstand. Beim nächsten dürfte dann ein Berlin-Gefühl auszumachen sein.

Arm, aber sexy? So hat Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit 2003 seine Stadt umschrieben

(lacht) Das wusste ich nicht! Ich denke bei Berlin heute eher an «korrumpiert, aber glücklich». Im Ernst: Ich liebe es hier!

Sie haben Berlin als DJ zu einer Zeit entdeckt, als Clubs von Weltruf wie «Berghain» noch neu waren. Wie hat sich die Stadt verändert?

Ich kam erstmals in den späten 1990er-Jahren nach Berlin. Die Stadt ist viel teurer geworden. Es hat auch viel mehr Hipster hier. Aber ich habe kein Problem damit, denn ich glaube, dass sich auch vieles in Berlin zum Guten verändert hat. Die Stadt ist für Leute wie mich zugänglicher geworden.

Das «Berghain» selber hat sich nicht verändert, das ist einfach noch immer der coolste Nachtclub der Welt. Episch. So wunderbar, dass es einen Ort gibt, wo ein grosser Gay Club und ein Straight Club unter demselben Dach vereint sind. Natürlich ist es manchmal auch «evil» dort, aber jeder findet für sich die richtigen Momente hinzugehen. Ich liebe etwa die Sonntagnachmittage, wo man sich voll der Musik der DJs hingeben kann. Und sonst? Gibt es viel mehr Clubs, viel mehr Outdoor-Events, gerade jetzt im Sommer. Jedes Wochenende läuft was im Freien, früher war das ein-, zweimal jährlich der Fall. Hinzu kommt, dass es in Berlin jedes Wochenende möglich ist, sich zu verlieren. Man kann sein Leben Freitagnacht verlassen und am Montagmorgen zurückkehren, so wie sonst an einem grossen Festival.

Was in den letzten 15 Jahren auch zugenommen hat in Berlin: Bistros und Cafés. Fördert das die Singer-Songwriter-Szene?

Nun, ich lebe ja erst einige Monate hier und bin sehr oft auf Tour. Aber ich habe zwischendurch danach gesucht, ohne richtig fündig geworden zu sein. Mir scheint, als bewege sich diese Szene viel stärker im Untergrund als etwa in Los Angeles oder in London. Im Vergleich zur elektronischen Musikszene ist es viel schwieriger, mit Indiemusikern in Kontakt zu kommen. Selbst Berliner Musiker haben mir gesagt, dass es nicht leicht sei. Es fehlt wohl an klassischen Indie-Treffpunkten.

Interessant. Reden wir über Ihre Musik: Auch wenn Sie jetzt Gitarre spielen und singen, hört sich diese kontemplativ an, hypnotisch. Eine bewusste Referenz auf Ihre Vergangenheit als DJ?

Ich weiss nicht, ob das absichtlich passiert ist. Aber auf jeden Fall fliessen diese Erfahrungen in meine Songs ein. Der ganze Wandel hat viel Mut gebraucht.


Was denn genau? Die Reduktion auf wenige Akkorde, wenige Instrumente?

Ja. Ältere Songs wie «Warm Shadow» haben mich darin bestärkt, diese Richtung stärker einzuschlagen, noch mehr wegzulassen, im Song zu treiben. Ich mag es, wenn ein Lied einen auf eine Reise mitnimmt – auch bei anderen, jüngeren Musikern wie Josh Record (britischer Songwriter, die Red.). Ich liebe es, wenn sich Folk- oder akustische Musik ein bisschen verträumt, trippy anhört. Ein gutes Beispiel auf dem neuen Album ist der Titelsong, sehr linear, hypnotisch. Es ist schön zu wissen, dass wir nicht Pop-Singles machen müssen, um erfolgreich zu sein. Ich glaube, gute elektronische Musik beeinflusst mittlerweile alle Indie-Musiker, von The Horrors über Thom Yorke von Radiohead bis U2. 

Ihre Lieder weisen oft eine Dualität der Gefühle auf, Melancholie und Glückseligkeit.

Ist es Melancholie? Ich weiss es nicht. Nachdenklichkeit sicher. Ich versuche, meine Songs immer aus einer reflexiven Perspektive zu schreiben. Schlichte fröhliche Songs, dieses Feld überlasse ich lieber Musikern wie Jason Mraz oder George Ezra. Wenn mir beim Songwriting der Tiefgang, die Reflexion fehlt, dann kommt ein mildes Lied heraus. Und ich hasse das, milde Musik. Ich bin lieber auf eine positive Weise männlich-reflexiv.

Sie geben als Singer-Songwriter jährlich zig Konzerte. Wann wird diese Routine zur Gefahr?

Wenn man überbordet. Das tue ich aber nicht. Ich halte mich fit, um all die Konzerte absolvieren zu können, ich achte darauf, was ich esse, trainiere, um auch körperlich in guter Form zu sein. Und ich haue nicht jeden Abend auf den Putz – auch, weil ich auf meine Stimme achtgeben muss.

2012 haben Sie die erste Live-Konzert-App der Welt veröffentlicht. Ihr Résumé?

Die Idee dazu kam damals vom Royal Concertgebouw Orchestra, einem holländischen Sinfonieorchester. Mein Management kümmerte sich um die Umsetzung, zusammen mit Entwicklern. Und sie kamen zum Schluss, dass sich eine solche Konzert-App realisieren liesse. Das Konzert war wunderbar, einzigartig. Der Konzertsaal bot 4000 Leuten Platz, aber wir waren uns sicher, dass viele weitere Musikfans sich das anhören wollten. Mithilfe der App konnten wir quasi die Saaltüren öffnen, für all jene, die nicht nach Amsterdam fliegen wollten oder konnten. Zudem ist der App-Preis günstiger als ein Konzertticket. Es hat tatsächlich gut funktioniert, immer wieder werde ich darauf angesprochen. Ich bin sicher, dass die grossen Jungs das Konzept aufgreifen und adaptieren werden.

Die Stars?

Ja, klar. Wenn eine Lady Gaga mal keine Lust hat, eine komplette Welttour zu machen, kann sie ein einziges Konzert spielen und das so in alle Länder verkaufen. Ich glaube, dass Konzert-Apps künftig die Live-DVD ersetzen werden. Man kann Extra-Content integrieren, Interviews, Kommentare etc.

Also eine neue Einnahmequelle in Zeiten sinkender CD-Verkäufe?

Ich verdiene nicht viel Geld damit, aber es ist ein weiterer Weg, die Musik zu den Leuten zu bringen, ohne dass diese dafür in einen Laden gehen müssen. Allein der ökologische Vorteil gefällt mir: Man muss keine zusätzlichen Ressourcen verbrauchen, DVDs pressen und diese rund um die Welt karren. Allerdings hoffe ich auch, dass der technologische Fortschritt nicht verhindert, dass wir solche Apps mal nicht mehr nutzen können. Vinyl hält ein Leben lang. Ich hoffe, dass das auch bei Apps der Fall sein wird. Aber das ist eine der kniffligen Fragen in der Technologie-Industrie: Wie kann man etwas Zeitloses schaffen?

Abschliessend noch eine ganz kurze Frage: Was ist Ihr Lieblingsausdruck auf Deutsch?

Noch eins bitte.

Prost und vielen Dank!

Fin Greenall

Man liest Fink und meint Fin Greenall. Der Brite (*1972) wuchs in einem musikalischen Elternhaus auf. Der grösste Schatz des Vaters war dessen akustische Martin-Gitarre. Greenall wurde mit den Indie-Sounds der 1980er-Jahre sozialisiert, fand als Student zur elektronischen Musik und gründete an der University of Leeds ein erstes Musikprojekt.

Nach seinem Studium in Geschichte und Englisch fasste er vollends Fuss in der englischen Musikszene, als DJ, Produzent und Remixer. 1997 erschien seine Debüt-EP «Fink Funk», später wurde er vom renommierten Label Ninja Tune unter Vertrag genommen, veröffentlichte Downbeat- und Trip-Hop-Songs, legte als DJ auf. 2006 schlug er eine neue Richtung ein, als Gitarre spielender Singer-Songwriter. Begleitet von Guy Whittaker (Bass) und Tim Thornton (Drums) tritt er am Freitag, 15. August, am Open Air Basel auf dem Kasernenareal auf (20.30 Uhr).

Seine Rückkehr in die Schweiz wird von einer frohen Nachricht begleitet: Ende Juli gelang Fink erstmals der Einstieg in die Schweizer Hitparade, mit seinem neuen Album «Hard Believer».

Die Musik spielt im Kleinbasel

Zum zweiten Mal findet am 15. und 16. August das Open Air Basel statt. Aus dem karitativ geprägten «Viva Con Agua & Kaserne Basel Festival» hervorgegangen, hat das Open Air im letzten Jahr seine Struktur erneuert und erstmals Eintritt verlangt. Diesen Weg führen die Veranstalter fort, mit einem auf Singer-Songwriter fokussierten Programm am Freitag (mit Fink und Anna Aaron, ergänzt durch die Indie-Band Maxïmo Park).

Am Samstag dürfte die Hipster-Dichte nicht geringer sein, wenn der amerikanische R&B-Sänger Nick Waterhouse und die britischen Elektroniktüftler Bonobo und Mount Kimbie auf der Kasernenmatte auftreten werden. Das Open Air Basel ist übrigens nicht der einzige Festivalanlass an diesem Wochenende: Die Konzertreihe «Blues Now» veranstaltet vom 15. bis 17. August ein Indoorfestival anlässlich ihres fünfjährigen Bestehens. Im Volkshaus Basel werden internationale Formationen wie die Mannish Boys (USA) zu erleben sein.

Man mag das Koordinationsungeschick bedauern, muss sich aber immerhin nicht darüber beklagen, dass es zu ruhig sei an diesem Wochenende im Kleinbasel. Denn last but not least schaukelt es auch noch «Im Fluss». Die Konzertreihe oberhalb der Mittleren Brücke kommt zum Abschluss, mit Konzerten von Brandt Brandauer Frick (Freitag) und Baschi (Samstag).

Nächster Artikel