«Ich orte in der Kulturpreis-Flut eine gewisse Gefahr»

Philippe Bischof leitet seit 2011 die Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt. Er hat neue Kulturpreise eingeführt, betrachtet aber die Vielzahl an Kulturpreisen in der Schweiz auch mit skeptischem Blick.

Philippe Bischof: «Kulturförderung ist manchmal paradox!»

Philippe Bischof leitet seit 2011 die Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt. Er hat neue Kulturpreise eingeführt, betrachtet aber die Vielzahl an Kulturpreisen in der Schweiz auch mit skeptischem Blick: Dass immer wieder Leute geehrt werden, die die Preise nicht mehr brauchen, findet er zum Beispiel bedenklich.

Philippe Bischof, seit Sie die Kulturabteilung des Kantons Basel-Stadt leiten, gibt es mehr Preise der öffentlichen Hand: den Kulturförderpreis etwa, oder auch den Kunstpreis. Was versprechen Sie sich davon?

Den Nachwuchsförderpreis haben wir eingeführt, weil der Basler Kulturpreis in der Regel an Personen über 50 geht und damit an etablierte Kulturschaffende. Ich habe da vermisst, dass im Gegenzug auch jüngere Kulturschaffende und Institutionen gewürdigt werden, die mitunter neuartige und abseitigere, aber nicht minder wichtige kreative Tätigkeiten ausüben. Mit dem Förderpreis wollen wir deren Schaffen ins Zentrum stellen und auszeichnen. Bisherige Gewinner waren das Depot Basel und der Fotograf und Filmemacher Gregor Brändli.

Und der Kunstpreis?

Auch der Kunstpreis ist ein kulturpolitisches Statement, aus der Erkenntnis heraus entstanden, dass ältere Künstler oft schwerer staatliche Unterstützung erhalten. Der Kunstbetrieb ist bei der Förderung in der Tendenz auf jüngere Künstler und Ästhetiken ausgerichtet, das ist unbestreitbar und mehrheitlich auch nachvollziehbar.

«Auch bei etablierten Künstlern ist die finanzielle Situation längst nicht immer rosig.»

Man kann ja auch sagen, dass ein Künstler nach einer gewissen Zeit auf eigenen Beinen stehen sollte.

Sicher, diese Haltung kann man grundsätzlich einnehmen. Aber auch bei etablierten Künstlern ist die finanzielle Situation längst nicht immer so, dass sie keine Förderung mehr brauchen könnten. Viele Kulturbereiche funktionieren jenseits der Marktlogik, dafür braucht es öffentliche Förderung. Der Kunstpreis soll hier anknüpfen, ältere Kunstschaffende würdigen und ihnen eine Aufmerksamkeit bescheren, die sie für ihr herausragendes Werk verdient haben. Ich bin überzeugt, dass diese beiden neuen Preise sinnvoll sind. Das haben auch die positiven Reaktionen auf die Preisträger und die sehr gut besuchten Preis-Verleihungen gezeigt.

Diese Preise ergänzen den Kulturpreis der Stadt Basel. Wo steht dieser heute?

Er soll ein langjähriges, nachhaltiges Wirken im Basler Kulturleben auszeichnen. Das ist per Definition eine Art Lebenswerk. Aber für mich selber ist dabei immer auch von Bedeutung, dass ein Lebenswerk noch aktiv wirkt – einer Person an ihrem Schaffensende einen Preis zu verleihen, finde ich nicht sehr interessant. Preise sollten zum richtigen Zeitpunkt vergeben werden, das ist die Herausforderung für die Jurys!

Wochenthema: Kulturpreise
Im Herbst haben Preisverleihungen Hochsaison – hier der Basler Kulturpreis, dort der Schweizer Buchpreis, da der Literaturnobelpreis. Wir schauen genauer hin und machen die Kulturpreise zum Wochenthema.

Bereits erschienen:
Freud und Leid bei Buchpreisen
Schon wieder Anna Aaron, erneut James Gruntz
7 skandalumwitterte Preisverleihungen
Die Schweiz, ein Schlaraffenland der Preise

Zu den staatlich verliehenen Preisen kommen in unserer Region private Initiativen hinzu, vom Basler Pop-Preis über den Filmpreis bis zum Manor-Kunstpreis. Droht angesichts dieser Fülle an Preisen nicht die Gefahr, dass deren Wirkung verpufft?

Jeder Preis hat seine Geschichte. Die Gefahr einer Inflation besteht, es fragt sich nur aus welcher Optik. Auf der medialen Ebene droht tatsächlich ein Overkill, wer kann schon über all die Preise, die etwa in der Schweiz vergeben werden, berichten? Das konnte man neulich bei den neuen Literaturpreisen oder beim Tanzpreis des Bundes feststellen, wo es eher wenig mediale Reaktionen gab. Gegenbeispiel wäre aber etwa der etablierte Schweizer Buchpreis, der erfreulich breit wahrgenommen wird und eine hohe mediale Resonanz erzielt, die im Übrigen auch dazu beiträgt, dass die Bücher besser verkauft werden. Aus der Optik der Gekürten und Gepriesenen ist wohl jeder Preis eine Chance, sei es materiell oder bloss als symbolische und ideelle Würdigung.

Dann ist also doch alles gut, wie es ist?

Es ist paradox, es gibt vielleicht heute wirklich zu viele Preise – und gleichzeitig kann es nie genug geben, wenn man an die Adressaten denkt. Denn ich stelle immer fest, dass sich die Preisträger bei der Bekanntgabe unheimlich freuen und überrascht sind. Selbst eine so erfolgreiche Künstlerin wie Silvia Bächli war einen Moment lang sprachlos, Alain Claude Sulzer vor einem Jahr war ebenfalls total überrascht.

Sie haben die diesjährige Kulturpreisträgerin der Stadt Basel erwähnt. Der Preis, den Silvia Bächli erhält, ist mit 20 000 Franken dotiert. Das sind nur 5000 Franken mehr als die Gemeinde Riehen jeweils vergibt. Wenn man denkt, dass das Basler Kulturbudget jährlich 124 Millionen Franken beträgt, wirken diese Preisgelder geradezu kleinlich. Sollten Riehen und Basel-Stadt die Preise nicht fusionieren?

Nein. Der Riehener Kulturpreis ist meines Erachtens ein bewusst kommunales Instrument und als dieses sicherlich wichtig für die Gemeinde, die ja sehr kontinuierlich an einer eigenen kulturellen Identität arbeitet. Ich finde das sehr gut, denn es ist weder Konkurrenz noch unnötige Doppelung zu Basel.

Und die Basler Summen finden Sie zufriedenstellend?

Der Basler Kulturpreis könnte höher ausfallen. Er dürfte auch 30 000 Franken betragen. Aber eigentlich ist die Summe nebensächlich, für mich stehen die künstlerische Würdigung und die kulturelle Anerkennung im Vordergrund. Natürlich, weltbedeutende Preise wie der Literaturnobelpreis, der Siemens-Musikpreis oder der Pritzker-Architekturpreis sind zu Recht sehr hoch dotiert, aber eben auch von globaler Bedeutung. Bei kantonalen oder städtischen Preisen hingegen ist der Gestus wichtiger als die eigentliche Summe. Das grosse Geld soll in die reguläre Kulturförderung gehen, ein Kulturpreis muss aber würdig bemessen sein.

Trotzdem sagen Sie selber, dass Sie die Summe gerne anheben würden.

Ja, aber es ist keine Priorität für mich. Basel ist von den Preisgeldern her bescheiden im Vergleich zu anderen Städten und Kantonen. Zürich, Genf oder auch Bern vergeben deutlich mehr Mittel in Form von Preisen, es gäbe insofern etwas Spielraum.

Was müsste passieren, damit eine Erhöhung Realität würde?

Entweder wir stellen einen entsprechenden Budgetantrag oder wir verteilen intern Mittel um.

Und haben Sie das vor?

Nicht in den nächsten zwei Jahren.

Neu mischt auch der Bund kräftig mit im Bereich der Kulturpreise. Seine Nominationen – etwa beim erstmals verliehenen Grand Prix der Musik – waren höher dotiert als jeder einzelne Preis, der in der Kulturstadt Basel vergeben wird. Stiehlt Bundesrat Berset so den Kantonen die Show?

Nein, Bundesrat Berset spielt ja auf dem nationalen Parkett, nicht auf dem kantonalen, wobei sich die mediale Wirkung bislang erstaunlicherweise eher in Grenzen gehalten hat. Ich freue mich aber für alle Nominierten, dass sie durch das Bundesamt für Kultur (BAK) zu diesen Förderungen kommen – darunter in diesem Jahr ja auch das Basler Ensemble Phoenix. Ein Konkurrenzdenken bei Preisen fände ich absurd, die Wirkungsebenen sind ja sehr unterschiedlich.

Als absurd kann man aber auch bezeichnen, wie der Bund plötzlich klotzt und Kulturpreise in Höhe von mehreren Hunderttausend Franken vergibt.

Ich orte hier tatsächlich eine gewisse Gefahr. Weil in manchen Sparten jährlich gleich mehrere Preise vom Bund vergeben werden und man damit meines Erachtens riskiert, dass deren Bedeutung schnell schwindet. Man nominiert etwa 15 Leute in der Musik oder acht in der Literatur. Das führt zu einer Vervielfachung eines Preises und zu einer Aufsplittung seiner Bedeutung – und somit auch zur eigenartigen Situation, dass man sich in ein paar Jahren wohl fragen muss: Wen will man noch nominieren, der es noch nicht war? Diese Entwicklung finde ich nicht sehr glücklich. Ein Preis muss meiner Ansicht nach für den Mut stehen, sehr bestimmte Personen aus spezifischen qualitativen Gründen auszuwählen und andere nicht. Preise sind selektiv, das ist ihre Logik. Ich höre auch von Befürchtungen in gewissen Kantonen und Städten, dass es mit den BAK-Preisen schwieriger wird, gute und eigenständige Preisträger zu küren. Vielleicht wäre etwas weniger in der Anzahl etwas mehr in der Wirkung.

Sie sprechen sich für den Mut zur Restriktion aus?

Voilà. Ein Preis heisst immer, eine klare Entscheidung zu fällen und zu riskieren, dass man dafür kritisiert wird.

Die Reduktion auf eine Gewinnerin, einen Gewinner kann die Wertschätzung erhöhen.

Ja. Ich will auch deshalb nicht mehr Preise in Basel.

Nebst Preisen, für die man sich nicht bewerben kann, gibt es auch immer mehr Stiftungsgelder, die verteilt werden, Werkjahre auch. Züchten wir so nicht immer mehr Künstler heran, die Abgabeterminen und Fördergeldern hinterher rennen, statt sich voll und ganz auf ihre Kunst zu konzentrieren?

Kulturförderung ist nötig, solange es kulturelle Bereiche gibt, die uns wichtig sind, die aber am Markt nicht überleben können. Es gibt aber tatsächlich eine problematische Entwicklung, die sogenannte «Projektantragskunst». Kunst, die erzeugt wird, weil man weiss, wie man eine Projekteingabe formulieren muss, um an bestimmte Gelder heranzukommen. Das ist natürlich eine bewusst pointierte Aussage, aber man konnte das in gewissen europäischen Programmen beobachten oder vor einigen Jahren auch bei den Programmen der Pro Helvetia: Projekte entstehen gemäss den Themen der Geldgeber, es braucht z.B. sechs Partner aus sechs Ländern, das Thema ist Interkulturalität oder Generationenkonflikt, oder man beschäftigt sich plötzlich mit China. Das finde ich fragwürdig, da es eine absolut nicht nachhaltige Förderung ist. Ich meine aber zu beobachten, dass wir Förderer hier schnell gelernt haben.

«Die sogenannte Projektantragskunst ist eine problematische Entwicklung.»

Preispolitik funktioniert ja auch selten über Bewerbung, sondern meist über die Nominierung durch eine Jury. Insgesamt können wir feststellen, dass es eine sehr ausgebaute Vielzahl an Mittelverteilungen gibt in der Kulturförderung. Das ist grundsätzlich erfreulich, aber kein System ist perfekt, sondern produziert auch einige Fehlentwicklungen.

Ja, gibt es die?

In der Schweiz können wir uns nicht beklagen, wenn wir die Situationen im Ausland anschauen. Wir haben eine breit verankerte und ausgezeichnete Kulturförderung. Seien wir froh darüber, das ist ein echter Standortvorteil! Aber bedenklich ist eher die Tatsache, dass immer wieder auch Leute geehrt werden, die die Preise nicht mehr brauchen. Und zwar, weil sich Jurys und Preisverleiher gerne mit klingenden Namen schmücken. So werden Preisträger herumgereicht, die solche Auszeichnungen gar nicht mehr nötig hätten. Zugleich: Grosse Namen schaffen Aufmerksamkeit.

«Es ist bedenklich, dass immer wieder auch Leute geehrt werden, die die Preise nicht mehr brauchen.»

Was beim Basler Kulturpreis auffällt: Jahrelang schienen Kulturvermittler bevorzugt behandelt zu werden. Mit Schriftsteller Sulzer (2013) oder mit Künstlerin Bächli (2014) waren es zuletzt Leute, die eher durch ihr künstlerisches Schaffen von sich reden machen als durch die Vermittlung. Ein bewusster Wandel?

Ja. Wir haben dem Regierungsrat eine Anpassung des Reglementes vorgeschlagen, weil uns auffiel, dass zehn Jahre lang die Kulturvermittlung bei der Vergabe im Vordergrund stand. Das genuine Kunstschaffen kam entsprechend im Verhältnis zu kurz. Das Reglement wurde vom Basler Regierungsrat angepasst, sodass nun sowohl Leute aus der Vermittlung als auch aus der Kreation von Kultur gleichermassen Chancen haben, ausgezeichnet zu werden. Die originären Stimmen und Sprachen sollen im Vordergrund stehen. Mein Wunsch ist letztlich, dass man einzigartige künstlerische und kulturelle Persönlichkeiten und Aktivitäten auszeichnet, Vermittler oder Kulturschaffende, die offen sind für die Bewegungen der Gegenwart.
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Disclaimer des Interviewers: Seit diesem Sommer bin ich in der Jury des Kulturpreises der Stadt Basel (eine unbezahlte Aufgabe). Dieses Ehrenamt soll mich nicht daran hindern, kritisch über Sinn und Zweck von Preisen zu diskutieren und diese zu hinterfragen.

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