Er winkt ab, wenn Wörter wie «Gastro-König» fallen. «Das schreiben Sie aber nicht!» Klar, ein König ist Peter Wyss nicht. Aber der 56-jährige Wirt hat etwas zu sagen in Basel – als Networker auf der Gasse und als Berater für Restaurants. Am 5. Januar übernimmt der einstige «Kunsthalle»-Wirt nach dreijähriger Pause das «Schützenhaus». Ein Gespräch über Beizen, Stadtentwicklung und alles, was aus seiner Sicht schiefläuft in Basel.
Roger Federer ist auf Erfolgskurs, der FCB ebenfalls. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Stadt, Herr Wyss?
Das ist gewaltig! Das Basler Standortmarketing und dessen Chef, Regierungspräsident Guy Morin, könnten hier etwas lernen. Die Champions League und die Swiss Indoors sind weitaus die bessere Werbung für Basel als seltsame Läckerli-Rösti-Aktionen in Berlin oder Partnerschaften mit fernen Städten wie Schanghai.
Sie halten nicht viel von der Arbeit der Basler Präsidialabteilung.
Nein, das ist eine Lachnummer.
Sie übernehmen bald das Restaurant Schützenhaus – ist es Ihnen als gastronomischer Frührentner langweilig geworden?
Ich bin kein Frührentner. Nach 25 Jahren als «Kunsthalle»-Beizer war es einfach mal Zeit für eine Pause. Als ich aber nach drei Jahren ohne eigenen Betrieb erfuhr, dass das «Schützenhaus» jemanden sucht, dachte ich: Das mach ich! Früher ging man ins «Schützenhaus», dort fanden die grossen Anlässe statt. Heute redet keiner mehr davon.
Das «Schützenhaus» ist kein angesagter Ort wie die «Kunsthalle», die «Bodega» oder das «Rhyschänzli», wo Sie oft als Gast anzutreffen sind. Wie wollen Sie das staubige Image dieses Restaurants verändern?
Ich denke, der Erfolg solcher Häuser hängt stark vom Beizer ab. Ich will dafür sorgen, dass es wieder stimmt: Den Garten will ich verschönern, Spezielles bieten, wieder Grossanlässe ermöglichen.
Mal ehrlich: Das «Schützenhaus» ist doch ein Abstieg nach der «Kunsthalle».
Das sind ganz verschiedene Orte. Die «Kunsthalle» war früher Haupttreffpunkt für Künstler. Als das alte Theater leider gesprengt wurde und die «Kunsthalle» vom Theaterplatz aus plötzlich sichtbar wurde, entwickelte sich das Restaurant mit seinem schönen Garten zu einem In-Lokal für alle möglichen Gäste. Als ich die «Kunsthalle» gemeinsam mit meinem verstorbenen Partner Romano Villa übernahm, war noch der Kunstbetrieb gemeint, wenn von der «Kunsthalle» die Rede war. Heute denkt jeder sofort an das Restaurant, wenn er «Kunsthalle» hört. Das war natürlich toll für mich als Beizer, für die Kunsthalle als Ausstellungsort aber ist es traurig. Vielleicht machen die Verantwortlichen etwas falsch.
Dem Restaurant Kunsthalle scheint es nach wie vor gut zu gehen. Andere Beizen dagegen sind wegen des starken Frankens und der grenznahen Konkurrenz stark unter Druck geraten. Als «Schützenhaus»-Wirt werden Sie ausserdem noch die konservative Schützengesellschaft im Nacken haben – das wird schwer.
Wir haben Abmachungen getroffen, die für beide stimmen. Aber es ist schon so, dass die Gastronomie immer stärker unter Druck kommt. Mit der 0,5-Promille-Grenze fing es an, mit dem Rauchverbot ging es weiter. Die meisten Wirte machen so oder so weniger Umsatz – und zugleich geht die Beizenkultur kaputt. Da frage ich mich: Muss man wirklich alles verbieten?
Nach der Raucher-Abstimmung von vergangener Woche müssen Sie ziemlich mies gelaunt sein.
Überhaupt nicht. Aber bei unserer aktuellen Regierung stelle ich fest, dass sie nicht immer umsetzt, was das Volk ursprünglich wollte. Beispiel Parkraumbewirtschaftung: Das Volk stimmte dagegen – dennoch wird der ursprüngliche Plan jetzt schrittweise umgesetzt. Man kann zuschauen, wie Parkplätze verschwinden. Der Staat könnte doch nun nach der nur knapp abgelehnten Nichtraucherschutz-Initiative der Wirte auch grosszügig sein und den Menschen das Rauchen in jenen Beizen erlauben, wo ohnehin nur Raucher verkehren. Es wäre so einfach: Das Baudepartement müsste nur die «Fümoar»-Lokale gewähren lassen und strenge Ausweiskontrollen einführen. Wer sich nicht daran hält, wird vom Verein ausgeschlossen.
Ihr Nachfolger bei der «Kunsthalle» ist schon wieder weg. Vielleicht waren die Fussstapfen, in die er trat, etwas zu gross.
Wenn Johnny Freeman von der «Bodega» oder Seppi Schüpfer vom «Stadthof» aufhören würden, hätte der Nachfolger auch Mühe. Der Erfolg einer Beiz hängt ganz klar vom Wirt ab.
Im Moment haben vor allem Zürcher das Sagen in traditionellen Basler Betrieben – in der «Kunsthalle», im «Braunen Mutz», im «Volkshaus». Was machen die Zürcher besser als die Basler?
Diese Beizen werden von grossen Gastrofirmen betrieben. Man findet nur sehr schwer Einzelpersonen, die eine solche Verantwortung auf sich nehmen wollen.
Es gibt doch auch Basler Gastronomie-Unternehmen.
Klar, aber das Beizengeschäft ist teuer. Es musste zuerst einmal jemand gefunden werden, der den Umbau des «Brauen Mutz» finanziert.
Sie mischen sich gerne polemisch in Debatten rund ums Stadtleben und die Stadtentwicklung ein. Etwa kürzlich, als es um das neue Lichtkonzept auf dem Theaterplatz ging. Gibt es überhaupt etwas, das Ihnen in Basel gefällt?
Ich liebe diese Stadt. Aber es passieren so viele Dinge, gegen die sich niemand wehrt. Etwa stand kürzlich in der Zeitung, dass das Baudepartement auf dem Dreispitzareal nur noch Velo- und Wanderwege gelten lassen und so den Firmen die Anfahrtswege beschneiden will. Das Departement wollte verhindern, dass die Pläne veröffentlicht werden. So etwas geht doch nicht!
Weil Sie Autofahrer sind? Bald kommt ein Vorstoss für eine generelle Tempo-30-Zone.
Ich habe kein Problem mit Tempo 30 in Seitenstrassen, aber auf den Hauptachsen sollte Tempo 50 beibehalten werden. Was mich mehr aufregt ist der Mobility-Parkplatz auf dem Sommercasino-Areal beim Denkmal. Dieser Ort ist für Junge vorgesehen. Warum muss ausgerechnet dort ein Mobility-Parkplatz sein? Das ist eine Frechheit!
Wo sollen denn Parkplätze geschaffen werden?
Man könnte zum Beispiel den Marktplatz unterkellern und ein Parkhaus bauen. Doch da hiess es immer, das sei wegen des Grundwassers, des Birsigs und anderem nicht möglich. Und nun wollen sie eine S-Bahn bauen – mit Haltestelle am Marktplatz. Und das geht plötzlich. Es läuft einfach zu vieles widersprüchlich.
Sie regen sich gern auf. Warum sind Sie nicht Politiker geworden?
Ich bin Parteimitglied der FDP, damit hat es sich. Politik interessiert mich nicht. Ein Jahr vor den Wahlen beginnen die Politiker zu lügen – und kaum sind die Wahlen vorbei, sind alle wieder einigermassen normal. Paradebeispiel war Bundesrätin Doris Leuthard mit ihrer Atom-Kehrtwende. Nach Fukushima war sie plötzlich für einen raschen Atomausstieg. Vor dem tragischen Unfall war davon keine Rede, im Gegenteil.
Das elsässische Atomkraftwerk Fessenheim macht Ihnen also keine Sorgen?
Eigentlich sollte man Fessenheim abstellen – und nebenan ein neues Atomkraftwerk bauen.
Sie stehen in Basel mit verschiedenen Leuten auf Kriegsfuss: mit Atomgegnern, Linken, Grünen, Tabakgegnern …
Ich stehe mit keinem auf Kriegsfuss …
… mit Lärmgegnern, Autogegnern, Denkmalpflegern: Wen mögen Sie eigentlich?
Ich habe nichts gegen die Denkmalpflege. Aber sie muss vernünftig sein. Nehmen wir zum Beispiel das «Chill am Rhy», das im Sommer unterhalb der Pfalz stattfindet. Die Idee dieser Bar ist ja gut. Aber das Ganze findet an einem Ort statt, der absolut denkmalgeschützt ist. Dasselbe gilt für das Open-Air-Kino auf dem Münsterplatz. Kaum ein Ort in Basel ist so geschützt wie der Münsterplatz. Warum erhalten die Betreiber dafür eine Bewilligung?
Was meinen Sie?
Weil sie aus dem Kulturkuchen kommen. Als ich zum Beispiel damals im «Kunsthalle»-Garten ein Fondue-Stübli eröffnen wollte, bekam ich keine Bewilligung – obwohl der Ort nur zur Schutzzone gehört. In Basel wird mit zwei Ellen gemessen.
Sie meinen, dass Kulturschaffende bessere Karten haben als normale Wirte?
Genau. Zum Beispiel das «Acqua» im Nachtigallenwäldeli von Simon Lutz. Das Projekt wurde von den Behörden von Anfang an geschützt und gefördert: von Kantonsbaumeister Fritz Schuhmacher, von Barbara Schneider, damals Vorsteherin des Baudepartements – und jetzt auch von ihrem Nachfolger Hans-Peter Wessels.
Und warum sollten es die Behörden ausgerechnet Ihnen besonders schwer machen?
Weil die Behörden Angst vor Leuten mit Erfolg haben.
Lutz scheint ja auch ziemlich erfolgreich zu sein.
Ja – und er macht es ja auch gut. Aber ihm wurde von Anfang an behördlicherseits geholfen. Sogar die Erweiterung des Zoos soll um seine Betriebe herum gebaut werden. Dabei wäre es städteplanerisch besser, alles abzureissen und den Zolli organisch wachsen zu lassen.
Sie haben auch schon mal polemisch gefordert, auf dem Kasernenareal Tabula rasa zu machen und Platz für Neues zu schaffen.
Sehen Sie, wie alles hat auch die Kaserne eine Geschichte – und manchmal geht eine Geschichte zu Ende. Ich meine jetzt nicht den Kulturbetrieb mit Theater, Musik und Bar, sondern das Atelierhaus. Dort wurden einst günstige Ateliers für junge Künstler geöffnet. Heute sind diese 50, 60, 70 Jahre alt, zum Teil Lehrer und verdienen Geld, einige wohnen auch in diesen Ateliers, obwohl das von der Stadt gar nicht vorgesehen war – ist das noch Förderung? Hier wäre es doch einmal angesagt, Platz für Neues zu schaffen.
Das werden manche Leute gar nicht gerne hören.
Ich bin nur ehrlich – was man von Politikern nicht immer behaupten kann.
Versuchen wir es einmal von der positiven Seite: Wofür steht denn der politisch unkorrekte Peter Wyss ganz persönlich ein?
Ich finde nicht, dass ich politisch unkorrekt bin. Ich glaube, dass ich gesund denke – wie viele andere Leute in der Stadt auch. Ich sage vielleicht einfach laut, was andere nur hinter vorgehaltener Hand sagen. Ich muss leider nochmals auf das Rauchen zurückkommen. Hier läuft doch vieles falsch: Wegen den Bewohnern in Riehen und Bettingen, die kaum in Basler Beizen verkehren, bleibt hier das strenge Rauchverbot bestehen. Das finden viele Leute übertrieben, bloss machen die jetzt nicht das Maul auf.
Sie können nun ja bald im «Schützenhaus» ein Riesenfumoir einrichten.
Das mache ich sicher nicht! Ich fange jetzt dort einfach mal als Wirt an – und dann schauen wir weiter, was wir mit dem Rauchen machen. Ich rauche ja auch.
Gibt es denn etwas in dieser Stadt, das aus Ihrer Sicht gut läuft?
Ich fühle mich sehr wohl hier. Es gibt vielleicht zu viele Trams – aber sonst ist es hier doch wunderbar (lacht)! Aber etwas darf man einfach nicht vergessen: Basel ist ein Dorf, das leider auf der Grossbasler Seite aufhört. Keiner interessiert sich für das Kleinbasel – ausser während der Basel World und der Art Basel. Dann wird aus dem Dorf plötzlich eine grosse Stadt.
Das tönt ein wenig verbittert.
Nein, aber es ist eine Tatsache, dass im Kleinbasel die Quartierbeizen-Szene gestorben ist. Das ist eine negative Folge der von mir unterstützen Liberalisierung in der Gastronomie. Alles hat sich verzettelt, keiner kommt mehr auf einen grünen Zweig.
Dann sind Sie sicher auch gegen die neuen Buvetten, die unter anderem am Rhein entstehen sollen.
Wer braucht denn noch Buvetten? Es gibt doch schon viel zu viele Beizen in Basel.
Am Rhein kann man nicht gerade von einem gastronomischen Überangebot sprechen. In kaum einer anderen Stadt Europas gibt es so wenige Restaurants an schönster Lage wie hier in Basel.
Wir Baslerinnen und Basler haben halt keinen Bezug zum Rhein.
Wie meinen Sie das?
Der Rhein war in Basel nie Ort des Geschehens. Erst neuerdings ist das Rheinufer im Sommer belebt.
Zum Beispiel von Leuten, die am Ufer grillieren …
Ja, und die dann den Dreck einfach liegen lassen. Ich kann die Anwohnerinnen und Anwohner schon verstehen, die sich wehren. Kommt dazu, dass die Stadt es auch noch geschafft hat, die WC-Dichte im öffentlichen Raum zu verkleinern. Aussage des Baudepartements zur Misere: Es habe genug Restaurants, wenn einer auf die Toilette müsse, solle er doch in eine Beiz gehen. Ist das die Aufgabe von uns Wirten? Den Wirten wird das Leben unheimlich schwer gemacht – zum Beispiel dem Besitzer der «Rio Bar»: Als das Rauchverbot eingeführt wurde, gingen die Gäste auf das Trottoir und auf die Strasse, um zu rauchen – worauf der Beizer angezeigt wurde. Jetzt ist er Mitglied des Rauchvereins «Fümoar». So etwas ist doch einfach unglaublich!
Wer ist Peter Wyss?
Eigentlich wollt er Kellner werden. Aber für seinen Vater kam das nicht in Frage. «Wer nichts wird, wird Wirt», sagte dieser. Also wurde Peter Wyss Koch. Die Lehre dauerte ein Jahr länger als die Ausbildung zum Kellner, doch heute ist er froh, zweieinhalb Jahre lang in der Küche des Landgasthofes Riehen gestanden zu haben. Nach der Ausbildung war endgültig klar: Das Gastgewerbe ist es – und sonst nichts! Für die Hotelfachschule verliess Peter Wyss sein Heimatdorf Biel-Benken und ging nach Lausanne. Allzu lange hielt es ihn nicht in den Westschweiz: Mit 25 Jahren kam er zurück nach Basel und wurde beim Gastronomieunternehmen Gastrag Assistent des Geschäftsführers. Die Worte seines Vaters im Ohr, übernahm Wyss mit 29 Jahren die «Kunsthalle». Gleichzeitig führte er von 2000 bis 2007 das Restaurant Chez Donati und war zwischendurch Partner einer Discothek in St. Moritz. Vor drei Jahren übergab Wyss nach fast 25 Jahren die «Kunsthalle» der Familie Candrian – und legte eine Wirtenpause ein. Im Januar übernimmt er das Restaurant «Schützenhaus».
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11