An der Documenta 1992 in Kassel wurden einige seiner Favela-Bauten zerstört. Auch in Basel eckte der japanische Künstler Tadashi Kawamata mit seinen Werken an. Ein Gespräch über sein Favela Café, seine künstlerischen Interessen, die Reaktionen auf seine Projekte und den Skandal an der Art Basel.
Herr Kawamata, von allen Kunstwerken an der Art Basel sorgte Ihres am stärksten für Gesprächsstoff. Stolz und zufrieden?
Spielen Sie auf den Skandal an? Nein. Mir geht es nicht darum, mit meiner Arbeit möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen, und auch nicht darum, reiche Sammler aus – sagen wir China oder dem Mittleren Osten – anzusprechen. Mir reicht es, dass eine kleine Gruppe Menschen meine Arbeit schätzt. Das zählt für mich.
Auch die Art Basel schätzt Ihre Arbeit: Nach 2007, als Sie auf dem Platz eine Baumhütte installierten, erhielten Sie wieder einen Auftrag, im öffentlichen Raum zu bauen.
Ja, sie fragten mich, ob ich eine Cafeteria bauen könnte. Ich dachte mir, dass wir entlang des Brunnens mein Favela-Projekt fortsetzen könnten. Wobei mir wichtig ist, zu sagen, dass ich Favela-Konstruktionen baue. Hütten. Das wird oft missverstanden. Mir geht es um die Bauweise. Diese interessiert mich. Mir geht es nicht um die Lebensweise armer Leute, sondern um das Material, die Grösse, die Anordnung. Um einen Prozess, der sich über sechs Monate hinzog.
Der Messeplatz hat sich mit dem Neubau von Herzog & de Meuron markant verändert. Wollten Sie diesen mit den schlichten Hütten kontrastieren?
Nein. Auch das ist ein Missverständnis. Der Neubau ist massiv und beeindruckend, aber meine Favela-Siedlung ist keine Reaktion darauf, keine Botschaft an die Architekten.
Manche Leute haben Ihre Arbeit aber so interpretiert.
Ich weiss.
Die Reaktionen während der Art Basel waren unterschiedlich. Haben Sie sie mitbekommen?
Nicht direkt. Ich war fünf Tage in Basel für den Aufbau, dann bin ich abgereist. Mir bedeuten Opening Shows nichts. Und ich musste in Paris weiterarbeiten.
«Es ist ein ästhetischer Entscheid, mit diesem Material zu arbeiten.»
Manche Besucher kritisierten: Es sei zynisch, in Favela-artigen Hütten Champagner auszuschenken. Andere wiederum sahen darin subversive Kunst. Haben Sie solche Reaktionen erwartet?
Seit ich diese Hütten baue, haben die meisten Leute Bilder von armen Leuten in Favelas vor Augen. Aber ich habe viel Recherche betrieben, war mehrmals in Städten wie São Paulo und Rio de Janeiro. Mich fasziniert die Struktur dieser starken Gemeinden, diese andere Gesellschaft in einer Stadt, die sich selbst beschützt. Favelas sind ja nicht absolut illegal, sondern in Kontakt mit Polizei und Regierung. Und, übrigens, sind viele Häuser zwar im Bricolage-Stil gebaut, innen aber sehr modern eingerichtet. Dass es sich nur um arme Leute ohne Bewilligung handle, ist ein Klischee. Aber wie dem auch sei: Mir ging es um die Konstruktion der Hütten. Es ist ein ästhetischer Entscheid, mit diesem Material zu arbeiten. Die Grösse, die Fenster und Türen, die Positionen, all das habe ich genau kalkuliert. Und alles stark kontrolliert.
Hätte die Art Basel besser kommunizieren sollen, was Sie genau machen?
Kunstprojekte bedürfen nicht grosser Erklärungen. Meine Favela-Konstruktionen sind seit 20 Jahren bekannt. Und was die Widersprüche und Provokationen angeht, so mache ich wie die meisten Künstler einfach meine Arbeit. Leute hassen sie, andere mögen sie. Das war immer schon so.
«Was die Widersprüche und Provokationen angeht, so mache ich wie die meisten Künstler einfach meine Arbeit.»
Allein der Titel «Favela Café» polarisierte.
Natürlich ist der Titel «Favela Café» sehr stark. Würde ich es «Café Hütte» nennen, wären die Reaktionen wohl anders ausgefallen. In Kassel stand es neben dem Volksgarten, also nannte ich es dort auch so.
Zu Beginn der Messe pinnte eine Aktivistin Flugblätter an die Wände Ihrer Hütten. Man sah darauf offenbar ein schwarzes, sterbendes Kind und die Aufschrift: Das kleine Juwel braucht nur wenig Platz zum Schlafen.
Ob Documenta oder Art: Kunstereignisse dieser Grösse locken immer auch Leute an, die diese Plattform nutzen möchten für eigene Anliegen. Das ist ein alltägliches Happening, ein Phänomen, überall anzutreffen.
«Ohne Kontrolle ist es nicht mehr mein Werk.»
War Ihr Kunstwerk zum Zeitpunkt Ihrer Abreise für Sie eigentlich beendet?
Ja, ohne meine Kontrolle ist es nicht mehr mein Werk. Im Betrieb nahm das Café eine neue Funktion ein. Für mich war die Arbeit beendet.
Ich frage Sie auch, weil es ja zu Ihrem Konzept gehören könnte, dass all das, was nach der Fertigstellung geschah, Teil Ihres Kunstwerks ist.
Nein, das war hier nicht der Fall.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfuhren, dass auf dem Basler Messeplatz eine alternative «Favela» errichtet wird?
Als ich davon erfuhr, sagte ich zu meinem Architekten Christophe Scheidegger: Warum zeigst du ihnen nicht, wie man es richtig macht? Sie haben kein gutes Material gewählt. Wir haben uns auf Material aus dem Basler Hafen konzentriert, um einen Bezug zur Stadt herzustellen. Ich fand ihre Hütte ziemlich hässlich, die Konstruktion nicht gut.
Haben Sie früher schon vergleichbare Reaktionen auf die Favela-Bauten erhalten?
Ja, oft. Vandalismus, Zerstörung, sogar mal ein Feuer. 1992, an der Documenta in Kassel, waren nach drei Monaten einige Hütten völlig zerstört.
Macht Sie so etwas traurig?
Sicher. Aber ich weiss auch um den provokativen Gehalt meiner Arbeiten.
Wurde Ihre Arbeit visuell zerstört durch diese Intervention?
Ich habe alles sehr seriös geplant und berechnet und war zunächst ein wenig verärgert, denn ich mag nicht, dass sich jemand an mein beendetes Werk anhängt. Zumal die Struktur nicht durchdacht war. Hätten sie ihre Kunst verbessert, hätte ich ihr Werk vielleicht akzeptieren können. Hatten sie denn eine politische Botschaft?
Die Leute forderten «Respect Favelas» auf einem Transparent. Wurden schon einmal Hüttenbauten von Ihnen besetzt?
Ja. Dafür sind sie aber nicht gedacht, das ist nicht meine Absicht.
Sprechen wir über das Ende der Aktion: den Polizei-Einsatz. Das Video verbreitete sich im Internet rasend schnell. Was dachten Sie, als Sie die Aufnahmen sahen?
Ich habe mich gefragt, warum die Polizei so aggressiv vorging, um die Musik zu stoppen? In Japan setzt man in solchen Fällen eine andere Sektion der Polizei ein, die einen sanfteren Weg der Kommunikation sucht. Man redet und verhandelt und ist ziemlich erfolgreich, wie sich vor wenigen Wochen bei einem Fussballspiel zeigte, als die Menschen auf den Strassen feierten.
Auch die Basler Polizei hatte zuvor das Gespräch gesucht und Ultimaten gestellt.
Okay, das wusste ich nicht.
Haben Sie eine solche Polizeiaktion am Rande einer Ihrer Installationen schon einmal erlebt?
Nicht in dieser Aggressivität, nein. In Toronto kam es einmal vor, dass Leute eine Petition lancierten und den Abbau eines Projektes forderten.
Warum?
Die Nachbarn störten sich daran. Es sah fragil aus, sie fürchteten den Einsturz, sahen darin eine Gefahr. Die Meinungen der Leute waren aber auch da geteilt.
Man könnte sagen, dass die Kunstaktivisten in Basel sich – wie in einer echten Favela – im Spannungsfeld von legal/illegal bewegten.
Diese Reaktion finde ich aus künstlerischer Sicht allzu offensichtlich, zu einfach. Denn sie steht nicht im Kontext der Architektur, auch nicht im Kontext der Materialwahl. Aber sehen Sie, ich kenne die Hintergründe nicht, war nicht vor Ort. Und ich bin kein Politiker. Ich mache auch keine Hütten für arme Leute. Mir geht es um den Bau und die soziale Gemeinschaft.
Eine soziale Gemeinschaft bildeten die Leute auf dem Messeplatz ja auch – auf Zeit.
Ja, möglicherweise. Aber ich frage mich, warum sie das nicht mit etwas Abstand zu meinem Werk getan haben. Das bedauere ich, denn mir geht es nicht um Events. Und ich habe das Café ja auch mit vielen Helfern aus der Schweiz gebaut, mit lokalen Leuten, und mit diesen eine Gemeinschaft gebildet.
Hier in Paris arbeiten ebenfalls viele junge Leute auf Ihrer Baustelle.
Ja, viele Maturanden sind involviert. Der Parc de la Villette hat mich angefragt, ob ich bei ihnen ein Projekt realisieren würde. Ich habe mich für einen Turm entschieden, mit einer schweren Grundstruktur, zu dem die jungen Leute ihren Teil beitragen beim Bau. Er lässt sich begehen und man kann hinaufsteigen.
«Einfach zu protestieren ist nicht mein Weg.»
Arbeiten Sie immer mit anderen Leuten zusammen?
Nein, ich habe früher, etwa in Tokio, auch alleine mit herumliegenden Materialien am Strassenrand eine Behausung gebaut. Das tat ich unabhängig, ohne Partner. Die Polizei hat da auch interveniert. Meistens arbeite ich aber mit allen notwendigen Bewilligungen.
Finden Sie, dass es zu viele Regeln gibt in unserer Gesellschaft?
In Japan gibt es noch viel mehr Regeln als hier in Europa! Aber, ja, ich denke, es wird strikter. Der Künstler muss daher einen Zwischenweg finden. Einfach zu protestieren ist nicht mein Weg. Was ich vorher über die Polizei gesagt habe, meine ich allgemein: Wir müssen miteinander verhandeln und einen kreativen Weg finden durch die Auflagen und Gesetze – eine Herausforderung. Nur dagegen zu sein ist zu einfach, finde ich.
Eine vielgehörte Aussage am Wochenende war: Drinnen feiert die Kunstwelt die Systemkritik von Ai Weiwei, auf dem Messeplatz wird diese unterdrückt.
Für mich lässt sich das nicht so einfach herunterbrechen. Kunst ist nicht so simpel wie Propaganda. Und der Stil von Ai Weiwei ist nicht mein Stil. Die Welt hat sich verändert, sie ist komplex geworden. Botschaften sind einfach, so wie auch dieses Image von reichen Leuten, die in der Favela Champagner trinken. Ein Klischee. Denn wie die Welt ist auch die Kunst komplexer geworden.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.06.13
Die Frage bzgl. Flyeraktion einer Politaktivistin wurde «sinngemäss» wiedergegeben. Gegenüber Printversion aktualisiert.