«Ideologien sind mir ein Gräuel» – der neue BaZ-Chef Marcel Rohr über seine Pläne

Der bisherige Sportchef der Basler Zeitung wird Chefredaktor. Er bewundert den Schreibstil von Roger Köppel und möchte die BaZ aus der Ecke, in der sie steht, rausholen und auf ein neues Level hieven.

Will die Uhr politisch auf die Stunde null stellen: der neuer BaZ-Chef Marcel Rohr.

Marcel Rohr heisst der neue Chefredaktor der «Basler Zeitung» – das überrascht zunächst. Thematisch hat sich der langjährige Sportchef der BaZ nie übers Stadion hinausgewagt. Was der 51-Jährige politisch denkt, ist unbekannt, ebenso welches Verständnis von politischem Journalismus Rohr hat und wo er dessen gesellschaftliche Bedeutung verortet.

Vor diesem Hintergrund ist seine Ernennung wenig überraschend. Marcel Rohr ist die Antithese zum bisherigen Chefredaktor Markus Somm. Seine politische Stimme muss er erst finden. Dadurch kann er sie so anlegen, dass sie weder aktuelle Leser verprellt noch die vielen ehemaligen BaZ-Leser in ihrer Ablehnung bestärkt, welche vom aggressiven rechtspopulistischen Kurs der Somm-BaZ nichts wissen wollten.

Ein talentierter Organisator

Rohr hat sich gegen den intern unbeliebten Kulturchef Raphael Suter durchgesetzt, auch die wenig profilierte Mitbewerberin Viviane Joyce hat er ausgestochen. Versuche von Tamedia, eigene Leute mit Basel-Bezug zur Bewerbung zu motivieren scheiterten. So lehnte etwa «Tages-Anzeiger»-Autorin Michèle Binswanger eine Anfrage ab.

Rohr gilt als talentierter Organisator, als Motivator. Er ist entsprechend gut gelitten am Aeschenplatz. Respekt hat er sich erarbeitet, indem er als Einziger in der Chefredaktion regelmässig Markus Somm kritisierte. Publizistisch bestehen dagegen grosse Vorbehalte, ob Rohr die BaZ, wie er im Interview ankündigt, auf ein neues Niveau wird heben können. Vieles dürfte davon abhängen, ob es ihm gelingt, eine fähige Führungscrew um sich zu scharen.

«Wenn ich den Job in zwei Monaten antrete, wird die Uhr politisch auf die Stunde null gestellt.»

Herr Rohr, herzliche Gratulation zu Ihrem neuen Job. Was haben Sie nun mit der BaZ vor? 

Mein Anspruch ist es, Aufbruchstimmung am Aeschenplatz zu erzeugen und die BaZ ins digitale Zeitalter zu führen, das heisst, den Brand www.baz.ch zu stärken. Hier gibt es noch viel Luft nach oben. Das Team soll lernen, konvergent zu arbeiten. Gleichzeitig möchte ich eine lesenswerte und lebendige «Basler Zeitung» machen – im Idealfall soll es uns gelingen, Leser zurückzugewinnen.

Und wie viele Leser wollen Sie zurückerobern? 

Es wäre unverantwortlich, heute eine Zahl zu nennen. Ich bin aber zuversichtlich, dass uns dieser Spagat gelingen wird, zumal wir mit Tamedia eine starke Partnerin im Rücken haben.

Werden Sie Entlassungen auf der Redaktion aussprechen? 

Tamedia hat bereits kommuniziert, dass es im Verlagsbereich gewisse Veränderungen geben wird. Auf der Redaktion ist kein Abbau geplant.

«Ich weiss nicht, wie viele Kommentare ich schreiben werde, aber ich werde starke Leute um mich haben.»

Sie wollen mit der bestehenden Crew, die zum Ruf der BaZ als rechtes Kampfblatt beigetragen hat, Leser zurückerobern? Das ist doch ein Widerspruch. 

Ich fange Anfang 2019 als Chefredaktor an und werde dann schauen, wo Veränderungen nötig sind. Grundsätzlich finde ich aber, dass jeder eine Chance verdient hat, zumal wir viele fähige Leute haben.

Es gibt also keine schwarze Liste bei Ihnen?

Nein, sicher nicht.

In welche Richtung wird sich der Lokalteil, der in der Vergangenheit oft für Empörung sorgte, entwickeln? 

Der Lokalteil hat tolle Geschichten gemacht. Für mich ist aber klar: Wenn ich den Job in zwei Monaten antrete, wird die Uhr politisch auf die Stunde null gestellt. Ich komme weder aus der linken noch aus der rechten Ecke.

Sie sind politisch ein unbeschriebenes Blatt. Ein Handicap für einen Chefredaktor?

Man kann das natürlich als Handicap sehen, aber für mich ist es eine riesige Chance. Denn ich stehe für lebendigen Journalismus, und über diesen soll man in dieser Stadt reden – auch wenn dies nun nach einer Plattitüde klingen mag. Ideologien sind mir ein Gräuel – ob links oder rechts. Ich bin offen für alles und will einfach gute Geschichten, immer mit dem nötigen Respekt.

Kam dieser denn zu kurz in der Vergangenheit bei der BaZ? 

Es sind sicher einige Geschichten nicht so herausgekommen wie gewünscht. Ich möchte aber nicht näher darauf eingehen.

Ihr Vorgänger Markus Somm schrieb jeden Samstag einen Leitartikel. Sie sind Sportjournalist und politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich unbefleckt. Wie wollen Sie dem Blatt ein Gesicht geben? 

Das ist eine grosse Herausforderung, die ich gerne annehme. Ich weiss nicht, wie viele Kommentare ich schreiben werde, aber ich werde starke Leute um mich haben. Wir werden sehen, in welche Richtung es gehen wird. Es ist mir aber bewusst, dass ich die BaZ als Chefredaktor nicht nur durch Sport und Fussball prägen kann. Es kommt ein neuer Abschnitt auf mich zu – und das wünschte ich mir auch so.

«Ich möchte die Zeitung aus der Ecke herausholen, in der sie heute steht. Es soll mehr um Journalismus gehen.»

In einem Interview mit dem «Schweizer Journalist» sagten Sie: «Für mich ist die Politik ein System, ein riesengrosser Strafraum, in dem ich mich als Journalist zutiefst unwohl fühlen würde.» Im Baselbiet sind im März 2019 Gesamterneuerungswahlen, in einem Jahr Stände- und Nationalratswahlen. Es kommen also höchst unangenehme Zeiten auf Sie zu.

Ich stehe nach wie vor zu dieser Aussage, die ich vor einem Jahr gemacht habe, weil ich damit zum Ausdruck bringen wollte, dass meine ganze Konzentration dem Sport und der Sportredaktion gilt. Mittlerweile hat sich aber einiges geändert. Als Chefredaktor gilt meine ganze Aufmerksamkeit der ganzen BaZ. Ich bin bereit, mich in jedes Themenfeld einzulesen.

Wenn Sie zurückschauen: Gab es in den letzten Jahren Fehlentwicklungen bei der BaZ?

Natürlich haben wir wie die meisten Titel Leser verloren. Wenn man derart stark polarisiert wie Markus Somm, dann muss man damit rechnen, dass dies so kommt. Denn Druck erzeugt immer Gegendruck. Ich möchte die Zeitung aus der Ecke herausholen, in der sie heute steht, und sie auf ein neues Level hieven. Es soll mehr um Journalismus gehen.

«Eine Zeitung hat verloren, wenn sie unglaubwürdig und langweilig ist. Ich stehe dafür ein, dass dies nicht passiert.»

Also soll die BaZ künftig weniger vom Presserat kritisiert werden?

(Lacht). Ich hatte in meinen 30 Jahren als Journalist nie mit dem Presserat zu tun. Selbstverständlich ist es mein Ziel, solche Fälle zu verhindern. Eine Zeitung hat verloren, wenn sie unglaubwürdig und langweilig ist. Ich stehe dafür ein, dass dies bei der BaZ nicht passiert.

Im Interview mit dem «Schweizer Journalist» sagten Sie auch: «Ich bin schon nachts im Bett gelegen und habe mit offenen Augen davon geträumt, so süffig und pointiert schreiben zu können wie Roger Köppel. Er ist brillant.» Woher diese Bewunderung? 

Roger Köppel ist ein hervorragender Journalist, genauso wie Markus Somm. Es gibt ganz viele Journalisten, die im Geheimen gerne so Sätze formulieren können würden wie Köppel. Köppel animiert die Leute dazu, über die Schweiz nachzudenken. Dafür bewundere ich ihn.

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