«Suspiria»: Als Hexen ihre Krallen am Goetheanum wetzten

Mitte November kommt die Neuverfilmung des Horrorfilm-Klassikers «Suspiria» mit Tilda Swinton ins Kino. Zu Halloween beleuchten wir den regionalen Bezug des italienischen Originals aus dem Jahr 1977.

Dario Argento und Daria Nicolodi mögen es schön schaurig.

Es war einmal ein seltsames Paar: ein Splatter-Regisseur mit einer Schwäche für alte Disney-Filme und eine Drehbuchautorin mit Hang zur Esoterik. 1977 schufen die beiden ein Märchen für Erwachsene, schaurig schön wie «Schneewittchen» auf LSD.

Im italienischen Horror-Klassiker «Suspiria» reist die Amerikanerin Suzy Banyon (Jessica Harper) nach Deutschland, um Ballettunterricht zu nehmen. Was sie nicht weiss: Hinter der «Tanzakademie» steckt ein Hexenzirkel, der rebellische Schülerinnen meuchelt. Es wird getanzt, gebangt und gestorben – in farbenprächtigem Technicolor und mit höchstens Spurenelementen einer Handlung. Ein Film also, der nur fürs Auge Sinn macht, wie ein US-Kritiker urteilte.

Schauermär aus dem «magischen Dreieck»

Ursprünglich wollte Regisseur Dario Argento die Rollen der Ballerinen mit zwölfjährigen Mädchen besetzen. Der Produzent – Argentos eigener Vater – riet davon ab. Auch so sorgte der Film noch für genügend Ärger: In Deutschland zum Beispiel wurde «Suspiria» erst 2014 vom Index für jugendgefährdende Filme genommen. Und der Spagat zwischen feministischer Selbstermächtigung und ästhetisiertem Folter-Porno irritiert bis heute.

«Suspiria» wurde bis auf wenige Aussenaufnahmen (München) in einem Filmstudio in Rom gedreht. Da der Handlungsort Freiburg im Breisgau darstellen sollte, Argento aber keine Drehgenehmigung hatte, liess der Regisseur für die Ballettschule eigens die Fassade eines spätgotischen Bürgerhauses nachbauen.

Im Freiburger «Haus zum Walfisch» mit seiner blutroten Fassade war einst Erasmus von Rotterdam auf der Flucht aus Basel untergekommen. «Suspiria» kopiert sogar die Gedenktafel, die an seinen Aufenthalt erinnert: Die Filmhexen benutzen den Humanisten und erklärten Feind des Aberglaubens als biederes Aushängeschild.

Nichts für schwache Mägen: In «Suspiria» fliesst reichlich Kunstblut.

Warum aber ausgerechnet Freiburg? Auf seiner Suche nach echten Hexen war Dario Argento in das «magische Dreieck» zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz gereist, wie er selbst sagt. Seine Muse und damalige Lebensgefährtin hatte ihm den Weg gewiesen.

Daria Nicolodi erzählte dem Regisseur von ihrer Grossmutter, die in Jugendjahren eine Schweizer Musikschule in der Nähe von Basel besucht hatte – und geflohen war, weil dort angeblich schwarze Magie praktiziert wurde. Den Namen der Schule verschweigt Nicolodi. Sie verrät aber so viel, dass dort bis heute Musik, Tanz und biodynamische Landwirtschaft gelehrt würden.

Die Gemeinschaft vom «Bluthügel»

Kein Wunder also, dass das Paar Mitte der Siebzigerjahre auf seiner Suche nach Übersinnlichem in Dornach SO haltmachte. Die dort lebende anthroposophische Gemeinschaft fühlte sich aufgrund ihrer unorthodoxen Weltanschauung und zahlreicher Richtungskämpfe seit Gründungszeiten von inneren und äusseren Feinden bedroht.

Nach der – mutmasslichen – Brandstiftung am ersten Goetheanum sprach Rudolf Steiner 1923 in einem Vortrag über den «schrecklichsten Aberglauben», der ihm und seiner Gefolgschaft angedichtet werde. Dabei habe Anthroposophie nichts mit «spiritistischen Geisterzitierungen» zu tun. Vielmehr strebe sie danach, den Traumzustand der Wirklichkeit «wissenschaftlich» zu überwinden.

Hexen hat Dario Argento in Dornach dem Vernehmen nach keine gefunden, dafür aber eine Architektur, die seiner Vorliebe für visuelle Opulenz entspricht. Der Regisseur beschreibt den Neubau des Goetheanums als «Kathedrale» und zeigt sich beeindruckt von den schiefen Fenstern und überdimensionierten Kaminen – wie in einem deutschen Stummfilm. Oder im Märchen.

Das Geheimnis der blauen Iris: Suzy findet den Unterschlupf der Hexen.

«Suspiria» ist kein Film über die Anthroposophie, verrät aber die Faszination des Regisseurs für die Lehre und Legendenbildung um Rudolf Steiner.

Vom «Bluthügel», wie die Goetheanum-Anhöhe seit der Schlacht von Dornach heisst, hat Argento das Geheimbündlerische, die Tanzausbildung und den Art déco für die Innenausstattung seiner Schwarzen Schule mitgenommen. Sowie das Prinzip einer Rätselarchitektur, die eine überweltliche Wirklichkeit andeutet, sich aber nur Eingeweihten erschliesst.

Kurz vor dem Finale findet Suzy eine getarnte Türe, die zum Versteck der Hexen führt. Ein Blumenornament in Form einer Iris dient als Schloss. Das kann auch im übertragenen Sinn wörtlich verstanden werden: Wie die Tänzerin die Geheimtüre, will «Suspiria» unseren Blick für das Verborgene öffnen. Notfalls mit einer Nadel.

Zuletzt ist es, als erwache Suzy aus einem bösen Traum – nur tut sie das eben nicht auf dem Bluthügel zu Dornach. Sondern vor dem Nachbau einer Sparkassen-Filiale aus der Altstadt von Freiburg i. Br.

«Suspiria»: Deutscher Kinostart ist am 15. November. Für die Schweiz steht noch kein Termin fest.

https://tageswoche.ch/korrigiert/huhuuuh-7-spukhaeuser-in-der-region/
https://tageswoche.ch/gesellschaft/durlips-futterruebe-und-herbstspuk/

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