Immer mehr Schädlinge: Viele Obstbauern geben irgendwann einfach auf

Die aus China eingeschleppte Marmorierte Baumwanze ist nicht der einzige Schädling, der den Obstproduzenten das Leben schwer macht. Im Baselbiet sei die Kirschessigfliege das grössere Problem, sagt der Agraringenieur Franco Weibel. Aber auch die Kunden seien für die schwierige Situation der Bauern mitverantwortlich.

Die Bekämpfung von Schädlingen wird immer schwieriger. Für viele Bauern wird der Obstbau zu aufwendig.

Ein neuer Schädling lehrt die Obstbauern das Fürchten. Die aus Asien eingeschleppte Marmorierte Baumwanze hat von der Schweiz aus eine fatale Reise durch Europa angetreten, abgesehen hat es das hungrige Tierchen vor allem auf Birnen, Äpfel und Steinobst. Während die Bauern in Italien, Frankreich und Georgien schon länger über massive Schäden klagen, hat die Wanze erst letzten Herbst auch in der Schweiz nennenswerte Spuren hinterlassen.

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Zwar ist die Baumwanze in der Region Basel besonders stark verbreitet. Dennoch gehört sie hier noch nicht zu den besonders besorgniserregenden Schädlingen. Der Agraringenieur Franco Weibel ist beim landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain im Kanton Baselland für die sogenannten Spezialkulturen zuständig. Er kennt die Probleme, mit denen Obstbauern zu kämpfen haben, und nimmt auch die Konsumenten in die Verantwortung.

Herr Weibel, das Baselbiet ist bisher von Schäden durch die Marmorierte Baumwanze verschont geblieben. Welche Schädlinge machen den Obstbauern hier das Leben schwer?

Am meisten Kopfzerbrechen bereitet uns als Steinobst- und Rebbaukanton immer noch die Kirschessigfliege (KEF). Dieser Schädling legt seine Eier in die reifenden Früchte, kurz vor der Ernte. Daher können wir die KEF nur erschwert mit Insektiziden bekämpfen, weil zwischen Behandlung und Ernte gesetzlich definierte Wartezeiten eingehalten werden müssen. Neben der KEF, die vor allem Steinobst, Reben und Beeren befällt, macht uns beim Kernobst der Feuerbrand Sorgen, eine bakterielle Erkrankung mit grossem Epidemie-Potenzial. Aber da Kernobst bei uns weniger verbreitet ist, tritt der Feuerbrand etwas in den Hintergrund.

«Wer mithalten will, braucht sehr grosses Fachwissen, viel Flexibilität und eine gute Portion Risikobereitschaft.»

Wie viele Franken Umsatz entgehen denn den Baselbieter Obstbauern durch Schädlinge?

Das lässt sich schwer beziffern, da es zwischen den einzelnen Obstarten grosse Unterschiede gibt. Die KEF hat mancherorts trotz Gegenmassnahmen das Erntegut komplett entwertet, während Schäden durch Apfelwickler oder Apfelschorf meistens begrenzt bleiben. Der tolerierbare Schaden durch Schädlinge oder Krankheiten liegt dort, wo trotz eines gewissen Ausfalls noch kostendeckend produziert werden kann. Doch dieser Spielraum wird bei den heutigen Anforderungen an die Makellosigkeit der Früchte im Handel immer kleiner. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es auch in einem guten Jahr schwierig ist, überhaupt kostendeckend zu arbeiten.

Franco Weibel ist beim landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain für Spezialkulturen zuständig.

Weshalb lassen sich gewisse Schädlinge so schwer bekämpfen?

Eine der Schwierigkeiten sind die Regelungen bei den Pflanzenschutzmitteln, die laufend verschärft werden. Erst vor Kurzem wurde beispielsweise ein Mittel, mit dem wir jahrelang erfolgreich und ökologisch vertretbar den Pflaumenwickler bekämpfen konnten, aus dem Verkehr gezogen, weil die EU ein sogenanntes Wiederzulassungsverfahren eröffnet hat. So wird dieser Falter, der seine Eier in Zwetschgen ablegt, plötzlich wieder zum Problem, obwohl wir ihn vorher gut im Griff hatten. 

Damit steigen auch die Anforderungen an die Produzenten.

Heute ist das Planen einer genügend wirksamen und gleichzeitig in allen Belangen gesetzeskonformen Pflanzenschutzstrategie für die Produzenten und Berater eine hochkomplexe Angelegenheit geworden. Der Bauer will so wenig spritzen wie möglich, alleine schon weil dies auch vom Handel und von den Konsumenten erwartet wird. Gleichzeitig müssen seine Früchte von hoher Qualität sein und er muss ein wirtschaftlich sinnvolles Verhältnis zwischen Kosten und Ertrag erzielen. Dazu kommen die immer strengeren Auflagen durch Gesetze, Label-Organisationen und Handelsbetriebe. Wer hier noch mithalten will, braucht sehr grosses Fachwissen, viel Flexibilität und nicht zuletzt auch eine gute Portion Risikobereitschaft.

Das klingt nach einem wenig lukrativen und zudem hochkomplexen Geschäft. Vergeht den Bauern da nicht die Lust?

Es gibt tatsächlich viele Bauern, die irgendwann demoralisiert aufgeben. Es ist aber auch eine deutliche Professionalisierung spürbar. Kaum jemand leistet es sich heute noch, nebenbei auf einer kleinen Fläche ein wenig Obst anzubauen. Wer in der Produktion für Grossabnehmer dabeibleibt, produziert im grossen Stil.

Spricht man über invasive Arten, fallen sehr rasch zwei Stichworte: Klimawandel und Globalisierung. Wie schätzen Sie deren Relevanz ein?

Die Wetterextreme nehmen erwiesenermassen zu, es gibt kaum noch «normale» Jahre. Wenn auch hierzulande die Sommer und Winter immer wärmer werden, hat das einen direkten Einfluss darauf, wie sich die Schädlinge entwickeln. Gerade fremde Arten, etwa aus Asien, treffen hier inzwischen ein Klima an, das demjenigen in ihrer ursprünglichen Heimat immer stärker gleicht. Diese Folgen spüren die Obstbauern direkt.

«Der Konsument ist Teil des Systems, seine Kaufentscheidungen haben direkten Einfluss.» 

Welche Folgen sind das?

Invasive Schädlinge bedeuten einen in der Regel schwer beherrschbaren und auf jeden Fall teuren und arbeitsintensiven Zusatzaufwand. Der Druck auf die Produzenten steigt enorm, wenn die Händler Früchte mit geringerer Insektizidbelastung importieren können. So gelten dann plötzlich nicht mehr die gesetzlichen Grenzwerte, sondern die von den Händlern meist tiefer angesetzten Werte.

Neben Veränderungen in Umwelt und Wirtschaft gibt es auch gesellschaftliche Faktoren. Welche Rolle spielt der Konsument?

Eine viel grössere, als den meisten Konsumenten bewusst ist. Es ist klar, wir alle wünschen uns Obst, das möglichst wenig behandelt wurde und bei Produktion, Lagerung und Transport die Umwelt schont. Gleichzeitig sollen die Früchte aber tadellos aussehen, wenig kosten und saisonunabhängig verfügbar sein. Diese Rechnung geht nicht auf. Es ist daher eine sehr einseitige Betrachtung, wenn man sich sagt, der Obstproduzent müsse sich halt an der Nachfrage ausrichten. Der Konsument ist Teil des Systems, seine Kaufentscheidungen haben direkten Einfluss. Immerhin zeigt der kontinuierlich steigende Anteil an zertifizierten Biofrüchten, dass die Konsumenten zunehmend bereit sind, ihre Mitverantwortung zu tragen.

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