Da sass Raphael Wicky im Stade de Suisse und klaubte alles zusammen, was aus Basler Perspektive an Gutem aus einem höchst unterhaltsamen Ostermontag herauszulesen war.
Wie sich seine Mannschaft nach einem zaghaften Beginn («Wovor haben wir Angst?») in Spiel und Gegner hineingebissen hat, wie sie Ball um Ball eroberte und sich Chancen erarbeitete, das hat dem Trainer gefallen. Bloss eine Art Happy End für den FCB und Valentin Stocker gab es in dieser Geschichte nicht.
Weil Stocker Mängel in der Ballannahme offenbarte, wie er frank und frei einräumte, und YB-Captain Steve von Bergen in höchster Not den Ball an die Torumrandung hypnotisierte. «Es ist, wie es ist», sagte ein sehr zerknirschter Stocker, «manchmal geht der Ball rein, und wenn es nicht läuft, geht er an den Pfosten.»
Nach der 27. Runde ist der FCB «drauf und dran wieder eine Mannschaft zu finden». Das lässt tief blicken.
Es ist ein kompliziertes Frühjahr für den FC Basel. Und der Trainer hat das, was im Transferwinter passiert ist und einen Resultate-Einbruch zur Folge hatte, mit einem Satz belegt: «Wir sind drauf und dran, wieder eine Mannschaft zu finden.» An einem 2. April und nach der 27. Runde lässt das tief blicken. Moderieren muss der Cheftrainer derzeit auf dem Trainingsplatz und am Spieltag die Formkrisen, die Versagensängste, das fragile Selbstvertrauen.
Und dennoch nimmt Wicky «viel mehr Gutes als das Schlechte» mit ins letzte Saisonquartal. «Es ist mein Job, auch wenn das nicht immer allen Leuten passt, irgendwo noch das Positive zu sehen.» Er spricht dann gerne vom «halbvollen Glas», das er sieht. Und muss gleichzeitig erkennen, dass die Vitrine leer ist.
Der Cup ist weg und den Meisterpokal kann der FCB am 10. Mai, dem drittletzten Spieltag mit dem Heimspiel gegen YB, den Bernern gleich mitgeben für ihre grosse Sause, auf die sie 32 Jahre lang warten mussten. Christoph Spycher, der umsichtige Sportchef der Young Boys, dem nun ein grosser Anteil an diesem Erfolg zuteil wird, gab sich am Ostermontag gleichwohl bescheiden: «Wir können mit dem Punkt besser leben als der FC Basel, schauen vorwärts und wollen den Weg zu Ende gehen.»
Die Wachablösung im Schweizer Fussball hat sich freilich nicht erst an diesem Osterwochenende manifestiert. Nach dem 2:2 in Bern bleibt es bei einem so ausgeprägten Rückstand auf die Young Boys, wie der FCB sich umgekehrt in den vergangenen Jahren ähnlichen Vorsprung gewöhnt war. Den Meistertitel verteidigen zu können gegen stilsichere und konstante Young Boys, hat sich der FC Basel schon länger abschminken können.
Das Imperium stürzt ein, ist die These der «NZZ» zum Verlust der Basler Vormachtstellung. Die Frage ist nun aber, ob das Imperium bereit ist, zurückzuschlagen. Welche Lehren die Führungscrew aus ihrem ersten Jahr zieht.
Präsident Burgener ist begeistert und gibt dem Sportdirektor und dem Trainer Rückendeckung.
Sportdirektor Marco Streller war für ein Statement nicht zu haben, als er das Stade de Suisse verliess, dafür hatte am Wochenende der Präsident die Kommunikationshoheit übernommen. Einerseits im «Sonntagsblick», dem er ein «intimes Lebens-Interview» gab. Wo er über tragische Todesfälle in seinem familiären Umfeld und Bekanntenkreis sprach, wo Tränen flossen und er seiner Freude Ausdruck darüber verlieh, dass aus seinem Südtiroler Steinbruch 3000 Marmorkreuze für US-amerikanische Soldatenfriedhöfe geliefert worden sind.
Einblick in die rotblaue Welt gab der Multiunternehmer gleichentags der «NZZ am Sonntag», und die Botschaften waren ähnlich irritierend: «Die Bilanz begeistert mich». Man kann weite Teile seiner Aussagen als Burgeners Rückendeckung für Streller und Wicky und das gesamte vor Jahresfrist neu besetzte Konstrukt begreifen. Und als Schulterklopfen für das eigene Konzept.
Die operative Leitung habe «hervorragend gearbeitet» sagt Burgener, zum Sport gehöre dazu, Niederlagen einzukalkulieren und das langfristige Konzept orientiere sich nicht daran, jedes Jahr Titel gewinnen zu müssen. Seine Rechnung lautet, «dass wir vielleicht ein oder zwei Jahre ohne Champions League auskommen müssen».
Wie sich das auf die finanzielle Entwicklung der FC Basel 1893 AG und der FCB-Holding auswirkt, darüber wird Burgener am Donnerstag dieser Woche bei der Vorstellung der Jahresbilanz für 2017 Auskunft geben. So viel hat er der NZZ schon einmal verraten: «Die Wirtschaftlichkeit des Klubs macht mir derzeit am wenigsten Sorgen.»
Das Scheitern als Teil einer Inszenierung – und die FCB-Gemeinde nimmt es mit Gelassenheit hin.
Fast scheint es so, als ob Burgener das Ende der Basler Meisterserie ebenfalls wie den Teil einer grossen Inszenierung begreift. Fussball gehört für ihn schliesslich zur Unterhaltungsbranche. Basel und seine rotblaue Fangemeinde nimmt den Verlust der absoluten Dominanz, die vergangene Saison im Gewinn des Doubles und in einem Rekordvorsprung gegipfelt hatte, mit einer gewissen Gelassenheit hin. Niederlagen auszuhalten und Leidensfähigkeit zu entwickeln muss nach acht Meistertiteln erst einmal neu eingeübt werden.
Sich nun allerdings nur darauf zu verlassen, dass der neue Meister YB schon einen Aderlass seiner grössten Talenten erleben wird, wäre riskant. Schliesslich ist auch viel zu wenig die Rede davon, dass die Berner in dieser Saison im Spielerkader einen mindestens ebenso grossen Umbruch (Mvogo, Zakaria, Ravet) gemeistert haben wie der FCB.
Mit dem überstrapazierten «für immer rotblau» und einem «weiter so» allein wird es nicht reichen, um national die Lücke zu schliessen und international attraktiv zu bleiben. Eine Woche nach dem WM-Final beginnt in der Schweiz die neue Saison, drei Tage später steht für den Zweiten der aktuellen Meisterschaft – also nach Stand der Dinge für den FC Basel – die erste Qualifikationshürde zur Champions League an. Da heisst es, blitzartig parat zu sein. Jedenfalls anders als in diesem Frühjahr.