«In der Schweiz gibt es viele Anti-Sozialpartner»

Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, erklärt im Interview, weshalb es so dringend einen Mindestlohn braucht.

Daniel Lampart, Cheföknom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.

Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, erklärt im Interview, weshalb es so dringend einen Mindestlohn braucht.

Daniel Lampart, wenn selbst Gewerkschaften in ihren Hotels nicht allen Angestellten Mindestlöhne zahlen, wie sollen es dann Kleinbetriebe schaffen?

Beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund zahlen wir schon lange mindestens 22 Franken Stundenlohn und verlangen dies auch von Firmen, die für uns arbeiten. Unsere Reinigungsfirma mussten wir zwingen, die Löhne auf 22 Franken zu erhöhen.

Und die Gewerkschaftshotels?

Dort werden die tiefsten Löhne jetzt auch angepasst.

Was ist Ihnen lieber: eine tiefe Arbeitslosigkeit ohne Mindestlohn oder ein Mindestlohn mit viel ­Arbeitslosen?

(lacht) Das hat nichts miteinander zu tun. Heute verdient jeder Zehnte schlecht, muss häufig auch lange und hart arbeiten, zum Beispiel im Kleider- oder Schuhhandel. Oft gehören die Ladenketten Besitzern mit Milliardenvermögen. Da muss man schon mit Blindheit geschlagen sein, wenn man glaubt, man könne die Löhne nicht heraufsetzen, weil es sonst wirtschaftliche Pro­bleme gäbe.

Milliardenschweren Besitzern zum Trotz bleibt das Risiko, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlegt werden.

Das ist kein Argument gegen den Mindestlohn. In der Exportindustrie leisten Angestellte sehr anspruchsvolle Arbeit. Deshalb werden dort heute schon höhere Löhne bezahlt. Tieflöhne gibt es vor allem in den Binnensektoren.

«Man muss mit Blindheit geschlagen sein, wenn man glaubt, man könne die Löhne nicht heraufsetzen

Trotzdem setzen Sie mit Ihrer Mindestlohn-Initiative Arbeitsplätze aufs Spiel, weil Arbeit teurer wird.

Als Gewerkschaft tragen wir eine grosse Verantwortung und haben diesen Aspekt sehr gründlich analysiert. Auch wenn noch immer viele Arbeitgeber veraltetes Lehrbuchwissen verbreiten, zeigen viele Untersuchungen, dass es keinen klaren Zusammenhang gibt zwischen höheren Mindestlöhnen und Arbeitslosigkeit.

Tatsächlich?

In der Schweiz haben wir seit über hundert Jahren Erfahrungen mit Mindestlöhnen in den Gesamtarbeitsverträgen. Im GAV des Gastgewerbes zum Beispiel stieg der Mindestlohn innert zehn Jahren markant auf 13 Monatslöhne à 3400 Franken. Das hat dem Gastgewerbe nicht geschadet. Der Anteil an Arbeitslosen aus dem Gastgewerbe ist sogar noch gesunken.

Deutschland diskutiert auch über ­einen Mindestlohn. Dieser wäre aber sehr viel tiefer.

In der Schweiz würde ein Mindestlohn von 22 Franken neun Prozent der Arbeitstätigen erfassen, in Deutschland wären es rund 15 Prozent bei vorgeschlagenen 8.50 Euro. Ich finde es fahrlässig, wenn man behauptet, der Schweizer Mindestlohn sei zu hoch. Die Schweiz kann das wirtschaftlich tragen.

Skandinavische Länder kennen keinen Mindestlohn. Dort unterstehen aber viel mehr Angestellte einem GAV als in der Schweiz. Wäre das nicht die bes­sere Lösung als ein Mindestlohn?

Gesamtarbeitsverträge sind für uns der Königsweg, weil man darin auch Weiter­bildung oder Ferien regeln kann. Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat behauptet, die Sozialpartnerschaft funktioniere gut in der Schweiz. Das stimmt überhaupt nicht. In der Schweiz gibt es viele Anti-Sozial­partner. Nehmen Sie den Schuhhändler­verband: Dessen Präsident, Dieter Spiess, hat in der «Rundschau» gesagt, ein GAV sei eine DDR-Methode. Da ist die Schweiz im tiefsten Kalten Krieg stehen geblieben. Natürlich wäre es schön, wenn wir eine so gute Abdeckung mit GAV hätten wie andere Länder, aber mit solchen Anti-Sozialpartnern schaffen wir das nicht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.05.13

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