«In Extremsituationen werden wir zu Extremisten»

Der Schweizer Hollywood-Regisseur Marc Forster über Gewalt und Gegengewalt in seinem neuen Film «Machine Gun Preacher».

Gerard Butler als Machine Gun Preacher. (Bild: zVg)

Der Schweizer Hollywood-Regisseur Marc Forster über Gewalt und Gegengewalt in seinem neuen Film «Machine Gun Preacher».

Nach «Monster’s Ball», dem Oscar-nominierten Film «Drachen­­läufer» und dem James-Bond-Streifen «Quantum of Solace» sorgt erneut ein Film von Marc Forster für Gesprächsstoff. «Machine Gun Preacher» erzählt die Lebensgeschich­te des ehe­maligen Kriminellen Sam Childers, der sich heute für Kinder im Sudan ­engagiert – es ist die ­Geschichte einer Läuterung.

Childers war einst Mitglied der ­Mo­­tor­rad­gang «Hells Angels» und ein gewalttätiger Drogen­dealer. Heute ist er ein «Kämpfer im Dienste Gottes»: Im sudanesischen Kriegsgebiet hat er zusammen mit seiner Frau vor zehn Jahren eine Zufluchtsstätte für Kinder errichtet, die er auch mit Waffen­gewalt verteidigt, wenn sie angegriffen wird. «Machine Gun Preacher» ist ­diese Woche in Basel angelaufen.

Herr Forster, in Ihrem neuen Film geht ein Prediger mit ­Waffengewalt gegen Gewalt vor. Wenn Sie die ­Figur dieses Christen frei erfunden hätten, wäre sie ebenso gewalttätig ­herausgekommen?

Nein, ich sehe die Welt aus einer anderen Sicht. Gewalt kann nur zu mehr Gewalt führen. Als ich Sam Childers, den es ja wirklich gibt, zum ersten Mal traf, hatte ich keine gefestigte Meinung darüber, wie ich all die Gewalt, all die Begegnungen mit den Figuren zu einem Film zusammenfügen könnte. Ich habe mit Childers zum ersten Mal in Pennsylvania gesprochen, als er bereits kein «Hells Angel» und Drogenhändler mehr war. Später habe ich auch sein Waisenhaus im Sudan besucht und dabei sehr rasch eines realisiert: Sein Argument für Gewalt ist eng mit seiner Geschichte verknüpft.

Wie meinen Sie das genau?

Vieles in den Haltungen dieses Predigers lässt sich aus seiner Vergangenheit erklären. Er provozierte mich mit der Frage: «Wenn deine Toch­ter entführt wird und ich sie nur zurückzubringen könnte, indem ich einen Entführer töte – was würdest du dagegen einwenden?»

Eine Frage, die in der Schweiz einst vom Militärtribunal fast wortgleich Dienstverweigerern gestellt wurde, die den Gebrauch der Waffe ablehnten.

Ach ja? Interessant. Man begibt sich da in einen unentrinnbaren Fragenkreis: Ab wann geht Gewalt mir so nahe, dass ich selbst Gewalt ausübe? Ich habe bereits in «Monster’s Ball» diesen Kreis betreten: Hale Barry wird zum Schluss die Frage gestellt, ob sie ihren Peiniger töten würde oder nicht. Die Kamera lässt die Frage stehen und schwenkt gen Himmel.

Zum höchsten Richter?

Die Frage bleibt gestellt. Wie kommen wir aus der Spirale der Gewalt heraus? Ist Vergebung erst nach der Ausübung von Rache möglich? Gewalt ist ein Thema, das einen extrem hilflos macht. Mich hat dieses Thema schon immer fasziniert – und auch ratlos gemacht. Gewalt hat mich mehr zum Fragen gereizt, als dass ich Antworten gefunden hätte.

Childers ist ein Geläuterter, der nach seinen Erfahrungen in ­Afrika sein Leben umgekrempelt hat. Haben Sie ein besonderes Flair für solche Rettertypen?

Interessant für mich ist nicht, wie dieser Weisse Afrika, sondern wie Afrika diesen Weissen rettet. Childers besuchte den Sudan erstmals 1998 im Rahmen einer Missionsreise. Dort geriet er in die Kriegswirren, ein Kind starb in seinen Armen. Danach ist er als anderer Mensch in die USA zurückgekehrt. Er konnte sein Leben nicht mehr gleich weiterleben. Er wollte nicht weiter nur zuschauen. Er verkaufte seinen gesamten Besitz, gründete mit seiner Frau die Organisation «Angels of East Africa» und errichtete ein Waisenheim in sudanesischen Nimule.

Er wurde berühmt als Prediger, der zur Waffe greift. Kann man religiös sein und gleichzeitig ­Menschen mit einem Maschinengewehr angreifen?

Dieser Punkt machte auch mich skeptisch. Aber Childers ist in Afri­ka an Orte gereist, die sonst kein Mensch mehr betreten wollte. Er brachte Medikamente ins Kriegesgebiet. Er ging an Orte, wo Hilfsorganisationen sich nicht mehr hintrauten. Er rettete Menschen, die angegriffen wurden – in Gebieten, wo die tödliche Willkür herrscht.

In der Absicht zu töten, wenn es nötig sein würde?

Er nahm zu Beginn einfach nur Flüchtlinge auf. Erst als sich die Gewalt gegen ihn richtete, gegen seine Flüchtlingsstation, begann er zurückzuschiessen. Er war überzeugt, dass er etwas tun müsse.

Was für ihn heisst, solange er Kinder retten kann, heiligt das die Mittel. Im Film richtet Childers auch einen Frauen­mörder hin.

Bei dieser Sequenz war ich hin- und hergerissen. Childers ist ein sehr wider­sprüch­licher Mensch und sicher kein liebenswürdiger Held. Aber er drückt sich nicht davor zu handeln, wo andere hilflos sind.

Aber das rechtfertigt doch nicht die Gewalt?

Ich glaube, menschliches Handeln ist grundsätzlich nicht voraussagbar. In extremen Situationen werden wir zu Extremisten. Und Leute wie Sam ­Childers, die aus einem gewalttätigen Milieu stammen, sind vielleicht besser in der Lage, anderen Menschen in ­Gewaltsituationen zu helfen. Wir ­Intellektuellen sind das nicht. Uns fehlen Antworten, wenn sich schwie­rige Situa­tionen nicht mehr rational meistern lassen.

Ihr Film kann etwas, was wir kaum schaffen: globale Zusammenhänge verkürzen. Da sehen wir zum Beispiel in einer Einstellung Sam Childers in Pennsylvania bei der Planung einer Kirche im Sudan, und nur eine Sekunde später wuchtet er vor Ort bereits Backsteine – als wäre er nur rasch über die Strasse gegangen …

Ich habe mich für solche Zeitsprünge entschieden, weil sie uns vor Augen führen, wie bedeutsam unsere Entscheidungen am einen Ende der Welt für das Leben am anderen Ende der Welt sein können. Entscheidungen, die wir in Freiheit fällen. Diese poli­tische und ökonomische Freiheit hat am anderen Ende des Erdballs Auswirkungen. Mein Film schafft dazu die narrative Zeit. Wir nehmen immer wieder die Freiheit in Anspruch, uns neu zu erfinden. Auch Sam Childers hat sein Leben nach einer radikalen Kehrtwendung neu erfunden.

Die ihn trotzdem nicht vor Gewalt zurückschrecken lässt.

In gewisser Weise ist er immer noch in seinem eigenen Gefängnis und sitzt seine Strafe ab. Aber heute gehorcht er einem starken Mitgefühl.

Der Glauben ist ein starker Antrieb in «Machine Gun Preacher». Kann Gott die Welt retten?

Die Antwort muss vom Mensch kommen. Der Mensch kann sich selbst verändern. Diese Selbstveränderung kann durch vieles in Gang gesetzt werden.

Im Film verändert sich Childers oberflächlich aber gar nicht.

Ich bin da sehr optimistisch. Childers Verhältnis zum eigenen Gewaltpoten­zial ändert sich zwar kaum. Aber sein Verhältnis zur allgemeinen Gewalt in der Gesellschaft verändert sich sehr stark.

Was ihn auch an Gott zweifeln lässt …

… oder zumindest an dessen Gewalt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12

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